LG Hamburg: Ergo Lebensversicherung darf im BU-Nachprüfungsverfahren keine Arztberichte zum Nachweis einer fortbestehenden Berufsunfähigkeit von unserem Mandanten verlangen!
1. Im Nachprüfungsverfahren gibt es anders als im Erstprüfungsverfahren keine Obliegenheit des Versicherten zur Beibringung von Arztberichten zum Nachweis seiner Berufsunfähigkeit.
2. Verletzungen vertraglicher Obliegenheiten bleiben sanktionslos, wenn der Versicherer die Rechtsfolgenregelungen für Obliegenheitsverletzungen in seinen Versicherungsbedingungen nicht an die seit dem 01.01.2008 geltende Gesetzeslage (§ 28 VVG) angepasst hat. Dies gilt auch für Altverträge (Verträge, die vor dem 01.01.2008 abgeschlossen wurden), sofern die Obliegenheitsverletzungen ab dem 01.01.2008 erfolgt sind, auch wenn der Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist.
3. Im Nachprüfungsverfahren muss nicht der Versicherte den Eintritt oder die Fortdauer seiner Berufsunfähigkeit darlegen und beweisen, vielmehr muss der Versicherer den Wegfall der Berufsunfähigkeit des Versicherten darlegen und beweisen.
LG Hamburg – 306 O 252/14 – Urteil vom 27.02.2015 (rechtskräftig)
Sachverhalt
Unser Mandant war bei der ERGO (VICTORIA Lebensversicherung AG) gegen Berufsunfähigkeit versichert. Er war als Immobilienmakler, Bauträger und Hausverwalter selbständig tätig. Im Jahr 2000 erkrankte er an einem Hirntumor. Darüber hinaus leidet er an einer hypertensiven Herzkrankheit. Nachdem unser Mandant Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bei der ERGO wegen des Eintritts von Berufsunfähigkeit beantragt hatte, führte der Versicherer ein Erstprüfungsverfahren durch und erkannte sodann den bedingungsgemäßen Eintritt der Berufsunfähigkeit sowie die Leistungspflicht an und erbrachte die Leistungen aus dem Versicherungsvertrag (Rentenzahlung und Prämienbefreiung). Im Jahr 2007 führte die ERGO ein Nachprüfungsverfahren durch und teilte unserem Mandanten im Ergebnis mit, sie werde weiterhin die Versicherungsleistungen erbringen, weil er nach wie vor zu mindestens 50% berufsunfähig sei. Im Jahr 2010 strengte die ERGO ein neues Nachprüfungsverfahren an und forderte unseren Mandanten in diesem Zusammenhang auf, einen Fragebogen zur Berufsunfähigkeit von seinem Arzt ausfüllen zu lassen und zurückzusenden. Der behandelnde Arzt unseres Mandanten berief sich darauf, er könne den Fragebogen nicht ausfüllen, weil er kein Gutachter sei und sich nicht in der Lage sehe, die Berufsunfähigkeit unseres Mandanten einzuschätzen. Dies teilte unser Mandant der ERGO mit, die jedoch weiterhin darauf bestand, dass unser Mandant den von ihr geforderten Arztbericht zur Berufsunfähigkeit beibringt. Nachdem es unserem Mandanten weiterhin nicht gelungen war, seinen Arzt zur Beantwortung des Fragebogens zur Berufsunfähigkeit zu veranlassen, stellte die ERGO die Versicherungsleistungen einfach ein. Zur Begründung teilte sie unserem Mandanten mit, er habe die Fortdauer seiner Berufsunfähigkeit nicht nachgewiesen.
Entscheidungsgründe
Der von uns beim Landgericht Hamburg auf Fortgewährung der Versicherungsleistungen erhobenen Klage hat das Gericht stattgegeben, ohne dass ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Frage der Berufsunfähigkeit unseres Mandanten eingeholt wurde.
