LG Berlin: BVV zur Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente verurteilt, die Privat-Gutachter Dr. Gabriela Henze und Dr. Marcus Hieber vom IMB – Institut für Interdisziplinäre Begutachtungen - werden durch die gerichtliche Sachverständige widerlegt.
LG Berlin II Urt. v. 15.4.2025 – 2 O 150/22, BeckRS 2025, 19026 Rn. 55, beck-online
Der am ...1963 geborene Kläger nimmt als Mitglied der beiden Beklagten diese aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer 3216306-0 auf Leistung in Anspruch.
Der Kläger wurde zum 1. August 1998 von seinem damaligen Arbeitgeber bei dem Beklagten zu 1) im Tarif B für die betriebliche Altersversorgung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitsversicherung angemeldet. Zum 1. August 1999 wechselte der Arbeitgeber des Klägers den Versorgungsträger der betrieblichen Altersversorgung vom Beklagten zu 1) zum Beklagten zu 2), bei dem die Versorgung nach dem Leistungsplan A erfolgte. Zum 1. Januar 2013 meldete der Arbeitgeber den Kläger bei dem Beklagten zu 2) zusätzlich im Erhöhungstarif Leistungsplan N 2012 Plus an. Im Zeitraum vom 1. März 2013 bis 31. Juli 2013 zahlte der Arbeitgeber keine Beiträge für den Kläger an den Beklagten zu 2). In dieser Zeit machte der Kläger von der freiwilligen Fortführung seiner Versorgung durch eigene Beitragszahlungen an den Beklagten zu 1) Gebrauch, nun allerdings in dessen Tarif DA. Zum 31. Oktober 2013 meldete der Arbeitgeber den Kläger vollständig ab. In dem Zeitraum vom 1. November 2013 bis 31. Mai 2021 führte der Kläger seine Versorgung wiederum durch eigene monatliche Beitragszahlungen in dem Tarif DA des Beklagten zu 1) freiwillig fort.
In den Versicherungsbedingungen der Beklagten zu 2) – Leistungsplan A – heißt es unter § 15:
„(1) Im Falle dauernder Berufsunfähigkeit kann der Anwärter ohne Rücksicht auf das Lebensalter Ruhegeld beantragen. Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.
(2) Ruhegehalt wird auch für den Anwärter gezahlt, der nicht dauernd berufsunfähig, aber während 26 Wochen ununterbrochen berufsunfähig gewesen ist, für die weitere Dauer der Berufsunfähigkeit.“ (S. 31 der Anlage K2)
In den Versicherungsbedingungen der Beklagten zu 1) – Tarif B – heißt es unter § 15:
„(1) Im Falle dauernder Berufsunfähigkeit hat der Versicherte ohne Rücksicht auf das Lebensalter Anspruch auf Ruhegeld. Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.
(2) Ruhegehalt erhält auch der Versicherte, der nicht dauernd berufsunfähig, aber während 26 Wochen ununterbrochen berufsunfähig gewesen ist, für die weitere Dauer der Berufsunfähigkeit.“ (S. 84 der Anlage K2).
In den Versicherungsbedingungen der Beklagten zu 1) – Tarif DA – heißt es unter § 15:
„1) Im Falle von Berufsunfähigkeit hat der Versicherte ohne Rücksicht auf das Lebensalter Anspruch auf Rente. Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.
2) Rente wegen Berufsunfähigkeit kann nicht geltend gemacht werden, wenn Altersrente gemäß § 16 Abs. 2 und 4 gezahlt wird.“ (Anlage B2).
In dem Leistungsplan N Plus der Beklagten zu 2) heißt es unter § 3 und unter § 4 Abs. 3:
„Es gilt der Leistungsplan N in der jeweiligen Fassung soweit in den nachfolgenden Bestimmungen nichts Abweichendes geregelt ist.“
„Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall zu mindestens 50 Prozent voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann und auch keine andere Tätigkeit ausübt, die der bisherigen Lebensstellung entspricht.“ (Anlage B1).
In dem Leistungsplan N heißt es unter § 4 Abs. 1:
„Die VK zahlt eine Altersrente, wenn der Anwärter das 65. Lebensjahr vollendet hat, soweit er kein Erwerbseinkommen mehr bezieht.“
Der Kläger war als gelernter Diplom-Bankkaufmann bis zum 20. Februar 2012 als leitender Kundenberater / Kreditspezialist bei der C. AG angestellt tätig. In der Zeit vom 21. Februar 2012 bis 31. Oktober 2013 war er arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom 1. November 2013 bis 5. März 2015 war er arbeitslos. In der Folgezeit war er durchgehend arbeitsunfähig.
