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Sozialgericht Dessau-Roßlau: Bundeswehr muss wegen Verschlimmerung psychischer Beschwerden nach PTBS im Manöver Beschädigtenrente nach einem GdS (Grad der Schädigung) i.H.v. 30 v.H. zahlen! Gutachter Dr. Hubert Becker widerlegt!

Sozialgericht Dessau-Roßlau, Teilanerkenntnis vom 16.01.2014 – S 5 VE 2/12

Sachverhalt:

Unser Mandant machte seit August 2009 eine akute Posttraumatische Belastungsstörung - PTBS - mit Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Gereiztheit, depressiver Grundstimmung, Schwindel, Kopfschmerzen, dem Abbrechen sozialer Kontakte, Panikattacken und einer Angststörung geltend, die er auf Situationen während diverser Ausbildungslehrgänge 2003, sowie dem ständigen psychischen und physischen Belastungen während des Dienstes in einem Luftwaffenausbildungsregiment 2003 bis 2005 zurückführte. Die Teilnahme an den besagten Lehrgängen und die spätere Verwendung im Luftwaffenausbildungsregiment 1 konnte durch die Verwaltung bestätigt werden. Belastungen, die über die „normale Ausbildung“ hinausgingen, konnten nicht nachgewiesen werden.

Diese „normale Ausbildung“ bestand bei unserem Mandanten auch in diversen Nachtkampfübungen. So musste er beispielsweise mehrmals bei der Simulation eines Häuserkampfs einen Kriechgang durchqueren, wobei er eine Panikattacke erlitt.

Später musste er – unter vorherigem Schlafentzug über zwei Tage – in vollständiger Dunkelheit und Enge über mehrere Stunden eine Kanalisation durchqueren, obwohl er dem Vorgesetzten vorher mitgeteilt hatte, dass er sich zu der Übung nicht in der Lage sehe. Bei der Übung wurde ihm erklärt, dass die Gullideckel verschweißt seien, eine Möglichkeit zwischendurch herauszukommen also nicht bestand. Der Vorgesetzte bestand jedoch auf dem Befehl. Die Benutzung seines Restlichtverstärkers am Gewehr wurde ihm nach wenigen Minuten verboten. Es kam bei ihm zu einem „Blackout“, er war nicht mehr ansprechbar. In der Folge entwickelte er später Depressionen und Panikattacken, insbesondere in Fahrstühlen oder beim Autofahren in Tunnelröhren, Schlafstörungen und Angstzustände. Von September 2009 bis August 2010 war er schließlich arbeitsunfähig und musste im September 2010 seinen Dienst als Offizier bei der Bundeswehr aufgeben.

Im August 2009 stellte er auch einen Antrag auf Wehrdienstbeschädigung. Dieser wurde zurückgewiesen, ebenso seine darauf folgende Beschwerde.

Die Beeinträchtigungen des Mandanten seien nicht Folge des Wehrdienstes, sondern „multifaktoriell“.

Hierauf erhoben wir Klage vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau. Wir wiesen darauf hin, dass die Kanalisationsübung keine alltagsübliche Belastung darstellt, sondern durchaus eine traumatische Erfahrung sein kann, die für die Entstehung einer psychischen Störung kausal zumindest im Sinne einer Verschlimmerung zu machen sei. Ferner machten wir geltend, dass die Gesundheitsstörung sich verschlechtert hat, weil trotz Diagnosestellung und Therapieempfehlung im Jahr 2005 durch das Bundeswehrkrankenhaus keine entsprechende Therapie veranlasst wurde.

Nachdem ein durch das Sozialgericht von Amts wegen in Auftrag gegebenes psychiatrisches Sachverständigengutachten des Herrn Dr. Hubert Becker, Mariannenstraße 20, 06844 Dessau-Rosslau,  eine ähnliche Sichtweise wie die Bundeswehr einnahm, folgte ein durch uns im Rahmen von § 109 SGG benannter weiterer Sachverständiger eher unserer Argumentation. Er sah Agoraphobie mit Panikstörung, eine rezidivierende depressive Störung und eine Zwangsstörung.

