LSG Baden-Württemberg:Psychische Unfallfolge - hier posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) – ist auch dann entschädigungspflichtig, wenn diese nicht unmittelbare Folge des Arbeitsunfalls sondern Resultat einer gescheiterten Heilbehandlung ist.
LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 22.01.2015, Az. L 6 U 5221/12
Zeitlicher Bezugspunkt für die Entwicklung einer Anpassungsstörung kann auch eine fehlgeschlagene Heilbehandlung sein, also nicht unbedingt der Unfall selbst. Dem Versicherten kann dann nicht entgegen gehalten werden, dass sich die psychischen Unfallfolgen erst zeitlich verzögert entwickelt haben, sondern es ist geradezu symptomatisch, dass erst nach gescheiteter Heilbehandlung mit mehreren Operationen, ambulanten und stationären Maßnahmen sowie letztlich gescheiterten beruflichen Widereingliederungsversuchen feststeht, dass ein Zurück zu dem Leben vor dem Unfall nicht möglich ist. Dass sich der Versicherte an diese Situation letztlich nicht anpassen kann, ist Bezugspunkt der Störung.
Das Urteil:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger als Folge des Arbeitsunfalls vom 08.12.2005 wegen der psychischen Unfallfolgen eine höhere Verletztenrente als vorläufige Entschädigung vom 16.10.2007 bis zum 30.11.2008 und ab dem 01.12.2008 auf unbestimmte Zeit zu gewähren ist.
Der 1971 in geborene Kläger hat keine abgeschlossene Ausbildung. Er hat in der Türkei im väterlichen Produktionsbetrieb von Süßwaren zunächst mitgearbeitet und nach dessen Tod diesen zunächst weitergeführt. Nach seiner Hochzeit im Jahr 1996 ist er 1997 zu seiner in Deutschland lebenden Ehefrau gezogen, arbeitete zunächst einige Monate als Reinigungskraft und war dann bis ins Jahr 1999 arbeitslos. In den Jahren 1999 bis 2001 war er als Aushilfskraft in einer Möbelfabrik und ab dem 15.03.2001 bei der O. A. GmbH als Metallarbeiter im Presswerk beschäftigt. Seit Anfang des Jahres 2008 ist er von seiner Frau und den Kindern getrennt, die wieder in der Türkei leben. Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete aufgrund Aufhebungsvertrag vom 19.12.2007 zum 31.03.2008 und er erhielt eine Abfindung in Höhe von 13.600,- € brutto sowie eine tarifvertragliche Sonderzahlung in Höhe von 1.400,- € brutto, seither ist er arbeitslos. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt und dabei die psychischen Störungen jeweils mit einem Teil-GdB von 20, d.h. insgesamt 30 bewertet.
Am 08.12.2005 kippte während der Arbeit des Klägers ein auf einem Gabelstapler geladener Stapel Blechplatinen mit einem Gewicht von etwa 800 kg vom Untergestell und fiel auf sein rechtes Schienbein. Das Bein wurde durch Kollegen mit einem Hebeeisen unter dem Paket befreit. Nach Erstversorgung durch den Notarzt kam der Kläger zunächst in das Kreiskrankenhaus N., von wo er nach Durchführung der Röntgendiagnostik und Anlage einer Unterschenkel-Dynacastschiene unter Ketanest Analgosedierung noch am 08.12.2005 in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T. eingeliefert wurde. Dort wurde eine offene distale Unterschenkeltrümmerfraktur rechts diagnostiziert, eine operative Stabilisierung durch Fixateur externe und Fibulaplattenosteosynthese rechts und geschlossene Marknagelung durchgeführt. Am 23.12.2005 wurde der Kläger entlassen. Die Röntgenkontrollen am 27.01.2006 und 10.03.2006 zeigten eine voranschreitende knöcherne Konsolidierung. Bei der ambulanten Untersuchung am 31.03.2006 wurde eine deutlich verzögerte Knochenbruchheilung diagnostiziert, so dass dem Kläger die Anpassung einer Einsteckschiene für die vorgeschlagene Vollbelastung rezeptiert wurde. Bei der ambulanten Untersuchung am 28.04.2006 zeigte sich eine Schwellung im Bereich des distalen Unterschenkels und Sprunggelenks rechts und ein Druckschmerz im Bereich der Fraktur. Bei freier Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk war die Beweglichkeit im rechten oberen Sprunggelenk auf 10/0/30° für Extension/Flexion reduziert. Die Röntgenuntersuchung zeigte weiterhin eine deutlich verzögerte Knochenbruchheilung bei unverändert regelrecht einliegendem Osteosynthesematerial. Aufgrund des Befundes am 30.05.2006 (geringgradige Schwellung im Bereich der ehemaligen Fraktur, Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk 15/0/30° für Extension/Flexion, weiterhin deutlich verzögerte Knochenbruchheilung) wurde eine gepulste Ultraschall-Therapie angeregt. Nachdem die Röntgendiagnostik am 21.07.2006 jedoch eine zunehmende knöcherne Konsolidierung zeigte, wurde am 02.08.2006 eine Belastungserprobung mit zunächst zwei Stunden und ab 16.08.2006 mit vier Stunden arbeitstäglich begonnen. Aufgrund erheblicher Beschwerden und zwischenzeitlicher Unterbrechung der Belastungserprobung erfolgte die geplante Erhöhung auf sechs Stunden arbeitstäglich nicht.
Der Beratungsarzt Dr. L. gab nach Untersuchung des Klägers am 12.10.2006 an, eine Schwellneigung liege nicht mehr vor. Die proximale statische Verriegelungsschraube solle schnellstmöglich entfernt werden. Die Belastungserprobung solle auf fünf Stunden gesteigert werden. Problematisch sei die Zusammenarbeit im Gruppenakkord, ein sich hier zeigendes Spannungspotential solle frühzeitig verhindert werden. Insgesamt dürfte bei ungestörtem Heilverlauf eine vollständige Wiederherstellung zu erwarten sein.
