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LG Frankfurt a.M.: Ablehnung einer BU-Rente durch Alte Leipziger aufgrund IMB-Gutachten Dr. Lorenz Schweyer und Dr. Thomas Göhringer nicht haltbar. Konkrete Verweisung einer Kreditprüferin auf die Tätigkeit einer Yogalehrerin ist unzulässig.

Landgericht Frankfurt am Main, Urteil v. 06.08.2019, Az. 2-30 O143/19

Unsere Mandantin war als Dipl.-Betriebswirtin nach ihrer Elternzeit bei einer Bank als Kreditsachbearbeiterin angestellt tätig. Seit etwa Mai 2007 litt sie an folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden: Konzentrationsstörungen, Angstzustände, Schlafstörungen, Gliederschmerzen, Schmerzen in den Hüften, Armen und Händen, Flimmern vor den Augen bei Bildschirmarbeit, Kopfschmerzen, innerliche Unruhe, Ausgebranntsein, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Existenz- und Zukunftsängste, Ratlosigkeit, Freud- und Interessenverlust, abschweifende Gedanken, keine klar konzentrierte Kommunikationsfähigkeit, Nervosität, geringes Selbstwertgefühl, Unsicherheit, Angst vor Verantwortung und Fehlern, Beklemmungsgefühl in Räumen mit vielen Menschen, generelle nicht definierbare Ängste

Nachdem unsere Mandantin mit Antrag vom 08.04.2011 Ansprüche aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung angemeldet hatte, holte die Alte Leipziger bei dem, bei Versicherern auf psychiatrischem Fachgebiet geschätzten Dr. med. Lorenz Schweyer vom Gutachteninstitut "IMB Interdisziplinäre Medinische Begutachtungen" ein nervenärztlich-psychiatrisches Gutachten zur Frage der mindestens 50%igen Berufsunfähigkeit der Klägerin ein. Der Privatgutachter der Alten Leipziger kam in seinem Gutachten vom 07.02.2012 auch unter Berufung auf das neuropsychologische Zusatzgutachten Dr. phil. Thomas Göhringer vom 04.01.2012 zu dem Ergebnis, eine mindestens 50%ige Berufsunfähigkeit der Klägerin liege nicht vor, woraufhin die Alte Leipziger mit Schreiben vom 09.02.2012 eine Leistungsablehnung erklärte.

Das Neuropsychologische Zusatzgutachten des Herrn Dr. Thomas Göhringer kam zu dem Ergebnis, dass bei unserer Mandantin in der psychometrischen Testdiagnostik zwar insgesamt deutliche qualitative und quantitative Minderleistungen zu beobachten, diese in ihrer Ausprägung jedoch unplausibel und unspezifisch und zudem in ihrer Art und ihrem Ausmaß nicht mit der Verhaltensbeobachtung und mit dem in der Aktenlage dokumentierten Krankheitsgeschehen vereinbart seien. In der Beschwerdevalidierung fänden sich Unplausibilitäten, Inkonstistenzen und Widersprüche sowie Hinweise auf negative Antwortverzerrungen. Somit bestünde der Verdacht einer mangelnden Authentizität der von unserer Mandantin dargebotenen Leistungen. Das reale Ausmaß der beklagten Beschwerden und der Funktions- bzw. Leistungsfähigkeit bliebe demzufolge unbestimmt. Die Unplausibilitäten, Inkonsistenzen und Widersprüche haben zur Folge, dass der Nachweis der beklagten Beschwerden nicht erbracht werden kann. Das später erstellte Nervenärztlich-Psychiatrische Gutachten des Herrn Dr. Lorenz Schweyer, nahm auf das neuropsychologische Zusatzgutachten Bezug und lehnte die Berufsunfähigkeit der Mandantin ab, weil die geklagten Beschwerden von Dr. Göhringer nicht nachgewiesen worden seien.

