Newsdetail

LG Neuruppin: Rücktritt der AachenMünchener Lebensversicherung ist unwirksam. Die BU-Versicherung konnte die behauptete arglistige Täuschung nicht beweisen und wird zur Zahlung der vertraglichen BU-Rente verurteilt.

LG Neuruppin, Urteil v. 1.12.2011, Az. 1 O 79/10

Tatbestand

Der am 5. Februar 1973 geborene Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch. Zur Vorbereitung des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Beklagten beantwortete der Kläger am 22. Juni 2005 in einem Fragebogen Fragen nach einer bestehenden HIV-Infektion, nach Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen wegen im Einzelnenn aufgeführter Krankheiten, Beschwerden oder Störungen in den letzten fünf Jahren, nach nicht behandelten, im Einzelnen aufgeführten gesundheitlichen Beschwerden oder Störungen in den letzten zwölf Monaten, nach geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen und nach dem Bezug einer aus gesundheitlichen Gründen gezahlten Rente oder Pension sowie nach einer Schwerbehinderung mit „nein“.

Daraufhin schlossen die Parteien auf den Antrag des Klägers vom 22. Juni 2005 ausweislich des Versicherungsscheins eine am 1. Juli 2005 beginnende Berufsunfähigkeitsversicherung, der die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Berufsunfähigkeits-Versicherung“ zugrunde liegen. Versicherungsablauf sollte am 30. Juni 2031 sein. Im Versicherungsfall sollte eine monatlich zu zahlende Rente von 700,00 € geschuldet sein; der vom Kläger monatlich zu zahlende Versicherungsbeitrag beläuft sich auf 57,91 €. Ebenfalls vereinbart war eine gemäß § 4 Abs. 6 BUV bei laufender Berufsunfähigkeitsrente jährlich zu berechnende und zuzuteilende Überschussanteilszahlung.

Der Kläger war als Polizeihauptmeister im Dienst des Landes Berlin beschäftigt. Seit 2003 war er als Einsatzbeamter im Schichtdienst auf dem Polizeiabschnitt 36 im Wedding tätig. Im Dienst wurde er im Jahre 2004 von mehreren Tätern in einem U-Bahnhof in Berlin durch Schläge und Steinwürfe verletzt, wodurch er eine Schädelprellung erlitt. Im September 2006 stellte er sich in der Praxis des Facharztes für psychotherapeutische Medizin Dr. D. vor, der eine posttraumatische Belastungsstörung mit verzögertem Beginn (DSM IV TR 309.81) und eine andauernde Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung (DSM IV TR 301.9) diagnostizierte, die auf die Erlebnisse des Klägers in dem Berliner U-Bahnhof im Jahre 2004 zurückzuführen seien. Mit Bescheid vom 28. Januar 2010 versetzte der Polizeipräsident den Kläger mit Ablauf des 28. Februar 2010 in den Ruhestand. Der Kläger übt auch keine sonstige Tätigkeit aus.

Nachdem der Kläger Ansprüche auf Versicherungsleistungen bei der Beklagten geltend gemacht hatte, ließ diese sich vom Kläger eine auf den 13. März 2007 datierte Erklärung über die „ausdrückliche Entbindung von der Schweigepflicht“ erteilen und holte bei dem den Kläger in der Zeit von Juli 2003 bis März 2006 behandelnden Arzt Dr. M. Informationen über den Gesundheitszustand ein. Mit Schreiben vom 18. Mai 2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie wegen unrichtiger Angaben zu seinem Gesundheitszustand in dem Antrag auf Abschluss der Versicherung vom 22. Juni 2005 vom Vertrag zurücktrete und keine Leistungen erbringen werde. Denn der Kläger sei von dem Zeugen Dr. M. im Juli 2003 wegen Kopfschmerzen, innerer Unruhe und psychischer Probleme, latenter beziehungsweise subdepressiver Grundstimmung und im November 2004 wegen depressiven Syndroms behandelt worden.