Der Kläger arbeitete daraufhin fünf Stunden arbeitstäglich. Nachdem keine Steigerungsmöglichkeit gesehen wurde, wurde nach Untersuchung am 27.10.2006 die Indikation zum stationären Heilverfahren gesehen. Nach dem Befund- und Entlassbericht über die komplex-stationäre Rehabilitation (KRS) vom 15.11. bis 06.12.2006 zeigte sich nativradiologisch wie in der Computertomographie (CT) eine weitestgehend knöcherne Konsolidierung der ehemaligen zweitgradig offenen Fraktur, während dorsal noch keine knöcherne Durchbauung feststellbar war. Die Kniegelenksbeweglichkeit und Beweglichkeit des oberen Sprunggelenkes waren allenfalls noch geringgradig eingeschränkt, woraufhin ab dem 11.12.2006 erneut eine Arbeitsbelastungserprobung mit vier Stunden arbeitstäglich erfolgte. Nachdem der Beratungsarzt Dr. L. nach Vorstellung am 25.01.2007 erneut die Entfernung des Verriegelungsbolzens vorschlug, erfolgte diese am 16.02.2007 im Klinikum P.. Vom 19.03. bis 23.04.2007 befand sich der Kläger in der Klinik F. zur Rehabilitation, aus der er mit der Empfehlung einer muttersprachlichen Traumatherapie entlassen wurde. Nach dem Entlassbericht vom 14.05.2007 berichtete der Kläger, dem viel an seiner baldigen Wiederbeschäftigung lag, über Erinnerungsflashs zum Unfallhergang mit Angstsymptomatik und zunehmenden Ängsten, seine weitere berufliche Tätigkeit nicht durchführen zu können sowie von einer enormen psycho-sozialen Belastung, familiären Spannungen und großen Zukunftsängsten, er leide stark unter dem protrahierten Heilungsverlauf. Als Zusatzdiagnose wurde eine chronische posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gestellt. Ab dem 26.04.2007 erfolgte erneut eine Belastungserprobung mit vier Stunden arbeitstäglich, allerdings konnte aufgrund von Belastungsschmerzen die Arbeitszeit nicht wie geplant auf fünf Stunden arbeitstäglich erhöht werden.
Mit Schreiben vom 21.03.2007 teilte die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg der Beklagten mit, der Kläger habe Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung gestellt.
Die Beklagte erteilte am 31.05.2007 der p. GmbH den Auftrag zur Arbeitsvermittlung des Klägers in einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz, nachdem die Wiedereingliederung gescheitert sei und auch keine Möglichkeit einer innerbetrieblichen Umsetzung bestehe. Diese kam am 22.11.2007 zu dem Ergebnis, die Wiedereingliederung des Klägers in den ersten Arbeitsmarkt erscheine nicht erfolgversprechend.
Nach erneuter Untersuchung am 11.06.2007 teilte das Klinikum P. der Beklagten mit, der Kläger habe weiterhin über eintretende Schmerzen im gesamten Bein nach etwa zwei Stunden Arbeitsbelastung geklagt. Diese Schmerzen würden bei guter Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk und rechten Knie mittlerweile für den gesamten Unterschenkel angegeben. Die CT-Untersuchung habe die ehemalige Frakturzone unter Rillenbildung knöchern konsolidiert gezeigt. Von einer weiteren Belastungserprobung werde kein Erfolg erwartet. Es sei ein Verharrungszustand eingetreten. Das Heilverfahren solle zum 12.06.2007 eingestellt werden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 v. H..
Die Beklagte veranlasste im Zeitraum 20.07. bis 31.07.2007 fünf probatorische muttersprachliche Sitzung in der M.-Klinik, Fachklinik für Psychosomatik und Ganzheitsmedizin, bei dem Psychologen Prof. Dr. K. mit der Empfehlung einer Langzeittherapie. Dieser diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode, eine PTBS und den Verdacht auf eine Somatisierungsstörung. Berichtet werde vom Kläger eine innere Unruhe, Nervosität, Reizbarkeit, das Denken sei eingeengt auf die Krankheit, vor allem auf die Beinschmerzen und damit verbundene Gefühle von Hilflosigkeit, Minderwertigkeit und Verlust der Autonomie. Es würden immer wiederkehrende Gedanken an den Unfall vorgebracht, der Kläger erlebe in Ruhephasen oder auch bei Gesprächen über den Unfall eine Angst einhergehend mit innerer Unruhe und Anspannung. Er habe erhebliche Ängste entwickelt und ein starkes Gefühl nach Sicherheit und Kontrolle.
Auf den Antrag des Klägers vom 27.07.2007 auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Abs. 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wurde mit Bescheid vom 03.08.2007 die Zahlung des Verletztengeldes mit Ablauf des 02.08.2007 eingestellt. Mit dem Eintritt der Arbeitsfähigkeit sei nicht mehr zu rechnen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht zu erbringen. Der hiergegen am 13.08.2007 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2007 zurückgewiesen. Ein Wiedereintritt von Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei nicht absehbar oder zumindest ausreichend wahrscheinlich.
Der Kläger wurde zunächst von Dr. W., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, ambulant mit Citalopram und Trimipramin bei diagnostizierter depressiver Symptomatik bei PTBS behandelt (Arztbriefe vom 30.10.2007, 19.11.2007 und 03.12.2007).
Prof. Dr. W. führte in einem ersten Rentengutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 16.10.2007 aus, an Unfallfolgen bestünden reizlos einliegende Metalle bei knöcherner Konsolidierung des Knochens, eine Minderbeweglichkeit um 10° zur Gegenseite der Streckung des oberen Sprunggelenkes, ein rechtshinkendes Gangbild aufgrund einer Kraftminderung der Großzehen und Fußheberfunktion des rechten Unterschenkels, eine Gefühlsstörung am distalen medialen Unterschenkel und Fußrücken, eine Schwellneigung mit aktueller Umfangsvermehrung im Bereich des Unterschenkels von bis zu 2 cm und eine reizlose Narbenbildung bei mehrfachen Voroperationen im Bereich des Unterschenkels. An unfallunabhängigen Veränderungen finde sich der Zustand nach Appendektomie und die aktuell vorliegende Depression. Die MdE werde auf unfallchirurgischem Gebiet vom 03.08.2007 bis 15.10.2007 auf 20 v. H. eingeschätzt und vom 16.10.2007 bis zum Ablauf des dritten Jahres auf 10 v. H..
