
LG Itzehoe: Eine Kulanzentscheidung der Nürnberger Berufsunfähigkeitsversicherung ist als Anerkenntnis einzustufen, da die Unverbindlichkeit der Entscheidung nicht hinreichend deutlich geworden ist.
LG Itzehoe Urt. v. 29.11.2024 – 3 O 147/20, BeckRS 2024, 37709 ( unser Az. 710/19)
Die Parteien sind durch einen am 01.12.2001 beginnenden Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag zur Versicherungsnummer …, miteinander verbunden. Vereinbart waren im Tarif IBU2100*F neben einer Berufsunfähigkeitsrente von ursprünglich 715,83 € und einer Beitragsdynamik die „Allgemeinen Bedingungen für die N. Investment Berufsunfähigkeitsversicherung ® nach Tarif IBU 2100 (GN 211100 – 09.01)“ (im Folgenden: AVB-BU) sowie die „Tarifbedingungen für Tarif IBU 2100 (50% – Klausel) (GN 212100 – 05.01)“ (im Folgenden: TB-BU).
Die Berufsunfähigkeitsrente betrug im maßgeblichen Zeitpunkt der geltend gemachten Berufsunfähigkeit 1.247,17 €. Die Beitragsprämie betrug zum gleichen Zeitpunkt monatlich 63,82 €.
Die AVB-BU lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 2 Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?
(1) Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.
(2) Teilweise Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die in Absatz 1 genannten Voraussetzungen nur in einem bestimmten Grad erfüllt sind (…).
§ 9 Wann geben wir eine Erklärung über unsere Leistungspflicht ab?
(1) Nach Prüfung der uns eingereichten sowie der von uns beigezogenen Unterlagen erklären wir, ob und in welchem Umfang und für welchen Zeitraum wir eine Leistungspflicht anerkennen.
(2) Wir können auch zeitlich begrenzte Anerkenntnis unter einstweiliger Zurückstellung der Frage aussprechen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 ausüben kann (…).
§ 11 Was gilt für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit?
(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unsere Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad oder den Umfang der Pflegebedürftigkeit nachzuprüfen; dies gilt auch für zeitlich begrenzte Anerkenntnis nach § 9. Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2
ausüben kann, wobei neu erworbene berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten zu berücksichtigen sind. (…)“
Die TB-BU lauten zudem auszugsweise wie folgt:
„§ 1 Was ist versichert?
(1) Wird die versicherte Person während der Versicherungsdauer dieser Versicherung zu mindestens 50% berufsunfähig, so erbringen wir folgende Versicherungsleistungen:
Zahlung einer Berufsunfähigkeit-Rente, längstens für die vereinbarte Versicherungsdauer. Die Rente zahlen wir monatlich im voraus. Von der Beitragspflicht werden sie befreit. Bei einem geringeren Grad der Berufsunfähigkeit besteht kein Anspruch auf die Versicherungsleistung (…).
(3) Der Anspruch auf Beitragsbefreiung und Rente entsteht frühestens mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist (…).
(5) Bis zur Entscheidung über die Leistungspflicht müssen Sie die Beiträge in voller Höhe weiter entrichten; wir werden diese jedoch bei Anerkennung der Leistungspflicht zurückzahlen. (…)“
Wegen der weiteren Einzelheiten der vereinbarten Versicherungsbedingungen wird auf die Anlage K2 Bezug genommen.
Vor Eintritt der von der Klägerin behaupteten Berufsunfähigkeit war die Klägerin als Krippenerzieherin tätig. Die Klägerin machte bei der Beklagten Versicherungsleistungen wegen des Eintritts einer Berufsunfähigkeit aufgrund einer Rückenerkrankung geltend.
Am 01.05.2016 beantragte die Klägerin Leistungen wegen der Berufsunfähigkeit bei der Beklagten unter Einreichung der Anlage K3 welche insoweit in Bezug genommen wird.
Mit Schreiben vom 20.12.2016 erklärte die Beklagte die Frage der Berufsunfähigkeit noch nicht abschließend beurteilen zu können. Dies sei erst nach Kenntnis des weiteren medizinischen Behandlungsverlaufes sowie der Ergebnisse der aktuellen laufenden Wiedereingliederungsmaßnahme möglich.