In der Zeit vom 14. Januar 2020 bis 18. Februar 2020 wurde der Kläger stationär in der Brandenburgklinik Berlin-Brandenburg behandelt. In dem ärztlichen Entlassungsbericht vom 2. April 2020 heißt es:
„Diagnosen
1. Kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen (…)
2. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (…)
3. Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst (…)
4. sonstige somatoforme Störungen (…)
5. Benigne essentielle Hypertonie ohne Angabe einer hypertensiven Krise (…) 6. Tinitus, (…)
Sozialmedizinische Epikrise (Begründung der Leistungsbeurteilung)
Die psychische Belastbarkeit sowie die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit des Patienten sind massiv eingeschränkt. Ein wirtschaftlich verwertbares Leistungsvermögen liegt nicht vor. Aus psychosomatischer Sicht besteht aufgehobene Leistungsfähigkeit in der letzten beruflichen Tätigkeit wie auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (unter drei Stunden täglich). Wir entlassen den Patienten als arbeitsunfähig.
4.3 Abschlussbefundung und Rehabilitationsergebnisse
Der Patient konnte vor dem Hintergrund gravierend eingeschränkter psychosozialer Fähigkeiten sowie erheblicher Einschränkungen in der Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit nicht ausreichend von der stationären medizinischen Rehabilitation profitieren. Es ist eine Persistenz der chronifizierten komplexen Symptomatik zu konstatieren. Vor dem Hintergrund struktureller Defizite der Persönlichkeit sind die psychosozialen Kompetenzen und die Krankheitsbewältigungsmöglichkeiten des Patienten nachhaltig eingeschränkt. Auf Grund der längeren klinischen Beobachtung, des Verlaufs und der erhobenen Befunde ist deshalb aus psychosomatischer Sicht die Leistungsfähigkeit des Patienten in der letzten beruflichen Tätigkeit sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgehoben. (…)“.
Wegen des weiteren Inhalts des Entlassungsberichts wird auf die Anlage K7 verwiesen.
In dem als Anlage K3 vorliegenden Rentenbescheid vom 7. September 2020 heißt es: „(…) aufgrund des Vergleichs vom 09.06.2020 erhalten Sie von uns Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Rente beginnt am 01.08.2020. Sie ist befristet und endet mit dem 28.02.2023.“
Mit E-Mail vom 14. September 2020 meldete der Kläger bei den Beklagten unter Zusendung einer Kopie des Rentenbescheides vom 7. September 2020 Ansprüche an und bat um Übersendung der Formulare für die Beantragung einer Berufsunfähigkeitsrente. Am 3. Dezember 2020 füllte der Kläger einen „Fragebogen zum Antrag einer Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsminderungsrente“ (Anlage K4) aus. Mit Schreiben vom 7. September 2021 lehnten die Beklagten die vom Kläger begehrten Leistungen ab, nachdem sie ihn zuvor beim Institut für Interdisziplinäre Medizinische Begutachtungen (IMB) untersuchen ließen. Als Gutachter kamen Frau Dr. Gabriela Henze und der Psychologe Dr. phil. Marcus Hieber zum Einsatz. die zu dem Ergebnis gelangten, es seien „keine gravierenden Funktionseinbußen, die die benannten Tätigkeiten (…) gravierend einschränken würden“ festzustellen (Anlage B3, S. 27, Ziffer 9) / es sei „unwahrscheinlich, dass Herr L. die Beeinträchtigungen in der jeweils präsentierten Ausprägung tatsächlich aufweist.“ (Anlage B4, S. 19, V. 1.).
In dem Rentenbescheid vom 6. Februar 2023 heißt es: „(…) Ihre mit Bescheid vom 07.09.2020 gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung wird als Dauerrente weitergewährt. Der Anspruch besteht längstens bis zum 31.01.2030. Das ist das Ende des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wird.“ (Anlage K12).
Der Kläger behauptet, er sei seit August 2020 berufsunfähig (Bl. 72 d. A.). Er leide seit 2014 insbesondere unter einer rezidivierenden depressiven Störung, unter einer Panikstörung sowie unter sonstigen somatoformen Störungen. Seit 2020 leide er unter weiteren Erkrankungen, insbesondere bestünden seit 2020 auch Persönlichkeitsstörungen. Er sei spätestens seit April 2020 infolge der Erkrankungen zu mehr als 50% außerstande, seine zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit als leitender Kundenberater / Kreditspezialist sowie auch eine andere seiner Vorbildung als Diplom-Bankkaufmann und bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten zu 1) und 2) zu verurteilen, an ihn insgesamt 13.426,20 € brutto, hiervon die Beklagte zu 1) 5.018,80 € (20 Monate je 250,94 € von 09/20 – 04/22) sowie die Beklagte zu 2) 8.407,40 € brutto (20 Monate je 420,37 € von 09/20 – 04/22) zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf insgesamt 8.727,03 € brutto, hiervon die Beklagte zu 1) auf 3.262,22 € sowie die Beklagte zu 2) auf 5.464,81 € (09/20 – 09/21 = 13 Monate) ab dem 07.09.2021 sowie auf jeweils weitere 250,94 € (Beklagte zu 1) sowie 420,37 € (Beklagte zu 2) ab dem 04.10., 04.11., 04.12.2021, 04.01., 04.02., 04.03., 04.04.2022.
