Newsdetail

Sozialgericht Kiel: BG ETEM und Unfallkasse MV müssen bei auszuschließender außerberuflicher Exposition Berufskrankheit BK 1110, Erkrankung durch Beryllium, anerkennen!

SG Kiel, Urteil v. 09.03.2005, S 2 U 55/02

Das Sozialgericht Kiel hat entschieden, dass trotz der Unmöglichkeit, die Exposition gegenüber Beryllium im Einzelnen nachzuweisen, der Vollbeweis einer solchen Exposition als geführt anzusehen ist.

Unsere Mandantin hat von 1989 bis 1991 an einer Medizinischen Fachschule in Rostock eine Ausbildung zur Zahntechnikerin aufgenommen, und diese im Zeitraum von 1991 bis 1993 in einem zahntechnischen Labor in Schwarzenbek abgeschlossen und danach bis 1994 dort als Zahntechnikerin noch gearbeitet. Wegen Hauterscheinungen seit 1993 und angesichts einer durch die Beklagte veranlassten Begutachtung wurde eine berufliche Umorientierung empfohlen, die Mandantin nahm eine Umschulung zur Bankkauffrau auf, die sie krankheitsbedingt wieder abbrach. Vom .04. Dezember 1996 bis 30. April 1998 bezog die Mandantin eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit.

Im Jahr 1997 zeigte ihr behandelnder Arzt der Berufsgenossenschaft den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit aufgrund einer Erkrankung einer Berylliose an.

Ein daraufhin von der BG beauftragter Arbeitsmediziner und Internist bejahte in einem Gutachten nach Untersuchung der Mandantin das Vorliegen der Voraussetzungen der Berufskrankheit der Nr. 1110 der Anlage zur BeKV. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit schätzte er mit 70 v,H. ein. Er führte aus, dass bei der Mandantin eine Exposition gegenüber Beryllium während ihrer Ausbildungszeit in Rostock anzunehmen sei.

Auch die staatliche Gewerbeärztin hielt eine Berylliumexposition für wahrscheinlich und befürwortete eine Anerkennung.

Die Berufsgenossenschaft erklärte demgegenüber, die Zusammensetzung der verwendeten Legierung sei nicht bekannt, weitere Legierungen seien nicht ermittelt worden. Die Analyse übersandter Materialproben von Legierungen habe einen Nachweis von Beryllium nicht erbracht.

Insgesamt sei die Einwirkung von Beryllium während der Tätigkeit der Mandantin nicht mit Gewissheit bewiesen. Hierfür sei der Vollbeweis erforderlich, dieser sei nicht erbracht, die Mandantin treffe die Beweislast.

Die Berufsgenossenschaft lehnte daraufhin die Anerkennung ab, die Mandantin erhob dagegen Klage.

Das Sozialgericht Kiel holte ein weiteres Gutachten ein, das zum gleichen Ergebnis kam wie das außergerichtliche.

Das Sozialgericht ist diesen Gutachten auch gefolgt und die Berufsgenossenschaft verurteilt, die BK 1110 anzuerkennen. Ausdrücklich betonte das Sozialgericht, wie schwierig und nahezu unmöglich gerade durch die Verwendung der Legierungen der neuen Bundesländer die Feststellung der Berylliumhaltigkeit sei. Wie sich besonders in dem umfangreichen, lang dauernden Feststellungsverfahren der BG mit unterschiedlichsten Ermittlungsversuchen gezeigt hat, auch durch Unterstützung der Eltern der Mandantin, sei die Sicherung .der Berylliumexposition in der vorliegenden Situation nicht möglich.

Entscheidend war für das Gericht, „dass Beryllium nicht außerberuflich, sondern allenfalls beruflich auf die Klägerin eingewirkt haben kann und gleichzeitig eine generelle Möglichkeit der Berylliumexposition von Zahntechnikern angesichts des hierzu umfangreich vorliegenden Materials besteht, muss aus Sicht der Kammer im Fall der Klägerin Berücksichtigung finden.“ Der Sachverständige habe darauf abgestellt, „dass kein Gesichtspunkt erkennbar sei, woher die Klägerin sonst die Erkrankung der Berylliose als bei der anzunehmenden Exposition durch ihre tägliche Arbeit im Rahmen der Ausbildung erlangt haben sollte.“ Dies hat das Gericht überzeugt.

Anmerkung RA Kohn:

Die Anerkennung einer Berufskrankheit ist äußerst schwierig, insbesondere weil es neben den medizinischen auch auf die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen ankommt, d.h. wie lange bzw. intensiv der Versicherte einer bestimmten Einwirkung aus seinem Beruf ausgesetzt war. Je länger die gefährdende berufliche Tätigkeit zurückliegt, desto schwieriger wird es oft, diese Exposition im Einzelnen noch nachzuweisen.

Die sich dann aufdrängende Frage „woher soll ich es denn sonst haben?“ wird von Berufsgenossenschaften allzu oft damit abgewehrt, darauf komme es nicht an. Nicht ersichtliche Alternativursachen seien weder ein Beweis noch änderten sie etwas an der Beweislast. Diesen Grundsätzen folgen auch viele Gerichte. Das Sozialgericht Kiel ist richtigerweise hierbei nicht stehengeblieben, sondern hat den Fall konkret betrachtet: wenn eine Exposition feststeht, eine außerberufliche Exposition ausgeschlossen und eine berufliche Exposition möglich ist, kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, dass Einzelheiten der Exposition nicht (mehr) aufklärbar sind, jedenfalls wenn – wie hier – das Gesetz keine bestimmte Dosis oder Mindest-Exposition nennt.

Die Berufsgenossenschaft hat es vorgezogen gegen das Urteil nicht in Berufung zu gehen, es ist rechtskräftig.


Seite drucken