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BGH: Keine Verweisung im Nachprüfungsverfahren, solange kein Arbeitsplatz gefunden ist

BGH, Urteil vom 3.11.1999 (IV ZR 155/98)

Der Kl. unterhielt bei der Bekl. seit 1. 10. 1987 eine Kapitallebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Die Parteien stritten darum, ob die Bekl. verpflichtet ist, dem Kl. die mit der BU-Versicherung versprochenen Leistungen - Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente und Befreiung von der Beitragszahlungspflicht - über den 1. 7. 1995 hinaus zu erbringen.
Dem Versicherungsvertrag lagen BB-BUZ zugrunde, die bezüglich des Eintritts des Versicherungsfalls Berufsunfähigkeit (§ 2 BB-BUZ) den Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung aus dem Jahr 1975 (VerBAV 1975, 2) entsprachen. In § 7 der Bedingungen der Bekl. wurde u. a. bestimmt:
 "(1) Nach Anerkennung oder Feststellung unserer Leistungspflicht sind wir berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad nachzuprüfen. Dabei sind neu erworbene berufliche Fähigkeiten zu berücksichtigen.
 ...
 (4) Ist die Berufsunfähigkeit weggefallen oder hat sich ihr Grad auf weniger als 50 % vermindert, können wir unsere Leistungen einstellen ..."


Der 1966 geborene Kl. beendete 1986 seine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und war danach im erlernten Beruf als Geselle tätig. Seit Frühjahr 1989 war er bei der Fa. X. als Kfz-Schlosser angestellt. Im November 1992 erkrankte er an einer neuralgischen Schulteramyotrophie und war in deren Folge zunächst bis Mitte Februar 1993 und sodann - obwohl er nur noch mit Büroarbeiten betraut worden war - ab 20. 12. 1993 erneut arbeitsunfähig. Sein Arbeitsverhältnis wurde schließlich zum 30. 4. 1994 im gegenseitigen Einvernehmen beendet; kurz darauf begann der Kl. mit einer Fortbildung zum Kfz-Meister.
Mit der Behauptung, er sei seit 7. 11. 1992 bedingungsgemäß berufsunfähig, verlangte der Kl. von der Bekl. ab November 1992 die für diesen Fall vertraglich versprochenen Leistungen. Nachdem die Bekl. daraufhin zunächst Zahlung der Rente ab 1. 6. 1994 angekündigt hatte, erklärte sie schließlich mit Schreiben vom 9. 6. 1994, dass Berufsunfähigkeit des Kl. ab dem 20. 12. 1993 vorliege, der Anspruch auf Rente und Beitragsfreiheit ab dem 1. 1. 1994 entstanden und die erste Rentenzahlung zum 1. 7. 1994 fällig sei.
Nachdem der Kl. im April 1995 seine Meisterprüfung als Kfz-Meister abgelegt und die Bekl. davon unterrichtet hatte, erklärte diese mit Schreiben vom 23. 8. 1995, sie werde ab 1. 7. 1995 keine weiteren Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung erbringen. Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege nicht mehr vor, weil es dem Kl. auf der Grundlage seiner neu erworbenen Qualifikation möglich sei, eine Tätigkeit als Kfz-Meister, Werkstattleiter, Fuhrparkleiter oder Ausbilder im Kfz-Handwerk auszuüben und dabei ein seine bisherige Lebensstellung wahrendes Einkommen zu erzielen.