2. die Beklagten zu verurteilen, an ihn aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versichertennummer ...0 beginnend ab Mai 2022 bis längstens zum Eintritt des gesetzlichen Rentenalters bis zum 3. Werktag eines jeden Monats im Voraus eine Gesamt-Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von jeweils 671,31 €, hiervon die Beklagte zu 1) 250,94 € sowie die Beklagte zu 2) 420,37 € zu zahlen im Verzugsfall zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf und zwar jeweils ab dem dritten Werktag eines jeden Monats folgenden Tag.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten bestreiten die von dem Kläger dargestellten üblichen Tätigkeiten als Kreditspezialist in einer Bank mit Nichtwissen. Zudem bestreiten sie insbesondere die medizinische Komponente der behaupteten Berufsunfähigkeit und nehmen insoweit Bezug auf die Ausführungen der vorprozessual eingeholten Gutachten, die sie als Anlagen B3 und B4 eingereicht haben.
Mit Beschluss vom 14. Juli 2023 (Bl. 87 ff. d. A.) in der Fassung des Beschlusses vom 7. September 2023 (Bl. 97 d. A.) hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Gutachtens der medizinischen Sachverständigen Dr. G2. P., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie, die in der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2025 persönlich angehört worden ist. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 22. April 2024 sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 28. Januar 2025 (Bl. 188 ff. d. A.) verwiesen. Mit Beschluss vom 28. Januar 2025 hat das Gericht zudem auch Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen G.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das vorgenannte Sitzungsprotokoll (Bl. 185 ff. d. A.) verwiesen.
Wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Versicherer gem. § 172 Abs. 1 VVG verpflichtet, für eine nach Beginn der Versicherung eingetretene Berufsunfähigkeit die vereinbarten Leistungen zu erbringen.
aa) Als Versicherungsnehmer obliegt dem Kläger nach allgemeinen Grundsätzen der Beweis der anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit (BGH, Urteil vom 05.07.1995 – IV ZR 196/94, r+s 1996, 374, beck-online; OLG Nürnberg Hinweisbeschluss v. 21.5.2024 – 8 U 177/24, BeckRS 2024, 32562, Rn. 9, beck-online). Der Kläger hat nachzuweisen, dass er durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte voraussichtlich dauerhaft zu mehr als 50% unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben. Für die Prüfung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist, ist grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend, so wie sie „in gesunden Tagen“ ausgestaltet war, als die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht eingeschränkt war (BGH, Urteil vom 14.12.2016 – IV ZR 527/15, NJW 2017, 1620 Rn. 23, beck-online). Dem Kläger obliegt auch die Darlegungs- und Beweislast für seine letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war (Prölss/Martin/Lücke, 32. Aufl. 2024, VVG § 172 Rn. 55, beck-online). Im Rahmen der Ermittlung des Berufsunfähigkeitsbeginns (wann also erstmals ein solcher Zustand gegeben war, der nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Erwartungen mehr auf eine Besserung rechtfertigte) ist eine rückschauende Prognose anzustellen. Die Leistungspflicht des Versicherers setzt erst zu dem Zeitpunkt ein, zu dem eine derartige Prognose erstmals gestellt werden kann (BeckOK VVG/Marlow, 26. Ed. 27.1.2025, VVG § 172 Rn. 47, beck-online). Es gilt das Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO. Für den Beweis im Sinne dieser Norm ist die volle richterliche Überzeugung im Sinne eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit erforderlich, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 06.05.2015 – VIII ZR 161/14; BGH, Urteil vom 18.06.1998 – IX ZR 311/95; Bacher, in: BeckOK, ZPO § 286, Rn. 2-4a, beck-online).
