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LG Berlin: Abstrakte Verweisung einer Krankenschwester durch die Nürnberger Berufsunfähigskeitsversicherung auf die Tätigkeit einer Arzthelferin o.ä. ist ebenso rechtswidrig wie die ausgesprochene Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.

Landgericht Berlin, Urteil vom 12.06.2017 – 24 O 37/17 (nicht rechtskräftig)

 

 

Was war geschehen?

 

Die Klägerin – unsere Mandantin – war beruflich als Krankenschwester auf einer Intensivstation eines Krankenhauses tätig. Seit dem Jahr 2010 leidet sie an einer Sklerodermie (unheilbare und voranschreitende Bindegewebsverhärtung der Haut und innerer Organe) und ist deswegen seit März 2011 fortlaufend arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Deutsche Rentenversicherung Bund bewilligte ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die Nürnberger Lebensversicherung AG dagegen lehnte den Antrag unserer Mandantin auf BU-Versicherungsleistungen (Rentenzahlung und Prämienbefreiung) ab und erklärte die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Sie begründete dies damit, die Klägerin habe bei dem Abschluss des Versicherungsvertrages im Jahr 2001 unvollständige Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht. Unsere Mandantin habe Behandlungen aus dem Jahr 2000 wegen einer „akuten Belastungsreaktion“, wegen einer „Allergie“ und wegen einer „Raynaud-Symptomatik“ – der Vorstufe und dem Ausgangspunkt des jetzigen Leistungsbegehrens – verschwiegen. Unsere Mandantin bestritt dagegen, bereits seit dem Jahr 2000 an einer „Raynaud-Symptomatik“ gelitten zu haben, diese sei erst im Jahr 2005 eingetreten. Bei der „akuten Belastungsreaktion“ habe es sich lediglich um eine kurzzeitige Beeinträchtigung ihrer Befindlichkeit, nicht jedoch um eine Erkrankung gehandelt. Auch an einer „Allergie“ habe sie nicht gelitten, vielmehr habe es sich lediglich um eine kurzzeitige Schwellung im Gesicht gehandelt.

 

Das Urteil

 

Das Landgericht Berlin hat unserer Klage stattgegeben und die Nürnberger Lebensversicherung AG verurteilt, den BU-Versicherungsvertrag fortzuführen und die BU-Versicherungsleistungen zu erbringen.

Das Landgericht Berlin hat zunächst festgestellt, dass der BU-Versicherungsvertrag nicht durch eine arglistige Täuschung der Klägerin erloschen ist. Der Beklagten (Nürnberger Lebensversicherung AG) sei nicht der Beweis gelungen, dass die Klägerin bei Abschluss des Versicherungsvertrages arglistig über ihren Gesundheitszustand getäuscht habe. Die Klägerin habe substantiiert vorgetragen, dass sie in der Zeit vom 7. bis zum 10.11.2000 lediglich kurzzeitig in ihrer Befindlichkeit beeinträchtigt gewesen sei, weil sie an ihrem damaligen Arbeitsplatz von Kollegen gemobbt worden war. Um ihr eine Auszeit von der angespannten Arbeitssituation zu gönnen, sei sie von ihrer Hausärztin für wenige Tage krankgeschrieben worden. Am 7.5.2000 habe sie sich bei der Ärztin lediglich wegen einer Schwellung im Gesicht vorgestellt, die mit einer Salbe behandelt worden und daraufhin abgeklungen sei. Dass es sich nach klägerischerer Darstellung lediglich um Befindlichkeitsstörungen von nur kurzer Dauer handelte, habe die Beklagte nicht substantiiert entkräftet. Ein arglistiges Verschweigen von gefahrerheblichen Gesundheitsumständen seitens der Klägerin könne deshalb nicht angenommen werden.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe ferner nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages im Jahr 2001 an einem sog. Raynaud-Syndrom gelitten und Kenntnis davon gehabt habe. Gemäß dem klägerischen Vorbringen sei diese Erkrankung erst im Jahr 2005 diagnostiziert worden. Im Jahr 1999 habe die Klägerin zwar eine blaue Einfärbung der Hände bei kalten Temperaturen festgestellt, unter Beschwerden habe sie jedoch nicht gelitten. Ihr habe deswegen auch nicht bewusst sein müssen, dass es sich um eine Erkrankung bzw. Gesundheitsstörung gehandelt habe.