Mit seiner - auf Zahlung an einen Zessionar gerichteten - Klage verlangte der Kl. die für den Fall der Berufsunfähigkeit vertraglich versprochenen Leistungen über den 1. 7. 1995 hinaus bis zum Vertragsende (2026) und begehrte zudem die Rückzahlung von ihm ab 1. 7. 1995 unter Vorbehalt geleisteter Beiträge. Er war der Auffassung, eine Verweisung auf die von der Bekl. aufgezeigten Tätigkeiten komme nicht in Betracht. Sie verlangten eine körperliche Mitarbeit des Meisters, die zu erbringen er gesundheitlich nicht in der Lage sei; sie setzten zudem bereits vorhandene praktische Erfahrungen voraus, über die er nicht verfüge. Deshalb sei es ihm trotz seiner Bemühungen nicht gelungen, eine Anstellung als Kfz-Meister zu erlangen. Schließlich sei auch die seit Ende 1995 von ihm ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Inhaber einer Mietwerkstatt nebst Waschanlage seiner bis zum Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Tätigkeit als Kfz-Schlosser nicht vergleichbar.
Das LG hat der Klage stattgegeben, soweit der Kl. Rentenleistungen vom 1. 7. bis zum 30. 9. 1995 und Rückzahlung der für diesen Zeitraum entrichteten Beiträge verlangte; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Kl. hat das Berufungsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Die Revision der Bekl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
I. 1. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die Bekl. mit ihrem Schreiben vom 9. 6. 1994 ein Leistungsanerkenntnis gem. § 5 BB-BUZ erklärt hat. Nach ihm stehe - für die Bekl. bindend - fest, dass der Kl. jedenfalls seit dem 20. 12. 1993 berufsunfähig sei. Die später im Streit um Leistungen vor diesem Zeitpunkt von den Parteien im Oktober 1994 getroffene Vergleichsregelung habe, auch soweit sie - aus damaliger Sicht - zukünftige Leistungen betreffe, an der Bindungswirkung des Leistungsanerkenntnisses nichts zu ändern vermocht, das Anerkenntnis insbesondere nicht eingeschränkt. Leistungsfreiheit für die Zeit nach dem Leistungsanerkenntnis könne die Bekl. daher nur unter den Voraussetzungen des § 7 BB-BUZ erlangen. Insoweit komme es hier - bei unstreitig unverändertem Gesundheitszustand des Kl. - entscheidend darauf an, ob sich der Kl. wegen der von ihm neu erworbenen und nach § 7 Nr. 1 S. 2 BB-BUZ zu berücksichtigenden Qualifikation auf eine andere Tätigkeit verweisen lassen müsse, die von ihm entsprechend seiner erweiterten Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.
Dieser Ausgangspunkt des Berufungsgerichts erweist sich als rechtsfehlerfrei (vgl. zur Bindungswirkung des Anerkenntnisses BGHZ 121, 284 [290] = VersR 1993, 562 [563 f.] m. w. N.); auch die Revision stellt ihn nicht infrage.
2. Das Berufungsgericht nimmt weiter an, die Bekl. sei von ihrer - anerkannten - Leistungspflicht durch die Änderungsmitteilung vom 23. 8. 1995 nicht frei geworden. Die Leistungspflicht bestehe vielmehr fort, weil es dem Kl. trotz seiner durch Ablegung der Meisterprüfung gesteigerten Qualifikation nicht gelungen sei, im Berufsfeld des Kfz-Meisters einen Arbeitsplatz zu erlangen.
Zur Begründung führt das Berufungsgericht aus, dass die Frage nach einer Verweisbarkeit des Kl. - also letztlich nach dem Fortbestand seiner Berufsunfähigkeit (§ 7 Nr. 1 BB-BUZ) - nicht uneingeschränkt nach den Maßstäben zu beurteilen sei, die sich aus § 2 Nr. 1 BB-BUZ für die Feststellung des Eintritts von Berufsunfähigkeit ergäben. Im Rahmen des § 2 Nr. 1 BB-BUZ sei zwar nach der Rechtsprechung davon auszugehen, dass der Versicherte das Risiko zu tragen habe, in einem Tätigkeitsbereich, auf den er bedingungsgemäß verweisbar sei, auch einen Arbeitsplatz zu finden. Die Übertragung dieses Grundsatzes auf die Frage der Verweisbarkeit des Versicherten nach dem Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten werde aber der hier gegebenen besonderen Sachlage nicht gerecht.