Der Kläger bestreitet, unrichtige Angaben insoweit gemacht zu haben, als er ärztliche Behandlungen im Juli 2003 „wegen Kopfschmerzen, innerer Unruhe und psychischer Probleme, latenter bzw. subdepressiver Grundstimmung“ und im November 2004 „wegen depressiven Syndroms“ verschwiegen habe. Richtig sei ausweislich der ärztlichen Stellungnahmen und Bescheinigungen vom 11. Juni 2007 und 7. Dezember 2007 vielmehr, dass er im Juli 2003 wegen Oberbauchschmerzen und im November 2004 wegen einer Erkältung und einer Bindehautentzündung behandelt worden sei. Von der „differentialdiagnostischen Interpretation“ des Dr. M., der mit Schreiben vom 11. Juni 2007 die Oberbauchbeschwerden als Symptom eventuell vorhandener psychischer Probleme beschreibt, sei er, wie sich dem Schreiben entnehmen lasse, nicht in Kenntnis gesetzt worden. Darüber hinaus habe er dem Zeugen J., einem Versicherungsvertreter der Beklagten, bei dem Antragsgespräch auf Abschluss des Versicherungsvertrages am 22. Juni 2005 auch mitgeteilt, dass er in den letzten fünf Jahren hin und wieder krank gewesen sei, sich aber nicht konkret erinnern könne, da es sich um nichts „Dramatisches“ oder „Chronisches“ gehandelt habe. Hierauf habe der Zeuge J. geäußert, dass - sofern der Kläger an keiner schweren oder chronischen Erkrankung gelitten habe - die Frage nach Erkrankungen während der letzten fünf Jahre unbesorgt mit „nein“ beantworten werden könne.

Vorsorglich bestreitet der Kläger, dass die Beklagte den Rücktritt rechtzeitig erklärt hat und dass nicht in das Antragsformular aufgenommene Gesundheitsumstände Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten haben. Ferner meint er, es bestehe ein Verwertungsverbot für die von der Beklagten eingeholten Informationen über seinen Gesundheitszustand, weil er die Erklärungen über die Entbindung der Ärzte von ihrer Schweigepflicht wirksam angefochten habe.

Insgesamt meint der Kläger, dass ihm seit September 2006 die monatliche Rente aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung zustehe und behauptet hierzu, dass er im Jahre 2006 wegen des Vorfalls auf dem U-Bahnhof im Jahre 2004 an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn und andauernder Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung erkrankt sei und deshalb seit Ende August 2006 bedingungsgemäß berufsunfähig sei.

 

Die Beklagte meint, dass sie wirksam von dem Versicherungsvertrag zurückgetreten sei. Hierzu behauptet sie, der Kläger habe gefahrerhebliche bestehende Erkrankungen verschwiegen.

Eine im Zeitpunkt der Antragsstellung seit zwei Jahren bestehende psychische Erkrankung oder psychische Beschwerden seien ohne weiteres gefahrerheblich. Das Schreiben des Dr. M. vom 11. Juni 2007 sei eine „Gefälligkeitsbescheinigung“. Zudem habe der Kläger auch unrichtige Angaben zu ärztlichen Behandlungen gemacht. Deshalb sei der Rücktritt auch deshalb berechtigt, weil der Kläger Oberbauchbeschwerden, Kopfschmerzen und Bindehautentzündung nicht angegeben habe. Ferner bestreitet sie, dass der Kläger berufsunfähig im Sinne der dem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen ist. Den von ihr mit Schreiben vom 18. Mai 2007 erklärten Rücktritt vom Vertrag hält sie - unter Hinweis auf die erst am 28. April 2007 erteilte Auskunft des Dr. M. für fristwahrend.

Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 3. Juni 2010 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dr. M, der Ehefrau des Klägers und des Versicherungsvertreters J.

