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LG Regensburg: Negative Leistungsentscheidung der Allianz-Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund Begutachtung durch Dr. Susan Kischkel-Röhr war nach gerichtsgutachterlich nachgewiesenem Fibromyalgie-Syndrom aufzuheben.

Landgericht Regensburg, Urteil v. 07.03.2022, Az. 33 O 53/19

Unsere Mandantin, von Beruf technische Zeichnerin, arbeitete zuletzt als Konfigurationsmanagerin bei einem Unternehmen, dass in der Elektronikentwicklung tätig war.

Sie beantragte BU-Rentenleistungen mit dem ausgefüllten Antragsformular vom 01.08.2017 und war seit dem 10.01.2017 krankgeschrieben. Mit Schreiben vom 13.12.2017 gab die Allianz ein Leistungsanerkenntnis wegen Krankschreibung ab und leistete  die vereinbarten Rentenzahlungen bis einschließlich 01.08.2018. Danach stellte sie die Zahlungen ein.

Die Allianz holte im Rahmen der weiteren BU-Leistungsprüfung Befundberichte der behandelnden Ärzte ein von Dr. R. und Dr. M. ein. Zumindest das Attest des Dr. R. bestätigte die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit am 31.08.2017.

Im Nachgang gab die Allianz ein psychiatrisches Privatgutachten bei Frau Dr. Kischkel-Röhr in Auftrag. Die Untersuchung fand am 24.01.2018 statt, das Ergebnis wurde der Mandantin aber nicht zur Verfügung gestellt. Stattdessen wollte die Allianz noch ein weiteres, dermatologisches Gutachten einholen, welchem sich die Mandantin aber nicht zur Verfügung stellte, da die Allianz – rechtswidrig – nicht bereit war, das bisher eingeholten Gutachten herauszugeben.

Unsere Mandantin machte geltend, dass sie seit dem 31.07.2018 bedingungsgemäß be­rufsunfähig war. Sie leidet an einer Histamin-Intoleranz, einer birkenpollenassoziierten Nahrungs­mittelallergie, Frühblüher- und Gräserpollenallergie, einem Reizdarmsyndrom, einer reaktiven De­pression und einem Hyperventilisationssyndrom. Aufgrund dessen leide die Klägerin unter ande­rem an sehr starken Konzentrationsstörungen, ständiger Mündigkeit und starkem Schwächege­fühl.

Die Allianz behauptete, dass sich aus den von der Mandantin vorgelegten Attesten keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ableiten lasse und macht überdies eine Obliegenheitsverletzung geltend, weil sie es ablehnte sich einer weiteren dermatologischen Begutachtung durch die Beklagte zu unterziehen. Der Anspruch sei deshalb nicht fällig.

Mit Beweisbeschluss vom 09.03.2020 erholte das Gericht zwei Sachverständigengutachten in den Fachbereichen Dermatologie-Allergologie sowie Psychiatrie und Psychotherapie. Mit Beweis­beschluss vom 28.01.2021 wurde ein internistisches Fachgutachten erholt.

In seiner Urteilsbegründung führte das Landgericht Regensburg u.a. folgendes aus

Die Klägerin konnte die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit zur Überzeugung des Gerichts beweisen.Die Beweisaufnahme hat die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit der Klägerin seit dem 31.02.2018 bestätigt. Die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit wurde durch die eingeholten Gutachten bestätigt. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Sachverständige R. für Ihren Fachbereich (Dermatologie) keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit feststellte.

Das Gericht stützt seine Überzeugung aber auf das internistische Gutachten des Sachverständigen S., der die Berufsunfähigkeit zu mindestens 50 % feststellte. Der Sachverständige Sch. stellte für den psychiatrischen Fachbereich eine Einschränkung von 20 % fest. Dieses Ergebnis bezog der Sachverständige Sitter in seine Begutachtung und sein Ergebnis mit ein.

Das internistische Fachgutachten, welches das psychiatrische Fachgutachten in seine Ge­samtbeurteilung einbezieht, ist überzeugend.

Der psychiatrische Sachverständige Sch. hat die Berufsunfähigkeit der Klägerin aufgrund ihrer depressiven Episode für seinen Fachbereich auf 20 % festgesetzt. Dieses Ergebnis hat der Sachverständige ausführlich und überzeugend unter Einordnung der Symptome in die ICD-10 Kriterien begründet. Der Sachverstände hat die Befunde außerdem in weitere wissenschaftlich anerkannte Skalen eingeordnet. Er stellte auch nachvollziehbar dar, wie die Symptome der depressiven Episode zu einer Antriebsminderung führten und die berufliche Leistungsfähigkeit sowie Konzentrationsfähigkeit der Klägerin negativ beeinflusst haben.

