BGH bestätigt die Mogelpackung „unechte Beamtenklausel“ als zulässig. Beamte müssen trotz Pensionierungsbescheid zum Versicherungsgutachter.
BGH, Urteil vom 31. Mai 2023 – IV ZR 58/22
Bei einer Dienstunfähigkeitsklausel, nach der es für bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausreicht, wenn die versicherte Person als Beamter infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig ist und dazu wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist, begründet nicht schon der Umstand, dass der Beamte wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurde, eine unwiderlegbare Vermutung seiner vollständigen Berufsunfähigkeit. (Leitsatz)
Aus den Gründen:
"Ergänzend zu § 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung gilt als vereinbart:
Alternativ zu der Voraussetzung für bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit, dass die versicherte Person ihrem zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann, reicht es bereits aus, wenn die versicherte Person als Beamtin/Beamter … infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig ist und dazu wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit (im Sinne des § 44 Absatz 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes und des § 26 Absatz 1 Satz 1 des Beamtenstatusgesetzes, Stand: 01.05.2011, …) in den Ruhestand versetzt oder entlassen worden ist."
Schon der Bedingungswortlaut macht ihm deutlich, dass der versicherte Beamte infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig sein muss und die Klausel damit - wie ihm schon die nachfolgende Wendung "und dazu" verdeutlicht - eine eigenständige Voraussetzung für die Feststellung vollständiger Berufsunfähigkeit aufstellt. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird demgegenüber nicht annehmen, dass diese Voraussetzung inhaltsleer ist und ihr neben dem Erfordernis einer Verwaltungsentscheidung keine eigenständige Bedeutung zukommt. Ihm wird in diesem Zusammenhang auffallen, dass die Klausel eine Zurruhesetzungs- oder Entlassungsverfügung "wegen allgemeiner Dienstunfähigkeit" verlangt und es demnach der zusätzlichen Voraussetzung dauernder Unfähigkeit zur Erfüllung seiner Dienstpflichten aus gesundheitlichen Gründen nicht bedurft hätte, wenn der Versicherer mit der Klausel nur bindend auf das Ergebnis der Gesundheitsprüfung durch den Dienstherrn hätte abstellen wollen. Denn dann hätte er es bei dem Erfordernis einer auf Dienstunfähigkeit gestützten Verwaltungsentscheidung belassen können.
In dieser Auslegung behält die Klausel ihren Sinn. Anders als bei den weiteren Tatbeständen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit in § 2 Abs. 1, Abs. 3 der Allgemeinen Bedingungen verwehrt sie dem Versicherer die Möglichkeit, den Versicherten auf eine andere von ihm ausgeübte Tätigkeit - auch im Wege der Nachprüfung - zu verweisen. Zudem verlangt sie dem versicherten Beamten anders als § 2 Abs. 1, Abs. 3 der Allgemeinen Bedingungen nicht ab, seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen ärztlich nachzuweisen und begründet so - wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat - eine widerlegbare Vermutung vollständiger Berufsunfähigkeit, sofern der Beamte wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt oder entlassen wird (entgegen HK-VVG/Mertens, 4. Aufl. § 172 Rn. 39; Versicherungsombudsmann ZfS 2013, 417). Entgegen der Auffassung der Revision wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer demgegenüber aus dem Umstand, dass der Versicherer bei der Dienstunfähigkeitsklausel anders als in den übrigen Fällen der Berufsunfähigkeit nicht deren ärztlichen Nachweis verlangt, nicht schließen, er habe die gesundheitsbedingte Dienstunfähigkeit nicht nachzuweisen, sofern er ihretwegen in den Ruhestand versetzt wird. Er wird vielmehr davon ausgehen, dass der zusätzlich zu den in den Tarifbedingungen aufgestellten Mitwirkungsobliegenheiten geforderte Nachweis im Falle der Zurruhesetzung oder Entlassung aufgrund allgemeiner Dienstunfähigkeit entbehrlich ist, weil dieser eine ärztliche Begutachtung des Beamten vorausgegangen ist, deren Ergebnis den Dienstherrn zu der Überzeugung gebracht haben muss, der Beamte sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dienstfähig.
