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LG Deggendorf: Proxalto LV muss die Berufsunfähigkeit einer Heilpraktikerin nach überstandener Brustkrebserkrankung anerkennen. Dr. Käfferlein hatte mittels sog. „Beschwerdevalidierungstests“ vorschnell eine Simulation unterstellt.

Urteil Landgericht Deggendorf vom 09.03.2023, Az. 33 0 548/21

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Die Klägerin schloss am 01.11.2004 bei der Generali Lebensversicherung AG als der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Die Berufsunfähigkeitsrente beträgt seit dem 01.01.2018 infolge Dynamisierung 2.187,00 €.

Mit Schreiben vom 01.02.2019 stellte die Klägerin unter Berufung auf eine nach ihrem Dafürhalten seit Juli 2018 bestehende Berufsunfähigkeit einen Antrag auf Gewährung von Leistungen aus der vorgenannten Versicherung. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 12.01.2021 unter Verweis auf ein im Rahmen der Leistungsprüfung beauftragtes Gutachten des Instituts für Neurologisch-Psychiatrische Begutachtung Bamberg – INPB – Herrn Dr. W. Käfferlein.

Die Klägerin war zuletzt als selbstständige Osteopathin und Heilpraktikerin tätig. Sie habe zuvor an fünf Tagen in der Woche für jeweils sieben bis acht Stunden gearbeitet. Ihre berufliche Tätigkeit hätte fast ausschließlich aus therapeutischen Maßnahmen bestanden. Für kaufmännische Tätigkeiten habe sie im Rahmen ihrer Selbständigkeit lediglich etwa zwei bis drei Stunden pro Woche aufgewendet.

Die Klägerin trägt vor, sie leide an verschiedenen physischen, insbesondere jedoch psychischen Beschwerden im Zusammenhang mit einer Brustkrebserkrankung, einer Schultererkrankung, einer Depression, einer generalisierten Angststörung sowie einem HWS-BWS-Syndrom.

Die Beklagte behauptet unter Berufung auf das von ihr erholte Privatgutachten des Dr. Käfferlein vom 18.11.2020 dass bei der Klägerin nur geringe psychische und/oder physische Beeinträchtigungen bestünden, sodass ein Restleistungsvermögen zwischen 80 % und 90 % gegeben sei.

Mit Beweisbeschluss vom 10.05.2022 hat das Gericht ein schriftliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Z. eingeholt. Auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 19.08.2022 wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe (Auszug)

Die weit überwiegend zulässige Klage hat auch in der Sache weit überwiegend Erfolg.

Die Klägerin ist nach der Überzeugung des Gerichts im Laufe des Monats September 2018 berufsunfähig im Sinne von § 15 Abs. 5 AVB geworden.

Das Gericht ist nach umfassender Würdigung der Angaben der Klägerin im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung, der uneidlichen Vernehmung des Zeugen H. und der sachverständigen Ausführungen des Prof. Dr. Z. auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten hiergegen erhobenen Einwendungen vom Vorliegen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit iSv. § 15 Abs. 5 AVB überzeugt.

Der Sachverständige Prof. Dr. Z. hat in seinem erkennbar von großem Fachwissen getragenen schriftlichen Gutachten vom 19.08.2022 unter Berücksichtigung der vorliegenden medizinischen Unterlagen sowie der persönlichen Untersuchung der Klägerin vom 02.08.2022 überzeugend und in sich widerspruchsfrei festgestellt, dass die Klägerin insbesondere an einer rezidivierend depressiven Störung leide, die mit einer Vielzahl psychischer Beschwerden einhergehe„

Dabei hat der Sachverständige für das Gericht nachvollziehbar dargelegt, dass bezogen auf die - für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit nach § 15 Abs. 5 AVB irrelevante - Leistungsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt nur unterschwellige Einschränkungen bestünden, die aber in Bezug auf die besonderen Anforderungen des Berufs der Osteopathin und Heilpraktikerin erheblich seien. Die Klägerin könne daher jedenfalls seit September 2018 ihrer beruflichen Tätigkeit als Osteopathin und Heilpraktikerin nicht mehr nachgehen und sei berufsunfähig zu mindestens 50 %.

