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LG Düsseldorf: Ergo-Unfallversicherung bleibt für eine behauptete Vertragsumstellung beweisfällig und wird verurteilt, nach Arthrodese des Handgelenks Invaliditätsentschädigung i.H.v. € 67.730,00 zu zahlen!

Das Urteil stellt klar, dass der Verssicherungsnehmer der Einbeziehung eines neuen Bedingungswerkes - hier neue Gliedertaxe - in den Vertrag nicht nur zustimmen, sondern darüber hinaus auch über eventuelle nachteilige Folgen gegenüber dem alten Bedingungswerk belehrt werden muss.

LG Düsseldorf, Urteil vom 10.03.2015, Az. 9 O 111/14 (nicht rechtskräftig)

Unser Mandant unterhielt bei der Ergo-Versicherung bzw. ihren Rechtsvorgängern, der Vorsorge Lebensversicherungs-AG bzw. Victoria Versicherung AG seit 01.07.1978 eine Unfallversicherung mit Dynamik und progressiver Invaliditätsstaffel 500 %.

Am 01.02.2011 erlitt unser Mandant im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Monteur im Straßenbau einen Arbeitsunfall Der Durchgangsarzt stellte zunächst eine Schwellung fest sowie eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Handgelenk und veranlasste eine Röntgenuntersuchung.  Als weiter keine Besserung eintrat, wurde dann am 13.04.2011 ein Kontrastmittel-MRT durchgeführt. Dies brachte eine chronifizierte Carpalintegrationsstörung mit scapholunärer Dissoziation und Fehlrotation des OS scaphoideum zum Os lunatum sowie eine beginnende Arthrose in der intercarpalen Artikulationen und im Radiokarpalgelenk im skaphoidalen Kompartment. Unter dem 26.07.2011 erfolgte eine operative Arthroskopie mit Entfernung von Bandresten. Dabei wurde festgestellt, dass die Arthrose fortgeschritten war.

Die Beschwerden besserten sich jedoch nicht. Am 17.02.2012, ein Jahr nach dem Unfall, begab sich unser Mandant daher erneut in ambulante Behandlung. Dort wurde von den behandelnden Ärzten nach Besprechung aller Umstände als dauerhafte Lösung die Indikation einer Arthrodese, also einer Vollversteifung, des linken Handgelenks, gestellt.

Am 09.03.2012 wurde aufgrund der stark schmerzhaften Arthrose im linken Handgelenk mit scapholunärer Dissoziation die Arthrodese am linken Handgelenk dann vorgenommen, mit einer 8-Loch Arthrodesenplatte links, Spongiosa vom linken Beckenkamm, Redon, Naht.

Unter dem 05.09.2012 meldete sich Herr Rechtsanwalt Dr. Büchner bei der Ergo-Versicherung und trat dann in außergerichtliche Verhandlungen ein. Die Beklagte bot am 14.09.2012 eine Zahlung von 12.000,00 € zur Abfindung aller Ansprüche an. Herr Dr. Büchner sah dieses Vergleichsangebot nicht ausreichend an, da seiner Auffassung nach die Gliedertaxe mit der Formulierung „Hand im Handgelenk“ in den Vertrag einbezogen war und daher aufgrund der sogenannten „Gelenkrechtsprechung“ des BGH wegen der Handgelenksversteifung ein voller Handwert abzurechnen sei.

Eine wirksame Einbeziehung neuer AUB war nach unserer Auffassung nicht erfolgt, jedenfalls auch keine ordnungsgemäße Beratung unseres Mandanten bzw. die Erteilung von Hinweisen über nachteilige Veränderungen in den Bedingungen bei einer etwaigen Umstellung.

Die Ergo Versicherung stellte sich auf den Standpunkt es sei im Jahr 2008 eine Vertragsumstellung erfolgt, und stellte in Aussicht, eine genaue Dokumentation der Umstellung einschließlich aller Hinweise und des Beratungsprotokolls zu übersenden. Dies erfolgte dann nicht, stattdessen erklärte sie später schriftlich, eine Stellungnahme ihres damals zuständigen Außendienstmitarbeiters habe sie nicht einholen können, da dieser – namentlich nicht benannte – Außendienstmitarbeiter nicht mehr für das Unternehmen arbeite. Die Ergo bestritt nicht, dass bei der von ihr behaupteten Umstellung keine Hinweise auf nachteilige Veränderungen der Bedingungen erteilt wurden. Gleichwohl rechnete sie für die Versteifung des linken Handgelenks „zur Klaglosstellung“ einen Handwert von 4/10 („in Anlehnung an die Bewertungsempfehlungen von Rompe/Erlenkämper“) ab und zahlte eine Invaliditätsleistung von 10.670,00 € zuzüglich Treuebonus von 5 % hierauf sowie Verletztengeld und Krankenhaustagegeld. Weitere Leistungen lehnte sie ab. Rechtsanwalt Dr. Büchner entgegnete darauf, dass unser Mandant sich an den Besuch eines Außendienstmitarbeiters nicht erinnern könne und erinnerte die Ergo an die Übersendung der Dokumentation zur Vertragsumstellung. Mit Schreiben v. 09.11.2012 teilte die Unfallversicherung mit, dass sie die gewünschte Dokumentation nicht zur Verfügung stellen könne, ohne weiter darauf einzugehen, ob sie dazu nicht in der Lage war oder es aus taktischen Gründen verweigerte.

Insofern war Klage geboten.