Die Bedingungen der Bekl. begründeten keine Pflicht des Versicherten zum Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten oder zu einer Umschulung. Bleibe der Versicherte untätig, müsse die Bekl. das hinnehmen, ohne daraus ein Recht zur Leistungsverweigerung ableiten zu können. Erwerbe der Versicherte aber gleichwohl neue berufliche Fähigkeiten und eröffne dem Versicherer erst dadurch die Möglichkeit einer Neubewertung des Fortbestands der Berufsunfähigkeit, müsse auch die Frage der Verweisbarkeit anders als im Rahmen des § 2 Nr. 1 BB-BUZ beurteilt werden: Wenn der Versicherte neue berufliche Fähigkeiten zwar erwerbe, diese aber nicht dazu einsetzen könne, tatsächlich einen Arbeitsplatz in einem Vergleichsberuf zu erhalten, sei seine Verweisung grundsätzlich auszuschließen, habe also insbesondere die Rechtsprechung zum Arbeitsmarktrisiko nicht zu gelten. Denn es widerspreche den Grundsätzen von Treu und Glauben, wenn der Versicherer eine Fortbildung zwar nicht verlangen, sich aber bei freiwilliger und erfolgreicher Fortbildung auf eine abstrakte Verweisungsmöglichkeit berufen und damit das Arbeitsmarktrisiko dem Versicherten anlasten könne.
Vom Versicherten sei allenfalls zu verlangen, sich in zumutbarer Weise darum zu bemühen, auf der Grundlage der neuen Qualifikation tatsächlich einen Arbeitsplatz in einem Vergleichsberuf zu erlangen. Nur wenn ihm insoweit ein Vorwurf zu machen sei, erscheine es gerechtfertigt, ihm weitere Leistungen zu versagen. Den Kl. treffe indessen der Vorwurf unzureichender Bemühungen um die Erlangung eines solchen Arbeitsplatzes nicht.
3. Dem rechtlichen Ansatz dieser Erwägungen, dass bei Prüfung des Fortbestands von Berufsunfähigkeit nach § 7 Nr. 1 BB-BUZ die Frage der Verweisbarkeit des Versicherten - jedenfalls was das Arbeitsmarktrisiko anlange - grundsätzlich nach einem von § 2 Nr. 1 BB-BUZ abweichenden Maßstab zu beurteilen sei, kann nicht gefolgt werden. Die Bedingungen der Bekl. geben für eine solche Differenzierung keine Grundlage.
a) § 7 Nr. 1 BB-BUZ steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Regelung in § 2 Nr. 1 BB-BUZ. Mit § 7 Nr. 1 BB-BUZ wird dem Versicherer das Recht eröffnet, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihres Grades nachzuprüfen. Ein Fortbestehen der Berufsunfähigkeit setzt voraus, dass ebendieser Tatbestand bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat. Wann und unter welchen Voraussetzungen bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit - und damit der Versicherungsfall - eintritt, ergibt sich aber nicht aus § 7 BB-BUZ, sondern allein aus der Vorschrift des § 2 Nr. 1 BB-BUZ und den ihr zu entnehmenden Maßstäben. Schon aus diesem Zusammenhang erhellt, dass der Begriff Berufsunfähigkeit in §§ 2 und 7 BB-BUZ inhaltlich deckungsgleich ist; § 7 BB-BUZ betrifft allein die Nachprüfung eines Tatbestands, dessen Voraussetzungen mit der Definition von Berufsunfähigkeit in § 2 Nr. 1 BB-BUZ vorgegeben sind.