Anmerkung Dr. Büchner:
Die vom Versicherer hier verwendete Beamtenklausel wird im Fachjargon als „unechte“ Beamtenklausel oder auch Dienstunfähigkeitsklausel bezeichnet deren Zulässigkeit bisher – zumindest in der Literatur – umstritten war. Diese Unsicherheit hat der BGH nunmehr beendet und zugunsten der Verwender die Zulässigkeit derartiger Klauseln bestätigt.
Im Klartext heißt das, dass dem Beamten die Zurruhesetzungsbescheinigung nichts nützt und er sich einer Überprüfung seiner geltend gemachten Berufsunfähigkeit durch den Versicherer und seiner von ihm beauftragten Gutachter genauso stellen muss, wie ein „normaler“ Versicherungsnehmer. Im Gegenteil: letztlich reicht zum Nachweis der bedingungsgenmäßen BU das ärztliche Attest nicht aus; es muss zusätzlich eine Zurruhesetzung erfolgt sein. Nur diese beiden Tatbestandsmerkmale begründen dann eine – durch Privatgutachten des Versicherers - widerlegbare Vermutung. Falls er sich einer derartigen Untersuchung verweigert, wird die Leistung nicht fällig.
Der Beamte wird durch diese Klausel also doppelt benachteiligt. Zum einen kann er nur BU-Leistungen in Anspruch nehmen, wenn er auch tatsächlich vom Dienstherren pensioniert worden ist - unabhängig davon, wie lange ggf. im Vorfeld bereits Berufsunfähigkeit vorlag.
Wenn er dann tatsächlich einen Zurruhesetzungsbescheid in den Händen hält, stellt ihn das nicht besser als jeden anderen Versicherungsnehmer, da der Bescheid nichts weiter als eine widerlegbare Vermutung bedeutet, welcher der Versicherer gutachtlerlich überprüfen lassen kann.
Das Urteil des BGH verwundert unter dem Gesichtspunkt, dass nach dessen Dogma, Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie sie der durchschnittliche Versicherungsnehmer versteht. Hier zu unterstellen, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Wertlosigkeit und Schlechterstellung der Klausel erkennt, ist lebensfremd. Warum sollte ein Beamter oder Soldat eine derartige Versicherung - welche ihm als „Beamten-Berufsunfähigkeitsversicherung“ - verkauft worden ist, abschließen. Eine solches Produkt kann nur als „Mogelpackung“ angesehen werden; leider hat der BGH diese Praxis nun bestätigt.
Gleichwohl sollten Versicherungsnehmer, wenn sie erkennen, was sie sich da eingekauft haben, immer anwaltlich prüfen lassen, ob sie sich einer, vom Versicherer verlangten Begutachtung stellen. In den Fällen, in denen ein Versicherungsvertreter andere Zusicherungen gemacht hat, muss sich die BU-Versichrung – unabhängig vom Wortlaut der Bedingungen – an die Hinweise des Vertreters binden lassen. Die Erfahrung zeigt, dass Versicherungsvertreter derartige unechte Beamtenklauseln meist guten Gewissens als sichere Absicherung im Pensionierungsfall verkaufen, d.h. mit dem Hinweis, dass die Versicherung ohne Wenn und Aber zahlen muss. In diesem Fall gilt weiter einzig und allein das Wort des Vertreters!
Auch kann sich aus dem Gesamtkontext bei Vertragsabschluss ein Vertrauenstatbstand ergeben, welcher über den Wortlaut der Versicherungsvedingungen hinausgeht und Mogelpackung der unechten Beamtenklausel dann wieder neutralisiert, siehe auch Urteil LG Braunschweig.
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