bb) Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht das vom Kläger substantiiert dargelegte Tätigkeitsbild zur Überzeugung des Gerichts fest. Der Zeuge F2. G3. hat die für die medizinische Bewertung maßgeblichen Tätigkeiten und Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Klägers zur Überzeugung des Gerichts bestätigt. So hat er insbesondere auch angegeben, dass es einen geregelten Tagesablauf nicht gegeben habe, sondern die Gestaltung des Arbeitstages je nach Qualität der Anfragen variierte (S. 2 des Sitzungsprotokolls). Der Kläger habe zunächst seine E-Mails gelesen, Telefonate geführt, die sehr umfangreichen Anlagen der E-Mails gesichtet, eine Vorprüfung vorgenommen, dann hätten sie gemeinsam beraten, welchem Fall sie sich intensiver widmen wollen und am Nachmittag habe der Kläger dann Kontakt zu den Zuführern, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern aufgenommen und ihnen aufgelistet, welche weiteren Dokumente noch benötigt werden, um eine Kreditvergabe prüfen zu können (S. 2 des Sitzungsprotokolls). Auch habe der Kläger in hohem Umfang (ca. alle 14 Tage) Reisen durch die gesamte Republik unternehmen müssen, um Objekte noch vor dem Gutachter zu sichten. In der Regel habe die Vorlaufzeit 10 Tage betragen, teilweise aber auch nur 2 Tage (S. 3 des Sitzungsprotokolls). Die Angaben des glaubwürdigen Zeugen waren glaubhaft. Da der Zeuge mit dem Kläger in dem Zeitraum von 2009 bis zum 31. Dezember 2011 in einem Büro zusammengearbeitet hat (S. 4 des Sitzungsprotokolls), der Zeuge die Fälle gemeinsam mit dem Kläger beraten hat (S. 2 des Sitzungsprotokolls) und auch gemeinsam mit ihm zu den zu besichtigenden Objekten gereist ist (S. 3 des Sitzungsprotokolls), war der Zeuge aufgrund eigener Wahrnehmung in der Lage, die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit des Klägers zu beschreiben. Der Zeuge, der nach eigenen Angaben ca. 3 Monate vor dem Termin keinen Kontakt mehr zu dem Kläger hatte (S. 4 des Sitzungsprotokolls), hat keinerlei Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens. Seine in sich widerspruchsfreien und plausiblen Angaben stimmen auch mit den Angaben des Klägers überein. Der Zeuge hat ausführlich ausgesagt und dabei auch für die Beantwortung der eigentlichen Beweisfragen irrelevante Angaben gemacht, was für seine Glaubwürdigkeit spricht.
cc) Auf der Grundlage dieses Tätigkeitsbildes war der Kläger seit dem 2. April 2020 voraussichtlich dauerhaft zu mehr als 50% daran gehindert, seine Tätigkeit als leitender Kundenberater und Kreditspezialist bei der C. AG auszuüben (S. 25 des SVGA, S. 7 des Sitzungsprotokolls). Auch an der Ausübung einer seiner Vorbildung und seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit entsprechenden anderweitigen Beschäftigung war er seit dem 2. April 2020 voraussichtlich auf Dauer in dem gleichen Umfang gehindert (S. 38 SVGA, S. 7 des Sitzungsprotokolls). Das Gericht folgt nach eigener Prüfung insoweit den überzeugenden und in sich schlüssigen Ausführungen der für die Beantwortung der maßgeblichen Beweisfragen kompetenten Sachverständigen Dr. P., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie.
Dazu im Einzelnen:
Erkrankungen
Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger mindestens seit 2014 an einer Dysthymie leidet (S. 20 – 22 SVGA), belegbar seit 2020 an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften und abhängigen Anteilen leidet (S. 22 SVGA, S. 8 des Sitzungsprotokolls), mindestens seit 2014 an einer Panikstörung leidet (S. 22 – 24 SVGA) und dass eine somatoforme Störung des unteren Gastrointestinaltraktes besteht (S. 24 SVGA).
Eine Dysthymie liegt bei dem Kläger vor aufgrund der wiederkehrenden depressiven Phasen über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren, die jedoch (zumindest weit überwiegend) nicht so schwer sind und nicht so lange andauern, als dass sie die Kriterien einer rezidivierenden leichten depressiven Störung erfüllen würden. Zusätzlich sollten während einiger Perioden mindestens 3 weitere Symptome (der insgesamt 11 auf S. 21 des Sachverständigengutachtens unter lit. C. genannten Symptome) vorliegen. Bei dem Kläger liegen 5 der dort genannten Symptome vor, namentlich verminderte Aktivität, Schlaflosigkeit, Verlust des Selbstvertrauens, Konzentrationsschwierigkeiten und Grübeln über die Vergangenheit.