Prof. Dr. S. kam in seinem neurologischen Gutachten nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 01.02.2008 zu dem Ergebnis, auf psychiatrischem Fachgebiet lägen keine Unfallfolgen vor, die unfallbedingte MdE seitens des neurologischen Fachgebiets sei mit 20 v. H. einzuschätzen. Der Kläger habe angegeben, nicht mehr mit der Familie zusammen zu leben, da er diese nicht ertrage, er sei reizbar und aggressiv, er lebe derzeit bei seinem Schwager. Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet seien eine Teilschädigung des Nervus peronaeus rechts mit verminderter Kraftentfaltung der Fuß- und Zehenheber sowie subjektiven Beschwerden (Gefühlsstörungen, Schmerzen) und eine diskrete Teilschädigung des rechten Nervus tibialis ohne funktionell bedeutsame Auswirkung.
Dr. R., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, diagnostizierte nach Untersuchung am 25.02.2008 einen Zustand nach Fraktur des Unterschenkels rechts, eine Peronaeusparese rechts, eine mittelgradige depressive Störung, eine PTBS und Anpassungsstörungen.
Prof. Dr. K. gab in seinem Bericht über 20 psychotherapeutische Stunden von Dezember 2007 bis März 2008 an, das außer Kraft gesetzte Urvertrauen, die Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle sowie die Vermeidungshaltung seien Faktoren, die sich äußerst negativ auf enge zwischenmenschliche Beziehungen und das ängstliche Verhalten und die Depression auswirkten. Der Kläger habe berichtet, dass seine Familie jetzt in der Türkei lebe. Wegen seiner Kinder und Ehefrau habe er erhebliche Schuldgefühle, da er nicht in der Lage sei, für sie zu sorgen.
Prof. Dr. S. vertrat in einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme die Auffassung, dass bei dem Kläger keine PTBS vorliege. Erstmals tauche in dem Kurzbericht über die Maßnahme vom 19.03. bis 23.04.2007 die Diagnose einer PTBS auf. Die Diagnose sei unter offensichtlicher Verkennung der dafür existierenden diagnostischen Kriterien in Betracht gezogen worden. Das erlebte Unfallereignis sei nicht geeignet, eine PTBS herbeizuführen. Weder aus den Beschwerden, noch aus den Befunden ergäben sich Anhaltspunkte für das Vorliegen einer PTBS. Dass der Kläger sich Sorgen um die finanzielle Situation und seine weitere berufliche Zukunft mache, sei nachvollziehbar, bedeute aber keine PTBS.
Prof. Dr. W. schätze nach Vorliegen der neurologischen Begutachtung die Gesamt-MdE vom 03.08. bis 15.10.2007 auf 30 v. H. (MdE unfallchirurgisch 20 v. H., neurologisch 20 v. H.) und vom 16.10.2007 bis Ablauf des dritten Jahres auf 20 v. H. (MdE unfallchirurgisch nur 10 v. H.).
Hierauf gestützt gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 21.08.2008 wegen der Folgen des Arbeitsunfalls eine Rente als vorläufige Entscheidung für den Zeitraum vom 03.08. bis 15.10.2007 nach einer MdE von 30 v. H. und vom 16.10.2007 bis 30.11.2008 nach einer MdE von 20 v. H. Der Arbeitsunfall habe am rechten Bein zu einem knöchern verheilten offenen körperfernen Schienbein- und Wadenbeintrümmerbruch mit einliegendem Metall nach operativer Versorgung, einer leichten Einschränkung der Streckbeweglichkeit des oberen Sprunggelenks, einer geringfügigen Schwellneigung im Bereich des Knöchels, einer Teilschädigung des Wadenbeinnervs mit verminderter Fuß- und Zehenheberfunktion, einer Teilschädigung des Schienbeinnervs und einer noch nicht vollständig erfolgten Anpassung an die Unfallfolgen, geführt.
Der Kläger erhob am 02.09.2008 hiergegen Widerspruch, den er damit begründete, dass durchweg eine MdE von mindestens 30 v. H. vorliege. Es erschließe sich nicht, warum sich am Tage der Untersuchung eine Besserung eingestellt haben solle, die nur noch eine MdE von 10 v. H. rechtfertige, nachdem bereits am 14.06.2007 ein Verharrungszustand festgestellt worden sei. In neurologischer Hinsicht bestehe mindestens eine MdE von 20 v. H. Darüber hinaus bestehe in psychiatrischer Hinsicht ebenfalls eine MdE von mindestens 20 v. H. aufgrund der krankhaft verarbeiteten Unfallfolgen.
Prof. Dr. D., Facharzt für Chirurgie, gelangte in einem zweite Rentengutachten nach Untersuchung des Klägers am 13.11.2008 zu dem Ergebnis, an Unfallfolgen bestehe eine vollständig knöchern konsolidierte ehemalige distale Unterschenkelfraktur, mittels Marknagel und Fibulaplatte osteosynthetisch versorgt, reizlos einliegende Metallelemente, reizlose Narben, eine eingeschränkte Beweglichkeit des rechten oberen Sprunggelenkes für Dorsalextension und eine verminderte Abrollbewegung des rechten Fußes. Vom Unfall unabhängige krankhafte Veränderungen seien eine Depression (mittels Antidepressiva behandelt) und ein Hämorrhoidalleiden.