Zur Begründung hat das Landgericht Hamburg zunächst festgestellt, dass unser Mandant nach dem Leistungsanerkenntnis der ERGO im Nachprüfungsverfahren nicht verpflichtet war, selbst Arztberichte beizubringen, die den Fortbestand seiner Berufsunfähigkeit bestätigten. Dies folgerte das Landgericht Hamburg aus den Versicherungsbedingungen des Versicherungsvertrages. Danach obliegt dem Versicherten die Beibringung von Arztberichten lediglich im Erstprüfungsverfahren bei der Beantragung von Leistungen wegen des Eintritts der Berufsunfähigkeit, nicht aber im Nachprüfungsverfahren nach anerkannter Leistungspflicht bei der Überprüfung des Versicherers, ob die Berufsunfähigkeit nach wie vor besteht. In diesem Nachprüfungsverfahren ist der Versicherte nach den Versicherungsbedingungen der ERGO lediglich verpflichtet, seine Ärzte zu ermächtigen, Auskünfte zu erteilen. Dies hatte die ERGO von unserem Mandanten jedoch gar nicht verlangt, so dass er auch keine Obliegenheit verletzt haben konnte und die Leistungseinstellung der ERGO schon aus diesem Grund unzulässig war.
Das Landgericht Hamburg hat weitergehend festgestellt, dass selbst bei einer unterstellten Obliegenheitsverletzung unseres Mandanten eine Leistungseinstellung durch die ERGO nicht hätte erfolgen dürfen. Dies folgt nach Ansicht des Landgerichts Hamburg daraus, dass die ERGO die diesbezügliche Sanktionsregelung der Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzungen in ihren Versicherungsbedingungen nicht an die aktuell geltende Gesetzeslage angepasst hat. Einen in der Rechtsprechung bisher (soweit ersichtlich) neuen Ansatz hat das Landgericht Hamburg dabei mit seiner Auffassung vertreten, dass Obliegenheitsverletzungen bei Altverträgen (Verträge, die vor dem 01.01.2008 abgeschlossen wurden), deren Rechtsfolgenregelungen der Versicherer nicht an die seit dem 01.01.2008 geltende Gesetzeslage (§ 28 VVG) angepasst hat dann sanktionslos bleiben, wenn die Obliegenheitsverletzungen ab dem 01.01.2008 erfolgt sind, auch wenn der Versicherungsfall bis zum 31.12.2008 eingetreten ist. Anders als das Landgericht Hamburg geht die bisher wohl herrschende Meinung davon aus, dass für die Frage der Anwendbarkeit der neuen Gesetzeslage bei Verletzungen vertraglicher Obliegenheiten nicht auf den Zeitpunkt des Eintritts der Obliegenheitsverletzung, sondern auf den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles abzustellen ist.
Das Landgericht Hamburg hat auch dem Versuch der ERGO, im Prozess die Fehler des Nachprüfungsverfahrens zu heilen und so von der Leistungspflicht loszukommen eine Absage erteilt. Der Versicherer hatte über seine Anwälte im Prozess einfach behauptet, unser Mandant würde angeblich wieder vollschichtig in seinem Betrieb tätig sein. Unser Mandant war dieser Behauptung entgegengetreten und hatte vorgetragen, lediglich 1 bis 2 Stunden pro Woche im Unternehmen zu sein, um nach dem Rechten zu sehen und Unterschriften zu leisten. Hierzu hat das Landgericht Hamburg festgestellt, dass die ERGO den Wegfall der Berufsunfähigkeit unseres Mandanten nicht hinreichend konkret dargelegt, geschweige denn einen Beweis hierfür angetreten hat. Nach einem Leistungsanerkenntnis obliegt es im Nachprüfungsverfahren und im anschließenden Prozess nicht dem Versicherten, den Eintritt oder die Fortdauer seiner Berufsunfähigkeit darzulegen und zu beweisen, vielmehr obliegt es dem Versicherer, den Wegfall der Berufsunfähigkeit des Versicherten nachzuweisen. Insofern hätte die ERGO hier darlegen und beweisen müssen, dass die Angaben unseres Mandanten zu seiner nur eingeschränkten Tätigkeit im Betrieb unzutreffend sind. Es wird damit von der ERGO auch nichts Unmögliches verlangt, weil sie im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nach den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen von unserem Mandanten Auskünfte verlangen konnte, die sie hätte überprüfen und gegebenenfalls anhand konkreter Umstände in Zweifel ziehen können.