Bei dem Kläger liegt zudem eine kombinierte Persönlichkeitsstörung bestehend aus zwanghaften und abhängigen Persönlichkeitsanteilen vor. Bei den zwanghaften Anteilen der Persönlichkeitsstörung handelt es sich um übermäßige Gewissenhaftigkeit, Skrupelhaftigkeit, Rigidität, Eigensinn und Perfektionismus. Die abhängigen Persönlichkeitsanteile manifestieren sich bei dem Kläger durch die Unterordnung seiner eigenen Bedürfnisse unter die Bedürfnisse anderer Personen, zu denen eine Abhängigkeit besteht sowie durch die mangelnde Bereitschaft des Klägers zur Äußerung selbst angemessener Ansprüche gegenüber Personen, von denen man abhängt sowie der Erlaubnis an andere, die meisten wichtigen Entscheidungen für das eigene Leben zu treffen (S. 22 SVGA).
Eine Panikstörung besteht bei dem Kläger, da er unter nicht vorhersagbaren Panikattacken (Episoden von intensivem Unbehagen, die abrupt beginnen, ca. 20 Minuten lang andauern und mit Herzklopfen, Schweißausbrüchen, Atembeschwerden und Beklemmungsgefühl verbunden sind) leidet (S. 24 SVGA).
Zusätzlich leidet der Kläger unter einer somatoformen Störung des unteren Gastrointestinaltraktes mit vermehrtem Durchfall bei Aufregung und Anspannung (S. 24 SVGA).
Die Sachverständige hat die Diagnosen jeweils – auch für den medizinischen Laien – verständlich erläutert und nachvollziehbar begründet, dass diese bei dem Kläger vorliegen. Die Sachverständige hat für die Diagnosestellung alle vorhandenen medizinischen Vorbefunde gründlich ausgewertet und berücksichtigt (S. 41 f. SVGA). Sie stellt im Wesentlichen die gleichen Diagnosen wie die Ärzte, die den Kläger in der Zeit vom 14. Januar 2020 bis zum 18. Februar 2020 stationär in der Brandenburgklinik Berlin-Brandenburg behandelt haben (vgl. ärztlicher Entlassungsbericht vom 2. April 2020). Die Sachverständige hat sich zudem auch mit den Feststellungen und Ergebnissen der von den Beklagten eingeholten Gutachten auseinandergesetzt (S. 38 – 40 SVGA). Zudem hat sie auch selbst ein ausführliches Anamnesegespräch mit dem Kläger geführt (S. 2 – 14 SVGA). Die Angaben, die der Kläger im Rahmen des Anamnesegesprächs gemacht hat, stimmen inhaltlich mit den Feststellungen der Sachverständigen überein. Auch die Art und Weise der Schilderungen des Klägers sowie die Begleitumstände des Gesprächs, die die Sachverständige in dem Gutachten fixiert hat, ermöglichen es dem Leser, nachzuvollziehen, wie die Sachverständige zu ihrem Ergebnis gelangt ist. So merkt sie in dem Gutachten an: „berichtet langsam und bedächtig“ (S. 6 SVGA), „Er fragt nach 80 Minuten nach einer Pause.“ (S. 7 SVGA), „weint“ (S. 8 SVGA), „berichtet verlangsamt“ (S. 9 SVGA), „lacht zum ersten Mal“ (S. 11 SVGA), „berichtet umständlich und ausführlich“ (S. 13 SVGA). Die Sachverständige hat die von dem Kläger genannten Beschwerden auch nicht ungeprüft zugrunde gelegt / übernommen, sondern hat zwei Beschwerdenvalidierungstests durchgeführt (namentlich TOMM (Test Memory Malingering) und SRSI (Self-Report-Symptom Inventory) (S. 18 SVGA)). Entgegen der Einwände der Beklagtenseite sind die Angaben der Sachverständigen zu dem Testverfahren SRSI auch nicht ergänzungsbedürftig: So hat die Sachverständige mitgeteilt, dass der Test 107 Fragen umfasst, die sowohl genuine Beschwerden als auch Pseudobeschwerden abfragen (S. 6 des Sitzungsprotokolls). Wenn maximal 4 Pseudobeschwerden angegeben werden, besteht kein Hinweis auf eine negative Antwortverzerrung zugunsten eines falsch positiven Ergebnisses; bei der Angabe von 7 bis 9 Pseudobeschwerden besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von bedeutsamer Beschwerdeüberhöhung, was eine Fehlerquote von 10% zu Gunsten eines falsch positiven Ergebnisses darstellt; der Kläger hat 8 Pseudobeschwerden angegeben (S. 6 des Sitzungsprotokolls). Dass die Sachverständige im Termin auf Nachfrage der Beklagtenseite nicht angeben konnte, wie viele der 107 Fragen insgesamt Pseudobeschwerden betreffen, ist unerheblich. Denn entscheidend ist, wie viele der 107 Fragen so beantwortet werden, dass Pseudobeschwerden bejaht werden – unabhängig davon, wie viele der 107 Fragen Pseudobeschwerden betreffen (S. 6 des Sitzungsprotokolls). Die Sachverständige gelangt