Newsdetail

LG Aachen: AchenMüchener BU-Versicherung kann einen selbständigen Malermeister, welcher gleichzeitig eingetragener Direktor einer „Ltd.“ nach britischem Recht ist, nicht auf die theoretische Tätigkeit als „Vorstand“ verweisen.

Urteil LG Aachen v. 28.08.2009, Az. 9 O 395/07 (Rechtskräftig seit 30.06.2010 - Zurücknahme der Berufung nach Hinweisbeschluss des OLG Köln)

Unser Mandant unterhält bei der AachenMünchner Lebensversicherung zwei Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen aus denen er Ansprüche geltend macht.

Er  ist von Beruf Malermeister und Lackierer und gleichzeitig Geschäftsführer des Unternehmens "NN Malermeister Ltd.", welches Maler-, Tapezier-, Bodenbelag-, Trockenbau-, Innen- und Außenputzarbeiten erbringt und auf Altbausanierung spezialisiert ist. Der Betrieb genoss wegen der Persönlichkeit, der Qualifikation und der Arbeitsleistung des Klägers einen sehr guten Ruf.

Seit September 2006 spürte unser Mandant Schmerzen in der Wirbelsäule mit Ausstrahlung ins linke Bein. Eine kernspintomographische Untersuchung im November 2006 ergab zwei Bandscheibenvorfälle im Lendenwirbelsäulenbereich mit Nervenwurzelkontakt.

Vor September 2006 beschäftigte der Betrieb unseres Mandanten eine Auszubildende, nach September 2006 zwei weitere Auszubildende sowie wechselnde Subunternehmer und Leiharbeiter. Sein Betrieb erzielte im Dezember 2006 ein Betriebsergebnis von 12.979,23 Euro. Das Betriebsergebnis für das Geschäftsjahr 2006 betrug 8.272,16 Euro. Im Juli 2007 wurde ein Betriebsergebnis in Höhe von minus 3.875,45 Euro erzielt. Das Betriebsergebnis für das erste Halbjahr des Geschäftsjahres 2007 betrug minus 22.547,73 Euro.

Unser Mandant machte geltend, seit dem 18.09.2006 dauerhaft nicht mehr in der Lage zu sein, seinen Beruf als selbständiger Maler und Lackierer zu mindestens 50 % auszuüben. Er behauptet, er habe in gesunden Tagen in dem Betrieb weitgehend handwerkliche Tätigkeiten verrichtet. Er behauptet weiter, die Betriebsumorganisation durch seinen Ausfall bei der handwerklichen Tätigkeit und durch die Beschäftigung von Leiharbeitern habe zum Einbruch der Betriebsausgaben geführt. Der Kläger ist der Ansicht, eine weitergehende als die bisher geschehene Betriebsumorganisation sei ihm nicht zumutbar.

Die AachenMünchener Lebensversicherung, welche die Ansprüche unseres Mandanten abgelehnt hatte behauptete im Prozess weiter, sein gesundheitliches Restleistungsvermögen reiche aus, um den Betrieb fortzuführen. Sie behauptete weiter, dass bereits eine erfolgreiche Umorganisation vorliege, diese aber dem Kläger zumindest möglich und zumutbar sei. Die AachenMünchener war darüber hinaus der Ansicht, dass für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit die Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer der Gesellschaft und nicht seine handwerkliche Tätigkeit maßgeblich sei.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist in vollem Umfange begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Auszahlung der begehrten Rentenleistungen aus beiden bei der Beklagten abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherungen sowie auf Befreiung von der jeweiligen Beitragszahlungspflicht.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger berufsunfähig ist.

a)     Für die Bestimmung der Berufsunfähigkeit kommt es auf die vom Kläger zuletzt tatsächlich ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung an. Entscheidend sind ständiger Rechtsprechung nicht die zu dem Berufsbild im Allgemeinen gehörenden Tätigkeiten oder Ausschnitte daraus, sondern die konkret ausgeübte Tätigkeit. Dabei kann auch innerhalb einzelner Berufsbilder zu differenzieren sein (Prölss/Martin, WG, 27. Aufl., § 2 BUZ Rn. 9 f.). Maßgeblich ist deshalb nicht die rechtliche Ausgestaltung der Anstellung als Geschäftsführer der Gesellschaft, sondern die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Maler und Lackierer.

