Newsdetail

LG Hamburg: Gerichtlicher Sachverständiger widerlegt den Vorwurf der Aggravation und Simulation durch die Versicherungsgutachter Lutz Siegfried Gerhardt und Christina Indiestel. Ablehnung der Berufsunfähigkeitsrente durch Signal Iduna rechtswidrig.

Urteil LG Hamburg v. 23.02.2018, Az. 306 O 61/16

(Zusammenfassung des Autors)

Die Klägerin (unsere Mandantin) war als angestellte Exportsachbearbeiterin tätig. Am 25.07.2014 zeigte sie bei der Signal Iduna Lebensversicherung den Eintritt der Berufsunfähigkeit an. Am 18.09.2014 unterzeichnete sie einen Fragebogen zum Leistungsantrag  und übersandte diesen der Signal. Diese beauftragte den Sachverständigen Lutz Siegfried Gerhardt mit der Prüfung der Berufsunfähigkeit. Nach dessen Gutachten  und einem testpsychologischen Zusatzgutachten der Frau Christina Indiestel soll eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit der Klägerin nicht vorliegen. Die Signal lehnte daraufhin mit Schreiben vom 26.05.2015  ihre Leistungspflicht ab.

Die Klägerin behauptet, sie leide an Depression, chronischer Schlafstörung, Angststörung, somatoformer Störung, HWS-Erkrankung und lmpingementsyndrom beider Schultern und sei aufgrund dieser Erkrankungen seit dem 15.01.2015 „berufsunfähig" im Sinne der zugrundeliegenden Ver­sicherungsbedingungen, sie könne seitdem ihre berufliche Tätigkeit als Exportsachbearbeiterin zu mindestens 50 % nicht mehr ausüben.

Das Gericht hat die Klägerin persönlich angehört und Beweis erhoben durch ein schriftliches medizinisches Sachver­ständigengutachten des Sachverständigen Dr. Peter Tonn, Stresemannstraße 23, 22769 Hamburg - eingeholt und den Sachverständigen ergänzend mündlich angehört.

Die Klage ist, soweit sie nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, im tenorierten Umfang begründet. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten gemäß.§ 1 Abs. 1 und 2, § 2 Abs. 4 B-BUZ einen Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von jeweils € 1.022,56 für die Monate August 2014 bis einschließlich Januar 2015.

Die Klägerin hat bewiesen, dass sie (rückschauend) bereits seit Mitte Januar 2014 krankheitsbedingt ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande gewesen ist ihren Beruf auszuüben. Damit gilt die Fortdauer dieses Zustandes als Berufsunfähigkeit, wobei als Eintritt der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit der letzte Tag des 6. Monats gilt(§ 2 Abs. 4 B-BUZ). Mithin liegt eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit der Klägerin seit Mitte Juli 2014 vor. Der Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente besteht damit mit dem Ablauf dieses Monats (§ 1 Abs. 2 8-BUZ).

Der Sachverständige Dr. Tonn hat im Rahmen seiner Anhörung nachvollziehbar dargelegt, dass die Klägerin rückschauend bereits seit Mitte Januar 2014 krankheitsbedingt außerstande gewesen ist, ihren Beruf als Exportsachbearbeiterin auszuüben. Er hat diese Einschätzung plausibel anhand der dokumentierten Behandlung der Klägerin dargelegt. Dabei hat er sorgfältig differenziert, dass zum damaligen Zeitpunkt aus ärztlicher Sicht aufgrund der Therapieversuche zwar noch eine Besserung. des Gesundheitszustandes der Klägerin, und damit eine mögliche Wiederherstellung·ihrer Arbeitsfähigkeit erhofft werden konnte, dass diese Hoffnung aber mit der Entlassung aus der Tagesklinik am 09.02.2015 nicht mehr bestanden hat. Ab dem letztgenannten Zeitpunkt stand damit fest, dass ·die Klägerin voraussichtlich auch dauerhaft ihren Beruf nicht mehr wird ausüben können.

Der Zusammenfassung des Urteils sind folgende zusätzliche Informationen hinzuzufügen:

Die Signal Iduna Lebensversicherung hatte außergerichtlich nach Anmeldung des Leistungsanspruchs unserer Mandantin ein Gutachten bei dem sog. „Zentralinstitut für Integriertes Begutachtungswesen der Medizin“ in Bad Salzuflen in Auftrag gegeben. Bei diesem „Zentralinstitut“ handelt es sich um ein von den Eheleuten Dr. Martina Gerhardt und Lutz Siegfried Gerhardt betriebenes Gutachteninstitut welches auch unter dem Namen „Forum Salinum“ firmiert.
Gleichzeitig wurde ein neuropsychologisches Zusatzgutachten bei Frau Christina Indiestel in Auftrag gegeben, welche unter der Bezeichung „INA Interdisziplinäre Neuropsychologische Ambulanz, Klosterstraße 26, 32545 Bad Oyenhausen“ firmiert.
Beide „Gutachter“ kamen zum Ergebnis, dass bei unserer Mandantin keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorgelegen hätte. Die Methodik der Begutachtung interessengesteuert im Sinne des Auftraggebers und überdies, wissenschaftlich nicht ansatzweise haltbar.
Zunächst wurde durch das „Gutachten“ der Frau Indiestel vorgelegt, welche unsere Mandantin einer Vielzahl von neuropsycholgischen Testverfahren unterzog und unserer Mandantin schließlich negative Antwortverzerrung unterstellte, sie also als Simulantin darstellte.
Im zweiten Schritt begutachtete Herr Gerhardt unsere Mandantin und erstellte ein „Sozialmedizinisches Gutachten“ (hier wähnt sich der Gutachter bereits in einem völlig anderen Rechtsgebiet) in dem er auf den „Ergebnissen“ der Frau Indiestel aufbaute und feststellte, dass wegen der „negativen Antwortverzerrungen“ eine aussagefähige Beurteilung der Probandin nicht möglich wäre.