Diese Verknüpfung von § 2 und § 7 BB-BUZ wird auch unter einem anderen Blickwinkel deutlich: § 5 BB-BUZ verlangt vom Versicherer eine Erklärung darüber, ob, in welchem Umfang und von welchem Zeitpunkt ab er seine Leistungspflicht anerkennt. An ein solches - allein an den Vorgaben des § 2 BB-BUZ zu orientierendes - Anerkenntnis bleibt der Versicherer grundsätzlich gebunden; gerade in dieser Bindung erschließt sich der Sinn der Regelung in § 7 BB-BUZ (Senat vom 5. 10. 1983 - IV a ZR 11/82 - VersR 1984, 51; vom 15. 1. 1986 - IV a ZR 137/84 - VersR 1986, 277 unter 3). Ein Abrücken des Versicherers von einem solchen Anerkenntnis auf dem Wege des § 7 BB-BUZ verlangt deshalb, dass sich in seinen Voraussetzungen nachträgliche Veränderungen ergeben haben. Da diese Voraussetzungen aber ihrerseits durch § 2 BB-BUZ definiert werden, ergibt sich auch der im Rahmen des § 7 BB-BUZ anzuwendende Maßstab für den Fortbestand der Berufsunfähigkeit unmittelbar und unverrückbar aus § 2 Nr. 1 BB-BUZ (vgl. Senat vom 11. 12. 1996 - IV ZR 238/95 - VersR 1997, 436 unter II 2).
b) Ein - vom Versicherer zu beweisender - Wegfall der Berufsunfähigkeit (§ 7 Nr. 1 und 4 BB-BUZ) setzt demgemäß voraus, dass sich die Gesundheitsverhältnisse des Versicherten nachträglich in einem bedingungsgemäß erheblichen Umfang gebessert haben oder dass der Versicherte - auch unter Berücksichtigung neu erworbener beruflicher Fähigkeiten (§ 7 Nr. 1 S. 2 BB-BUZ) - eine andere Tätigkeit ausüben kann, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht (§ 2 Nr. 1 BB-BUZ). Daraus ergibt sich zugleich, dass auch bei der Beurteilung der Frage, ob sich der Versicherte auf eine andere Tätigkeit i. S. d. § 2 Nr. 1 BB-BUZ verweisen lassen muss, die in jener Vorschrift angelegten Maßstäbe zur Anwendung gelangen. Ist dort bei der Feststellung, ob Berufsunfähigkeit vorliegt, die Lage auf dem Arbeitsmarkt unberücksichtigt zu lassen (vgl. Senat vom 5. 4. 1989 - IV a ZR 35/88 - VersR 1989, 579), muss das grundsätzlich auch bei der im Rahmen des § 7 Nr. 1 BB-BUZ zu beurteilenden Frage gelten, ob die Berufsunfähigkeit des Versicherten fortbesteht. Die vom Berufungsgericht insoweit befürwortete Differenzierung im Prüfungsmaßstab bei Eintritt der Berufsunfähigkeit einerseits und deren Fortbestand andererseits kommt deshalb nicht in Betracht; auf sie lassen sich seine weiteren Erwägungen zum Fortbestand der Leistungspflicht der Bekl. nicht rechtsfehlerfrei stützen.
4. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die von der Bekl. anerkannte Leistungspflicht jedenfalls nicht mit dem Wirksamwerden ihrer Änderungsmitteilung vom 23. 8. 1995 geendet hat, erweist sich jedoch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt als zutreffend. Denn auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Bekl. jedenfalls zunächst gehindert war, sich gegenüber dem Kl. auf den Wegfall ihrer Leistungspflicht zu berufen.
a) Mit ihrer Änderungsmitteilung vom 23. 8. 1995 hat die Bekl. den Wegfall ihrer Leistungspflicht darauf gestützt, dass es dem Kl. mit seiner durch die Ablegung der Meisterprüfung gesteigerten Qualifikation und Erfahrung unter Wahrung seiner Lebensstellung möglich sei, eine Tätigkeit als Kfz-Meister, Werkstattleiter, Fuhrparkleiter oder Ausbilder auszuüben. Das Berufungsgericht hat dazu festgestellt, dass sich der Kl. seit der Meisterprüfung sowohl über das Arbeitsamt als auch über direkte Bewerbungen erfolglos um einen Arbeitsplatz in dem aufgezeigten Berufsfeld eines Kfz-Meisters bemüht habe; erst nach diesen vergeblichen Versuchen habe er sich schließlich Ende 1995 entschlossen, eine Mietwerkstatt mit automatischer Waschanlage zu betreiben.