Außergerichtlich haben wir versucht, die Alte Leipziger davon zu überzeugen, dass die von ihr eingeholten Privatgutachten der Dres. Schweyer und Göhringer keine wissenschaftlich tragfähige Grundlage einer Leistungsentscheidung darstellen. Die Alte Leipziger hingegen zug sich darauf zurück, dass die Herren Dres. Schweyer und Göhringer als „Kapazitäten“ auf ihren jeweiligen Fachgebieten gelten würden und man ihre Ergebnisse insofern nicht in Zweifel ziehen würde. Man erlaubte sich zudem den Hinweis, dass unsere Mandantin auf ihre Kosten ein Gegengutachten bei einem „anerkannten Gutachter einer Klinik“ erstellen lassen könne und man dieses dann den Gutachtern Dres. Schweyer und Göhringer erneut zur Stellungnahme weiterleiten würde.

Im Ergebnis mussten wir gegen diese Leistungsentscheidung am 15. Januar 2013 Klage am Landgericht Frankfurt am Main erheben.

Das Gericht hat im Klageverfahren zunächst den Gutachter Prof. Dr. med. Wofgang Mayer, Direktor des Psychiatrischen Universitätsklinikums Bonn sowie Herrn Prof. Dr. phil. Michael Wagner, leitender Psychologe am selben Universitätsklinikum beauftragt. Mit Beschluss v. 01.12.2016 wurde schließlich auch noch Frau Dr. S. Kayser zur gerichtlichen Gutachterin bestellt.

Nach umfangreicher Beweisaufnahme und Einvernahme der gerichtlichen Gutachter wurde die Alte Leipziger mit Urteil v. 06.08.2018 verurteilt, unserer Mandantin antragsgemäß und rückwirkend ab dem 01.03.2012 ihre monatliche Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen.

Das Langericht stellte u.a. folgendes fest (Auszug):

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Aufgrund der Angaben der gerichtlichen Sachverständigen ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Beklagtenseite vorgelegten Gutachten der Herren Dr. Göhringer und Dr. Schweyer nicht verwertbar sind und die Ergebnisse der gerichtlichen Sachverständigen daher nicht in Zweifel zu ziehen vermögen.

Das Gutachten von Herrn Dr. Göhringer ist nicht verwertbar, weil dessen Tests aufgrund von Aggravations/Verdeutlichungstendenzen nicht als objektives Leistungsbild einer Aufmerksamkeitsstörung verwertbar sind und Dr. Göhringer nur die Aufmerksamkeit der Klägerin prüfte und nicht deren Arbeitsgedächtnis. Das Gutachten von Dr. Schweyer ist nicht verwertbar, weil diesem zum einen kein verwertbares neuropsychologisches Gutachten zu­grunde liegt und es zum anderen an einer Diagnose zur Freudlosigkeit fehlt.

Der Sachverständige Prof. Dr. Wagner hat sich ausreichend mit den Ergebnissen des vorgerichtlich eingeholten Gutachtens von Herrn Dr. Göhringer auseinandergesetzt. Auf Seite 2 seines Gutachtens vom 09.09.2014 führt Prof. Dr. Wagner aus, dass das von dem Vorgutachter (Herrn Dr. Göhringer) erstellte neuropsychologische Zusatzgutachten auf 4 Testverfahren aus der computerisierten Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung sowie auf 2 Beschwerdevalidierungstests beruhe. Die gesamte Untersuchung der Klägerin durch Herrn Dr. Göhringer habe etwa eindreiviertel Stunden gedauert. Weitere Aspekte der kognitiven Leistungsfähigkeit der Klägerin seien nicht geprüft worden.