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21. April 2011 Bezug genommen. Ferner hat das Gericht gemäß Beschluss vom 6. Mai 2011 Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen  Dr. Wolf-Dieter Lerch vom 11. August 2011 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg.

I. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung von 28.800,58 €, nämlich die vom 1.

September 2006 bis zum 1. Oktober 2009 nicht ausgezahlte monatliche Rente von jeweils 700,- € und die von dem Kläger während dieser Zeit gezahlten monatlichen Beiträge von jeweils 57,91 €, verlangen.

1. Der Versicherungsvertrag ist wirksam und insbesondere durch den Rücktritt der Beklagten nicht beendet worden. Einzig in Betracht kommt vorliegend ein Rücktritt infolge Verschweigens gefahrerheblicher Umstände bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen durch den Kläger gemäß § 16 Abs. 1 VVG a.F. Die Beweislast für eine Obliegenheitsverletzung durch unzutreffende Beantwortung von Gesundheitsfragen liegt stets beim Versicherer (vgl. BGH, Urteil vom 23.5.1989 - IV a 72/88, NJW 1989, 2060). Das Vorliegen einer derartigen Obliegenheitsverletzung des Klägers konnte die Beklagte nicht beweisen. Denn weder aus der Vernehmung des Zeugen Dr. M. noch aus der Vernehmung des Zeugen J. noch aus der Vernehmung der Zeugin G. folgt, dass der Kläger bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen am 22. Juni 2005 gefahrerhebliche Umstände verschwiegen hat.

2. Im Hinblick auf die von der Beklagten behaupteten und als Rücktrittsgrund genannten psychischen Beschwerden des Klägers bereits bei Vertragsabschluss konnte die Beklagte keine unrichtige Beantwortung der Gesundheitsfragen beweisen. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Kläger bei Vertragsschluss im Juni 2005 Kenntnis von gefahrerheblichen psychische Beschwerden hatte. Diesen Beweis konnte die Beklagte nicht führen.

a) Der Zeuge Dr. M., der behandelnde Arzt des Klägers, konnte sich nicht mehr erinnern, ob er den Kläger bei dessen erstmaliger Vorstellung im Juli 2003 in seiner Praxis auch auf psychische Ursachen der von dem Kläger geschilderten Symptome Kopfschmerzen, Unruhe und Oberbauchbeschwerden angesprochen hat. Gleichzeitig konnte der Zeuge einen plausiblen Grund nennen, weshalb bei dem Erstbesuch psychische Probleme als Ursache dieser körperlichen Symptome zunächst von ihm nicht angesprochen worden sein könnten. Der Zeuge Dr. M. hat insoweit ausgeführt, dass er üblicherweise zunächst die körperlichen Ursachen der Beschwerden weiter abklärt, bevor erörtert wird, ob sie durch psychische Probleme ausgelöst werden. Die Aussage des Zeugen war glaubhaft. Er hat in Einzelheiten über seine Diagnosen berichtet und gleichzeitig ohne weiteres eingeräumt, wenn er sich angesichts des Zeitablaufs an Einzelheiten nicht mehr genau erinnern konnte. Gleichzeitig ist seine Aussage ohne Entlastungstendenzen geblieben. Insbesondere hat der Zeuge deutlich geschildert, dass er nur mutmaßen kann, ob er - oder ob er nicht mit dem Kläger über etwaige psychische Schwierigkeiten gesprochen hat. Damit ist nicht bewiesen, dass der Kläger von bereits bestehenden psychischen Problemen wusste.