Ist danach aber davon auszugehen, dass sich der Kl. jedenfalls bis zur Aufnahme des Betriebs einer Mietwerkstatt erfolglos um die Erlangung einer Vergleichstätigkeit bemüht hat, widerspricht es den auch einen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung beherrschenden Grundsätzen von Treu und Glauben, wenn sich die Bekl. für diese Zeit gem. § 7 Nr. 1 und 4 BB-BUZ auf den Wegfall ihrer anerkannten Leistungspflicht beruft.
b) Die Regelung des § 7 Nr. 1 BB-BUZ eröffnet dem Versicherer bei unverändertem Gesundheitszustand des Versicherten dann den Weg zu einer Einstellung der nach seinem Anerkenntnis (§ 5 BB-BUZ) zu erbringenden Leistungen, wenn der Versicherte nachträglich neue berufliche Fähigkeiten erworben hat und aufgrund dieser in der Lage ist, eine andere Tätigkeit auszuüben, die den Anforderungen des § 2 Nr. 1 BB-BUZ entspricht. Denn Verweisungsmöglichkeiten, die dem Versicherer schon bei Abgabe des Leistungsanerkenntnisses zu Gebote standen, hat dieser auch für die Zukunft verloren (BGHZ 121, 284 [292] = VersR 1993, 562 [564] m. w. N.); sie sind im Rahmen des § 7 Nr. 1 BB-BUZ unbeachtlich.
Die Bedingungen der Bekl. verpflichten den Versicherten zum Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten nicht; ebenso wenig ist er gehalten, sich fortzubilden oder umschulen zu lassen (Senat vom 11. 12. 1996 aaO unter II 2 c). Die Möglichkeit des Versicherers, von seinem Leistungsanerkenntnis loszukommen, hängt damit allein von dem freiwilligen - gegenüber seinem Versicherer überobligationsmäßigen - Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten durch den Versicherten ab. Sieht er davon ab, kann er nach den vertraglichen Vereinbarungen davon ausgehen, die - anerkannten - Leistungen des Versicherers bis zu einer bedingungsgemäß erheblichen Änderung seines Gesundheitszustands weiter zu erhalten; er darf demgemäß die mit dem Abschluss der Versicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit erstrebte Bedarfsdeckung als gesichert ansehen.
Dieser im Vertrag angelegte Zusammenhang macht deutlich, dass der Versicherte auf der anderen Seite nicht erwarten muss, selbst bei einem freiwilligen Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten seinen Leistungsanspruch gegen den Versicherer auch und schon dann zu verlieren, wenn es ihm trotz neu erworbener Fähigkeiten und zumutbarer Bemühungen noch nicht gelungen ist, die Bedarfsdeckung durch die Erlangung eines Arbeitsplatzes zu sichern. Beruft sich der Versicherer in einem solchen Fall gleichwohl auf Leistungsfreiheit, nutzt er die ihm erst durch den freiwilligen Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten eröffnete Möglichkeit zur Beendigung der anerkannten Leistungspflicht in einer Weise aus, die den berechtigten Erwartungen des VN widerspricht. Deshalb gebieten es die das Versicherungsverhältnis in besonderem Maß beherrschenden Grundsätze von Treu und Glauben, dass der Versicherer von seinem Recht zur Leistungseinstellung nach § 7 Nr. 1 und 4 BB-BUZ erst dann Gebrauch machen darf, wenn der Versicherte einen Arbeitsplatz in einem Vergleichsberuf erlangt hat oder sich um einen solchen nicht (bzw. nicht mehr) in zumutbarer Weise bemüht.
c) Dass sich der Kl. bis zur Aufnahme des Betriebs einer Mietwerkstatt mit Waschanlage nachhaltig um die Erlangung eines Arbeitsplatzes im Berufsfeld eines Kfz-Meisters bemüht hat, hat das Berufungsgericht festgestellt. Danach steht fest, dass die Bekl. sich jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt nicht auf den Wegfall ihrer Leistungspflicht berufen kann.