In dem Schreiben heißt es sodann wörtlich:
„die noch andauernde Leistungsprüfung soll sich aber nicht negativ auswirken, weshalb wir aufgrund der bisherigen ärztlichen Aussagen Ihnen die Berufsunfähigkeitsleistungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ab dem 01.07.2015 bis zunächst 01.12.2016 vergüten.
Bitte beachten Sie, dass dies aber noch keine Entscheidung über die Frage einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit ist.
Für diesen Zeitraum sind sie von der Beitragszahlung befreit.
Entsprechend der versicherten Jahresrente ergibt sich eine monatliche Rentenzahlung von 1.247,17 EUR, die im Voraus überwiesen wird (…).
Der Versicherungsschutz kann nicht erhöht werden, während Sie Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung erhalten. Wir haben daher die Erhöhungsversicherung per 12/2015 ab Beginn gelöscht (…).
Nach Erhalt der ausstehenden Unterlagen entscheiden wir abschließend über ihren Leistungsantrag und erstellen einen entsprechenden Bescheid. Bereits ausgezahlte Leistungen fordern wir in keinem Fall zurück. (…)“
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K13 insoweit Bezug genommen. Mit Schreiben vom 19.04.2017 teilte die Beklagte der Klägerin sodann Folgendes mit:
„(…) Die Agentur für Arbeit stellte in ihrer sozialmedizinischen Beurteilung allerdings auch fest, dass eine berufliche Veränderung aus medizinischen Gründen angezeigt ist. Wir gehen daher davon aus, dass nun seitens der Agentur für Arbeit entsprechende berufliche Reha-Maßnahmen geprüft werden. Da wir sie bei einer beruflichen Neuorientierung unterstützen möchten, stellen wir die Frage einer möglichen Verweisung zunächst zurück.
Die Berufsunfähigkeitsleistungen (Beitragsfreiheit und Rente) vergüten wir Ihnen somit nach § 9 Absatz 2 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung über den 01.12.2016 hinaus, zunächst bis 01.10.2017 bzw. bis zu einer vorherigen Tätigkeitsaufnahme. (…)“
Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anlage K16 verwiesen.
Nach dem 01.10.2017 nahm die Klägerin die Beitragszahlungen zu Gunsten der Beklagten in Höhe von monatlich 63,82 € wieder auf und erhielt keine (weiteren) Berufsunfähigkeitsrenten.
Die Klägerin ist der Ansicht die Beklagte könne sich nicht auf die Verweisung berufen, da diese bereits ein unbefristetes Anerkenntnis abgegeben habe. Zudem sei die Verweisung auch in der Sache nicht erfolgreich, da auch für den Verweisungsberuf ihre körperliche Einschränkung zu einer Berufsunfähigkeit führen würde.
Sie ist der Ansicht, dass sowohl das Schreiben vom 20.12.2016, als auch das Schreiben vom 19.04.20217, jeweils ein Anerkenntnis der Beklagten darstellen würden. Eine doppelte Befristung sei nach § 173 VVG unzulässig.
Mit der der Beklagten am 13.07.2020 zugestellten Klage beantragt die Klägerin,
1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 43.262,67 € zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 1.310,99 € ab dem 03.10, 02.11., 02.12.2017, 03.01., 02.02., 02.03., 03.04., 03.05., 02.06., 03.07., 02.08., 04.09., 02.10., 02.11., 04.12.2018, 03.01., 02.02., 02.03., 02.04., 03.05., 04.06., 02.07., 02.08., 03.09., 02.10., 02.11., 03.12.2019, 03.01., 04.02., 03.03., 02.04., 05.05. und 03.06.2020.
2.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer … beginnend ab Juli 2020 bis längstens 01.12.2036 bis zum 1. Werktag eines jeden Monats im Voraus eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von jeweils 1247,17 € zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf und zwar jeweils ab dem auf den 1. Werktag eines jeden Monats folgenden Tag für den Fall, dass die Zahlung durch die Beklagte nicht am 1. Werktag eines jeden Monats erfolgt.