Auch hinsichtlich der Behandlung des Klägers bei dem Zeugen Dr. M. im November 2004 konnte die Beklagte nicht beweisen, dass der Kläger wegen eines depressiven Syndroms behandelt worden ist und deshalb Kenntnis angabepflichtiger Umstände hatte. Denn der Zeuge Dr. M. konnte überzeugend bekunden, dass im November 2004 eine Behandlung des Klägers wegen einer Erkältung und später wegen einer Bindehautentzündung erfolgt ist. Auch insoweit war die Aussage glaubhaft. Insbesondere steht der Überzeugung des Gerichts nicht entgegen, dass der Zeuge Dr. M. gegenüber der Beklagten zunächst mitgeteilt hat, dass er den Kläger im November 2004 wegen eines depressiven Syndroms behandelt habe. Denn der Zeuge hat bereits mit Schreiben vom 24. Mai 2007 erklärt, dass diese Angabe auf einem Irrtum beruhe. Vielmehr sei die Behandlung wegen eines depressiven Syndroms im November 2005 erfolgt. Dies hat der Zeuge Dr. M. durch seine Aussage bestätigt. Denn er konnte die Erkältung und die daraus folgende Bindehautentzündung als Grund der Arztbesuche des Klägers im November 2004 bestätigen, ohne dass sich die Gefahr von Entlastungstendenzen in seiner Aussage verwirklicht hat.

b) Die Beklagte konnte auch sonst keine Kenntnis des Klägers von einer psychischen Erkrankung darlegen. Denn auch wenn der Vorfall auf dem U-Bahnhof im Jahre 2004 stattgefunden hat, so folgt daraus typischerweise noch nicht, dass bereits bei Vertragsschluss mit der Beklagten im Jahre 2005 für den Kläger erkennbar war, dass er psychische Beschwerden hat.

Dies folgt aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Lerch. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 11. August 2011 festgestellt, dass der Kläger als Folge der Geschehnisse in dem U-Bahnhof in Berlin im Jahre 2004 ab dem Jahre 2006 an einer posttraumatischen Belastungsstörung ( PTBS) litt (ICD 10 F 43.1). Eine derartige Belastungsstörung weise gerade als typisches Merkmal auf, dass eine verzögerte Verarbeitung erfolgt und daher auch erst zu einem wie vorliegend späteren Zeitpunkt für den Erkrankten selbst erkennbar ist, dass er an psychischen Beschwerden leidet. Das Gericht folgt dem Sachverständigen, der als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie als Facharzt für Neurologie für Feststellungen zum typischen Ablauf einer posttraumatischen Belastungsstörung besonders geeignet ist. Die Feststellungen des Sachverständigen zum typischen Ablauf einer posttraumatischen Belastungsstörung wurden auch von den Parteien - ebenso wie seine sonstigen Feststellungen nicht angegriffen.

1.1. Auch sonst konnte die Beklagte nicht beweisen, dass der Kläger gefahrerhebliche Umstände verschwiegen hat. Soweit sie hierzu auf die von dem Kläger bei dem Zeugen Dr. M. geschilderten Oberbauchbeschwerden, Bindehautentzündung und Kopfschmerzen Bezug nimmt, konnte sie bereits nicht beweisen, dass der Kläger diese Beschwerden nicht im Sinne des § 16 VVG a.F. angegeben hat.

a)  Dies folgt zwar nicht schon aus den Angaben der Zeugin G.. Denn die Zeugin  hat im Rahmen ihrer Vernehmung insbesondere den Vortrag aus der Klageschrift bestätigt, konnte aber auf konkrete Nachfragen keine weiteren Erinnerungen mehr bekunden.