Der gerichtliche Gutachter hatte sich schließlich mit den Auftragsgutachten der Signal Iduna BU-Versicherung auseinanderzusetzen und kam zu einem mehr oder weniger vernichtenden Ergebnis:

Die Gutachten, die von der Signal Iduna Berufsunfähigkeitsversicherung eingeholt werde sind, waren aus Sicht des gerichtlichen Gutachters vor allem aus zwei Gründen unbrauchbar. Im Gutachten des Psychiaters Lutz Siegfried Gerhardt wird einerseits die psychische Belastung der Klägerin wahrgenommen und als „subdepressiv" beschrieben, andererseits Testungen durchgeführt, die - etwa BSI mit „maximal erhöhtem Globalwert bewertet werden. Gleichzeitig wird angegeben wird, es mache keinen Sinn, hier Detailwerte auszurechnen, dann auch im FPI eine global erhöhte Belastung in vielen Bereichen konstatiert wird, ohne dass dies genauer ausgeweitet wird. Im  FLei wird zwar angegeben wird, dass in den Einzelskalen hohe Werte erreicht werden, gleichwohl die Kontrollskala (entsprechend der Testbeschreibung korrekt) mit „0" angegeben ist. Dennoch wird in der abschließenden Beurteilung behauptet, man könne mit Selbstbeurteilungsbögen keine Aussage zur Schwere der Symptomatik erheben und in „dem eingesetzten Beschwerdevalidierungsverfahren" seien „Aggravationstendenzen" erkannt worden. Diese Aussagen waren aus Sicht des Gerichtsgutachters zweifelhaft. Erstens ließen die Frage aufkommen, welchen Wert die Anwendung von Selbstbeurteilungsskalen haben soll, wenn nicht den, die Schwere von Symptomatik (natürlich aus Sicht des Probanden) zu erfassen. Darüber hinaus ist die Kontrollvariable beim FLei (davon ausgehend, dass dieser als „Beschwerdevalidierungsverfahren" eingesetzt wurde) korrekt mit „o" beantwortet, mithin sind eben gerade keine Aggravationstendenzen erkennbar gewesen. Insgesamt ist im Gutachten des Herrn Dr. Gerhardt die Diskrepanz zwischen dem Befund des Untersuchers, der insgesamt von einer milden depressiven Symptomatik ausgeht (subdepressiv) und die Anamnese mit zu diesem Zeitpunkt bereits langer Erkrankungs- und Behandlungsphase einschließlich tagesklinischer Behandlung eher in seiner Betrachtung minimiert und den Testungen, bei denen erhebliche Belastungen der Probandin deutlich werden und die stattdessen mit dem Hinweis auf „keine Aussage über den Schweregrad" und „Aggravationstendenzen" bewertet werden, sehr deutlich. Noch deutlicher wird die hier tatsächlich als tendenziös wahrgenommene Beurteilung in dem Gutachten von Frau Indiestel. Hier werden diverse Defizite in kognitiven Leistungen beschrieben und daneben die Durchführung von Beschwerdevalidierungstests berichtet, bei denen in einem Test, der „zur Vermeidung einer Wissensvermittlung an Untersuchte" nicht genauer dargestellt wird, Ergebnisse berichtet, die einen Cut-Off-Wert überschreiten, was als „Tendenz zur negativen Antwortverzerrung" gedeutet wird. In einem anderen Test hingegen (SFSS), der offenkundig auch als Beschwerdevalidierungsverfahren eingesetzt wird,  wird der Cut-Off-Wert nicht erreicht, was auch nach Einschätzung von Frau Indiestel somit „keinen Hinweis auf eine negative Anwortverzerrung" liefert. Die Wahrnehmung, dass in der SCL-90-Skala extrem überhöhte Werte angegeben werden, wird dann hingegen wieder als „Verdacht einer negativen Antwort­verzerrung" interpretiert. Während auf Seite 23 des Gutachtens immerhin angegeben wird, dass „nicht eindeutig" beurteilt werden könne, ob eine negative Antwortverzerrung vorliege, wird ansonsten sowohl in diesem Gutachten als auch im davon sicher beeinflussten Gutachten von Herrn Lutz Siegfried Gerhardt so formuliert, als sei eine solche Antwortverzerrung gesichert. Letzten Endes stellt aus Sicht des gerichtlichen Sachverständigen allerdings allein schon die fehlende Angabe, welcher Test (1 von 2!), auf den sich die Verdachtsbehauptung einer „negativen Antwortverzerrung" stützt, mit dem Hinweis, man wolle damit den Untersuchten nicht die Möglichkeit geben, den Test zu unterlaufen „nach international formulierten Empfehlungen" eine große Belastung für gesamten Gutachtens dar. Auch das Fehlen von Detailangaben zu den meisten durchgeführten Testungen macht es unmöglich, das Gutachten und seine Aussagen nachzuvollziehen. Die fehlende Angabe, welcher Test mit welcher Variante und welchem genauen Ergebnis dazu veranlasst, von einer negativen Antwortverzerrung zu sprechen, lässt diesen Begriff schlicht durchfallen. Wenn einer von zwei Tests nicht nachprüfbar ist, und damit sich nicht nur der fachlichen Überprüfung entzieht, sondern auch die im deutschen Recht (nach hiesigem medizinischen, nicht juristischen Verständnis) zwingende Vorgabe einer „Waffengleichheit" zwischen Kontrahenten dadurch unterlaufen wird, dass es einer der Streitparteien unmöglich gemacht wird, auf die behaupteten Ergebnisse überhaupt inhaltlich zu reagieren. Somit kann man weder die Aussagen aus diesem Test noch damit in Verbindung stehende Schlussfolgerungen mittragen. Wenn im zweiten Test, der dann auch noch tatsächlich im Ergebnis beschrieben ist, dann aber ein unauffälliges Ergebnis erzielt wird, ist damit eine Aussage wie „negative Antwortverzerrung" nach Auffassung des Gerichtssachverständigen erfolgreich widerlegt. Dem entspricht der von Herrn Gerhardt offenbar als Beschwerde­validierungstest eingesetzte FLei, der ebenfalls in der Kontrollvariablen (bei sehr hohen Weiten in den Messvariablen) mit einem „o"-Ergebnis eben keinen sicheren Hinweis auf eine Antwortverzerrung liefert. Im Übrigen konstatiert der Gerichtsgutachter, dass die Behauptung, die neuropsychologischen (oder kognitiv­neurologischen) Defizite der Probandin seien so erheblich in den Messungen und dann auch wieder so wenig damit konkruent in den klinischen Befunden und Anamnesegesprächen erschienen, dass auch das als Hinweis auf eine negative Antwortverzerrung zu werten sei, nicht den Ergebnissen der international publizierten Literatur entspricht. So wird bei einem Literatur-Screening deutlich, dass es eben gerade bei (chronifzierten) depressiven Störungen zu kognitiven Beeinträchtigungen kommt, die nicht selten ein erhebliches Ausmaß annehmen können, die durchaus sehr „ungeordnete" Bereiche erfassen können, die insgesamt unstrukturiert wirken können. Nicht umsonst ist bei der Definition einer Depression eine kognitive Störung mit in begriffen (ICD-10, s.o.) und der durchaus gängige Begriff der „depressiven Pseudodemenz" beschreibt sehr einprägsam, dass zum affektiven Syndrom kognitive Defizite hinzutreten können.