Das Landgericht Berlin hat weiterhin festgestellt, dass die Klägerin seit März 2011 aufgrund ihrer Sklerodermie in ihrem Beruf als Krankenschwester zu mindestens 50% berufsunfähig ist. Der gerichtlich beauftragte medizinische Sachverständige Dr. K. habe in seinem Gutachten festgestellt, dass die Klägerin seit dem Jahr 2010 unter einer Kollagenose leide, die sich in schweren Durchblutungsstörungen mit Schwellungen der Gelenke, Rissbildungen der Haut, Gelenkschmerzen, Muskelschwäche und einem ausgeprägten Fatigue-Syndrom äußerten. Mangels Feingefühls in den Händen und der muskulären Schwäche sei es der Klägerin nicht möglich, eine Tätigkeit als Krankenschwester auszuüben. Als Krankenschwester würden erhöhte Anforderungen an die Hände im Rahmen der pflegerischen Tätigkeiten gestellt. Durch ihre Hautläsionen sei die Klägerin zudem einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt und könne auch Desinfektionsmittel aufgrund der Hautläsionen nur eingeschränkt benutzen. Ferner sei die allgemeine Leistungsfähigkeit der Klägerin eingeschränkt, so dass auch Tätigkeiten, die mit Heben und Tragen sowie Bücken im Rahmen der Patientenpflege verbunden seien, die Leistungsfähigkeit der Klägerin übersteigen würden.

Das Landgericht hat schließlich festgestellt, dass unsere Mandantin auch nicht auf eine andere Tätigkeit verweisbar ist. So hatte die Beklagte erstmals nach dem für sie negativen Gutachten des Sachverständigen Dr. K. behauptet, unsere Mandantin sei deshalb nicht berufsunfähig, weil sie auf Tätigkeiten als „Assistentin im Gesundheits- und Sozialwesen“, als „Arztsekretärin“ und als „Sekretärin im Gesundheitswesen“ verweisbar sei. Das Landgericht Berlin hat diesem Versuch der Nürnberger, sich der Leistungspflicht doch noch zu entziehen, eine klare Absage erteilt und insoweit ausgeführt:

 

 

„Die Beklagte hat erstmals nach Vorliegen des Gutachtens im Schriftsatz vom 15.2.2016 die Klägerin ohne nähere Substantiierung auf andere Berufe verwiesen. Nachdem sie in der mündlichen Verhandlung vom 20.2.2017 auf die mangelnde Substanz ihres Vorbringen hingewiesen worden ist, hat sie im Schriftsatz vom 9.3.2017 eine weitere Verweisung vorgenommen und hinsichtlich der Darstellung der Verweisungsberufe auf das BERUFENET Bezug genommen. Auf den gerichtlichen Hinweis im Beschluss vom 3.4.2017 ist erstmals im Rahmen des Schriftsatzes vom 25.4.2017 eine Beschreibung von Vergleichsberufen erfolgt. Es bedarf keiner Entscheidung darüber, inwieweit sich dieses Vorbringen nach § 296 ZPO als verspätet darstellt, da auch die ergänzenden Ausführungen der Beklagten abstrakt bleiben und nicht den Anforderungen entsprechen, welche bei einer Verweisung auf andere Tätigkeiten zu fordern sind. Den Darlegungen der Beklagten lässt sich weder entnehmen, inwieweit die Klägerin die Verweisungsberufe aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausüben kann, noch, ob sie diesen gesundheitlich gewachsen ist.“

 

 

Anmerkungen RA Stefan Zeitler, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht

 

In diesem Prozess – der von der Klageerhebung bis zum Urteil des Landgerichts allein vier Jahre dauerte – spielten drei der häufigsten Taktiken von Versicherern in der BU-Leistungsprüfung und im Klageverfahren eine Rolle.

1. Zunächst prüft der Versicherer – nachdem der Versicherte den Eintritt seiner Berufsunfähigkeit angezeigt hat – nicht, ob eine Berufsunfähigkeit vorliegt, sondern vielmehr ob in dem Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages (der meist schon Jahre zurückliegt) alle Angaben korrekt erfolgt sind, insbesondere in Bezug auf den Gesundheitszustand des Versicherten. Damit wird durch den Versicherer die Risikoprüfung, die eigentlich schon beim Abschluss des Vertrages hätte vorgenommen werden können in die Phase der Leistungsprüfung nach Anmeldung der Berufsunfähigkeit verlagert. Hier muss man als Versicherter wissen, dass der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil (BGH, Urt. v. 22.2.2017 – IV ZR 289/14) ein solches Vorgehen zwar grundsätzlich gebilligt hat. Den Versicherern wurden jedoch Vorgaben gemacht, die eine uneingeschränkte Datenerhebung z.B. bei Ärzten und Krankenkassen des Versicherten verbieten. Die Erhebung von Daten des Versicherten ist dem Versicherer nur über ein gestuftes Vorgehen im Dialog mit dem Versicherten erlaubt. Auf diese Weise soll dem berechtigten Interesse des Versicherten Geltung verschafft werden, dass keine Daten erhoben werden, die dem Versicherer über das erforderliche Maß hinaus in weitem Umfang sensible Informationen über den Versicherungsnehmer gewähren. Nur ein spezialisierter Anwalt wird im Zweifel Fehler des Versicherers bei der gestuften Datenerhebung erkennen und diese ggf. für den Versicherten nutzbar machen können.   