Die Ergo Versicherung bestritt in ihrer Klageerwiderung den Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der notwendig gewordenen Versteifung der Hand (operative Arthrodese). Vielmehr behauptete die Ergo Versicherung, unser Mandant hätte an einer - über das altersgerechte Maß hinausgehenden – Vorerkrankung gelitten und behauptete, diese „dürften auf den arbeitsbedingten täglichen schweren Lasten von 1 t – 3 t beruhen mit den entsprechenden Verschleißerscheinungen im Bereich der Hand und des Handgelenks. Die Mitwirkung liege bei mindestens 25% und sei insgesamt mit über 90% anzusetzen“

Das Gericht verurteilte die Ergo Versicherung vollumfänglich und wie von uns beantragt, zur Zahlung einer Invaliditätsentschädigung i.H.v. € 67.730,00 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten seit dem 21.09.2012.

Zunächst bestätigte das Gericht, dass in den Unfallversicherungsvertrag weiter die alten Unfallversicherungsbedingungen (AUB Victoria) aus dem Jahr 1978 einbezogen und nicht durch eine, von der Ergo-Versicherung behauptete Vertragsänderung im Jahr 2008 ersetzt worden waren. Auch die Tatsache, dass die Ergo ab 2008 eine andere Vertragsnummer verwendet hat, änderte nach Auffassung des Gerichts nichts daran, dass die Beklagte für die Einbeziehung eines neuen Bedingungswerkes beweisfällig geblieben ist.

Insofern war weiter nach der alten Formulierung in der Gliedertaxe „Hand im Handgelenk“ und nicht nach „Hand“ abzurechnen. Da die Versicherungsbedingungen für die Funktionsunfähigkeit einer „Hand im Handgelenk“ einen Invaliditätsgrad von 55% vorsahen, bedeutete dies nach Einbeziehung der Progressionstabelle für unseren Mandanten eine zusätzlichen Zahlung i.H.v. € 67.730,00 welche ihm bis dahin vorenthalten worden war.

Auch die weiteren, von der Ergo-Versicherung gebrachten Einwendungen ließ das Gericht nicht gelten. Dafür sprach nach Auffassung des Gerichts bereits die Zahlung der Ergo-Versicherung vom 21.11.2012, welche „zur Klaglosstellung“ und ohne den Vorbehalt einer Rückforderung erbracht worden war. Darin sah das Gericht ein sog. Deklaratorisches Schuldanerkenntnis, mit dem sich die Ergo-Versicherungen alle weiteren Einwendungen abgeschnitten hatte.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner

Überdies bleibt sehr zweifelhaft, ob sich das Landgericht ohne Annahme eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses auf die Einwendung der Ergo hätte eingehen müssen, da diese – wie so oft – unsubstantiiert  vorgetragen worden waren. Es war nämlich keinerlei Grund für die Behauptung ersichtlich, dass die operativ vorgenommene Versteifung (Arthrodese) des Handgelenks nicht auf den Unfall zurückzuführen gewesen sein soll. Auch die Behauptung, es hätte bei unserem Mandanten ein Vorschädigung bzw. Mitwirkung unfallfremder gesundheitlicher Beeinträchtigung gegeben, war aus der Luft gegriffen und hätte vom Gericht als sog. Ausforschungsbeweis angesehen werden müssen.

Das Gericht hat die Ergo-Versicherung im Ergebnis völlig korrekt zur Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in Höhe von 55% (voller Handwert nach Gliedertaxe „Hand im Handgelenk“) verurteilt. Auch die Behauptung, es hätte im Jahr 2008 eine Vertragsumstellung gegeben, ließ das Gericht nicht gelten, da die Ergo dafür beweisfällig geblieben ist.

Zu beachten ist, dass neue Versicherungsbedingungen eben nicht – wie Versicherungsgesellschaften häufig glauben machen wollen – durch bloßes Zuschicken an den Versicherungsnehmer in den Vertrag einbezogen werden. Vielmehr muss der Versicherungsnehmer dieser Einbeziehung ausdrücklich zustimmen. Mehr noch: auch wenn er der Einbeziehung eines neuen Bedingungswerkes in den Vertrag zustimmt, muss er durch die Versicherung über eventuelle nachteilige Folgen gegenüber dem alten Bedingungswerk belehrt werden.

Dies geschieht bei der Einbeziehung der neuen Gliedertaxe, für die die „Gelenkrechtsprechung“ des BGH keine Anwendung mehr findet, natürlich nie. Die Unfallversicherungen versuchen alles, um die alte Gliedertaxe, welche in aller Regel wesentlich höhere Entschädigungsleistungen bei Gelenksverletzungen zur Folge hat, möglichst „geräuschlos“ aus den Altverträgen verschwinden zu lassen, ohne dabei den Kunden über die negativen Folgen von Vertragsänderungen aufzuklären. So werden durch den Vertrieb nicht selten völlig unbedeutende Veränderungen in den Bedingungswerken als elementar wichtig herausgestrichen, über die wesentlichen Veränderungen der Gliedertaxe zum Nachteil des Versicherungsnehmers wird dagegen kein Wort verloren. In aller Regel ist auch der Versicherungsvertreter über die Problematik nicht informiert.

Sollte die Vertragsumstellung in der beschriebenen Art und Weise von statten gegangen sein, kann sich – wie uns das Urteil des LG Düsseldorf einmal mehr zeigt – der Versicherungsnehmer erfolgreich auf das alte Bedingungswerk berufen, was ihm im vorliegenden Fall statt der von Ergo abgerechneten € 11.203,00 eine Zahlung i.H.v. € 67.730,00 einbrachte.

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