Der Sachverständige S. stellt überzeugend dar, dass die Klägerin an einem schweren Fibromyalgiesyndrom leidet, welches in Zusammenschau mit dem psychiatrischen Gutachten die Berufsunfähigkeit der Klägerin zu mindestens 50 % zur Folge hat. Der Sachverständige nimmt ausführlich zum Krankheitsbild Stellung und ordnet die Beschwerden der Klägerin in dieses ein. Dabei stellt er transparent dar, dass nach derzeitigem Stand der Wissenschaft mehrere Ursachen für die Funktionsstörung des Körpers diskutiert werden, die dann das Krankheitsbild des Fibromyalgiesyndroms ergeben. Von der wissenschaftlichen Diskussion zu den Ursachen der Krankheit ist die Diagnose zu unterscheiden, die der Sachverständige anhand feststehender Klassifikationskriterien vornimmt (S. 14). Der Sachverständige stellt überzeugend dar, aufgrund welcher Beschwerden er die Diagnose feststellt und zu dem Ergebnis der Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit von mehr als 50 % kommt. Der Sachverständige vollzog die Krankheitsgeschichte anhand der vorgelegten Arztberichte nach und stellte fest, dass mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehend ist, dass bereits 2017 das Fibromyalgiesyndrom vorgelegen hat. Dabei ging der Sachverständige durchweg mit hoher Akribie vor.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 06.07.2021 stellt der Sachverständige auch fest,

dass es für viele, von der Klägerin geltend gemachten Krankheitsbilder kein objektivierbares Test­verfahren gibt, sondern medizinische Sachverständige auf die subjektiven Aussagen der Probandin angewiesen sind. Die Ausführungen des Sachverständigen überzeugen auch dahingehend, dass eine Diagnose ohne Mitteilung der subjektiven Beschwerden in vielen Fällen schlicht unmöglich ist.

Der Sachverständige durfte seinem Gutachten diese Angaben auch zugrunde legen. Die subjekti­ven Beschwerden wurden nicht vom Sachverständigen in Eigenregie ermittelt, sondern durch Vortrag der Klägerseite dargelegt und aktenkundig gemacht. Der Sachverständige bezog die klägerseits vorgelegte ärztliche Dokumentation in seine Begutachtung mit ein. Das Gericht ist aufgrund der im Rahmen des Rechtsstreits erholten sechs ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten (drei vorgerichtlich, drei gerichtlich) davon überzeugt, dass die subjektiven Angaben der Klägerin zutreffend sind. Auch die von der Beklagten beauftragten Sachverständigen haben die Angaben der Klägerin nicht bezweifelt und teilweise auch erhebliche Beschwerden festgestellt. Es bestehen auch keine Anzeichen für Aggravation.

Der Sachverständige hat auch nicht über die Beeinträchtigung der Klägerin spekuliert, sondern die Beschwerden und die im Rahmen der Anamnese ermittelten Umstände (bspw. Druckemp­findlichkeit) in wissenschaftliche Klassifikationskriterien, wie etwa die ACR (American College of Rheumatologie) Klasifikationskriterien von 1990 und die modifizierten ACR 2010-Kriterien, einge­ordnet. Das Gericht sieht keine Anhaltspunkte dafür an der Methode des Sachverständigen zu Zweifeln. Dass sich daraus das vom Sachverständigen gefundene Ergebnis der bedingungsge­mäßen Berufsunfähigkeit ergibt, ist auch überzeugend. Das vom Sachverständigen festgestellte Krankheitsbild beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit und allgemeine Leis­tungsfähigkeit stark. Gerade diese Aspekte haben einen großen Teil der beruflichen Tätigkeit der Klägerin ausgemacht.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 06.07.2021 führt der Sachverständige nochmals aus­führliche den Prozess der Diagnostik im Fall der Klägerin aus.

Des Weiteren führt der Sachverständige in seiner weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 16.11.2021 aus, dass er keine bloße Addition der vom Sachverständigen Prof. Sch. festgestellten 20 % Berufsunfähigkeit vorgenommen hat, sondern eine Zusammenschau mit der internistischen Beeinträchtigung anstellte. Das hat der Sachverständige in seinem Hauptgutachten auch nachvollziehbar dargestellt, indem er auf jede der Beeinträchtigungen eingegangen ist. Es ist für die Beantwortung des Beweisbeschlusses, der nach dem insgesamten Grad der Berufsunfähigkeit fragt, auch nicht erforderlich, jeder einzelnen Beeinträchtigung eine gewisse Prozentzahl zu geben.