Alle Sachverständigen gingen dabei von einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung aus.

 

Teilanerkenntnis der Bundeswehr

Nach dem weiteren, positiven gerichtlichen Sachverständigengutachten holte die Bundeswehr eine eigene versorgungsärztliche Stellungnahme nach Aktenlage ein.

Die von der Bundeswehr beauftragte Ärztin ging ebenfalls von vorbestehenden psychischen Störungen, „sowohl depressive als auch Angstsymptome“ aus. Sie erklärte, die Panikattacke beim Kriechgang zeige, wie vulnerabel [anfällig] der Mandant für derartige Belastungen war, da solch eine Situation bei einem gesunden Menschen nicht zu einer Panikattacke geführt hätte.

Der zweite Vorfall während der Kanalisationsübung unter Schlafentzug sei  jedoch schon etwas anders zu betrachten. Dieses Ereignis habe durchaus das Potential psychische Symptome hervorzurufen. Bei einem gesunden Menschen wären diese jedoch nach kürzester Zeit wieder abgeklungen und hätten nicht zu der protrahierten Beschwerdeausbildung wie sie beim Mandanten vorliegt geführt.

Insgesamt könne somit eine Verschlimmerung der zugrundeliegenden Störung durch die Übung in der Kanalisation zur Anerkennung vorgeschlagen werden.

Sie räumte auch ein, die „nichterfolgte Therapie“ habe in diesem Fall „sicherlich zur Ausprägung des Beschwerdebildes wie es sich aktuell darstellt beigetragen“.

Eine genaue Prozentangabe sei hier aber nahezu unmöglich zu beziffern.

Die Bundeswehr erkannte schließlich einen „depressiv reaktiven Angstkomplex mit zwanghaften Kompensationsversuchen“ als Wehrdienstbeschädigung (WDB) im Sinne der Verschlimmerung mit einem Grad der Schädigung (GdS) von 30 ab November 2003 an. Ein solcher GdS berechtigt zu einer Rente. Der Mandant erhielt dementsprechend eine Nachzahlung von fast 10.000,00 €, die Bundeswehr musste den überwiegenden Teil der Verfahrenskosten bezahlen.

 

Anmerkung RA Gunther Kohn, Fachanwalt für Versicherungs- und Sozialrecht

Wären hier nicht alle juristischen Mittel des Sozialgerichtsgesetzes ausgeschöpft worden, der Mandant hätte für seine psychischen Beeinträchtigungen wohl keine Entschädigung bekommen. Die Bundeswehr ist bei WDB-Verfahren ihren eigenen Soldaten oft ein harter Gegner.

Bedeutsam ist hier zweierlei: Auch ein an sich „harmloses“ Manöver, bei dem der Einsatz im Krieg simuliert wird, kann einem Menschen psychisch schwer zusetzen. Wer ohnehin schon vulnerabel ist, also psychisch labiler und anfälliger als andere, bei dem können die Folgen gravierend und langanhaltend sein. Das musste hier auch die Bundeswehr einräumen. Die hier im Antrags-, Beschwerde- und noch im Klageverfahren bemühte Argumentation, in der „normalen Ausbildung“ würden keine psychischen Traumata hervorgerufen, falls doch, sei dies eben einer Anlage der Persönlichkeit geschuldet und nicht dem Wehrdienst, erwies sich als nicht haltbar.

Zum zweiten ist hervorzuheben, dass auch wenn jemand eine bestehende Erkrankung in die Bundeswehr „mitbringt“, diese nicht von ihrer Verantwortung zu deren Behandlung enthoben wird. Die truppenärztliche Versorgung erstreckt sich natürlich auf den gesamten Gesundheitszustand der Soldaten. Führt die Bundeswehr diese nicht oder nur mangelhaft durch und es kommt dadurch zu einer Verschlimmerung, stellt die Verschlimmerung auch eine Wehrdienstbeschädigung dar, als Folge der sogenannten „wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse“.

Denn die truppenärztliche Versorgung der Soldaten ist für diese grundsätzlich verpflichtend, die freie Arztwahl ist für sie erheblich eingeschränkt.

 


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