Prof. Dr. A., Facharzt für Neurologie und Neuropsychologie, diagnostizierte nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 05.02.2009 auf neurologischem Fachgebiet eine Teilschädigung des Nervus peronaeus communi rechts mit verminderter Kraftentfaltung der Fuß- und Zehenheber (Kraftgrad 4 bis 4,5), die die Abrollphase rechts beim Gehen etwas beeinträchtige sowie Sensibilitätsstörungen im Bereich der körperfernen Anteile des rechten Unterschenkels und des rechten Fußes, die weder einem zentralen Verteilungsmuster, noch eindeutig einem Versorgungsgebiet eines peripheren Nerv zuzuordnen seien, das Innervationsareal des Nervus peronaeus communis aber mitumfassten. Anhaltspunkte für eine Teilschädigung des Nervus tibialis rechts und eine aktuelle depressive Episode hätten sich nicht gefunden. Zwar habe der Kläger von der Stimmung her etwas niedergedrückt gewirkt, die affektive Resonanz und Schwingungsfähigkeit sei jedoch erhalten gewesen, das Antriebsniveau sei nicht herabgesetzt, im Kontakt habe er aufgeschlossen und freundlich zugewandt gewirkt. Darüber hinaus hätten sich keine Hinweise auf eine PTBS gezeigt. Alle charakteristischen Phänomene einer PTBS hätten anamnestisch nicht eruiert werden können. Die MdE aufgrund der Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet sei ab dem 03.08.2007 auf 20 v. H. zu veranschlagen.
Nachdem Prof. Dr. D. die Gesamt-MdE unter Einbezug des Gutachtens von Prof. Dr. A. ab dem 03.08.2007 auf 20 v. H. bezifferte, gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 16.04.2009 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v. H. Der Arbeitsunfall habe zu einem knöchern fest verheiltem körperfernen Schienbein- und Wadenbeintrümmerbruch mit noch einliegendem Metall, einer endgradigen Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenks, einer Teilschädigung des Nervus peronaeus mit verminderter Fuß- und Zehenheberfunktion sowie verminderter Abrollbewegung des Fußes, Gefühlsstörungen im Narbenbereich des Unterschenkels und Fußes und einer leichten Muskelminderung des Unterschenkels geführt.
Der hiergegen am 20.05.2009 eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, der erlittene Unfall sei ein Vorgang „katastrophenartigen Ausmaßes“ für den Kläger. Er lebe wegen der Folgen des Unfalles von seiner Familie getrennt und leide an verschiedenen Ängsten. Das im sozialgerichtlichen Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft (S 12 SB 4408/07) eingeholte Gutachten der Kliniken S. von Dr. S./Dr. S. bejahe das Vorliegen einer PTBS ebenso wie eine Anpassungsstörung, die jeweils anteilig mit einem GdB von 20 zu bewerten seien. In dem der Widerspruchsbegründung beigelegten Gutachten wurde nach Untersuchungen des Klägers am 24.06. und 25.06.2008 und telefonischer Befragung der Ehefrau angegeben, es habe ein leichtes depressives Herabgestimmtsein mit existenzieller Verzweiflung imponiert. Es bestehe das Vollbild einer PTBS und eine Anpassungsstörung. Die Anpassungsstörung beziehe sich darauf, dass er die erlittene Verletzung nicht verarbeitet habe, sich durch den Unfall in seinem Selbstwert und Weltbild tief getroffen fühle und habe sich mit dem Scheitern der beruflichen Wiedereingliederung entwickelt. Die Ehefrau habe berichtet, durch den Unfall habe er sich im Wesen verändert, vor allen Dingen ab dem Zeitpunkt der Wiedereingliederung. Auf neurologischem Fachgebiet bestehe noch eine leichtgradige Schädigung des Nervus peronaeus und des Nervus saphenus mit dadurch bedingter leichtgradiger Fußheber- und Großzehenheberschwäche mit teilweisem Einhergehen einer Gefühlsminderung bzw. Gefühlsmissempfinden. Der GdB werde ab Juni 2008 auf 50 v. H. geschätzt (orthopädisch 20, neurologisch 20, psychiatrisch 30 [20 PTBS und 20 Anpassungsstörung], Hämorrhoidalleiden 10) und auf 60 v. H. bis Mai 2008 (orthopädisch 30).
Nachdem Prof. Dr. A. hierzu angab, in Übereinstimmung mit der Stellungnahme von Prof. Dr. S. müsse festgestellt werden, dass die Diagnosen unter offensichtlicher Verkennung der diagnostischen Kriterien einer PTBS gestellt worden seien, es könne keine relevante MdE auf psychiatrischem Fachgebiet festgestellt werden, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2010 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.08.2008 als unbegründet zurück. Prof. Dr. W. habe mit einer MdE in Höhe von 20 v. H. für die zurückliegende Zeit bis zu der gutachterlichen Untersuchung zugestanden, dass das Beschwerdebild in den Monaten zuvor schwerwiegender gewesen sei, die am Untersuchungstag erhobenen Funktionseinschränkungen jedoch keine rentenberechtigende MdE mehr bedingten. Prof. Dr. S. führe aus, dass die Nerventeilschädigung mit einer MdE in Höhe von 20 v. H. zu bemessen sei, relevante Unfallfolgen auf psychiatrischem Fachgebiet hätten von ihm nicht festgestellt werden können. Bestätigt worden sei diese Einschätzung durch das Gutachten von Prof. Dr. A., der sich auch mit dem Gutachten der Kliniken S. auseinandergesetzt habe.
Ebenfalls mit Widerspruchsbescheid vom 23.02.2010 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.04.2009 als unzulässig zurückgewiesen. Der Bescheid sei am 16.04.2009 zur Post aufgegeben worden, der am 20.05.2009 eingegangene Widerspruch habe die Frist versäumt.
Gegen die Widerspruchsbescheide hat der Kläger am 24.03.2010 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klagen erhoben und zur Begründung ausgeführt, laut dem Eingangsstempel des Prozessbevollmächtigten sei der Bescheid vom 16.04.2009 am 20.04.2009 eingegangen, wofür auch spreche, dass der 19.04.2009 ein Sonntag gewesen sei. Im Übrigen werde auf den Vortrag im Widerspruchsverfahren verwiesen, wonach die auf psychiatrischem Fachgebiet liegenden Leiden noch anzuerkennen und bei der Festsetzung der Verletztenrente zu berücksichtigen seien. Prof. Dr. K. habe in dem Verfahren L 3 SB 4840/09 ein psychosomatisches Gutachten erstattet, das zu dem Ergebnis komme, dass bei dem Kläger eine PTBS und eine depressive Störung vorliege.
