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SG Hannover: BG RCI muss Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) i.H.v. 30 % wegen Weiterbestehens einer BK 1301 nach Blasenkarzinom trotz eines über fünfjährigen tumorfreien Erkrankungsverlaufes anerkennen.

Unser Mandant bezog eine sog. Erkranktenrente nach einer MdE i.H.v. 80 v.H. wegen der Folgen eines Blasenkarzinoms, die als Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Berufskrankheiten-Liste (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine) anerkannt worden waren. Er hatte als Arbeiter im Straßenbau Umgang mit Epoxidharzmassen und deren Härtern, welche als sog. aromatische Amine im Sinne der BK-Ziffer 1301 einzustufen sind.

Mit Bescheid v. 02.04.2009 setzte die BG RCI die unserem Mandanten zunächst aufgrund einer MdE i.H.v. 80% gewährten die Rente auf eine MdE i.H.v. 30% herab. Sie stützte diesen Bescheid auf ein Gutachten des Herrn Dr. Klaus Bornemeyer aus Neuss, welcher trotz des über fünf Jahre währenden tumorfreien Verlaufs der Erkrankung weiterhin u.a. deutliche Miktionsbeschwerden mit Restharnbildung feststellte, welche er mit einer MdE i.H.v. 30 % auf Dauer bewertete.

Dieses Ergebnis wollte die BG RCI nicht akzeptieren; sie veranlasste im Januar 2010 eine dreiwöchige stationäre Einweisung unseres Mandanten in das Rehabilitationszentrum Passauer Wolf, Bad Griesbach und beauftragte gleichzeitig den dort tätigen Arzt, Herrn Dr. Michael Zellner mit einer erneuten Begutachtung unseres Mandanten. Im Ergebnis stellte Herr Dr. Zellner mit Gutachten vom 13.92.2010 entgegen aller Befunde der behandelnden und vorbegutachtenden Ärzte fest, dass angeblich keine Blasenentleerungsstörung bei unserem Mandanten mehr vorläge, sondern dieser sehr wahrscheinlich simuliere. Daraufhin stellte die BG RCI die Rentenzahlung mit Bescheid v. 14.04.2010 vollständig ein. Der durch unseren Mandanten eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Gegen den am 26.04.2010 ergangenen Widerspruchsbescheid beauftragte uns unser Mandant, Klage am Sozialgericht Hannover zu führen.

In der Klagebegründung wurde von uns u.a. vorgetragen, dass ausweislich der Feststellungen der Vorgutachter und Behandler beim Kläger Folgeveränderungen am Harntrakt und an der Harnblase im Sinne einer bindegewebigen narbigen Veränderung der Blasenschleimhaut mit dominanten Gefäßverläufen nach mehrfachen transuretralen Resektionen, postoperative prävesikale Aufweitungen der Harnleiterenden, eine Einengung des Blasenhalses, eine Endigung der Harnleiter in einer verdickten Harnblasenwand, eine Schrumpfblasenbildung sowie eine chronisch granulomatöse Prostatitis nachweisbar sind.

Aufgrund dieser objektivierbaren Befunde leidet der Kläger nach den Feststellungen der Gutachter und Fachärzte unter häufigem Harndrang, Blaseninkontinenz, Harnabflussstörungen, erheblicher Restharnbildung, Schmerzen und Brennen beim Wasserlassen, unerträglichen Juckreiz in der Harnröhre und Schmerzen im Unterbauch.

Diese Beschwerden liegen beim Kläger nicht nur chronisch vor; vielmehr kommt es bereits bei geringen Belastungen wie kalter oder warmer Witterung, geringerer Flüssigkeitsaufnahme, körperlicher Anstrengung oder psychischen Belastungssituationen zu häufigen Exazerbationen. Zudem ist der Kläger angesichts des vermehrten Harndrangs und der Blaseninkontinenz auf einen ständigen Aufenthalt in der Nähe von Toilette angewiesen.

Die objektiv nachweisbaren Veränderungen im gesamten Harntrakt und die hieraus resultierenden schwerwiegenden Funktionsbeeinträchtigungen sind auf die Vielzahl und Schwere der beim Kläger durchgeführten notwendigen operativen Behandlungen zurückzuführen. So hatte der Kläger seit der Diagnose des multifokalen Urothelkarzinoms zwölf Operationen, unzählige Zystoskopien und mehrerer BCG-(Bacillus-Calmette-Guérin)-Instillationsbehandlungen über sich zu ergehen lassen. In Folge der BCG-Instillationsbehandlungen kam es beim Kläger zudem zu der Komplikation einer schweren Prostatitis.

Weiterhin wurd das vom Kläger geführte Miktionsprotokoll überreicht, aus dem sich das Vorliegen einer klinisch bedeutsamen Blasenentleerungsstörung mit erheblicher Verminderung der Blasenkapazität und Notwendigkeit häufiger Blasenentleerungen ergab. Angesicht der auch in der Nacht zumindest dreimal erforderlichen Blasenentleerung war dem Kläger seit Jahren ein Durchschlafen nicht möglich und er leidet hierdurch bedingt unter einer erheblichen Minderung der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit am Tage und mittelbar unter psychischen Beeinträchtigungen.

