Testpsychologische Gutachten zur Beschwerdevalidierung in der psychiatrischen Begutachtung
Seit einiger Zeit zeichnet sich insbesondere im Rahmen der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung ein neuer Trend dahingehend ab, dass sich die mit dem Gutachten beauftragten Psychiater sogenannter Beschwerdevalidierungstests (BVT) bedienen, mit dem Ziel ein angebliches suboptimales Leistungsverhalten und negative Antwortverzerrungen durch den Probanden nachzuweisen. Diese Tests finden bei der Bewertung ganz verschiedener psychiatrischer Erkrankungen Anwendung, z.B. von Leistungseinschränkungen infolge hirnorganischen Psychosyndroms, depressiven Erkrankungen und Erschöpfungssyndromen ( Burnout ) oder auch somatoformen Schmerzstörungen.
Da in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung unterdessen ca. 40% der angemeldeten Leistungsfälle aus dem Bereich der psychischen Erkrankungen kommen, versucht man auf der Seite der Versicherer gegenzusteuern. Häufig kommen die von der Berufsunfähigkeitsversicherung beauftragten Psychiater zu einem nicht wirklich handhabbaren Ergebnis, so dass auf der Sachbearbeiterseite unterdessen die Durchführung entsprechender Beschwerdevalidierungstests bereits im Gutachtenauftrag vorgegeben wird.
Diese Entwicklung muss aus mehreren Gründen als problematisch angesehen werden, da die juristische Zulässigkeit derartiger, von Psychologen erhobenen testpsychologischer Gutachten ebenso zweifelhaft ist, wie die deren medizinischer Nutzen.
Grundsätzlich ist in allen Bedingungswerken in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung vorgesehen, dass die Begutachtung der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit allein durch Ärzte erfolgen darf. Den Kreis der Sachverständigen dahingehend zu erweitern, dass ein Psychologe durch mit seinen Beschwerdevalidierungstests im Ergebnis die Grundlage für die Einschätzung des Psychiaters liefert, muss als unzulässig und insofern bedingungswidrig angesehen werden.
Mindestens genauso entscheidend ist jedoch die Kritik in fachlicher Hinsicht. Es gilt in der psychiatrischen Wissenschaft als gesichert, dass die Beschwerdeschilderung durch Probanden, welche eine Leistungserwartung an einen Versorgungsträger haben, nicht selten von Überhöhungstendenzen geprägt ist. Die Möglichkeit dieses Verhaltens ( Aggravation, Simulation ) muss vom Gutachter prinzipiell in seine Bewertung mit einbezogen werden und er hat diese im Rahmen einer sog. Konsistenzprüfung zur würdigen. Innerhalb der Konsistenzprüfung kann die Durchführung von Beschwerdevalidierungstests unter bestimmten Voraussetzungen angezeigt sein.
Im Unterschied zu dieser wohl herrschenden Auffassung in der psychiatrischen Begutachtungsliteratur[1] wird von einer anderen Seite der flächendeckende Einsatz von sog. Beschwerdevalidierungstests bei der Begutachtung von psychischen Störungen gefordert.[2] Zur Begründung werden - fachlich hoch umstrittene - Studien angeführt, welche von den gleichen Autoren erarbeitet worden sind[3] und wonach ca. 45% der Probanden ein angeblich „suboptimales Leistungsverhalten“ an den Tag legen würden. Zu beachten ist, dass die Autoren dieser Studien als psychiatrische und psychologische Gutachter tätig sind und in einer Vielzahl von Fällen von Versicherungsgesellschaften mit genau diesen Fragestellungen befasst werden.
Es soll an dieser Stelle zu den Kritikpunkten am generellen Einsatz von testpsychologischen Gutachten nicht weiter vertieft werden, insbesondere auch deshalb, weil es sich hier um eine von Medizinern zu behandelnde fachspezifische Problematik handelt.
Festgehalten werden muss jedoch, dass es zum Einsatz von Beschwerdevalidierungstests bisher keine interdisziplinären Begutachtungsleitlinien gibt, so dass diese nicht generell, sondern nur im begründeten Ausnahmefall zur Anwendung kommen dürfen und auch in diesen Fällen vorher festgelegt und begründet werden muss, welche und wie viele der zahlreich verfügbaren Testreihen zur Anwendung kommen sollen.
Unterdessen wird dieses Problem auch von einigen Gerichten erkannt und dargestellt (z.B. LG Heidelberg v. 22.01.2013)
Ist ein Leistungsantrag in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund von eines neben der psychiatrischen Begutachtung gleichzeitig – bzw. i.d.R vorab - durchgeführten testpsychologischen Zusatzgutachtens abgelehnt worden, ist bereits aus diesem Grund die anwaltliche Überprüfung der Entscheidung angeraten.
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[1] Dressing, H: Widder, B.; Foerster, K.: Kritische Bestandsaufnahme zum Einsatz von Beschwerdevalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung; Versicherungsmedizin 2010, 62; Meins, W: Grenzen und Irrwege psychiatrischer Begutachtung, MedSach 2010, 152 [2] Stevens, A: Zusammenwirken des ärztlichen und des psychologischen Gutachters. Forum medizinische Begutachtung (2009, 51-53) [3] Stevens, A; Friedel, E.; Mehren, G., Merten, T.: Malingering and uncooperativeness in psychiatric an psychological assesement. Prevalence and effects in a German sample of claimants, Psychiatry Research 157 (2008) 191