Mit Beschluss vom 25.05.2010 hat das SG die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Das SG hat beim Landessozialgericht die Akten aus dem Verfahren L 3 SB 4840/09 und dem Verfahren S 12 SB 4408/07 am SG beigezogen und daraus das Gutachten von Prof. Dr. K. vom 12.04.2010 (leichte PTBS, rezidivierende depressive Störung gegenwärtig mittelgradig; durch den Unfall scheine der Kläger psychisch beeinflusst, verfüge scheinbar nicht über ausreichende Bewältigungsmechanismen; ein GdB von 30 wegen der PTBS und depressiven Störung sei gerechtfertigt), eine Stellungnahme der Klinik F. vom 14.12.2007 an das SG (chronifizierte PTBS), ein orthopädisches Gutachten von Dr. M. vom 19.05.2008 (geringe Gangstörung und geringe Funktionseinschränkung des oberen Sprunggelenk rechts, GdB von 30 ab 11.01.2007, zur Zeit und auf Dauer GdB von 20 durch eingetretene vollständige Knochenheilung), das Gutachten der Kliniken S. vom 07.07.2008 und eine ergänzende Stellungnahme vom 06.05.2009 (unter Zugrundelegung einer Besserung in psychiatrischer Hinsicht aufgrund des neurologischen Gutachtens von Prof. Dr. A., das in psychiatrischer Hinsicht keine wesentlichen Auffälligkeiten feststelle, könne ein Gesamt-GdB von 40 für gerechtfertigt gehalten werden) sowie versorgungsärztliche Stellungnahmen von Dr. W. vom Versorgungsamt vom 06.03.2009 (seelische Störung Teil-GdB 30, Gebrauchseinschränkung rechtes Bein Teil-GdB 20, Hämorrhoiden Teil-GdB 10) und 14.07.2009 (der Teil-GdB von 20 für die Gebrauchseinschränkung des rechten Beines könne keinesfalls erhöht werden; keinesfalls könne bei Mitberücksichtigung des bereits weitreichenden Teil-GdB von 30 auf psychischem Gebiet ein höherer Gesamt-GdB als 40 in Betracht kommen) berücksichtigt.
Die Beklagte hat vorgebracht, die Diagnose einer PTBS im Gutachten von Prof. Dr. K. könne nicht als erwiesen angesehen werden und hat hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vorgelegt, in der dieser im Wesentlichen ausgeführt hat, dass für die Diagnose einer PTBS ein entsprechender seelischer Gesundheitserstschaden nicht dokumentiert sei. Die bloße Angabe von Beschwerden und Einschränkungen genüge nicht. Es müsse keine Alternativursache nachgewiesen werden.
Zur weiteren Aufklärung hat das SG sodann Dr. P. mit der Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens beauftragt, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 22.03.2011 die Auffassung vertrat, schädigungsbedingt liege eine partielle PTBS im Sinne von Anpassungsstörungen bei Krankheitsfehlverarbeitung mit schwereren Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, wobei es an einer schweren sozialen Isolierung fehle, was sich auch mit der Einschätzung der Versorgungsverwaltung decke (Teil-MdE 30 v. H.), und eine leichte Peronaeus-Restparese rechts nach Trauma (Teil-MdE 20 v. H.) vor. Die Gesamt-MdE werde mit 40 v. H. bewertet. Das Vollbild einer PTBS liege nicht vor, wenngleich schon einiges an Hartleibigkeit dazu gehöre, den Unfall als Bagatelltrauma darzustellen, vielmehr seien die Ängste das Bein zu verlieren durchaus nachvollziehbar. Das traumatische Ereignis und dessen Folgen seien auf eine vulnerable Persönlichkeit mit selbstunsicheren, vermeidenden Zügen getroffen. Es handle sich um eine harmoniebedürftige, eher angepasste, dem Grunde nach wenig durchsetzungsfähige Persönlichkeit, die sicherlich primäre Schwächen habe, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Der vor einem gescheiterten Lebensentwurf stehende Kläger, der anderthalb Jahre erfolglos psychiatrisch behandelt worden sei, führe gegenwärtig keine Therapie durch, nehme nur Antidepressiva.
Die Beklagte hat gegen das Gutachten von Dr. P. eingewandt, die Diagnose könne nicht in eines der üblichen Diagnosesysteme eingeordnet werden, auch werde verkannt, dass die Diagnose einer PTBS ein traumatisches Erlebnis von besonderer Qualität mit extremen Belastungsfaktoren voraussetze und es fehle ein Bezug der MdE-Einschätzung zu den Erfahrungswerten der unfallmedizinischen Rentenliteratur. Dr. P. hat hierauf erwidert, das Vollbild einer Störung nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen liege nicht vor, es seien nur Teilbereiche erfüllt. Es könne auch die Diagnose einer schweren depressiven chronifizierten Episode mit Entwicklung schwerer anhaltender Anpassungsstörungen bei Krankheitsfehlverarbeitung gestellt werden. Die Beklagte hat hiergegen vorgebracht, die Richtigkeit der neuen Diagnose unterstellt, stelle sich die Frage, ob sich die Diagnose mit dem geforderten Grad der Wahrscheinlichkeit auf das Ereignis vom 08.12.2005 zurückführen lasse. Das Auftreten einer chronisch verlaufenden abnormen Entwicklung sei die häufigste psychoreaktive Folge auf ein äußeres Ereignis. Blieben die Symptome bestehen, verstärkten sie sich gar oder würden sie bei geringfügigen Traumen auftreten, deute dies auf eine besondere Disposition hin. Es stelle sich dann die Frage der Wesentlichkeit der Krankheitsanlage im Vergleich zum Unfallereignis.