Aufgrund der von ihm durchgeführten Tests kommt Prof. Dr. Wagner zu dem Ergebnis, dass die Konzentrationsleistungen der Klägerin über einen längeren Zeitraum auffällig beeinträchtigt sind. Diese Ergebnisse stehen nach Auffassung von Prof. Dr. Wagner in deutlichem Kontrast zur auffälligen Voruntersuchung durch Dr. Göhringer im Jahr 2011. Hinweise auf eine Aggravation von Beschwerden hätten sich hingegen bei der Testung durch ihn (Prof. Dr. Wagner) nicht ergeben (Seite 13 Gutachten vom 09.06.2014). Das Fehlen von Hinweisen auf eine Aggravation stehe wiederum nicht im Widerspruch zum Vorbefund von Dr. Göhringer. Das Ergebnis der Untersuchung von Dr. Göhringer beruhe vielmehr gerade darauf, dass Dr. Göhringer auf Basis seiner Untersuchung im Jahr 2011 keine valide Aussage treffen und die Beschwerden der Klägerin nicht zweifelsfrei objektivieren konnte.

Zu dem Vorgutachten von Dr. Göhringer erläuterte der Sachverständige Prof. Dr. Wagner in seiner Anhörung mündlich weiter, dass die von Dr. Göhringer durchgeführten Tests aufgrund von Aggravations/Verdeutlichungstendenzen nicht als objektives Leistungsbild einer Aufmerksamkeitsstörung verwertbar seien. Die Aggravations/Verdeutlichungstendenzen könnten sich dadurch ergeben haben, dass nicht sachgerecht genug getestet worden sei oder nicht mit genügend Übung. Dies wolle er aber dem Kollegen nicht vorwerfen.

Die Aggravations/Verdeutlichungstendenzen könnten sich auch dadurch ergeben haben, dass nach den Schilderungen der Klägerin in der Begutachtungssituation eine Konfrontation entstanden sei. Die Konfrontationssituation könne bei der Klägerin zu bewussten oder unbewussten Verdeutlichungstendenzen geführt haben. Es habe demgemäß keinen Vorbefund gegeben, den er hätte erhärten können.

Zu der von dem Vorgutachter Dr. Göhringer ausgewählten Testbatterie nahm der Sachverständige Prof. Dr. Wagner ebenfalls Stellung. Der Sachverständige Prof. Dr. Wagner legte dabei detailliert und für das Gericht nachvollziehbar dar, dass und warum er welche der von Dr. Göhringer durchgeführten Tests und Testergebnisse für wissenschaftlich nicht belastbar hält.

Die Angaben von Prof. Dr. Wagner wurden zudem durch die Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Maier bestätigt. Dieser legte in seiner Anhörung dar, dass das Vorgutachten von Dr. Göhringer die Aufmerksamkeit der Klägerin geprüft habe. Prof. Dr. Wagner hingegen habe das Arbeitsgedächtnis der Klägerin getestet. Das Arbeitsgedächtnis sei „fronatlhirnbezogen“ und insbesondere bei Personen mit Depressionen eingeschränkt. Die (mangelnde) Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses sei ein typisches Merkmal einer Depression.

Die Testung von Herrn Dr. Göhringer stehe damit auch nicht im Widerspruch zu der Testung durch Prof. Dr. Wagner, „weil er [Dr. Göhringer] nur eine einfache Aufmerksamkeitstestung durchgeführt hat. Zudem legte auch der Sachverständige Prof. Dr. Maier dar, dass und warum aus seiner sachverständigen Sicht die von Dr. Göhringer durchgeführte Testung allein der Aufmerksamkeit nicht ausreiche, um das erforderliche Prüfungsspektrum abzudecken.

In diesem Zusammenhang ergänzte die Sachverständige Dr. Kayser in ihrer Anhörung am 14.11.2017 (Bl. 625 ff. d.A.) im Hinblick auf das Sachverständi­gengutachten von Dr. Schweyer (Anl. K 11), dass es zudem an einer Diagnose zur Freudlosigkeit fehle. Diese sei in dem Gutachten nicht beschrieben. Das bedeute, Dr. Schweyer habe danach entweder nicht gefragt oder diese nicht beobachtet.