Der Sachverständige setzt sich ausführlich und für das Gericht nachvollziehbar mit dem von der Beklagten vorgelegten nervenärztlichen Privatgutachten des Dr. Käfferlein vom 18.11.2020, dass den Grad der Berufsunfähigkeit maximal mit 20 % bemisst, auseinander. Während der Privatgutachter seine gutachterliche Einschätzung vor allem damit begründet, dass sich die vielfältigen, von der Klägerin angegebenen Beschwerden nicht mit dem psychopathologischen Befund deckten, sondern ein deutliches Auseinanderfallen von Selbst- und Fremdbewertung festzustellen und eine Tendenz zu negativen Antwortverzerrungen erkennbar sei, vermochte der durch das Gericht bestellte Sachverständige Prof. Dr. Zink eine Simulation zur Überzeugung des Gerichts auszuschließen. Mit in sich schlüssiger, widerspruchsfreier und nachvollziehbar Begründung hat der Sachverständige dabei dargelegt, dass ein auffälliges Antwortverhalten im Rahmen der Beschwerdevalidierungstests nicht zwingend auf eine Simulation hindeuten würde. Vielmehr könne dies ebenso bei Patientinnen mit nachgewiesenen schweren psychiatrischen Erkrankungen auftreten und sich dementsprechend auch allein durch die Erkrankung der Klägerin erklären lassen. ferner sei zu berücksichtigen, dass allgemein bei diesen Tests eine Neigung zu falsch-positiven Ergebnissen bestehe. Das Privatgutachten der Beklagten habe diese Möglichkeit offensichtlich nicht in Betracht gezogen, sondern der Klägerin vorschnell eine Simulation unterstellt und darauf aufbauend eine im Ergebnis nicht angezeigte Korrektur des Befunds vorgenommen.

Der Sachverständige hat die Grundlagen für die Tatsachenfeststellung ausreichend ermittelt, daraus überzeugende Schlüsse gezogen und diese in nachvollziehbarer Weise begründet. Zweifel an der Objektivität und der fachlichen Qualifikation des Sachverständigen sind auch bei kritischer Würdigung durch das Gericht nicht ersichtlich.

Aufgrund ihrer rezidivierend depressiven Störung ist die Leistungsfähigkeit der Klägerin im Bereich der Patientenversorgung jedenfalls seit September 2018 grundsätzlich stark reduziert, ohne dass eine Änderung für die Zukunft zu erwarten ist. Die Klägerin ist nicht mehr in der Lage, den Hauptanforderungen ihrer Tätigkeit als Therapeutin mit direktem Patientenkontakt gerecht zu werden. Soweit die Klägerin einfache und nicht direkt auf zwischenmenschlichen Kontakt und therapeutische Handlung bezogene Tätigkeiten in einem Umfang von mehr als zwei Stunden pro Tag ausführen kann, so machen diese - nach der im Rahmen der informatorischen Anhörung und der Zeugeneinvernahme gewonnenen gerichtlichen Überzeugung - jedoch nur einen sehr kleinen Teil ihrer Tätigkeit aus Osteopathin und Heilpraktikerin aus. Diese stehen der Annahme einer Berufsunfähigkeit daher nicht entgegen.

Eine die Berufsunfähigkeit bei Selbstständigen ausschließende zumutbare Möglichkeit der Umorganisation der Betriebsstätte nach § 15 Abs. 4 AVB liegt nicht vor. Danach wäre eine Umorganisation zumutbar, wenn sie betrieblich sinnvoll ist, die Einkommensveränderungen nach der Umorganisation nicht auf Dauer ins Gewicht fallen und der Versicherte eine unveränderte Stellung als Betriebsinhaber innehat.

Dies ist zur Überzeugung des Gerichts vorliegend offensichtlich nicht der Fall. Insbesondere kann die Klägerin nicht auf die Möglichkeit der Einstellung eines Mitarbeiters verwiesen werden. Dies wäre nämlich jedenfalls mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommensveränderungen verbunden, da es an einer realistischen Möglichkeit fehlt, dabei sowohl die Kosten für einen angestellten Osteopathen und Heilpraktiker zu amortisieren als auch einen darüberhinausgehenden Gewinn zu erwirtschaften, der das fehlende Einkommen der Klägerin durch eigene Tätigkeit in der Praxis ausgleicht.

