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Landgericht Frankfurt a.M.: Allianz Berufsunfähigkeitsversicherung kann sich bei Leistungseinstellung weder auf Betriebsumorganisation berufen noch auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht wegen verspäteter Leistungsanzeigenzeige

Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 16.01.2009 – 2-01 O 141/04

1. Sachverhalt

Unser Mandant hatte sowohl bei der Allianz Lebensversicherungs-AG als auch bei der Zürich Lebensversicherungs-AG jeweils eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Seit dem Jahr 1990 war er als selbständiger Ladenbauer tätig und beschäftigte zeitweilig bis zu acht Mitarbeiter. Gegenstand seines Betriebes war der Ladenbau in Lebensmittelmärkten, Metzgereien und im Messebau. Im Februar 2000 erlitt er einen Herzinfarkt. Nachdem er zunächst erfolglos versucht hatte, gesundheitlich und auch beruflich wieder Fuß zu fassen, meldete er im November 2002 Ansprüche aus seinen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungsverträgen wegen Berufsunfähigkeit bei beiden Versicherern an und gab seinen Betrieb zum 31.5.2003 auf. Sowohl die Allianz als auch die Zürich erkannten nach Prüfung ihre Leistungspflicht seit dem 1.10.2002 an, lehnten Leistungen für den davor liegenden Zeitraum von März 2000 bis Oktober 2002 jedoch ab. Zur Begründung führten sie aus, es sei nicht erkennbar, dass unser Mandant aufgrund der am 11.2.2000 erlittenen Myokardischämie bereits vor Oktober 2002 berufsunfähig war, jedenfalls habe er seinen Betrieb so umorganisieren können, dass er nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten auszuführen gehabt habe.

2. Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main

Das Landgericht Frankfurt am Main hat unseren Klagen gegen die Zürich Lebensversicherung bereits am 04.12.2006 und gegen die Allianz Lebensversicherung mit dem hier vorgestellten Urteil stattgegeben. Die Beweisaufnahmen haben ergeben, dass der Kläger bereits seit dem 11.2.2000 berufsunfähig war. Seinen Beruf als selbständiger Ladenbauer konnte der Kläger nach dem Ergebnis des vom Landgericht Frankfurt am Main beauftragten Sachverständigengutachtens seit März 2000 nicht mehr in dem Umfang ausüben, der für die Auslösung der vereinbarten Versicherungsleistungen maßgeblich war.

Der Einwand der Versicherungsunternehmen, der Kläger habe seinen Betrieb umorganisieren können, greift nicht durch. Dem Beweisangebot der Beklagten war nicht nachzugehen, ein Sachverständigengutachten zu dieser Frage einzuholen. Der Vortrag der Beklagten zeigt unter Berücksichtigung des von Zeugen bestätigten Berufsbildes keine konkreten und zudem zumutbaren Möglichkeiten der Umstrukturierung des Geschäftsbetriebs des Klägers auf. Der den Fall der Allianz entscheidende Richter hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass es der Allianz nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt ist, sich in Bezug auf den hier in Rede stehenden Zeitraum auf die Möglichkeit der Umorganisation zu berufen, nachdem sie ihre Leistungspflicht für die Folgezeit nach dem 1.10.2002 bereits anerkannt hatte.

3. Anmerkungen RA Zeitler, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht

Die Entscheidungen des Landgerichts Frankfurt am Main beschäftigen sich mit dem Problem der Betriebsumorganisation bei einem Selbständigen. In der Rechtsprechung ist es – auch wenn sich dazu aus den BU-Versicherungsbedingungen nichts ergibt – immer noch ganz herrschende Meinung, dass der selbständig Tätige nicht bereits dann die BU-Versicherungsleistungen erhält, wenn er gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige konkrete berufliche Tätigkeit auszuüben. Vielmehr soll der Selbständige anders als der Angestellte erst dann berufsunfähig sein, wenn es ihm praktisch oder finanziell unmöglich ist, sein Unternehmen so umzuorganisieren, dass für ihn noch eine Tätigkeit verbleibt, die er zu mehr als 50% ausüben kann. Die Umorganisationspflicht des Selbständigen folge aus seiner Stellung als Betriebsinhaber und aus seinem Direktionsrecht gegenüber seinen Angestellten und Mitarbeitern.

Diese Argumentation überzeugt unseres Erachtens nicht, weil sich die Voraussetzungen eines Anspruchs auf BU-Leistungen für den Versicherten klar und eindeutig erkennbar aus den Versicherungsbedingungen ergeben müssen. Ist dort nichts von einer Umorganisationspflicht geregelt, muss auch ein Selbständiger nicht davon ausgehen, dass er erst dann die Versicherungsleistungen erhält, wenn er keine Möglichkeit hat, seinen Betrieb erfolgreich umzuorganisieren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn er bei Abschluss des Versicherungsvertrages von dem Versicherer nicht auf die Umorganisationspflicht hingewiesen wird.

 

Auch wenn das Landgericht Frankfurt am Main grundsätzlich an der Umorganisationspflicht festhält – obwohl diese in den Versicherungsbedingungen nicht geregelt war – hat es insoweit höhere Hürden für die Versicherer aufgestellt als andere Gerichte üblicherweise. So hat das Landgericht Frankfurt am Main die schlichte Behauptung der Versicherer, unser Mandant habe umorganisieren können nicht ausreichen lassen. Wir hatten in den Prozessen im Einzelnen aufgezeigt, dass und warum es unserem Mandanten vom Zuschnitt seines Betriebes und von der Qualifikation seiner Mitarbeiter gar nicht möglich war, umzuorganisieren. Die Versicherer hatten diesen Vortrag einfach bestritten und beantragt, insoweit ein berufskundliches Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben. Diesem Beweisantrag ist das Landgericht Frankfurt am Main nicht nachgegangen, weil die Versicherer ihrerseits gar nicht aufgezeigt hatten, welche angeblichen Möglichkeiten einer Umorganisation denn bestanden. Das Landgericht Frankfurt am Main behandelt die Umorganisationspflicht mithin wie einen Ausschluss der Berufsunfähigkeit, der von dem Versicherer darzulegen und zu beweisen ist.

Noch weitergehend war die Auffassung des Richters im Fall gegen die Allianz, der darauf abstellte, die Allianz könne sich auf eine Betriebsumorganisation schon deshalb nicht berufen, weil sie ihre Leistungspflicht zu einem späteren Zeitpunkt anerkannt hat. Dahinter steckt die Argumentation des widersprüchlichen und treuwidrigen Verhaltens. Der Versicherer, der ein Leistungsanerkenntnis abgibt und folglich auch anerkennt, dass es keine Möglichkeit zur Umorganisation gibt, kann sich für einen früheren Zeitraum dann nicht mehr auf eine angebliche Umorganisationsmöglichkeit berufen.

Zu beachten ist, dass BU-Versicherer immer mehr dazu übergehen, die Umorganisationspflicht von Selbständigen in ihre Versicherungsbedingungen zu schreiben. Hier gibt es jedoch ganz unterschiedliche Formulierungen, die von Versicherer zu Versicherer variieren und die hinsichtlich ihrer Voraussetzungen im Leistungsfall genau zu prüfen sind. Versicherte sollten sich hier frühzeitig anwaltlich beraten lassen. Insbesondere hinsichtlich der Mitwirkungspflichten im Rahmen der Leistungsprüfung verlangen Versicherer von den Versicherten häufig mehr, als ihn nach den Versicherungsbedingungen zusteht.

 

 


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