Der Anspruch der Klägerin ist auch vollständig durchsetzbar. Zwar war der Anspruch zunächst aufgrund einer Obliegenheitsverletzung gem. Ziff. 4 Abs. 4 AVB-BUZ nicht fällig, weil die Beklagte sich weigerte eine dermatologisch-allergologische Begutachtung durchzuführen. Mit der Begutachtung durch die Sachverständige R. am 11.05.2020 der Zahlungsanspruch aber nunmehr fällig geworden und die Klägerin kann Zahlung verlangen. Die Klägerin hat sich der geforderten Begutachtung unterzogen. Das gilt erst recht deshalb, weil auch die Beklagte außergerichtlich die Begutachtung durch dieselbe Sachverständige forderte.

Dass der Anspruch zunächst nicht fällig war, ändert nichts daran, dass der Anspruch mit Vorliegen der bewiesenen Berufsunfähigkeit zum 31.07.2018 entstanden ist. Der Anspruch war bis zur Vornahme der Obliegenheit nicht durchsetzbar, erloschen ist er aber nicht (vgl. Grüneberg/Grüneberg, § 271 Rn. 1 ).

Anmerkung RA Dr. Büchner

Das Urteil des LG Regensburg ist im Ergebnis richtig; wenngleich auf einige rechtliche Probleme hingewiesen werden muss.

Zum einen war der Anspruch unserer Mandantin auch außergerichtlich bereits fällig. Hier ist zu bedenken, dass unsere Mandantin ihre Berufsunfähigkeit durch Attest des behandelnden Arztes Dr. R. nachgewiesen hatte. Im Nachgang hatte die Allianz von ihrem Recht Gebrauch gemacht, die nachgewiesene Berufsunfähigkeit ihrerseits ärztlich zu prüfen und die Privatgutachterin Dr. Kischkel-Röhr beauftragt.  Das Gutachten stellte die Allianz jedoch nicht zur Verfügung und verlangte stattdessen, dass unsere Mandantin sich zunächst einer weiteren, dermatologischen Begutachtung zur Verfügung stellt. Dieses Vorgehen ist rechtswidrig, da der Versicherungsnehmer nach Bundesdatenschutzgesetz einen Herausgabeanspruch hat. Da die Allianz diesem nicht nachgekommen war, durfte die unsere Mandantin der Allianz auch eine Frist für die Leistungsentscheidung setzen und damit Fälligkeit herbeiführen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Allianz im Nachgang das Gutachten Kischkel-Röhr noch zur Verfügung gestellt hat, denn der Anspruch war bereits fällig gewesen.

Hervorzuheben ist jedoch, dass das LG Regensburg letztlich die aus seiner Sicht fehlende Fälligkeit mit Vorliegen des gerichtlich eingeholten dermatologischen Sachverständigengutachtens rückwirkend geheilt angesehen hat, d.h. der Anspruch unserer Mandantin vom Zeitpunkt der Geltendmachung an zu bedienen war.
Die durch das Gericht letztlich eingeholten Gutachten brachten in Bezug auf die Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit Klarheit.
Zunächst stellte die vom Gericht eingesetzte dermatologische Gutachterin keine Einschränkungen fest. Da unsere Mandantin, ihre Berufsunfähigkeit nicht mit dermatologische Leiden begründet hatte, war das zunächst nicht verwunderlich. Jedoch widersprach der psychiatrische Gutachter Prof. Dr. Sch. der Allianz Gutachterin. Während Frau Dr. Kischkel-Röhr auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet keinerlei Einschränkungen festgestellt hatte, sah Prof. Dr. Sch. diese zu 20 % eingeschränkt.

Letztlich brachte das internistische Gutachten des Dr. S. Klarheit, welcher die Mandantin – in der Zusammenschau mit dem Gutachten von Prof. Sch. als über 50 Prozent berufsunfähig einschätzte. Bemerkenswert ist seine Aussage im Prozess, dass die im Allianz-Gutachten der Frau Dr. Kischkel-Röhr dokumentierten Beschwerden die Kernsymptome der Fibromyalgieerkrankung bereits festhalten und bei korrekter Einordnung die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit bereits nachgewiesen gewesen wäre.

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