II. 1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Bekl. könne die Einstellung ihrer Leistungen schließlich auch nicht darauf stützen, dass der Kl. seit Ende 1995 tatsächlich eine neue berufliche Tätigkeit - den Betrieb der Mietwerkstatt mit Waschanlage - ausübe; es fehle insoweit an einer wirksamen Änderungsmitteilung.
Aus § 7 Nr. 4 BB-BUZ folge die Verpflichtung des Versicherers, die Leistungseinstellung durch eine begründete Mitteilung geltend zu machen, die den VN in die Lage versetze, die für die Einstellung der Leistungen maßgeblichen Gründe nachzuvollziehen, zu überprüfen und seine Prozesschancen einzuschätzen. Im Rechtsstreit könnten daher nur Verweisungsmöglichkeiten berücksichtigt werden, auf die sich der Versicherer in der Änderungsmitteilung nach § 7 Nr. 4 BB-BUZ auch tatsächlich berufen habe. Daran fehle es hier, was den Betrieb einer Mietwerkstatt mit Waschanlage anlange. Ein Nachschieben von weiteren Gründen im Rechtsstreit komme nicht in Betracht; eine weitere Änderungsmitteilung, die den Anforderungen des § 7 Nr. 4 BB-BUZ genüge, sei mit Blick auf die hier in Rede stehende Tätigkeit nicht erfolgt. Im Übrigen fehle es im Rechtsstreit auch an hinreichend substanziiertem Vorbringen der Bekl. zur Vergleichbarkeit der vom Kl. mittlerweile ausgeübten Tätigkeit. Dem folgt der Senat nicht.
2. a) Allerdings erweist sich der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts als zutreffend. Unerlässlicher Bestandteil des Nachprüfungsverfahrens ist es, dass dem VN eine Mitteilung darüber gemacht wird, dass die bereits anerkannte Leistungspflicht wieder enden soll. Denn erst eine solche Mitteilung kann - nach einer Schutzfrist (§ 7 Nr. 4 S. 2 BB-BUZ) - die Leistungspflicht entfallen lassen, nicht bereits zuvor der Eintritt von Veränderungen in den tatsächlichen Verhältnissen (Senat vom 12. 6. 1996 - IV ZR 106/95 - VersR 1996, 958 unter 2 b). Voraussetzung der Wirksamkeit einer solchen Mitteilung ist deren Nachvollziehbarkeit, also grundsätzlich das Vorhandensein einer Begründung, aus der für den Versicherten nachvollziehbar wird, warum nach Auffassung seines Vertragspartners die anerkannte Leistungspflicht enden soll (BGHZ 121, 284 [293 ff.] = VersR 1993, 562 [564]). Das gilt nicht nur bei einer Änderung der Gesundheitsverhältnisse, sondern gleichermaßen, wenn die Leistungseinstellung darauf gestützt werden soll, dem Versicherten sei es aufgrund neu erworbener beruflicher Fähigkeiten möglich, nunmehr eine andere Tätigkeit auszuüben. Nachvollziehbarkeit setzt hier grundsätzlich voraus, dass der Versicherer unter Hinweis auf die neu erlangten Fähigkeiten solche anderen Tätigkeiten aufzeigt, die nach seiner Auffassung die Annahme tragen, der Versicherte könne sie nach seinen nunmehr zu berücksichtigenden Fähigkeiten ausüben und damit seine Lebensstellung wahren.