Bei der Freudlosigkeit handle es sich jedoch um ein Hauptkriterium, zudem sich „eigentlich geäußert werden muss“.Daher könne man aus dem Gutachten von Herrn Dr. Schweyer nicht beurteilen, ob die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt depressiv gewesen sei oder nicht.

Die Sachverständige Dr. Kayser erläuterte in diesem Zusammenhang weiter, dass von der Ausprägung einer Depression nicht generell auf den Grad der Berufsunfähigkeit geschlossen werden könne. Es gebe Patienten, die bei einer mittelgradigen Depression noch arbeiten könnten und es gebe ganz selten Fälle, die auch mit einer schweren Depression noch arbeiten könnten. Der Leidensdruck sei aber bei jedem Patienten unterschiedlich. Manche Patienten könnten auch mit einer leichten Depression schon nicht mehr arbeiten.

Die Tätigkeit als Yogalehrerin stehe der Berufsunfähigkeit der Klägerin deshalb ebenfalls nicht entgegen. Die Klägerin habe ihr gegenüber angegeben, Yogaunterricht zu geben und von ALG II zu leben. Dies entspreche dem, was die Klägerin arbeiten könne. Diese Einschätzung hat der der Sachverständige Prof. Dr. Maier bestätigt und hinsichtlich der Tätigkeit der Klägerin als Yogalehrerin nachvollziehbar erläutert, dass es sich um eine begrenzte Aktivität handele. Begrenzte Aktivitäten seien der Klägerin durchaus noch möglich. So sei es ihr wahrscheinlich sogar noch möglich, in begrenztem Umfang in der Kreditbearbeitung zu arbeiten.

….

Die Klägerin muss sich auch nicht auf eine Tätigkeit als Yogalehrerin nach § 2 Abs. 1 BUB verweisen lassen.

Die Klägerin hat unstreitig bereits vor Eintritt der Berufsunfähigkeit im Jahr 2011 in einer Nebentätigkeit als Yogalehrerin gearbeitet. Ein Berufswechsel im Jahr 2010 im Sinne von § 2 Abs. 1 BUB 12 Monate vor Eintritt der Berufsunfähigkeit lag demnach nicht vor. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Klägerin eine andere Tätigkeit konkret ausübt, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung hinsichtlich Vergütung und sozialer Wertschätzung entspricht (§ 2 Abs. 1 lit. b) BUB).

Unstreitig eröffnete die Klägerin im Jahr 2012 in K. ein „Zentrum für Gesundheitsförderung“. Hierfür erhielt die Klägerin einen Gründungszuschuss der Bundesagentur für Arbeit und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 437,88 € monatlich. Die Beklagte hat aber weder dargelegt noch Beweis dafür angeboten, dass die Klägerin seit dem Jahr 2012 das „Zentrum für Gesundheitsförderung“ in einer Art und Weise betreibt, ihrer bisherigen Lebensstellung hinsichtlich Vergütung und sozialer Wertschätzung entspricht.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht

Das Urteil ähnelt einmal mehr vielen anderen, bisher auf unserer Website vorgestellten Entscheidungen anderer Gerichte.
Die Leistungsprüfung der Alten Leipziger lief nach einem „bewährten“ Schema ab. Man betraut ein Gutachteninstitut damit, in wissenschaftlich hoch fragwürdiger Art und Weise zunächst ein Testpsychologisches Zusatzgutachten zu erstellen. Der Psychologe kommt zum Ergebnis, dass der Versicherte ein Simulant ist, so dass sich der Psychiatrische Hauptgutachter nur noch auf dieses Ergebnis berufen muss und fertig ist die Leistungsablehnung.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat diese Herangehensweise mit einer sehr aufwändigen Beweisaufnahme widerlegt und in seiner Urteilsbegründung an klaren Worten nicht gespart, so dass die Ausführungen hier nicht noch einmal wiederholt werden müssen, sondern für sich sprechen.

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