Der Verweis der Beklagten auf den Kundenstamm der Praxis geht fehl. Dies deshalb, weil nur eine tarifliche Abrechnung der erbrachten Leistungen möglich ist, sodass ein etwaiger Mitarbeiter deutlich mehr Stunden bei gleichem Gehalt arbeiten müsste, um den nötigen Umsatz zu generieren. Die Einstellung gleich mehrerer Mitarbeiter, auf die sich die Stunden der Klägerin verteilen, ist der Klägerin zum einen wirtschaftlich nicht zumutbar (OLG Hamm, Urteil vom 02.09.1992 - 20 U 82/92; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 09.02. 2000 - 7 U 46/98). Und zum anderen fehlt es hierfür auch an entsprechenden Räumlichkeiten, da die Praxis lediglich über zwei Behandlungszimmer verfügt. Eine Erhöhung der Arbeitsstunden des Ehemannes und Mitgesellschafters der Klägerin kommt ebenfalls nicht in Betracht, da dieser - wie im Rahmen seiner uneidlichen Vernehmung glaubhaft angegeben - bereits 35 bis 40 Stunden in der Woche arbeitet.

Die Leistungspflicht der Beklagten infolge der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit der Klägerin besteht ab dem 01.10.2018. Soweit sich die Beklagte unter Berufung auf § 15 Abs. 2 AVB auf eine Leistungspflicht ab dem 01.02.2019 beruft, so vermag sie mit diesem Einwand nicht durchzudringen.

Wie bereits dargelegt, findet § 15 Abs. 2 AVB infolge des vereinbarten Verzichts auf abstrakte Verweisung bereits keine Anwendung; vielmehr ist§ 15 Abs. 6 AVB, der in der Sache aber ebenso wie Abs. 2 auf eine Rentenzahlung ab Beginn des siebten Monats abstellt, anwendbar. Nach der Überzeugung des Gerichts ist Berufsunfähigkeit im Sinne des§ 15 Abs. 5 AVB bereits im Laufe des Monats September 2018 eingetreten, mithin vor Ablauf der von§ 15 Abs. 6 AVB angeführten Zeitspanne von sechs Monaten. Eines Rückgriffs auf die Regelung des § 15 Abs. 6 AVB bedarf es daher nicht. Die Regelung des § 15 Abs. 6 S. 2 AVB, die sich ausdrücklich auf die Fiktion des Satzes 1 dieser Vorschrift bezieht (…in diesem Fall"), findet daher im Rahmen einer nach§ 15 Abs. 5 AVB bestehenden Berufsunfähigkeit keine Anwendung.

Der Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente entstand nach § 5 Abs. 1 AVB erstmals mit Ablauf des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist, mithin mit Ablauf des Monats September 2018. Der Anspruch ist auch gemäߧ 14 Abs. 1 VVG fällig. Denn mit der Leistungsablehnung vom 12.01.2021 hat die Beklagte zu erkennen gegeben, dass sie die zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistung notwendigen Erhebungen beendet hat.

Anmerkung RA Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht:

Bei unserer Mandantin lag eine überstandene Brustkrebserkrankung (Zustand nach Mammakarzinom) vor, woduch sie aufgrund der damit einhergehenden psychischen Folgeerkrankungen (generalisierte Angststörung, Depression) nicht mehr in der Lage war, ihrem Beruf als Heilpraktikerin und Osteopathin nachzugehen. Wie nicht selten der Fall, hat auch hier die in Anspruch genommene Berufsunfähigkeitsversicherung die Erkrankungsfolgen bagatellisiert und mehr noch, der beauftragte Versicherungsgutachter Dr. Käfferlein, hat unserer Mandantin überdies unterstellt, die simuliere ihre Beschwerden. Als „Beweis“ für die Aggravation muss dann – wie gewöhnlich – ein angeblich auffälliges Antwortverhalten im Rahmen der sog. „Beschwerdevalidierungstests“ herhalten.

 

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