aufgrund einer Gesamtbetrachtung / aufgrund des Gesamtbildes schlüssig zu dem Ergebnis, dass keine negative Antworttendenz besteht (S. 16 SVGA). Erst recht besteht kein Nachweis einer Simulation oder Aggravation, jedoch eine Verdeutlichungstendenz (S. 17 SVGA), die die Sachverständige im Rahmen ihrer Diagnosestellung berücksichtigt hat. Auch den Umstand, dass der Kläger nur alle drei Monate Behandlungstermine (ambulante psychiatrische Behandlung) hat (S. 10 SVGA), hat die Sachverständige bei der Gutachtenerstellung berücksichtigt. Es bestehen keine Diskrepanzen zwischen den geschilderten Beschwerden und der Intensität der Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe (S. 17 SVGA). Das Behandlungsintervall spricht zwar gegen akut bedeutsame Symptome und gegen eine rezidivierende Erkrankung (S. 8 des Sitzungsprotokolls), es liegt jedoch ein – unter Berücksichtigung des stetig abnehmenden Leidensdrucks infolge der Möglichkeit, seinen Tag so zu gestalten, wie es für ihn angenehm ist (da der Kläger nicht arbeitet) – angemessenes Behandlungsintervall vor (S. 8 des Sitzungsprotokolls).
Krankheitsbedingte Einschränkungen
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht auch davon überzeugt, dass die Berufsfähigkeit des Klägers aufgrund der vorgenannten Erkrankungen (siehe lit. aaa)) um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist. Der Kläger ist nach den Ausführungen der Sachverständigen, denen das Gericht nach eigener Prüfung folgt, zu mehr als 50% unfähig, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben.
Aufgrund des bei dem Kläger vorhandenen Krankheitsbildes sind vier Fähigkeiten, die für die Ausübung seiner letzten beruflichen Tätigkeit und einer dieser Tätigkeit entsprechenden Tätigkeit sowie einer seiner Vorbildung entsprechenden Tätigkeit relevant und bedeutsam sind, in besonderem Maße eingeschränkt (S. 25 SVGA). Bei diesen vier Fähigkeiten handelt es sich namentlich um Flexibilität und Umstellungsfähigkeit (S. 25 SVGA), Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit (S. 26 SVGA), Durchhaltevermögen (S. 26 SVGA) und Selbstbehauptungsfähigkeit (S. 27 SVGA). Aufgrund seines Rigidität, Skrupelhaftigkeit, Denkverlangsamung, seinem verminderten Selbstbewusstsein, der Panikattacken, Bauchbeschwerden mit Diarrhoe und seiner verminderten Stresstoleranz ist der Kläger nur vermindert in der Lage, flexibel auf Veränderungen an die Arbeitsanforderungen zu reagieren (S. 26 SVGA). Diese Flexibilität benötigt er aber, um seine Tätigkeit als Kreditspezialist auszuüben, bei der die Gestaltung des Arbeitstages je nach Qualität der Anfragen variiert, bei der der Kläger verschiedene Objekte an verschiedenen Standorten besichtigen muss und mithin reisen muss und bei der der Kläger mit verschiedenen Ansprechpartnern (Zuführern, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern, Kollegen) kommunizieren muss.
Aufgrund seines verminderten Sebstbewusstseins und -vertrauens, seines verlangsamten Denkens und seiner Ängste wieder gemobbt zu werden bei abhängigen Persönlichkeitsanteilen sowie unvorhersehbaren Panikattacken, ist die Fähigkeit des Klägers Entscheidungen zu fällen und Urteile abzugeben erheblich eingeschränkt (S. 26 SVGA). Zudem ist die Durchhaltefähigkeit des Klägers aufgrund seiner depressiven Erkrankung erheblich eingeschränkt. Aufgrund der depressiven Erkrankung besteht eine psychomotorische Verlangsamung mit Konzentrationsschwierigkeiten und vorschneller Erschöpfung. Zwar hat die Sachverständige in dem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass subjektiv Konzentrationsstörungen angegeben werden, die nicht objektiviert werden können (S. 15 SVGA). Sie hat jedoch im Rahmen der mündlichen Erläuterung des schriftlichen Gutachtens plausibel erklärt, dass in einer Begutachtungssituation, wie sie sie mit dem Kläger hatte, viele Kräfte, Konzentration und Antrieb mobilisiert werden, sodass ein falsches Bild dahingehend zustande kommen kann, dass diese Fähigkeiten ausgeprägter erscheinen als sie es tatsächlich sind (S. 5 des Sitzungsprotokolls). Auch die Ängste des Klägers mit möglicherweise auftretenden Panikattacken führen zu einer vorschnellen Erschöpfung (S. 27 SVGA).