Die Änderungsmitteilung der Bekl. vom 23. 8. 1995 stützt sich zur Begründung der Leistungseinstellung nicht darauf, dass als andere, vom Kl. ausübbare Tätigkeit i. S. d. § 2 Nr. 1 BB-BUZ auch die von ihm später aufgenommene als Inhaber einer Mietwerkstatt in Betracht komme. Sie trägt deshalb - mit Blick auf diese Tätigkeit des Kl. - die Leistungseinstellung nicht.
b) Das Berufungsgericht sieht weiter richtig, dass es dem Versicherer grundsätzlich unbenommen bleibt, auch während eines Rechtsstreits um den Fortbestand seiner Leistungspflicht eine neuerliche Änderungsmitteilung an den VN zu richten. Es verkennt jedoch, dass eine solche weitere Mitteilung auch in einem während des Rechtsstreits übermittelten Schriftsatz des Versicherers zu sehen sein kann (vgl. Senat vom 12. 6. 1996 VersR 1996, 958 unter 2 c dd). So liegt der Fall hier.
Die Bekl. hatte bereits in ihrer Klageerwiderung vom 22. 1. 1996 ausgeführt, der Kl. sei (auch) auf den selbstständigen Betrieb einer Reparaturwerkstatt und Waschanlage verweisbar; eine solche Tätigkeit genieße keine geringere Wertschätzung als die zuletzt vom Kl. ausgeübte als Kfz-Schlosser.
Mit diesem Vortrag hat die Bekl. die von ihr verteidigte und auch für den Zeitpunkt dieser Mitteilung beanspruchte Leistungsfreiheit erkennbar auf eine bisher nicht benannte, nach ihrer Ansicht den Anforderungen des § 2 Nr. 1 BB-BUZ entsprechende andere Tätigkeit gestützt, die der Kl. unter Berücksichtigung seiner neu erworbenen Fähigkeiten ausüben könne. Darin liegt - unbeschadet der Frage nach ihrer Wirksamkeit - inhaltlich und für den VN erkennbar eine (weitere) Mitteilung nach § 7 Nr. 4 BB-BUZ. Deren fehlende gesonderte Übermittlung außerhalb des Rechtsstreits - die § 7 Nr. 4 BB-BUZ nicht gebietet - beeinträchtigt die Rechtsstellung des VN nicht. Denn die Schutzfrist des § 7 Nr. 4 S. 2 BB-BUZ wird erst mit dem Absenden des Schriftsatzes in Lauf gesetzt; die Möglichkeiten des VN, sein Prozessverhalten auf die neue Mitteilung einzustellen, bleiben ungeschmälert.
c) Wirksamkeit ist dieser weiteren Änderungsmitteilung nur dann beizumessen, wenn sie für den VN nachvollziehbar ist. Aber auch davon ist nach den Umständen des vorliegenden Falls auszugehen. Denn die Mitteilung stützt sich auf eine Tätigkeit, die vom Kl. nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seit Ende 1995 ausgeübt wird.
Nachvollziehbarkeit der Änderungsmitteilung - wird die Leistungseinstellung darauf gestützt, dass der Versicherte eine andere Tätigkeit auszuüben in der Lage sei - setzt grundsätzlich voraus, dass dem VN mit ihr diese andere Tätigkeit mit ihren prägenden und nach § 2 Nr. 1 BB-BUZ wesentlichen Merkmalen aufgezeigt wird. Denn erst dadurch wird dem VN eine Vergleichsbetrachtung mit seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit und die Einschätzung ermöglicht, ob sich der Versicherer mit Recht auf eine Vergleichbarkeit der aufgezeigten anderen Tätigkeit beruft.
Solcher Angaben zu der anderen Tätigkeit als Voraussetzung der Nachvollziehbarkeit der Versicherungsentscheidung bedarf der VN aber dann nicht, wenn er - wie es hier der Fall ist - von den Merkmalen der vom Versicherer benannten anderen Tätigkeit schon deshalb Kenntnis hat, weil er sie konkret ausübt (vgl. insoweit zur Vortragslast im Rahmen des § 2 Nr. 1 BB-BUZ Senat vom 30. 11. 1994 - IV ZR 300/93 - VersR 1995, 159 unter 3). Er ist dann schon anhand eigener Kenntnisse zu der Beurteilung in der Lage, ob die andere Tätigkeit seiner zuletzt ausgeübten vergleichbar ist. Deshalb bedarf es in einem solchen Fall näherer Angaben des Versicherers zu den nach § 2 Nr. 1 BB-BUZ wesentlichen Merkmalen der anderen Tätigkeit nicht; die Mitteilung des Versicherers ist - unbeschadet der Frage der Begründetheit seiner Auffassung - für den VN nachvollziehbar und damit wirksam.