Finden Versicherer bei ihrer Datenerhebung z.B. Gesundheitsumstände des Versicherten, die in dem Versicherungsantrag bei Abschluss des Versicherungsvertrages nicht angegeben wurden, erklären sie häufig umgehend und ohne weitere Abklärung eine Leistungsablehnung und beenden zudem den Versicherungsvertrag durch Anfechtung oder Rücktritt. Hier sollte der Versicherte auf keinen Fall verzweifeln und vorzeitig aufgeben. Vielmehr sollte mit anwaltlicher Hilfe versucht werden, herauszuarbeiten, ob im Versicherungsantrag überhaupt falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht wurden und wenn ja, wie es zu diesen falschen bzw. unvollständigen Angaben kam. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Den Versicherten entlastende Umstände liegen z.B. dann vor, wenn der Versicherungsvertreter beim Versicherungsantragsgespräch Fehler gemacht hat oder aber – wie im vorliegenden Fall – wenn der Gesundheitsumstand, der in dem Versicherungsantrag nicht angegeben wurde nicht so schwerwiegend ist, wie es der Versicherer behauptet. Auf ein Einsehen und ein schnelles Einlenken des Versicherers sollte der Versicherte jedoch auch dann nicht hoffen. Erfahrungsgemäß gelingt es meist erst in einem zähen Kampf mit dem Versicherer vor Gericht, die Leistungsablehnung und Vertragsbeendigung wegen einer sog. vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung aus der Welt zu schaffen.

2. Unabhängig von der Leistungsablehnung und Vertragsbeendigung wegen angeblicher vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung bestreiten Versicherer ganz regelmäßig sowohl die berufliche Tätigkeit des Versicherten vor Eintritt der Berufsunfähigkeit als auch den Eintritt der Berufsunfähigkeit an sich. Das zwingt Richter im Prozess in den meisten Fällen zu umfassenden Beweiserhebungen mit Zeugen und medizinischen Sachverständigen. Dies zieht einen BU-Versicherungsprozess in die Länge und zermürbt viele Versicherte gerade wenn sie an psychischen Erkrankungen leiden. Liegt das medizinische Gutachten dann vor und bestätigt es die Berufsunfähigkeit des Versicherten, ist auch dann häufig noch kein schnelles Ende in Sicht. Mit Hilfe von Privatgutachtern und Gesellschaftsärzten versuchen viele Versicherer, das vom Gericht in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten hartnäckig und unnachgiebig anzugreifen. Das wiederum macht ggf. mehrere ergänzende Stellungnahmen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen zur Verteidigung seines Gutachtens erforderlich. Ziel eines solchen Vorgehens der Versicherer kann es sein, einen eigentlich schon verlorenen Prozess noch bestmöglich zu retten, ggf. durch einen Vergleich, dem der Versicherte entnervt und zermürbt durch die lange Dauer des Verfahrens zustimmt.

3. Gelingt auch dies nicht wird von Versicherern häufig noch die vermeintliche Trumpfkarte der Verweisung ins Spiel gebracht. Enthalten die Versicherungsbedingungen die Möglichkeit einer sog. abstrakten Verweisung (Verweisung auf eine Tätigkeit ohne dass der Versicherte diese Tätigkeit konkret ausübt) stellen Versicherer häufig irgendwelche Tätigkeiten in den Raum, die der Versicherte angeblich ausüben kann, ohne berufsunfähig zu sein. Hier muss man wissen, dass der Versicherer bei einer abstrakten Verweisung genau aufzeigen muss, um was für eine Tätigkeit es sich handelt und welche Anforderungen in beruflicher und gesundheitlicher Hinsicht diese Tätigkeit an den Versicherten stellt. Das gelingt Versicherern erstaunlich selten, was der Versicherte ggf. aber selbst im Blick haben muss. Denn leider kann man nicht darauf vertrauen, dass jedes Gericht die hohen Anforderungen der Aufzeigelast des Versicherers bei einer abstrakten Verweisung kennt und sie auch so konsequent handhabt wie das Landgericht Berlin im vorliegenden Fall.  

 

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