Insofern gilt für die konkrete Beurteilung des Berufsbilds eines mitarbeitenden Geschäftsführers einer englischen Gesellschaft nichts anderes als für einen mitarbeitenden Geschäftsführer einer deutschen Gesellschaft.

Selbst bei Annahme der von der Beklagten in den Schriftsätzen vom 26.07.2009 und 13.08.2009 vorgetragenen Priorität der dienst- und arbeitsvertraglichen Gestaltung gegenüber der tatsächlich und konkret ausgeübten Tätigkeit führt vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Denn faktisch hat der Kläger vor seiner Erkrankung berufliche Leistungen gegenüber der Gesellschaft erbracht, die dem Anforderungsprofil entsprachen. Diese Tätigkeit stellte keine überobligatorischen Leistungen des Klägers dar, selbst wenn dies im Anstellungsvertrag nicht näher erläutert worden sein sollte. Darüber hinaus steht der Wirksamkeit des Geschäftsführervertrags keine dem § 181 BGB vergleichbare Regelung im englischen Gesellschaftsrecht entgegen (Wächter, NZG 2005, 338, 339).

Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Kläger weit überwiegend handwerkliche Tätigkeiten ausgeübt hat. Der Zeuge Marco Reichert hat überzeugend dargelegt, dass und wie der Kläger mit ihm gemeinsam auf Baustellen bei Trockenbau oder Putzarbeiten gearbeitet habe. Auch die Zeugin Frau Reichert hat detailliert geschildert, dass der Kläger beruflich eine Vielzahl körperlichen Arbeiten vor September 2006 verrichtet hat, so etwa beim Transport von Materialien.

b)    Die Berufsunfähigkeit des Klägers wird durch das fachorthopädische Gutachten Sachverständige Dr. Schwuchow bestätigt. Dieser führt überzeugend und nachvollziehbar aus, dass der Kläger bedingt durch einen Bandscheibenvorfall seinen Beruf als Malermeister mindestens sechs Monate nicht mehr zu mindestens 50 % ausüben kann. Dies führt der Sachverständige darauf zurück, dass dem Kläger aufgrund dessen Schädigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (insbesondere der lumbale Befund mit Nachweis eines subligamentären Discusprolaps im Segment LWK 4/5) Arbeiten mit ständigem oder überwiegenden Tragen, Heben und Bewegen schwerer und mittelschwerer Lasten in häufiger Rumpfzwangshaltung, insbesondere gebückt oder auch mit monoton statischer Belastung, ständig stehend oder ständig sitzend, nicht mehr zumutbar sind. Gerade diese Belastungen bildeten aber einen Schwerpunkt der bisherigen beruflichen Tätigkeit des Klägers als Malermeister und Lackierer.

c)  Der Kläger hat auch nachgewiesen, dass die Tätigkeitsfelder, in denen er mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung in seinem Betrieb noch arbeiten kann, ihm keine Betätigungsmöglichkeiten lassen, die eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen. Die Berücksichtigung der vom Kläger wahrgenommenen Umorganisation steht unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit der nachträglich wahrgenommenen Tätigkeit nach Art, Umfang und sozialer Gleichwertigkeit für den Versicherten.

Die vom Kläger nach seiner Erkrankung im September 2006 ausgeübte Tätigkeit ist in wirtschaftlicher Hinsicht nicht mit derjenigen vergleichbar, die er zuvor ausgeübt hat und sichert ihm nicht seine Lebensstellung.

Dies folgt aus dem Vergleich der Betriebsergebnisse des Betriebs des Klägers im Jahr 2006, im ersten Halbjahr 2007 sowie im Juli 2007. Dabei hat der Betrieb des Klägers im Unterschied zum positiven Betriebsergebnis 2006 von 8.272,16 Euro im ersten Halbjahr 2007 ein negatives Betriebsergebnis von minus 22.547,73 Euro eingebracht. Angesichts der Verschlechterung des Betriebsergebnisses in diesem Umfang geht das Gericht nicht von einer erfolgreichen und zumutbaren Umorganisation des Betriebs des Klägers aus. Eine weitere betriebliche Umorganisation ist dem Kläger angesichts der geringen Größe des Betriebs von mittlerweile drei Auszubildenden und unter dem Eindruck der bereits erfolgten Umorganisation nicht zumutbar. Denn das Berufsbild des Klägers vor dessen Erkrankung war maßgeblich durch seine eigene handwerkliche Tätigkeit bestimmt. Büroarbeiten waren nur in geringem Umfang erforderlich. Bei dieser Betriebsstruktur ist die Verlagerung der Tätigkeit des Klägers allein auf Büroarbeiten nicht zumutbar. Dies zeigt sich auch darin, dass die bereits erfolgte Beschäftigung von Subunternehmern den Ausfall des Klägers im handwerklichen Bereich nicht kompensieren konnte.