3.Die Beklagte wird verurteilt die Klägerin von der Prämienzahlungspflicht für die Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer … ab dem 01.07.2020 bis längstens zum 01.12.2036 zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, eine Berufsunfähigkeit liege nicht vor. Sie ist der Ansicht, ihr erstes Schreiben vom 20.12.2016 stelle kein Anerkenntnis, sondern lediglich die Mitteilung einer Kulanzleistung dar. Das Schreiben vom 19.04.2017 sei ein, in zulässiger Weise befristetes, Anerkenntnis unter Zurückstellung der Frage der Verweisung. Die Verweisung könne sie wirksam geltend machen, weshalb weitere Leistungen seitens der Beklagten nicht beansprucht werden könnten. Folglich würden die Grundsätze des Nachprüfungsverfahrens nicht zum Tragen kommen und sie habe die Rentenleistungen wirksam ablehnen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist weit überwiegend begründet.
I.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 41.156,61 € aus der mit der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung in Verbindung mit §§ 1 S. 1, 172 Abs. 1, 173 VVG.
Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 20.12.20216 in rechtlicher Hinsicht ein unbefristetes Anerkenntnis abgegeben und ist mithin zur Zahlung der Versicherungsleistung verpflichtet. Dieses Anerkenntnis entfaltet Bindungswirkung gegenüber dem Versicherer.
1. Mit dem Schreiben vom 20.12.2016 wurde ein Anerkenntnis abgegeben.
Bei dem Anerkenntnis im Sinne des § 173 Abs. 1 handelt es sich nach überwiegender Auffassung um ein Anerkenntnis eigener Art – sui generis –, welches besondere Rechtsfolgen auslöst, nämlich die des § 174 VVG. Aufgrund dieser Regelung kann nach Abgabe eines Anerkenntnisses der Versicherungsnehmer nicht von einer plötzlichen Leistungseinstellung überrascht werden. Dafür bedarf es eines förmlich ausgestatteten Verfahrens welches auch Schutzmechanismen für den Versicherungsnehmer enthält, das sogenannte Nachprüfungsverfahren. Das Anerkenntnis bindet den Versicherer bis zum vertragsgemäßen erlöschen der Leistungspflicht stets, über seinen Erklärungsinhalt hinaus aber auch dann, wenn es unzulässigerweise befristet abgegeben worden ist (Lücke in: Prölls/Martin VVG, 31. Aufl., § 173 Rn. 1 ff.).
Das Anerkenntnis muss in Textform (§ 126 b BGB) erfolgen. Von einem Anerkenntnis ist auszugehen, wenn der Versicherer sich zu seiner Leistungspflicht bekennt. Teilt der Versicherer mit, dass er nur kulanzhalber zur Leistung bereit ist, handelt es sich nicht um eine von § 173 VVG geforderte Erklärung (Rixecker in: Langheid/Rixecker VVG, 7. Aufl., § 173 Rn. 4). Ob der Versicherer ein Anerkenntnis abgegeben hat ist durch Auslegung zu ermitteln. Da für den Versicherungsnehmer die Berufsunfähigkeitsleistungen eine Lohnersatzleistung darstellen, sind sie für ihn von großer Bedeutung. Er ist daher besonders schutzwürdig. Hieraus folgt, dass der Versicherer im Interesse des Versicherungsnehmers gehalten ist, seinem Vertragspartner die ihm obliegende Entscheidung mit der erforderlichen Klarheit mitzuteilen (OLG Dresden, Urt. v. 22.08.2023, 4 U 943/20). Wird der Kulanzcharakter nicht ausreichend deutlich, handelt es sich um ein Anerkenntnis, was sich daraus ergibt, dass der Versicherer bindend erklären und sich daran festhalten lassen muss, wenn er die Unverbindlichkeit seiner Entscheidung nicht deutlich macht (Lücke a.a.O. § 173 Rn. 12). Von einer kulanzhalber erfolgten Leistung kann somit nur die Rede sein, wenn der Versicherungsnehmer erkennen kann, dass der Versicherer sich gerade nicht für leistungspflichtig hält, die bindende Wirkung des Anerkenntnisses also durch die Erklärung nicht begründet wird und der Versicherungsnehmer, wenn er eine Leistungspflicht für gegeben erachtet, Rechtsschutzbegehren muss (Rixecker a.a.O., § 173 Rn. 4).