Anmerkungen Rechtsanwalt Zeitler (Fachanwalt für Versicherungsrecht und Medizinrecht)
Leistungsanerkenntnisse verschaffen dem Versicherten eine komfortable Rechtsposition. Der Versicherer muss, wenn er sich von seiner Leistungspflicht wieder lösen will grundsätzlich ein sog. Nachprüfungsverfahren durchführen, das in den Versicherungsbedingungen geregelt ist und das sehr hohe Hürden sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht aufstellt.
Erfahrungsgemäß werden in Nachprüfungsverfahren durch Versicherer häufig Fehler gemacht, wie auch der vorliegende Fall anschaulich zeigt. Die ERGO wollte unserem Mandanten weiß machen, er sei für den Nachweis der Fortdauer seiner Berufsunfähigkeit verantwortlich und müsse daher einen Fragebogen zur Berufsunfähigkeit durch seinen behandelnden Arzt beibringen. Als sich der Arzt unseres Mandanten aufgrund fehlender gutachterlicher Fähigkeiten dazu nicht der Lage sah, hat die ERGO die Versicherungsleistungen einfach eingestellt, obwohl unser Mandant dem Versicherer sein fehlendes Verschulden an dieser Situation geschildert hatte. Unserem Mandanten half es auch nicht, dass er die ERGO bat, sie möge doch selbst ein Gutachten zur Frage der Berufsunfähigkeit einzuholen. Ein solches Vorgehen lehnte der Versicherer ab, vielmehr machte er kurzen Prozess mit unserem Mandanten, der daraufhin den Weg zu uns fand. Im vorgerichtlichen Verfahren verschloss sich die ERGO komplett unserer Argumentation, dass es nach den Versicherungsbedingungen keine Grundlage dafür gibt, im Nachprüfungsverfahren von den Versicherten die Beibringung ärztlicher Berichte zu verlangen. Die ERGO wollte von uns auch nicht hören, dass nicht unser Mandant für den Nachweis der Fortdauer seiner Berufsunfähigkeit nachweispflichtig ist, sondern vielmehr die ERGO nachweispflichtig für den Wegfall der Berufsunfähigkeit unseres Mandanten. Unser nicht rechtsschutzversicherter Mandant war hierüber so verunsichert, dass er ein Klageverfahren gegen die ERGO aufgrund der für BU-Prozesse typischerweise sehr hohen Kosten scheute. Die ERGO hätte ihr Ziel erreicht, wenn es uns nicht mit erheblicher Überzeugungsarbeit gelungen wäre, unseren Mandanten von der Klage aufgrund der guten Erfolgsaussichten zu überzeugen. Wie die ERGO mit unserem Mandanten im vorgerichtlichen Verfahren hat dann auch das Landgericht Hamburg mit der ERGO im gerichtlichen Verfahren kurzen Prozess gemacht.
Dieser Fall belegt sehr anschaulich, mit welchen Mitteln Versicherer im Rahmen der Leistungsprüfungen arbeiten. Die ERGO ist nicht einmal davor zurückgeschreckt, von unserem Mandanten Mitwirkungen zu verlangen, die ihr Vertragswerk / ihre Versicherungsbedingungen nicht hergaben und hat dies dennoch bis zuletzt zu rechtfertigen versucht. Versicherte sollten im Rahmen von Leistungsprüfungen (egal ob Erstprüfungsverfahren oder Nachprüfungsverfahren) sehr aufmerksam jedes Verhalten, das der Versicherer von ihnen verlangt prüfen und nicht voreilig reagieren. Unsere Erfahrung zeigt, dass Versicherte hier nicht vorsichtig genug sein können, weil Versicherer häufig mehr von den Versicherten verlangen, als verlangt werden darf. Eine frühzeitige rechtliche Beratung und Begleitung bereits im Prüfungsverfahren und nicht erst nach erfolgter Leistungsablehnung kann daher nur empfohlen werden.
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