LG Darmstadt: Einstellung einer Erwerbsminderungsrente im Nachprüfungsverfahren durch Proxalto Lebensversicherung war unzulässig; Versicherungsgutachter Prof. Dr. Harald Dreßing wurde durch gerichtlichen Sachverständigen widerlegt.
Urteil Landgericht Darmstadt v. 24.05.2024, Az. 4 O 147/22
Gegenstand der Klage waren Ansprüche des aus einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung bei der ehemaligen Generali Lebensversicherung, heute Proxalto.
Dem Versicherungsvertrag unseres Mandanten lagen die „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Selbständige Erwerbsunfähigkeitsversicherung nach der ein Rentenanspruch besteht, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens 6 Monate außerstande ist, irgendeine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 3 Stunden täglich auszuüben. Dies gilt unabhängig davon, ob auf dem Arbeitsmarkt freie Stellen vorhanden sind. Ausbildung, bisheriger Beruf und persönliche Lebensstellung werden dabei nicht berücksichtigt. Ist die versicherte Person seit 6 Monaten ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande, irgendeine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 3 Stunden täglich auszuüben, so gilt dieser Zustand von Beginn an nach § 2 Abs. 2 AVB-EUV als Erwerbsunfähigkeit. Für den Fall der Erwerbsunfähigkeit des Klägers ist eine Erwerbsunfähigkeitsrente (zuletzt 1.242,80 € monatlich) und eine Befreiung von den Versicherungsprämien (zuletzt 86,04 € monatlich) vereinbart.
Unser Mandant ist ausgebildeter Mediengestalter und war zuletzt als Senior-Business Analyst bei tätig.
Die Proxalto Lebensversicherung beauftragte den Psychiater Prof. Dr. Dreßing mit der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit unseres Mandanten. Herr Prof. Dreßing ist Leiter des Bereichs Gerichtliche Psychiatrie am “Zentralinstitut für Seelische Gesundheit” Mannheim. Sein aktuelles Forschungsprojekt befasst sich mit Kennzahlen zur Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs im Bereich der evangelischen Kirche in Deutschland und Merkmale des institutionellen Umgangs mit Missbrauchsvorwürfen - ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und . 11/2020-09/2023. Unser Mandant, welcher eine rezidivierende depressive Störung geltend machte, meldete zunächst Zweifel an der einschlägigen Qualifikation des Gutachters an, welche die Proxalto jedoch zurückwies.
Auf der Grundlage von des Gutachtens Prof. Dreßing vom 11.01.2021 erklärte die Proxalto mit Schreiben vom 09.06.2021ein Leistungsanerkenntnis für den Zeitraum Juli 2019 bis September 2021 und eine gleichzeitige Leistungseinstellung zum 01.10.2021.
Aus den Urteilsgründen:
Ein Versicherer kann seine Leistungspflicht für einen bestimmten Zeitraum in der Vergangenheit anerkennen und sie für die Folgezeit verneinen, wenn es etwa bereits schon vor dem Anerkenntnis zur Behebung der zunächst bestehenden Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gekommen ist.
Dabei handelt es sich in der Sache um ein Anerkenntnis verbunden mit einer Änderungsmitteilung bzgl. der erfolgten Nachprüfungsentscheidung. Deshalb muss der Versicherer, der das Anerkenntnis mit einer Nachprüfungsentscheidung verbindet, dabei zugleich bekannt geben, welche nachvollziehbare Vergleichsbetrachtung ihn zu der Annahme bringt, die Berufsunfähigkeit sei bereits wieder entfallen, und die ausgewerteten Gutachten bekannt machen, also die Voraussetzungen des Nachprüfungsverfahrens einhalten.
Im Fall einer Leistungseinstellung nach einem Leistungsanerkenntnis hat der Versicherer die Voraussetzungen für die Leistungseinstellung im Nachprüfungsverfahren darzulegen und zu beweisen. Dies gilt auch in jenen Fällen, in denen die Leistungseinstellungsmitteilung mit dem initialen Leistungsanerkenntnis verbunden wird.
Der Beklagten ist der Beweis, dass die Erwerbsunfähigkeit des Klägers zum maßgeblichen Zeitpunkt wieder entfallen ist, nicht gelungen.
Dabei war für den Wegfall der bedingungsgemäßen Erwerbsunfähigkeit entgegen der Ansicht der Beklagten nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Versicherungsleistungen eingestellt wurden (01.10.2021). Vielmehr war, ausgehend von S 1 Abs. 3, 10 Abs. 3 AVB-EUV, auf den Zeitpunkt der Mitteilung des Nachprüfungsergebnisses (09.06.2021) abzustellen sein. Denn ein Wegfall der Erwerbsunfähigkeit nach dem Zugang der Mitteilung vom 09.06.2021 wäre seinerseits dem Kläger bisher nicht im Sinne der genannten Bestimmungen mitgeteilt worden.
Aufgrund der über den Kläger angefertigten Berichte und der selbst vorgenommenen Untersuchung des Klägers hat der der Sachverständige Dr. Wagner eine auch im Jahre 2021 weiterhin bestehende bedingungsgemäß Erwerbsunfähigkeit des Klägers feststellen können. Die angeführten Feststellungen des Sachverständigen stehen zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Sachverständige hat nachvollziehbar und plausibel die Einschränkung des Klägers die zu einer bedingungsgemäßen Erwerbsunfähigkeit führen, dargelegt. Dabei ist er von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen und hat seine daraus gezogenen Schlussfolgerungen und Konsequenzen schlüssig und in sich widerspruchsfrei begründet. Anhaltspunkte, an den Feststellungen des Sachverständigen derart zu zweifeln, dass das komplette (beklagtenseitig zu beweisende) Gegenteil angenommen werden könnte, bestehen nicht.
Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht:
Im vorgestellten Sachverhalt hatte das LG Darmstadt über eine Leistungseinstellung im Nachprüfungsverfahren im Rahmen einer sog. Selbständigen Erwerbsunfähigkeitsversicherung zu entscheiden, anstatt – wie häufiger der Fall – einer Berufsunfähigkeitsversicherung.
Das Landgericht Darmstadt stellt jedoch klar, dass auch hier die gleichen Regeln wie in der Berufsunfähigkeitsversicherung gelten und der Versicherer an den Formalien einer vergleichenden Betrachtung nicht vorbeikommt. An dieser Stelle hätte das Gericht der Klage bereits zusprechen können; ist jedoch gleichwohl dem Antrag der Gegenseite auf ein weiteres Sachverständigengutachten gefolgt, welches ebenfalls zugunsten unseres Mandanten ausging und die Auffassung von Prof. Dreßing, dass die Erwerbsfähigkeit zum Untersuchungszeitpunkt unseres Mandanten wieder vorlag, widerlegte.
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