d)    Die Anspruchshöhe der garantierten Rente in Höhe von 729,90 ergibt sich aus dem Versicherungsschein sowie aus den Nachträgen zum Versicherungsvertrag, wonach für die Zeit ab September 2006 eine Bonusrente in Höhe von 182,50 Euro vereinbart war.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht

Der vorgestellte Sachverhalt erscheint zunächst nicht besonders spektakulär. Letztlich begründete die AachenMünchener – Berufsunfähigkeitsversicherung die Ablehnung des Leistungsantrages unseres Mandanten mit einem von ihr bei dem Gutachteninstitut  „Expertise“ in  Riegelsberg beauftragten „Gutachten“ eines gewissen Herrn Dr. Peter Lanta. Dieser bezeichnet sich selbst u.a. als „Facharzt für Anatomie“ obwohl eine derartige Facharztbezeichnung in Deutschland nicht existiert. Das Gefälligkeitsgutachten des Herrn Dr. Lanta, welcher unserem Mandanten letztlich eine „neurotische Fehlhaltung“ unterstellte und behauptete, dass dieser keinerlei körperliche Einschränkungen habe, hatte vor Gericht erwartungsgemäß  keinerlei Bestand und wurde durch den gerichtlichen Gutachter auf der ganzen Linie widerlegt – soweit, wie gesagt, eher ein typischer Prozessverlauf nach Ablehnung durch die BU-Versicherung.

Interessant und deswegen berichtenswert war der Versuch der AachenMünchner Berufsunfähigkeitsversicherung, unseren Mandanten im Prozess auf das theoretische Berufsbild eines "Vorstandes einer Gesellschaft britischen Rechts", der sog. Ltd. zu verweisen. Dabei ist zu beachten, dass vor Einführung der sog. Unternehmergesellschaft (UG) im Jahre 2008 viele deutsche Kleinunternehmer, welche die Stammkapitalkosten der GmbH i.H.v. € 25.000 nicht aufbringen konnten, gleichwohl aber die Vorteile eine Haftungsbeschränkung in Anspruch nehmen wollten, auf die sog. „Ltd.“ nach britischem Recht auswichen. Dabei handelte es sich um eine, nach europäischem Recht zulässige, formaljuristische Eintragung in das britische Handelsregister, von der nach Einführung der „Mini-GmbH“ (UG) im deutschen Recht ab 2008 kaum noch Gebrauch gemacht wird.

Als geradezu abenteuerlich und zugleich zynisch muss Vortrag der AachenMünchener bezeichnet werden, unser Mandant müsse sich insofern auf die Tätigkeit eines „Ltd.-Directors“ also eines registerrechtlich eingetragenen Vorstands einer britischen Aktiengesellschaft verweisen lassen. Der Prozessbevollmächtigte der AachenMünchner trug u.a. folgendes vor:

„Bestritten wird, dass der Kläger aufgrund der von ihm behaupteten Gesundheitsschäden im Bereich der Lendenwirbelsäule nicht in der Lage sein soll, sitzende Bürotätigkeiten in Zwangshaltungen auszuüben, ohne mindestens zu 50% berufsunfähig zu sein. Auf dem lederbezogenen schwarzen ‚Chefsessel‘ unterliegt der dort residierende ‚Chef‘ der ‚Ltd.‘ regelmäßig keinen Zwangshaltungen, so auch nicht der Kläger, der alle Bürotätigkeiten vollschichtig ohne gesundheitliche Einbußen ausüben kann.“

Gegen das Urteil des LG Aachen erhob die AachenMünchener Lebensversicherung Berufung beim Oberlandesgericht Köln, welches durch Hinweisbeschluss vom 23.04.2010 klarstellte, dass es dem Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg zumisst, da das Landgericht Aachen unserer Klage zu Recht stattgegeben hat. Mit Schreiben v. 28.06.2010 nahm die AachenMünchner Lebensversicherung schließlich die Berufung zurück, worauf die Entscheidung des LG Aachen durch Beschluss des OLG Köln rechtskräftig wurde.


Seite drucken