Mit Urteil vom 06.09.2012 hat das SG die Klagen abgewiesen. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.04.2009 sei nicht verfristet. Nachdem nicht dokumentiert worden sei, wann der Bescheid vom 16.04.2009 zur Post gegeben worden sei, greife die Fiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht. Die von der Beklagten festgesetzte MdE von 20 v. H. berücksichtige die vorliegenden Unfallfolgen und die hiermit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen ausreichend und angemessen. Der Kläger leide auf unfallchirurgischem Fachgebiet lediglich an einer um 10° geminderten Streckbeweglichkeit des oberen Sprunggelenkes. Hierfür sei eine Einzel-MdE von 10 v. H. bereits großzügig, aber noch angemessen. Für die Teilschädigung des Nervus peronaeus mit einer leicht verminderten Kraftentfaltung der Zehen- und Fußhebung rechts, einer Verschmächtigung des rechten Unterschenkels um 1 bis 2 cm, den Sensibilitätsstörungen im Innervationsareal des Nervus peronaeus communis, den Schmerzen im Bereich des rechten Sprunggelenkes und Sensibilitätsstörungen sei eine MdE von 20 v. H. festzustellen, nachdem bei einer (vollständigen) Schädigung des Nervus peronaeus (communis) eine MdE von 20 v. H. in Ansatz zu bringen sei. Weitere Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht hinreichend wahrscheinlich rechtlich wesentlich auf das Unfallereignis vom 08.12.2005 zurückzuführen. Unfallunabhängige Faktoren wie familiäre Probleme und eine Begehrenshaltung seien dominierend für die bestehenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet. Bei einer integrierenden Gesamtschau der Gesamteinwirkungen der unfallbedingten Funktionseinschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers werde eine Gesamt-MdE von 20 v. H. in Ansatz gebracht.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 23.11.2012 zugegangene Urteil hat der Kläger am 17.12.2012 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung vorgetragen, mit der Bewertung der auf orthopädischem/neurologischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen sei er einverstanden, diese seien zutreffend bewertet. Das SG verkenne allerdings, dass zunächst die durch den Unfall davongetragenen schwersten Verletzungen auf chirurgischem Fachgebiet im Vordergrund der Behandlung gestanden hätten. Das Verletzungsereignis sei geeignet, eine PTBS hervorzurufen. Gerade bei vulnerablen Persönlichkeiten seien nach schweren Verletzungen wie im vorliegenden Fall langwierige Krankheitsverläufe nicht ausgeschlossen. Der weitere Verlauf zeige, dass er an Furcht vor weiteren Unfällen, Hilflosigkeit und Schrecken leide. Seine Angaben seien typisch für eine PTBS, von der sämtliche Merkmale vorliegen dürften. Das SG hätte auch eine Depression als Unfallfolge prüfen und bei der Höhe der MdE berücksichtigen müssen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 6. September 2012 aufzuheben und den Bescheid vom 21. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2010 abzuändern und ihm eine vorläufige Rente nach einer MdE von 40 v. H. über den 15. Oktober 2007 hinaus bis zum 30. November 2008 sowie den Bescheid vom 16. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2010 abzuändern und ihm eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 40 v. H. ab dem 1. Dezember 2008 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, bei einer über mehrere Jahre anhaltenden PTBS seien hohe Anforderungen an den Nachweis der Kriterien und an die gutachterliche Abgrenzung zu stellen. Die „vulnerable Persönlichkeit“ spreche für die Richtigkeit des Urteils, ebenso, dass Dr. P. nicht das Vollbild einer PTBS bejahe. Die beschriebenen zunehmenden Ängste seien für die Diagnose einer PTBS nicht beweisend, der Kläger habe insbesondere keine Alpträume benannt, sondern nur beschrieben, dass er grüble. In dem Gutachten von Dr. P. sei keine ausreichend begründete Kausalitätsbeurteilung mit Berücksichtigung des seit dem Unfall vergangenen Zeitraums von mehr als 7 Jahren und der Therapieresistenz und der Frage nach Versorgungswünschen oder ähnlichem als eventuelle Ursache erfolgt.
Auf Antrag und Kosten des Kläger nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat Dr. S. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dr. S. hat in seinem fachpsychiatrischem Gutachten nach Untersuchungen des Klägers am 19.12. und 23.12.2013 angegeben, beim Kläger liege seit Mitte 2007 eine leichtgradige ängstlich-depressive Symptomatik vor, die einer dysthymen Störung zuzuordnen sei. Eine PTBS sei nicht zu diagnostizieren. Es bestünden bereits Zweifel, ob das Schädigungsereignis die Schweregradkriterien erfülle. Die Angaben zu praktisch permanenter, mehrjähriger, fast ganztägiger Beschäftigung mit belastenden unwillkürlichen Wiedererinnerungen in Bezug auf den Arbeitsunfall seien unplausibel und psychologisch nicht nachvollziehbar. Der Kläger sei im Rahmen der Wiedereingliederung mit dem Unfallarbeitsplatz sowie einem Arbeitsplatz in unmittelbarer Nähe hierzu konfrontiert gewesen, ohne dass dies zu dokumentierten Beeinträchtigungen geführt habe. Die Wiedereingliederung sei an körperlichen Funktionsstörungen gescheitert. Das Vermeidungskriterium sei daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit als erfüllt zu betrachten. Eine gewisse dysphorische Reizbarkeit sei festzustellen gewesen, Zeichen von Hypervigilanz hätten sich hingegen nicht ergeben. Das Wiedererinnerungs-, Vermeidungs- und Hypersensitivitäts-Kriterium sei nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis aufgetreten In das diagnostische Konzept der dysthymen Störung falle auch Reizbarkeit. Depressive Verstimmungen resultierten aus einem multifaktoriellem Bedingungsgeflecht. Schwere Unfallereignisse könnten grundsätzlich - mittelbar oder unmittelbar - auch zu depressiven Verstimmungen führen. Bei dem Kläger habe eine mehr als einjährige Phase ohne dokumentierte krankheitswerte affektive Beeinträchtigung zwischen dem Unfallereignis und den ersten dokumentierten psychischen Auffälligkeiten vorgelegen. Zu identifizieren sei ein ganzes Spektrum von psychosozialen Belastungsmomenten, welches im Vorfeld der depressiven Verstimmung ab 2007 wirksam geworden sei. Hierzu zähle die unsichere berufliche Situation mit Scheitern der Belastungserprobung im Februar 2007 und Verlust/Aufgabe des Arbeitsplatzes im selben Jahr und daraus resultierende finanzielle Engpässe und Schwierigkeiten in der wirtschaftlichen Versorgung der Familie bei räumlicher Enge im Zusammenleben von vier Personen in einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung. Eigenanamnestisch hätten sich auch Hinweise auf in seinem Selbstwerterleben leicht kränkbare Persönlichkeitszüge gezeigt. So die Schilderung der Aufgabe der Reinigungstätigkeit mit Inkaufnahme einer Zeit der Arbeitslosigkeit, weil er sich im Stolz verletzt gefühlt habe. Im subjektiven Erleben habe er als familiäres Oberhaupt und Ernährer der Familie versagt. Hierbei handle es sich um intrapsychische Belastungen im Zusammenwirken mit der Primärpersönlichkeit, die von zentraler Bedeutung seien für die Entstehung und Aufrechterhaltung der depressiven Entwicklung ab Mitte 2007. Die für die Depressivität kausal wirksamen Belastungsmomente seien durch das Schädigungsereignis ausgelöst worden. Die psychosozialen Belastungen resultierten aber aus gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Beeinträchtigungen. Daher sei die dysthyme Störung nicht im rechtlichen Sinne durch den Arbeitsunfall bedingt zu bewerten. Eine unfallbedingte MdE auf psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachgebiet könne nicht festgestellt werden.