Die Selbstbehauptungsfähigkeit des Klägers ist aufgrund seiner abhängigen Persönlichkeitsanteile erheblich eingeschränkt (S. 27 SVGA). Zusätzlich ist die Sebstbehauptungsfähigkeit durch die depressive Erkrankung mit gedrückter Stimmung, Schuldgefühlen, Antriebsminderung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen und vermindertem Selbstbewusstsein erheblich vermindert; sie wird auch vermindert durch die Panikattacken und Durchfälle (S. 27 SVGA).
Die Sachverständige hat tabellarisch aufgelistet, welche Tätigkeit dem Kläger nur noch in welchem Ausmaß möglich ist (S. 27 – 37 SVGA). Die Einschränkungen betragen 50% (beispielsweise bezüglich des intensiven Lesens der Finanzpresse, Bearbeiten des E-Mail-Posteingangs) und 75% (beispielsweise bezüglich dem Führen von Telefonaten mit den Zuführeren und dem Führen von Gesprächen mit Vorgesetzten und Sachbearbeitern). Soweit die Beklagtenseite einwendet, die ohnehin schon bestehenden Zweifel an dem Gutachten seien bestärkt worden, weil nicht im Ansatz nachvollziehbar sei, wie es zu den Abweichungen hinsichtlich der prozentualen Einschränkungen auf dem durch das Gericht übermittelten Gutachtenexemplar und dem von der Sachverständigen im Termin verwendeten Exemplar kommen konnte, ist folgendes festzuhalten: Im Rahmen der mündlichen Erörterung des Gutachtens ist aufgefallen, dass die Sachverständige in dem an das Gericht übermittelten Gutachtenexemplaren insgesamt 3mal eine Einschränkung von 50% angegeben hat, obwohl diese tatsächlich 75% betrug; aber alle anderen Angaben sowie insbesondere das Ergebnis stimmen überein (S. 6 des Sitzungsprotokolls). Die Diskrepanz hatte mithin keinerlei Auswirkung auf das Ergebnis.
Voraussichtlich dauerhafte Einschränkungen seit April 2020
Da die Dysthymie, die Persönlichkeits- und Panikstörung sowie die somatoforme Störung trotz ambulanter und stationärer Therapie chronifiziert ist, ist die Prognose ungünstig; die Einschränkungen der Arbeitstätigkeiten ist voraussichtlich auf Dauer gegeben (S. 38 SVGA). Diese Einschätzung der Sachverständigen ist schlüssig. Sie hat die Prognose aufgrund eines Gesamtbildes getroffen. In Zusammenschau der anamnestischen Angaben des Klägers, den Anhaben aus dem außergewöhnlich dezidierten, umfangreichen und inhaltlich starken Arztbrief aus dem Jahr 2020, der auf einer mehrwöchigen stationären Behandlung des Klägers beruht und dem Umstand, dass der Kläger bereits 2 Psychotherapien und eine Reha absolviert hatte, ist der Kläger prognostisch dauerhaft zu mehr als 50% in seiner Berufsfähigkeit eingeschränkt (S. 5 des Sitzungsprotokolls)
Die Prognose, dass der Kläger dauerhaft zu mehr als 50% in seiner Berufsfähigkeit eingeschränkt ist, wäre bei rückschauender Betrachtung bereits im April 2020 getroffen worden (S. 5 und 7 des Sitzungsprotokolls). Dies ergibt sich insbesondere aus den Angaben in dem Reha-Bericht aus April 2020, dessen Erstellung eine mehrwöchige Beobachtung des stationär aufgenommenen Klägers vorausging. Das Beschwerdebild war danach bereits im April 2020 chronifiziert. Auch wenn der Kläger die bestmögliche Therapie bekommen hätte, wäre bereits im April 2020 aufgrund des chronischen Verlaufs und der bereits erfolgten Psychotherapien von einer dauerhaften Berufsunfähigkeit auszugehen gewesen. Zwar lag im April 2020 die letzte Psychotherapie bereits 3 Jahre zurück, aber der Kläger hatte bereits mehrere Jahre lang verschiedene Behandlungsmöglichkeiten wahrgenommen: Zunächst war der Kläger erst in psychotherapeutischer Behandlung, hat dann ab 2012 eine langjährige Psychotherapie gemacht, hat sich im Jahr 2014 in Reha begeben, wurde dann im Jahr 2018 ambulant psychiatrisch behandelt und nahm auch Medikamente ein und war sodann im Jahr 2020 wiederum in Reha (S. 7 des Sitzungsprotokolls).