b)  Allerdings konnte der Zeuge J., der als Versicherungsvertreter der Beklagten bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen durch den Kläger mitgewirkt hat und dessen Angaben der Beklagten daher gemäß §§ 43 Nr. 1 VVG a.F., 166 BGB zuzurechnen sind, nicht mit der erforderlichen Sicherheit die Angaben des Klägers widerlegen, wonach er - der Zeuge J. - dem Kläger mitgeteilt habe, dass bloße Bagatellbeschwerden nicht angegeben werden müssen. Zwar hat der Zeuge J. ausgesagt, dass er ausschließen kann, dass ihm Krankheiten oder Beschwerden mitgeteilt worden sind und er darauf erwidert habe, dass diese nicht angegeben werden müssen. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Zeuge Jarchow auch auf Frage nach bloßen Bagatellerkrankungen geäußert hat, dass diese angegeben werden müssen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Zeuge J. noch konkrete Erinnerungen daran hatte, dass er mit dem Kläger über psychische Beschwerden gesprochen hat, er aber nichts über sonstige Beschwerden zu berichten hatte. Denn der Zeuge J. hat angegeben, dass er im Zusammenhang mit dem Rücktritt der Beklagten im Jahr 2007 noch einmal auf den Vertragsschluss mit dem Kläger angesprochen worden ist. Da der Rücktritt auf psychische Beschwerden gestützt wurde, ist es deshalb naheliegend, dass der Zeuge J. sich noch an Einzelheiten des Gesprächs im Hinblick auf psychische Beschwerden nicht aber an sonstige Einzelheiten des Gesprächs erinnern konnte. Die Beklagte konnte auch nicht beweisen, dass die Oberbauchbeschwerden, Bindehautentzündung und Kopfschmerzen aus Sicht des Klägers mehr als Bagatellbeschwerden sein mussten. Denn der Zeuge Dr. M. hat angegeben, dass die von ihm behandelten Beschwerden Bindehautentzündung und Kopfschmerzen bei dem Kläger als Bagatellbeschwerden anzusehen waren und er mangels weiterer Abklärung der Ursachen der Oberbauchbeschwerden auch keine Anhaltspunkte dafür hatte, ob die Oberbauchbeschwerden mehr als bloße Bagatellbeschwerden waren.

1.2  Da die Beklagte bereits nicht beweisen konnte, dass der Kläger gegen § 16 VVG a.F. verstoßen hat, kann dahinstehen, ob die Oberbauchbeschwerden, Kopfschmerzen und Bindehautentzündung überhaupt gefahrerhebliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift darstellen. Ebenso kann dahinstehen, ob die Beklagte - die ihren Rücktritt jedenfalls nicht auf fehlende Angaben zu Oberbauchbeschwerden und Bindehautentzündung gestützt hat - dennoch auch wegen dieser Erkrankungen zum Rücktritt berechtigt sein kann. Damit kann auch offenbleiben, ob die zum Rücktritt führenden schriftlichen Auskünfte des Zeugen Dr. M. deshalb unverwertbar sind, weil der Kläger seine gegenüber der Beklagten abgegebene Schweigepflichtentbindung wegen arglistiger Täuschung angefochten und ihn lediglich für die Zeugenaussage im Beweisaufnahmetermin am 21. April 2011 von seiner Schweigepflicht entbunden hat. Auch offenbleiben kann, ob der Rücktritt fristgemäß erfolgt ist.

2.  Aus dem damit fortbestehenden Versicherungsvertrag steht dem Kläger der geltend gemachte Zahlungsanspruch für den Zeitraum vom 1. September 2006 bis zum 1. Oktober 2009 in Höhe von insgesamt 28.800,58 € zu.

Denn der insoweit beweisbelastete Kläger konnte beweisen, dass bei ihm seit Ende August 2006 bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 BUV vorliegt. Dies beruht auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Lerch. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 11. August 2011 festgestellt, dass der Kläger als Folge der Geschehnisse in dem U-Bahnhof in Berlin im Jahre 2004 seit dem Jahre 2006 für mindestens 6 Monate deutlich unter 50% nicht in der Lage gewesen ist, den Anforderungen eines Polizeivollzugsbeamten zu genügen. Der Sachverständige hat hierbei eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert (ICD 10 F 43.1). Diese Belastungsstörung habe dazu geführt, dass der Kläger dauerhaft durch deutlich vermindertes Konzentrationsvermögen, verschlechterte Kommunikationsfähigkeit und depressives Eingeengtsein die Anforderungen seines Berufsalltags nicht mehr bewältigen konnte.