Der Kläger hat gegen das Gutachten von Prof. Dr. S. eingewandt, der zeitliche Längsschnitt vermöge nicht nur eine lediglich leichte depressive Symptomatik zu stützen. Die PTBS oder Depression sei Folge des Unfallereignisses und nicht ein aus einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht herrührendes Leiden. Er habe vor dem Unfallereignis weder an einer Dysthymie noch an einer Depression gelitten. Er leide an Konzentrationsstörungen und sei deswegen mit der Beantwortung der ca. 500 Fragen in Fragebögen überfordert gewesen.
Dr. S. hat in einer ergänzenden Stellungnahme dargelegt, bei einer gesamten Untersuchungszeit von gut 8 ½ Stunden habe die Bearbeitung von Fragebögen ca. 1 Stunde 45 Minuten mit einem Dolmetscher, der in klinischen Begutachtungskontexten äußerst versiert sei, umfasst. Bei dem Kläger sei ein altersentsprechendes durchschnittlich ausgeprägtes Auffassungs- und Konzentrationsvermögen zu objektivieren gewesen. Selbstbeurteilungsverfahren erhielten keine Validierungsskalen, so dass die erzielten Ergebnisse unter anderem anfällig für Simulations- und Dissimulationstendenzen seien. Eine Notwendigkeit für ein psychologisches/neuropsychologisches Gutachten bestehe nicht. Das durchgeführte testpsychologische Beschwerdevalidierungsverfahren habe eine Anstrengungsminderleistung nachgewiesen. Dies führe dazu, dass Ergebnisse anderer kognitiver Leistungstests nicht verwertbar gewesen seien. Dass es bei einem Erstkontakt mit der Arbeitsunfallstelle nach einem Schädigungsereignis durchaus auch zu belastenden Erinnerungen komme, sei eine physiologische Gedächtnisleistung. Bei der Begutachtung seien aber keine krankheitswerten wesentlichen Vermeidungsverhaltensweisen, noch intensive psychische Reaktionen bei erneuter Konfrontation festzustellen gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Das SG hat die Klagen zu Unrecht abgewiesen, denn der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente. Der Bescheid vom 21.08.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 und der Bescheid vom 16.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.02.2010 sind teilweise rechtswidrig und verletzen ihn insoweit in seinen Rechten.
Streitig ist vorliegend allein die Bewertung der psychische Unfallfolgen, nachdem der Kläger ausdrücklich die Bewertung der orthopädischen/neurologischen Gesundheitseinschränkungen im rechten Unterschenkel nicht angegriffen hat. In Auswertung des Gutachtens von Dr. P., aber auch des Gutachtens von Prof. Dr. S. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich beim Kläger infolge des Arbeitsunfalls vom 08.12.2005 eine Anpassungsstörung entwickelt hat, die in eine chronifizierte Depression übergegangen und mit einer MdE von 20 v. H. zu bewerten ist, so dass er Anspruch auf Gewährung einer vorläufigen Rente über den 15.10.2007 hinaus sowie einer Rente auf unbestimmte Zeit ab dem 01.12.2008 nach einer MdE von 30 v. H. hat.
Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Verletztenrente ist § 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (Abs. 2 Satz der Vorschrift). Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht (Abs. 3 der Vorschrift).
Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII soll der Unfallversicherungsträger ferner während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Nach § 62 Abs. 3 SGB VII wird dann spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet.
Die Beklagte hat das Ereignis vom 08.12.2005 zutreffend als Arbeitsunfall anerkannt, aufgrund dessen sie bereits verschiedene Leistungen erbracht (z. B. Heilbehandlung, Verletztengeld) und Verletztenrente zunächst als vorläufige Leistung nach einer MdE von 30 v. H. vom 03.08. bis 15.10.2007 und nach einer MdE von 20 v. H. vom 16.10.2007 bis 30.11.2008 (mit Bescheid vom 21.08.2008) und mit weiterem Bescheid vom 16.04.2009 nach einer MdE von 20 v. H. auf unbestimmte Zeit ab dem 01.12.2008 bewilligt hat.
Zur Überzeugung des Senats ist die MdE aufgrund unfallbedingter psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen ab dem 16.10.2007 insgesamt mit 30 v. H. zu bewerten. Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund von ihnen ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (BSG, Urteil vom 29.01.1986 - 9b RU 56/84 - juris; Urteil vom 19.08.2003 - B 2 U 50/02 R - juris). Unfallversicherungsrechtlich relevant ist ein Gesundheitsfolgeschaden nur dann, wenn er sicher feststeht, d.h. im Vollbeweis gesichert ist. Hierbei ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosensysteme zu stellen (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - a.a.O.). Der Senat berücksichtigt die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
Während die versicherte Tätigkeit, die Art und das Ausmaß des Unfallereignisses, der Gesundheitserstschaden und die hierdurch verursachten länger andauernden Unfallfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden müssen, ist für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat anhand des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen. Die Kausalität ist dabei auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu beurteilen. Dies schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - a. a. O.). Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall in diesem Sinne eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen im Sinne der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt; das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie z.B. Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein. Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursache des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich „Wesentliche“ ist (BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - a.a.O.).