Danach gilt hier folgendes:
Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass sie „Berufsunfähigkeitsleistungen“ zahle. Aus dem Wortlaut ergibt sich bereits, dass eine Zahlung von Versicherungsleitungen maßgeblich gewollt war. Bei einer Leistung aus Kulanz erhält der Versicherungsnehmer jedoch keine Versicherungsleistungen, sondern freiwillige Zahlungen von dem Versicherer.
Auch die Befreiung von der Beitragspflicht für den Zeitraum des „befristeten“ Anerkenntnisses stellt eine Versicherungsleistung im Sinne des § 1 (1) TB-BU dar. Auch in Bezug auf diese Leistung wird nicht dargetan, dass es sich lediglich um eine Kulanzleistung handeln soll. Dies gilt umso mehr, wenn die Beklagte nur in Bezug auf die Rentenleistung auf eine Leistung „ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht“ hinweist, sich dies aber wegen der optischen Gestaltung nicht auf die nachfolgende Beitragsbefreiung bezieht.
Ferner ist in Hinblick auf die Beitragsbefreiung aus in § 1 (5) TB-BU geregelt, dass bis zur Entscheidung über einer „Leistungspflicht“ der Beitrag in voller Höhe entrichtet werden muss. Da die Klägerin von der Beitragszahlung befreit wurde durfte sie von einer Zahlungspflicht der Beklagten, also keiner Kulanzleistung, ausgehen.
Ebenfalls gegen eine Kulanzleistung spricht der Umstand, dass die Beklagte ausführte, dass während der Leistungen „aus der Berufsunfähigkeitsversicherung“ der Versicherungsschutz nicht erhöht werden könne. Auch in diesem Wortlaut wird deutlich, dass die Klägerin Versicherungs- und keine Kulanzleistungen erhalten sollte. Denn die Leistung der Beklagten war insoweit mit Nachteilen für die Versicherungsnehmerin verbunden, nämlich dem Umstand, dass ihr die Erhöhung des Versicherungsschutzes unmöglich wird. Dies wäre ein bei einer Kulanzleistung unbilliger Nachteil, den ein Versicherungsnehmer nicht erwarten müsste (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.07.2011, 12 U 55/11).
Zudem erklärte die Beklagte: „Nach Erhalt der ausstehenden Unterlagen entscheiden wir abschließend über ihren Leistungsantrag und erstellen einen entsprechenden Bescheid.“ Hiermit bringt die Beklagte zum Ausdruck, dass eine „weitere Befristung“ nicht beabsichtigt, mit einer abschließenden Entscheidung mithin zu rechnen sei. Aus Sicht des Versicherungsnehmers erweckt dies den Eindruck, dass der Versicherer Bezug auf die Regelung des § 173 Abs. 2 VVG nimmt, wonach ein zeitlich befristetes Anerkenntnis nur einmal zulässig ist. Ein solches liegt demnach in dem Schreiben vom 20.12.2016 vor.
Allein die pauschale Bemerkung, die Leistung werde ohne Anerkennung einer Rechtspflicht erbracht, genügt nicht, um dem Versicherungsnehmer hinreichend deutlich zu machen, dass es sich um Kulanzleistung handeln soll. Gegen die Annahme eines Anerkenntnisses spricht nicht, dass der Versicherer sich nicht zur Abgabe eines Anerkenntnisses verpflichtet sieht, sondern nur eine sonst entstehende Härte vermeiden will. Der Versicherungsnehmer darf die Erklärung auch unter Einbeziehung des Hinweises „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ so verstehen, dass der Versicherer im trotz Bedenken hinsichtlich des vollständigen Vorliegens der Leistungsvoraussetzungen kulanterweise ein Anerkenntnis bedingungsgemäßer Leistungserbringung erteilt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 21.07.2011, 12 U 55/11).