Das Gericht folgt den Ausführungen des Sachverständigen. Der Sachverständige ist als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie als Facharzt für Neurologie für die vorliegende Begutachtung besonders qualifiziert. Sein Gutachten ist auch in sich schlüssig und nachvollziehbar. Der Sachverständige ist von zutreffenden Tatsachen ausgegangen und hat die daraus gezogenen Konsequenzen logisch und widerspruchsfrei dargestellt. Die Feststellungen des Sachverständigen wurden auch von den Parteien nicht weiter angegriffen. Soweit die Beklagte die Richtigkeit der dem Gutachten zugrundeliegenden Tätigkeitsbeschreibung des Klägers mit Nichtwissen bestritten hat, ist ihr Bestreiten unbeachtlich. Denn der Beklagten wäre eine Auseinandersetzung mit der Tätigkeitsbeschreibung möglich und zumutbar gewesen. Insbesondere wären der Beklagten nähere Angaben dazu möglich gewesen, welche der von dem Kläger angegeben Tätigkeiten nicht der Tätigkeit eines Polizeihauptmeisters zuzurechnen sein sollen.

Der Kläger übt unbestritten auch keine sonstige Tätigkeit aus, so dass eine Verweisung nach § 1 Abs. 1 S. 2 BUV nicht in Betracht kommt. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286,288 BGB.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht:

Das von uns erstrittene Urteil des Landgericht Neuruppin stellt eine typische Situation im Rahmen des Vertragsschlusses von Berufsunfähigkeitsversicherungen dar. Hier war es der Agenturvertreter der Deutschen Vermögensberatung, einer direkt der AachenMünchener Versicherungs-AG angegliederter Strukturvertrieb, welcher – um den Vertrag beim Kunden zu platzieren und damit seine Provision zu sichern – die Gesundheitsfragen insofern bagatellisierte, als dass nur „schwere“ oder „chronische“ Erkrankungen im Rahmen der Beantwortung der Gesundheitsfragen angegeben werden müssten. Derartige Erklärungen gehören zum Standartprogramm von Versicherungsvertretern, wenn es darum geht, den Vertrag policiert zu bekommen. Im Leistungsfall ist dann das Gegenteil der Fall. Der Versicherungsvertreter kann sich natürlich nicht mehr an seine Aussagen erinnern bzw. will diese nie getätigt haben und die leistungsunwillige BU-Versicherung bauscht selbst kleinste Bagatelleerkrankungen auf und nimmt sie zum Anlass, einen Rücktritt oder die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung zu erklären.

 

Das Landgericht Neuruppin hat das System der AachenMünchener, sich ihrer Leistungspflicht zu entziehen, auf jeder einzelnen Ebene zu Fall gebracht. Darüber hinaus  wurde durch die Zeugenvernehmung des behandelnden Arztes unseres Mandanten klar, dass unserem Mandanten die Diagnose „Depressive Verstimmung“ zum Zeitpunkt der Behandlung nicht bekannt gegeben worden war. 

Dem Patienten nicht bekannt gegebene, aber gegenüber der Krankenversicherung abgerechnete Diagnoseschlüssel führen immer wieder dazu, dass BU-Versicherungen im Rahmen der Antragsprüfung gnadenlos vom Rücktritts- bzw. Anfechtungsrecht Gebrauch machen. Auch wenn es dem Versicherungsnehmer gelingt, den Vorwurf zu entkräften, lassen es die Versicherer häufig trotzdem auf einen Prozess ankommen. So lag der Sachverhalt auch hier. Unser Mandant konnte eine schriftliche Erklärung seines Arztes vorlegen, dass er über die Diagnose „Depressive Verstimmung“ aus therapeutischen Gründen nicht in Kenntnis gesetzt worden war, was die AachenMünchner Berufsunfähigkeitsversicherung jedoch nicht interessierte. Stattdessen ließ man es einmal mehr auf einen Prozess ankommen!


Seite drucken