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Arbeitsgericht Berlin: BVV muss Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente wegen nachgewiesener Fibromyalgie anerkennen.

Anerkenntnisurteil Arbeitsgericht Berlin, Az. 1 Ca 5163/17 vom 02.01.2018

Gegenstand der Klage waren Ansprüche unserer Mandantin auf Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung beim BVV.

Unsere Mandantin war als Kreditsachbearbeiterin bei einer Bank angestellt tätig und seit April 2014 ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben. Darüber hinaus ist sie aufgrund ihrer Erkrankungen teilweise erwerbsgemindert, sie bezieht seit September 2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund.

Im Januar 2015 stellte sie beim BVV einen Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung u.a. aufgrund eines Fibromyalgiesyndroms, einer Schilddrüsenunterfunktion, eines Reizdarmsyndroms, einer undifferenzierten Kollagenose, einer Depression und einer Neurodermitis. Der BVV holte zur Prüfung der Berufsunfähigkeit Berichte der behandelnden Ärzte und erklärte mit  Schreiben vom 04.05.2015 eine Leistungsablehnung. Zur Begründung führten der BVV aus, die behandelnden Ärzte der Mandantin hätten keine Berufsminderung um mehr als 50% bestätigen können.

Im Rahmen der außergerichtlichen Auseinandersetzung weigerte sich der BVV zudem rechtswidrig, die Befunde herauszugeben, die er bei den behandelnden Ärzten unserer Mandantin eingeholt hatte und die angeblich die Berufsunfähigkeit nicht bestätigen.

Im Laufe des Klageverfahrens musste der BVV einräumen, dass die behandelnden Ärzte der Mandantin im Antragsverfahren – entgegen der ursprünglichen Behauptungen – die Berufsunfähigkeit tatsächlich bestätigt haben. Dies wurde mit folgender lapidaren Bemerkung durch den Vertreter des BVV kommentiert: „Insbesondere lassen verschiedene kurze ärztliche Atteste, dass die Klägerin nicht mehr als 12 Stunden je Woche arbeiten könne, nicht zwangsläufig den Schluss zu, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt.  (…) Eine gewährte (teilweise) Erwerbsminderungsrente durch die DRV Bund oder eine etwaige Feststellung eines Grades der Behinderung hat keine Indizwirkung für das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 VB“

Das Arbeitsgericht holte schließlich ein orthopädisches Sachverständigengutachten ein, welches die Berufsunfähigkeit unserer Mandantin vollauf bestätigte.

U.a. führte der medizinische Sachverständige aus:

„Die Diagnose Fibromyalgie kann klinisch eindeutig bestätigt werden. Daher sind die daraus entstehenden psychischen Krankheitskonsequenzen anzuerkennen. Das Ausmaß dieser Konsequenzen für die Einschränkungen der psychischen Belastungsfähigkeit und damit auch der beruflichen Leistungsfähigkeit bildet sich in den verschiedenen Dimensionen ab, die im Fragebogen des mini-ICF-App abgedeckt werden.

Die Klägerin leidet an einem Firbromyalgiesyndrom. Die Erkrankung geht mit einer ineffizienten Schmerzverarbeitung aber auch ineffizienten Kompensation von Anspannungen und Belastungen einher. Das Fibromyalgiesyndrom ist durch chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen charakterisiert, die mit Schlafstörungen bzw. nicht erholsamen Schlaf bzw. schneller Erschöpfungsneigung kombiniert ist. Die Betroffenen leiden neben den häufig in Lokalität, Intensität und Frequenz wechselnden Schmerzen in Muskeln und Gelenken an weiteren vegetativen Symptomen, wie Schwellungsgefühle an Händen und Füßen, Verdauungsbeschwerden, Herzrasen, Oberbauch – oder Unterbauchbeschwerden, Miktionsbeschwerden, Spannungskopfschmerz, Gesichtsschmerzen, Ohrgeräuschen, Reizüberempfindlichkeit, vermehrtes Frieren oder Schwitzen.

Das Vorliegen des überwiegenden Teils dieser Symptome wurde bereits in der Epikrise des Gutachtens bestätigt. Die Diagnosen „Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren“, „Dysthymie“, „Reizdarmsyndrom“, „Muskelspannungsstörung“. „Epikondylitis“, „Dysästhesien der Hände“, „rezidivierendes Lumbalsyndrom“, „Insertionstendopathie“ und „retropalletare Chondropathie“ können unter der Fibromyalgie-Diagnose subsummiert werden, da dies überwiegend funktionell bedingte Diagnosen sind, die wenig bzw. kaum strukturell somatische Korrelate haben sondern sich eben funktionell ergeben.“

Mit Schreiben v. 12.11.2018 zeigte der BVV an, dass man sich gegen die gutachterlich getroffene Feststellung, dass von einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit auszugehen ist, nicht weiter verteidigen werde und erkannte schließlich mit Schreiben v. 30.11.2018 den Anspruch unserer Mandantin an.

Daraufhin erging am 02.01.2019 das Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Jörg Büchner, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Medizinrecht:

Der hier vorgestellte Fall verdeutlicht eine typische Variante des Regulierungsgebarens des BVV sehr plastisch.

Nachdem man die behandelnden Ärzte der Versicherten befragt hat, wird behauptet, diese hätten eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht bestätigt, verweigert aber zugleich rechtswidrig, diese Befundberichte herauszugeben.

Mit dieser Vorgehensweise entzieht man sich der Verpflichtung, die geltend gemachte Berufsunfähigkeit weiter aufzuklären. Entscheidungen anderer Versicherungsträger – hier der Deutschen Rentenversicherung Bund – die nach gutachterlicher Feststellung eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gewährte, werden als irrelevant abgetan.

Nachdem der gerichtliche Gutachter die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit mit nicht zu überbietender Klarheit festgestellt hat, ist der BVV nicht in der Lage, sich gegen diese Feststellungen zu verteidigen sondern erkennt den Anspruch sofort an, um ein streitiges Urteil zu vermeiden.

Wir können BVV-Versicherten nur dringend raten, bereits vor BU-Antragstellung unbedingt anwaltlichen Rat einzuholen!

Kontaktieren Sie uns und nehmen Sie unser Angebot einer kostenlosen Ersteinschätzung wahr!

 


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