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LG Berlin: Generali Lebensversicherung AG zur BU-Rentenzahlung verurteilt / Begutachtung eines Chronischen Fatigue Syndroms (CFS) durch die Psychologin war fehlerhaft.

Landgericht Berlin, Urteil vom 28.11.2017 – 24 O 134/17

 

 

Was war geschehen?

Unser Mandant (Kläger) war bei der Generali Lebensversicherung AG (Beklagte) gegen Berufsunfähigkeit versichert. Für den Fall seiner mindestens 50%igen Berufsunfähigkeit waren die Zahlung einer monatlichen Rente und die Befreiung von den Versicherungsprämien vertraglich vereinbart. Der Kläger war beruflich als Sozialversicherungsfachangestellter bei der DRV Bund tätig. Im Jahr 2012 machte er den Eintritt von Berufsunfähigkeit unter anderem wegen eines Chronischen Fatigue Syndroms (CFS) geltend. Die Beklagte beauftragte ein neuropsychologisches Gutachten einer Psychologin aus Berlin, die bei dem Kläger kein CFS, sondern lediglich eine vermeintliche undifferenzierte Somatisierungsstörung feststellte, aus der angeblich keine Berufsunfähigkeit des Klägers folge. Die Beklagte lehnte sodann Versicherungsleistungen an den Kläger ab, woraufhin wir Klage beim Landgericht Berlin erhoben.

 

Entscheidung des Landgerichts Berlin

 

Das Landgericht Berlin beauftragte den Psychiater Prof. Dr. Sadre-Chirazi-Stark aus Hamburg mit der Prüfung, ob der Kläger berufsunfähig ist. Der Sachverständige bejahte in seinem Gutachten die mindestens 50%ige Berufsunfähigkeit des Klägers aufgrund des CFS, woraufhin das Gericht unserer Klage stattgab.

In seinem Gutachten führte der Sachverständige Prof. Dr. Sadre-Chirazi-Stark aus, dass in Anbetracht fehlender Objektivierungsmöglichkeiten des CFS die subjektiven Beschwerdeangaben des Betroffenen, ihre Einordnung in die in der Literatur beschriebenen CFS-typischen Beschwerdemuster und die möglichst präzise Erfassung durchschnittlicher Aktivitäts- bzw. Leistungseinschränkungen Grundlage der Begutachtung sein müssen. Der Sachverständige hat alle publizierten Definitionsansätze zur CFS Diagnosestellung mit den erhobenen Angaben und vorliegenden ärztlichen Befunden abgeglichen und aufgezeigt, dass für den Kläger nach allen Ansätzen die Diagnose eines CFS gestellt werden kann. Der Sachverständige erläuterte, die klägerischen Beschwerdeangaben überprüft zu haben, indem er sich konkrete, einzelne Beispiele schildern ließ. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die von dem Kläger geschilderten Beschwerden so typisch sind, dass sie nicht angelesen sein können. Aggravationstendenzen konnte der Sachverständige ausschließen. Zur Verobjektivierung bezog sich der Sachverständige auf den von ihm durchgeführten Armhalteversuch, den für CFS Patienten signifikanten Einbruch bzw. die signifikant verminderte Konzentrationsleistung bei dem abgeändert durchgeführten sogenannten D2 Aufmerksamkeits-Belastungstest und insbesondere auf die von ihm durchgeführten Stressmessungen. Zu dem von der Beklagten vorgerichtlich eingeholten Gutachten der Psychologin  führte der Sachverständige in seinem Gutachten unter anderem aus:

 

„Das weitere Problem der Argumentation ist, dass trotz guter theoretischer Kenntnis des Krankheitsbildes CFS von der Gutachterin nicht die klinische Tatsache berücksichtigt wird, dass das Leistungsvermögen der CFS Patienten flukturiert, eine unter Anstrengung wie in einer Gutachtersituation erbrachte Leistung, die ja auch noch als durchschnittlich und unterdurchschnittlich beurteilt wurde, kann durchaus nicht regelhaft abgerufen werden wie es eine berufliche Tätigkeit erfordert.

In den üblichen sozialmedizinischen Begutachtungen werden statistische, einmalige Überprüfungen der Belastbarkeit durch Testverfahren und Untersuchungsmethoden durchgeführt. Dies wird der Typisierung des Krankheitsbildes CFS nicht gerecht, das seinen Krankheitswert nicht aus der einmaligen Produzierbarkeit der Leistungsanforderung, sondern aus der mangelnden bzw. nicht vorhersagbaren Wiederholbarkeit der Leistungsfähigkeit bezieht.