Auch der Hinweis der Beklagten, es handele sich um noch keine Entscheidung über die Frage der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit mag dem Schreiben nicht dazu verhelfen es als Kulanzleistung auszulegen. Wird der Kulanzcharakter nicht ausreichend deutlich, handelt es sich um ein Anerkenntnis (s.o.). Dies ist nach dem vorgesagten der Fall. Das Schreiben weist mehrere Passagen auf, die für den Versicherungsnehmer den Anschein erwecken, dass es sich um die Zusage einer Versicherungsleistung handeln soll. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ergibt dadurch ein unklares Bild und nicht die erforderliche Eindeutigkeit einer Kulanzleistung. Dass dieses Schreiben vom 20.12.2016 „noch“ keine Entscheidung über die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit darstellt lässt schließlich auch den Schluss zu, dass es sich hierbei um eine einmalige Befristung bis zur abschließenden Beurteilung handeln soll. Dies wird noch deutlicher, wenn die Beklagte die Entscheidung „aufgrund der bisherigen ärztlichen Aussagen“ trifft und mithin eine Beurteilung des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers sehr wohl vorgenommen hat. Es wird dadurch insgesamt das Vertrauen geweckt, dass es sich hierbei um die einmalig mögliche Befristung handele.
2. Das Anerkenntnis vom 20.12.2016 wurde unrechtmäßig befristet und ist mithin als unbefristetes Anerkenntnis auszulegen.
Der BGH schreibt in seinem Urteil vom 23.02.2022 zum Aktenzechen IV ZR 101/20 zu der Problematik der Zulässigkeit eines rückwirkend befristeten Anerkenntnisses:
„aa) Nach § 173 Abs. 2 Satz 1 VVG darf das Anerkenntnis einmal zeitlich begrenzt werden, ohne dass sich dem Wortlaut dieser Regelung unmittelbar entnehmen lässt, ob diese Begrenzung auch einen bereits zurückliegenden abgeschlossenen Zeitraum der Berufsunfähigkeit umfassen kann. Ein rückwirkend befristetes Anerkenntnis entspräche aber nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, die eine Ausnahme von der in § 173 Abs. 1 VVG grundsätzlich vorgesehenen Erklärung des Versicherers über seine unbefristete Leistungspflicht enthält. Der Versicherungsnehmer hat bei Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen Anspruch auf ein Anerkenntnis (Senatsurteil vom 9. Oktober 2019 – IV ZR 235/18, VersR 2020, 25 Rn. 14 m.w.N.). Aus der Lohnersatzfunktion der Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung folgt ein schützenswertes Interesse des Versicherungsnehmers, dass sich der Versicherer möglichst bald und für längere Zeit bindend erklärt, ob er seine Leistungspflicht anerkennt (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 105 f.).
Die Möglichkeit zur Befristung des Anerkenntnisses nach § 173 Abs. 2 VVG rechtfertigt sich nach dem Willen des Gesetzgebers nur daraus, dass aus der Sicht beider Vertragsparteien ein Bedürfnis besteht, in zweifelhaften Fällen bis zu einer abschließenden Klärung zunächst eine vorläufige Entscheidung zu ermöglichen (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 106). Die gesetzgeberische Entscheidung trifft einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Versicherers und des Versicherungsnehmers, indem einerseits in zweifelhaften Fällen eine vorläufige Zusage und damit ein rascher Leistungsbeginn ermöglicht wird, andererseits sich der Versicherer nicht durch mehrere aufeinander folgende, jeweils zeitlich befristete Zusagen einem endgültigen Anerkenntnis entziehen kann (Senatsurteil vom 9. Oktober 2019 – IV ZR 235/18, VersR 2020, 25 Rn. 13). Die § 173 Abs. 2 Satz 1 VVG zugrunde liegende Situation der Unsicherheit, die eine vorläufige Regelung erforderlich macht, liegt aber nur für einen in die Zukunft reichenden Anerkenntniszeitraum vor. Dieser Zweck einer vorläufigen Regelung in einer Situation der Unsicherheit erlaubt daher nur eine (auch) in die Zukunft gerichtete Befristung. Der Versicherer hat aus der maßgeblichen Perspektive ex ante darüber zu entscheiden, ob und für welchen Zeitraum er ein befristetes Anerkenntnis abgibt (Senatsbeschluss vom 13. März 2019 – IV ZR 124/18, VersR 2019, 1134 Rn. 25).