Dass bereits im April 2020 eine Chronifizierung des Krankheitsbildes vorlag, ergibt sich auch daraus, dass eine Persönlichkeitsstörung, die im Entlassungsbericht aus dem Jahr 2020 als Diagnose aufgeführt wurde, nach den ICD-Kriterien immer seit dem Jugendalter bestehen muss. Die kombinierte Persönlichkeitsstörung führt zudem dazu, dass der Kläger nur begrenzt auf seine Ressourcen zugreifen kann. Darüber hinaus wird die Chronifizierung auch deutlich, wenn man bedenkt, dass die Beschwerden im Jahr 2020 trotz der vielfachen Behandlungsversuche noch immer bestanden – und das, obwohl der Kläger zu dieser Zeit bereits seit 8 Jahren nicht mehr gearbeitet hatte und damit der Anlass für die Beschwerden eigentlich weggefallen war (S. 7 des Sitzungsprotokolls).
Der Einwand der Beklagtenseite, der Umstand, dass die Sachverständige ihre Angabe im schriftlichen Gutachten, es bestehe seit mindestens 2014 eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, in der Sitzung dahingehend korrigierte, diese sei erstmalig im Jahr 2020 belegbar gewesen, spreche gegen die für eine Gutachtenerstellung gebotene Sorgfalt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zum einen muss eine Persönlichkeitsstörung immer schon seit Jugendalter bestehen (S. 7 Sitzungsprotokoll), sodass bei dem im Jahr 1963 geborenen Kläger davon auszugehen ist, dass er bereits im Jahr 2014 an dieser litt, auch wenn sie erstmals im Jahr 2020 als Diagnose in den Behandlungsunterlagen aufgeführt wird. Zudem hat die Sachverständige betreffend die kombinierte Persönlichkeitsstörung bereits in dem Gutachten ausgeführt: „Es wird in den letzten Jahren eine Zunahme der diesbezüglichen Symptome angenommen, da erstmalig diese Erkrankung in 2020 in der psychosomatischen Reha beschrieben worden ist.“ (S. 22 SVGA). Die Sachverständige hat mithin keinesfalls den Umstand, dass die Diagnosestellung erstmals im Jahr 2020 erfolgte übersehen; sie hat das Gutachten mit der gebotenen Sorgfalt erstellt. Dass der Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht bereits ab April 2020, sondern erst ab September 2020 fordert, ist unschädlich.
b) Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte zu 2) auf Zahlung von 8.407,40 € aus § 172 Abs. 1 VVG iVm dem Versicherungsverhältnis.
Der Kläger kann seit April 2020 infolge Krankheit zu mindestens 50 Prozent seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, nicht mehr ausüben und übt auch keine andere Tätigkeit aus, die der bisherigen Lebensstellung entspricht. Bereits bei einer hypothetisch im April 2020 erfolgten Begutachtung wäre richtigerweise die Prognose gestellt worden, dass die Berufsunfähigkeit auf Dauer bestehen wird.
Es wird insoweit vollumfänglich auf die Ausführungen zu Ziffer II. 1. a) verwiesen.
Anmerkung Dr. Büchner
Im Rahmen der Leistungsprüfung beauftragte der BVV ein Privatgutachten beim Institut für Interdisziplinäre Medizinische Begutachtungen (IMB). Als Gutachter kamen Frau Dr. Gabriela Henze und der Psychologe Dr. phil. Marcus Hieber zum Einsatz. Es kam dann zum typischen Ergebnis:
Frau Dr. Henze stellte lediglich die Diagnose „Dysthymia“ und gab an, dass ansonsten keine weiteren Einschränkungen vorlägen. Die führte aus, dass der Klägerin in der Begutachtung nicht ängstlich aufgetreten sei und dass das Vermeiden großer Einkaufszentren kein psychiatrisches Krankheitsbild darstelle.
Der Zusatzgutachter Dr. Marcus Hieber kommt nach seinen testpsychologischen Auswertungen zu dem Ergebnis das aufgrund von Inkonsistenzen, Widersprüchen und Unplausibilitäten es unwahrscheinlich sei, dass die vom Versicherten geklagten Beschwerden tatsächlich vorlägen.
Die gerichtliche Gutachterin hingegen führte aus, dass neben der Diagnose Dysthymia eine kombinierte Persönlichkeitsstörung tritt, welche dem Kläger die Tätigkeit als Kreditsachbearbeiter unmöglich macht. Auch die von Dr. Hieber behauptete Aggravation konnte nicht bestätigt werden.
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