III. Das Berufungsgericht wird deshalb der von ihm bislang nicht entschiedenen Frage nachzugehen haben, ob die Bekl. nach ihrer Änderungsmitteilung vom 22. 1. 1996 von der anerkannten Leistungspflicht deshalb frei geworden ist, weil sich der Kl. auf die von ihm konkret ausgeübte Tätigkeit verweisen lassen muss.
Dazu gibt der Senat noch folgende Hinweise: Unbeschadet der die Bekl. im Rahmen des § 7 BB-BUZ treffenden Beweislast für einen Wegfall der Berufsunfähigkeit ist es - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - zunächst Sache des Kl. darzulegen, warum er die von ihm ausgeübte Tätigkeit auf der Grundlage seiner neu erworbenen Fähigkeiten nicht ausüben kann oder warum sie aus anderen Gründen mit seinem zuletzt ausgeübten Beruf nicht vergleichbar sei (vgl. Senat vom 30. 11. 1994 VersR 1995, 159). Sache der Bekl. ist es dann, diesen Vortrag zu widerlegen. Sollte es in diesem Rahmen auf das mit der neuen Tätigkeit vom Kl. erzielbare Einkommen ankommen, dürfte zu berücksichtigen sein, dass insoweit nicht auf das Einkommen in der Gründungsphase des Betriebs, sondern auf das langfristig zu erzielende durchschnittliche Einkommen abzustellen ist. Sollte sich schließlich erweisen, dass der Kl. auf die von ihm ausgeübte Tätigkeit nicht verweisbar ist, kann es für den Fortbestand der Leistungspflicht der Bekl. darauf ankommen, ob sich der Kl. auch nach der Aufnahme dieser Tätigkeit weiterhin zumutbar um einen vergleichbaren Arbeitsplatz auf dem Tätigkeitsfeld eines Kfz-Meisters bemüht hat.

Anmerkung Dr. Büchner:

Versicherer nutzen das in den Bedingungen der Berufsunfähigkeitsversicherung vorgesehene Nachprüfungsverfahren regelmäßig auch, um zu prüfen, ob der Versicherte ggf. neue Kenntnisse oder Fähigkeiten erlangt hat, um dann wegen der neu erlangten Qualifikation eine sog. Verweisung aussprechen zu können. Im Unterschied zur sog. Abstrakten Verweisung, die heute in den meisten Verträgen ohnehin ausgeschlossen ist, ist die Prüfung der konkreten Verweisung in nahezu allen marktüblichen Bedingungsvarianten üblich.

Der Bundesgerichtshof hat mit dem hier vorgestellten Urteil gleichwohl klargestellt, dass auch nach neu erlangter Qualifikation eine konkrete Verweisung erst möglich ist, wenn der Versicherte tatsächlich einen neuen Arbeitsplatz innehat. Nach unserer Erfahrung wird dieses Urteil von den Berufsunfähigkeitsversicherungen weiterhin geflissentlich ignoriert und eine rechtswidrige Verweisungspraxis betrieben.

Darüber hinaus stellen sich vielfach weitere Fragen, die mit dem Urteil des BGH nicht beantwortet werden; z.B. ob jeder neue Arbeitsplatz zur Verweisung führen kann oder ggf. die Probezeit erst vorüber sein muss?

Beratung durch einen Fachanwalt ist deshalb bereits angeraten, wenn Versicherte - die Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung beziehen - planen, zusätzliche Kenntnisse zu erwerben.


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