bb) Auch der Zusammenhang mit § 173 Abs. 2 Satz 2 VVG zeigt, dass das befristete Anerkenntnis in die Zukunft gerichtet ist und keine bereits zurückliegenden, abgeschlossenen Zeiten der Berufsunfähigkeit erfasst. Nach § 173 Abs. 2 Satz 2 VVG ist das Anerkenntnis bis zum Ablauf der Frist bindend. Dies ist das vom Gesetzgeber vorgesehene Regulativ, das eine Regelung der Laufzeit der zeitlich beschränkten Zusage überflüssig machen soll, da so auch der Versicherer ein Interesse daran hat, die Gültigkeit der Zusage nicht unangemessen lange auszudehnen (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 106). Auch hier geht das Gesetz von einem in die Zukunft gerichteten Anerkenntnis aus, das dem Versicherungsnehmer für diesen Zeitraum eine gesicherte Rechtsposition verschaffen soll. Der Versicherer kann sich nicht vorzeitig von seiner Zusage lösen, auch wenn sich später der fehlende Nachweis eines Versicherungsfalles herausstellen oder die zunächst gegebenen Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit wegfallen sollten. Diese Bindung schließt es aus, den Anspruch des Versicherungsnehmers auf Abgabe des gebotenen Anerkenntnisses rückwirkend auf den tatsächlichen Zeitraum der inzwischen beendeten Berufsunfähigkeit zu beschränken (vgl. Senatsbeschluss vom 13. März 2019 – IV ZR 124/18, VersR 2019, 1134 Rn. 25). (…)
3. Rechtsfolge der unzulässigen Rückwirkung der Befristung des Anerkenntnisses ist, dass sich die Beklagte nicht auf die Befristung berufen kann (vgl. Senatsurteil vom 9. Oktober 2019 – IV ZR 235/18, VersR 2020, 25 Rn. 23 für die fehlende Begründung einer Befristung).“
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht an. Vorliegend erklärte die Beklagte, dass sie die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zunächst zum 01.12.2016 (ohne Anerkennung einer Rechtspflicht) leiste. Der Zeitraum der Befristung endete mithin bereits 19 Tage bevor das Anerkenntnis verfasst wurde.
3. Die Leistungspflicht endete auch nicht durch ein Nachprüfungsverfahren, § 174 VVG.
Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens obliegt es dem Versicherer darzutun, dass die Voraussetzungen der Leistungspflicht entfallen sind. Dies hat er dem Versicherungsnehmer in Textform zu begründen.
Unabhängig von der Frage, ob der Schriftwechsel der Parteien, auch im Gerichtsverfahren, den formellen Anforderungen des Nachprüfungsverfahrens gerecht wird, scheitert dies jedenfalls daran, dass die Beklagte selbst eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht behauptet – da sie von vornherein eine Berufsunfähigkeit von über 50% nicht erkennt –, sondern ihr Leistungsunwilligkeit auf die Möglichkeit der Verweisung stützt. Die irrtümliche unterbliebene Verweisung begründet keine Leistungseinstellung. Hat der Versicherer entgegen einer tatsächlich bestehenden Verweisungsmöglichkeit anerkannt, kann er diese Entscheidung im Nachprüfungsverfahren nicht korrigieren (Lücke a.a.O. § 174 Rn. 3 m.w.N.).
4. Die Beklagte hat daher aus der Berufsunfähigkeitsversicherung einen Zahlungsanspruch in Höhe von 41.156,61 € für den Zeitraum von Oktober 2017 bis einschließlich Juni 2020. Dieser setzt sich aus der zu zahlenden Berufsunfähigkeitsrente in zwischen den Parteien unstreitiger Höhe von monatlich 1.247,17 zusammen (33 Monate x 1.247,17 € = 41.156,61 €).
II.