Die beim Kläger unstreitig trotz Viagra bestehende erektile Dysfunktion ist als Folge der operativen Behandlungen anzusehen. Sofern die Beklagte einen Ursachenzusammenhang auch hier nicht zu erkennen vermag, ist auch dieser Umstand der unterlassenen Aufklärung des medizinischen Sachverhalts geschuldet. Der Kläger litt unter entsprechenden Beeinträchtigungen vor der Tumorerkrankung nicht.

Da allein Dr. Zellner – im Widerspruch zu sämtlichen Vorgutachtern und dem behandelnden Facharzt in dem für die Beklagten bestimmenden Gutachten vom 13.02.2010 weder Folgeveränderungen im Harntrakt und an der Harnblase noch entsprechende Funktionsbeeinträchtigungen zu erkennen vermochte und seine MdE-Bewertung ohne Berücksichtigung derselben vornahm, vermag diese nicht zu überzeugen.  Dies umso weniger, als es – wie aus dem Inhalt der Verwaltungsankte erkennbar - im Rahmen der Begutachtung zu einem offenen Zerwürfnis zwischen dem Gutachters und dem Kläger gekommen ist.

Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts beantragten wir  daher die Einholung eines urologischen Sachverständigengutachtens durch das Gericht, welches sich auch mit den Feststellungen der den Kläger untersuchenden und behandelnden Fachärzte auseinandersetzt.

Das Sozialgericht Hannover beauftragte auf unseren Antrag hin mit Beschluss vom 22.02.2012 Herrn Prof. Dr. Ringert, Direktor der Abt. Urologie des Universitätsklinikums in Göttingen mit einer fachurologischen Begutachtung.

Das Gutachten von Prof. Ringert bestätigte unseren Vortrag und die Einschätzungen der Vorgutachter und behandelnden Ärzte und schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit unseres Mandanten auf Dauer mit 30 % ein. Der durch den, vom Gutachter der BG RCI erhobene Simulations- bzw. Aggravationsvorwurf wurde durch Herrn Prof. Ringert nicht bestätigt.

Nach Vorliegen des Gutachtens sah sich die BG RCI am 18.02.2013 gezwungen, das Fortbestehen einer MdE i.H.v. 30% auf Dauer anzuerkennen und die Erkranktentenrente in derselben Höhe weiter zu zahlen. Mit der vollumfänglichen Anerkenntnis des Anspruchs unseres Mandanten gegenüber dem Sozialgericht Hannover konnte das Klageverfahren im Ergebnis für erledigt erklärt werden, so dass kein Urteil ergangen ist.

Anmerkung Rechtsanwalt Klaus Junghans

Der geschilderte Sachverhalt ist nicht untypisch für die Verwaltungspraxis von Berufsgenossenschaften nach Krebserkrankungen. Während die BG hier zunächst über fünf Jahre eine Erkranktenrente nach MdE 80 zahlte, wurde die Weitergewährung nach diesem Zeitraum überprüft, was zunächst nachvollziehbar und legitim ist.

Der mit der Einschätzung von der BG beauftragte Gutachter kam allerdings zu dem Ergebnis, dass auch über den Fünfjahreszeitraum hinaus weiter eine MdE i.H.v. 30 vorliegt, was bedeutete, dass die BG die Erkranktenrente i.H.v. 30% auf Dauer weiterleisten musste. Dieses Ergebnis wollte man nicht akzeptieren, so dass kurze Zeit später ein weiterer Gutachter beauftragt wurde, welcher unserem Mandanten schließlich Simulation unterstellte.

Dieses Ergebnis konnte letztlich nur durch ein fast drei Jahre währendes Sozialgerichtsverfahren korrigiert werden. Der Klageweg wäre u.U. vermeidbar gewesen, wenn der Mandant früher unsere anwaltliche Unterstützung in Anspruch genommen hätte. Die BG hatte den Mandanten hier gegen seinen eigentlichen Willen „überredet“, einer dreiwöchigen Heilverlaufskontrolle in einer von ihr bestimmten Rehabilitationseinrichtung zuzustimmen. Der Aufenthalt diente letztendlich nur dazu, dem in dieser Einrichtung tätigen „Gutachter“ die Datengrundlage für seine Begutachtung zu liefern, welche schließlich im Simulationsvorwurf gegen unseren Mandanten gipfelte. Einem derartigen Verfahren hätten wir so nicht zugestimmt. Wenn die BG bereits nach einem Jahr eine weitere gutachterliche Prüfung der gewährten Dauerrente beabsichtigt, hätte das dafür erforderliche Verfahren nach § 200 SGB VII eingehalten werden müssen. Zu einer  Begutachtung durch einen  von der BG beauftragten Behandler wäre es insofern nicht gekommen.

 

 


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