 

Anmerkung RA Dr. Büchner

Das von uns erstrittene Urteil des Landgerichts Hamburg zeigt einmal mehr die typische Art und Weise der Leistungsprüfung durch Berufsunfähigkeitsversicherungen. Es wird zugleich ein testpychologisches als auch ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben. Obwohl als „Zusatzgutachten“ bezeichnet, wird dieses zuerst eingeholt. Die dort ermittelten Testergebnisse dienen als Grundlage des Vorwurfs der Aggravation und Simulation, so dass der eigentliche, ärztliche psychiatrische Gutachter nur noch feststellen kann, dass aufgrund der Simulation des Probanden keine Beurteilung der Leistungsfähigkeit möglich war.

Diese Methode ist unseriös und wird von den Vertretern der wissenschaftlichen Schulmedizin als solche offen abgelehnt. Gleichwohl ist diese pseudowissenschaftliche Vorgehen bei der Mehrzahl der Berufsunfähigkeitsversicherungen der „Goldstandard“ in der Leistungsprüfung, da sie in der Regel zu den dort gewünschten Ergebnissen führt. Hinzu kommt die weit verbreitete Unart, dass die Testergebnisse und sog. Rohdaten der Leistungstests an die Versicherten und bei gerichtlicher Prüfung auch an die gerichtlichen Sachverständigen nicht weitergegeben werden. Zurecht wies der Gerichtssachverständige im Ergebnsis darauf hin, dass die Privatgutachter der Signal sich ihre Behauptungen quasi aus den "Fingern gesogen" haben.

Jeder Versicherungsnehmer sollte sich insofern im Vorhinein genau überlegen, ob der diesen – in den Versicherungsbedingungen nicht vorgesehenen, also rechtwidrigen – Weg mitgehen und mit großer Wahrscheinlichkeit eine Leistungsablehnung erhalten will.

Kontaktieren Sie uns und nehmen Sie unser  Angebot einer kostenlosen Ersteinschätzung  wahr!

 


Seite drucken