Die Klägerin hat zudem einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 2.106,06 € aus § 812 BGB i.V.m. dem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag und § 1 (1) TB-BU.
Für den Zeitraum, in welchem die Beklagte hätte Leistungen erbringen müssen, war die Klägerin entsprechend der Versicherungsbedingungen von der Beitragspflicht befreit. Da sie dennoch, und somit ohne Rechtsgrund, an die Beklagte die monatlichen Beiträge in Höhe von 63,82 € leistet, sind diese Beträge zurückzuerstatten, § 812 BGB (33 Monate x 63,82 € = 2.106,06 €).
III.
Der Zinsanspruch in Bezug auf die Berufsunfähigkeitsrente ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB i.V.m. § 1 (1) TB-BU.
Dem entgegen sind die Rückzahlungsansprüche wegen der rechtsgrundlos geleisteten Prämien i.S.v. § 286 II Nr.1 BGB nicht kalendermäßig bestimmt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 13.12.2023, 20 U 369/22). Die Beklagte ist insoweit erst durch Rechtshängigkeit in Verzug geraten.
IV.
Der Klägerin steht zudem aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit dem wirksamen Leistungsanerkenntnis auch ein Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Rente in Höhe von 1.247,17 € seit dem 01.07.2020 bis längstens zum vertraglich vereinbarten Ablauf am 01.12.2036 zu. Daneben steht der Klägerin auch ein Zinsanspruch auf die monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu, sofern die Beklagte die Monatsrate nicht im Monatsvoraus gezahlt hat, § 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Verzinsung erfolgt ab dem darauf folgenden Tag. Das Gericht ist jedoch an den Antrag der Klägerin gebunden, sodass der ein „Mehr“ jedenfalls nicht ausgeurteilt wird, die Beklagte insoweit antragsgemäß zu verurteilen war.
V.
Die Klägerin ist, abermals aufgrund des Leistungsanerkenntnisses, aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit § 1 (1) TB-BU von der Beitragspflicht seit dem 01.07.2020 bis längstens zum vertraglich vereinbarten Ablauf am 01.12.2036 zu befreien.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
VII.
Der Streitwert wird von dem Gericht nach billigem Ermessen festgesetzt, § 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO.
Der Zahlungsantrag zu Ziffer 1 wird mit 43.262,67 € berücksichtigt, der Antrag zu Ziffer 2 mit dem 42-fachen Monatswert einer Berufsunfähigkeitsrente, § 9 ZPO, selbiges gilt für die Beitragszahlungen. Zinsen bleiben als Nebenforderungen gem. § 4 ZPO im Streitwert unberücksichtigt.
Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht:
Für eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist die die Abgabe eines Leistungsanerkenntnisses eine weitreichende Entscheidung, mit der sie sich häufig schwertut, da sie von dieser nur mit einem Nachprüfungsverfahren wieder loskommt. Umso verlockender ist es für die BU-Versicherung, ein befristetes Anerkenntnis oder eine Kulanzentscheidung auszusprechen oder aber dem Versicherungsnehmer eine außervertragliche Vereinbarung anzubieten. Versicherungsnehmer sind sich in der Regel nicht im Klaren darüber, dass sie grundsätzlich Anspruch auf ein Anerkenntnis haben und nehmen die Entscheidung der BU-Versicherung nicht selten – auch aus wirtschaftlichen Erwägungen – hin.
Das Landgericht Itzehohe zeigt in der , von uns erstrittenen Entscheidung dogmatisch sehr übersichtlich auf, warum die Entscheidung der Nürnberger letztlich rechtswidrig war und aus diesem Grund wie ein Anerkenntnis zu betrachten ist,
Unser Rat ist insofern: Wenn Sie eine ähnliche befristete Entscheidung Ihrer BU-Versicherung erhalten oder aber auch eine Vereinbarung unterschrieben haben, lassen Sie diese anwaltlich prüfen! In vielen Fällen muss die BU-Versicherung im Nachhinein ein unbefristetes Leistungsanerkenntnis abgeben.
Falls Sie Fragen dazu haben, kontaktieren Sie uns und nehmen Sie unser Angebot einer kostenlosen Ersteinschätzung wahr.