 

Anmerkungen Rechtsanwalt Stefan Zeitler

 

Das vorgerichtlich von der Generali Lebensversicherung AG zur Prüfung der Berufsunfähigkeit des Klägers eingeholte Gutachten der Psychologin war schon deshalb ungeeignet und damit unzulässig, weil sie  Psychologin und keine Ärztin ist. Die Berufsunfähigkeit erfordert aber nach den gängigen Versicherungsbedingungen der BU-Versicherer einen ärztlichen Nachweis. Ein psychologisches Gutachten war daher von vornherein weder zur Feststellung noch zur Widerlegung der Berufsunfähigkeit des Versicherten tauglich.

Hinzu kommt, dass man sich als Versicherter nach den gängigen Versicherungsbedingungen der BU-Versicherer bei der vorgerichtlichen Leistungsprüfung überhaupt nur Untersuchungen eines Arztes, nicht jedoch Untersuchungen eines Psychologen stellen muss. Wie der vorliegende Fall belegt, kann man als Versicherter nicht darauf vertrauen, dass Versicherer sich an ihre eigenen Versicherungsbedingungen halten. Im Gegenteil ist es unserer Erfahrung bei Erkrankungen auf psychiatrischem und neurologischem Fachgebiet eher die Regel als die Ausnahme, dass BU-Versicherer von Versicherten verlangen, sich nicht nur einer ärztlichen Untersuchung durch einen Psychiater / Neurologen, sondern auch einer Untersuchung durch einen Psychologen zu stellen.

Wäre der Kläger im vorliegenden Fall rechtzeitig anwaltlich beraten gewesen, hätte die vorgerichtlich sowohl ungeeignete als auch unzulässige Begutachtung durch eine Psychologin verhindert werden können. Das Drängen auf eine Begutachtung durch einen qualifizierten Arzt des richtigen Fachgebiets hätte dann ggf. zu einem viel früheren Zeitpunkt den Nachweis erbracht, dass eine Berufsunfähigkeit aufgrund eines CFS besteht. Auf diesem Weg hätte die Generali Lebensversicherung AG nicht nur unserem Mandanten einen insgesamt vier Jahre dauernden Gerichtsprozess erspart sondern der Gesamtheit ihrer Versicherten auch die Zinsen, die sie durch den verlorenen Prozess zusätzlich zu den Versicherungsleistungen an den Kläger zahlen musste.   

Dass sich die vorgerichtlich fehlerhafte Beauftragung einer Psychologin für die Generali Lebensversicherung AG am Ende nicht auszahlte war hier letztlich dem gerichtlich beauftragten ärztlichen Sachverständigen Herrn Prof. Dr. Sadre-Chirazi-Stark zu verdanken. Dieser hat im Gerichtsprozess unmissverständlich und klar herausgearbeitet, dass die vorgerichtliche Gutachterin der Generali Lebensversicherung AG völlig falsche Untersuchungen zur Feststellung eines CFS durchgeführt hatte.

 

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner

Vor dem Hintergrund der – von meinem Kollegen RA Zeitler – vorgestellten Entscheidung soll nicht unerwähnt bleiben, dass die begutachtende Psychologin in der medizinisch-juristischen Fachzeitschrift „Der medizinische Sachverständige“ (MedSach 2017, 113) einen Aufsatz veröffentlicht hat, in dem sie die „differenzierte Beschwerdenvalidierung als integrativen Bestandteil jeder neuropsychologischen Begutachtung“ voraussetzt. „Bei psychischen und/ oder somatischen Beschwerden sollten Instrumentarien mit wissenschaftlich fundierten Kontrollskalen zur Erfassung von Antwortverzerrungen eingesetzt werden“

Die Generali Berufsunfähigkeitsversicherung ging im vorliegenden Fall sogar soweit, dass sie die Prüfung der von unserem Mandanten geltend gemachten Berufsunfähigkeit einzig und allein einer Psychologin überließ!

Nachdem der gerichtliche Gutachter im Ergebnis vollständig auf die von der Generali verlangte testpsychologische Überprüfung der beauftragten Psychologin behaupteten von Antwortverzerrungen verzichtete, versuchte deren Prozessvertreter mittels Stellungnahme einer weiteren Psychologin (hier Frau Dipl.-Psych Maike Fliegner) gegenzuhalten. Dies veranlasste das Gericht im Urteil noch einmal ausdrücklich zu dieser Frage Stellung zu nehmen und festzustellen, dass bei der Beurteilung der vom Kläger geltend gemachten CFS-Erkrankung keine neuropsychologische Testung erforderlich ist.

 


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