Diese Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen. Die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente für sie ist ebenso wie für andere Gesundheitsstörungen möglich. Denn auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis verursacht werden. Psychische Gesundheitsstörungen können nach einem Arbeitsunfall in vielfältiger Weise auftreten: Sie können unmittelbare Folge eines Schädel-Hirn-Traumas mit hirnorganischer Wesensänderung sein, sie können aber auch ohne physische Verletzungen, z. B. nach einem Banküberfall, entstehen, sie können die Folge eines erlittenen Körperschadens, z. B. einer Amputation, sein, oder sie können sich in Folge der Behandlung des gesundheitlichen Erstschadens erst herausbilden (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - NZS 2012, 909).
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen und nach Auswertung der medizinischen Unterlagen, insbesondere des Gutachten von Dr. P., aber auch des Gutachtens von Dr. S., hält es der Senat für hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger an psychischen Gesundheitsstörungen leidet, die wesentlich durch das Unfallereignis vom 08.12.2005 verursacht worden sind und die sich auf die MdE erhöhend auswirken. Demgegenüber können die im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Gutachten von Prof. Dr. A. und Prof. Dr. S. nicht überzeugen.
Die Beklagte selbst hat in dem Bescheid vom 21.08.2008 über die Gewährung einer Rente als vorläufige Entscheidung eine noch nicht vollständig erfolgte Anpassung an die Unfallfolgen festgestellt. Bei einer Anpassungsstörung handelt es sich nach ICD-10-GM-2015 F 43.2 um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Die individuelle Prädisposition oder Vulnerabilität spielt bei dem möglichen Auftreten und bei der Form der Anpassungsstörung eine bedeutsame Rolle; es ist jedoch davon auszugehen, dass das Krankheitsbild ohne die Belastung nicht entstanden wäre. Bei einer Dauer von mehr als 6 Monaten soll in die ICD-10-GM-2015 F 43.21 (längere depressive Reaktion) kodiert werden (leichter depressiver Zustand als Reaktion auf eine länger andauernde Belastungssituation, der 2 Jahre nicht überschreitet).
Bei dem Kläger sind erstmals psychische Symptome in der Reha-Maßnahme im Frühjahr 2007 aufgetreten, also zu einem Zeitpunkt, als sich nicht nur der Heilungsverlauf als verzögert zeigte, sondern auch kurz darauf die Wiedereingliederung am alten Arbeitsplatz scheiterte und die Beklagte einen Verharrungszustand feststellte, schließlich auch die Arbeitsvermittlung nicht erfolgreich war. Zeitlicher Bezugspunkt für die Anpassungsstörung kann daher nicht der Unfall selbst sein, nachdem der Kläger anfangs und bis zuletzt fest mit seiner Wiederherstellung gerechnet hat, sondern letztlich das fehlgeschlagene Heilverfahren mit dem Verbleiben eines Dauerschadens im Frühjahr 2007. Dem Kläger kann daher nicht entgegen gehalten werden, dass die psychischen Unfallfolgen sich erst zeitlich verzögert entwickelt haben, sondern das ist geradezu symptomatisch, wenn erst nach gescheiterter Heilbehandlung mit mehreren Operationen, ambulanten und stationären Maßnahmen sowie letztlich gescheiterten beruflichen Wiedereingliederungsversuchen dann feststeht, dass ein Zurück zu dem Leben vor dem Unfall nicht mehr möglich ist. An diese Situation konnte sich der Kläger letztlich nicht anpassen, das ist der Bezugspunkt der Störung.
Insofern hat der Sachverständige Dr. S. fälschlicherweise die Störung aus dem depressiven Formenkreis als unfallunabhängig aufgrund familiärer, sozialer und beruflicher Umstände im Zusammenwirken mit der vulnerablen Persönlichkeit ab dem Frühjahr 2007 bewertet und nicht durch eine nicht erfolgte Anpassung an die durch den Arbeitsunfall wesentlich verursachten Gesundheitsbeeinträchtigungen. Er hat dabei übersehen, dass er selbst ausgeführt hat, dass das für die Depressivität auslösende Belastungsmoment des vormals lebensbejahenden Klägers das Unfallereignis war und die von ihm als unfallunabhängig erachteten Beeinträchtigungen, nämlich der Verlust des sicheren Arbeitsplatzes, die in Anbetracht der verbliebenen Behinderungen, die mit einem Gesamt-GdB von 40 bewertet werden, gescheiterte Wiedereingliederung wie letztlich der Zusammenbruch der Familie, der der Ernährer fehlte, allesamt unfallbedingt waren und vor deren Hintergrund sich dann nachvollziehbar die Anpassungsstörung entwickelt hat. Denn die Anpassungsstörung bezieht sich, wie Dr. S./Dr. S. anschaulich dargestellt haben, auf den durch den Unfall bedingten Verlust der körperlichen Integrität, die beim Kläger eine tiefgreifende Beeinträchtigung im Selbstverständnis und Welterleben ausgelöst hat.
Diese Gesundheitsstörung ist dann, nachdem die therapeutischen Interventionen keine Besserung erbracht haben, unstreitig in eine Dauerstörung, nämlich eine chronische Depression übergegangen, die auch zuletzt Dr. S. ab Mitte 2007 und Prof. Dr. K. ab Juli 2007 diagnostiziert haben. Insofern liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Erkrankung nach Ablauf von 2 Jahren zurückgebildet hat, sie ist nun allerdings unter den Diagnoseschlüssel einer Depression (F 32.2) zu fassen, wie dies bereits Dr. P. für den Senat nachvollziehbar dargelegt hat.
Der Senat konnte sich jedoch in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. P. nicht davon überzeugt, dass sich bei dem Kläger infolge des Arbeitsunfalls das Vollbild einer PTBS ausgebildet hat, da es im Wesentlichen am dafür erforderlichen Vermeidungsverhalten fehlt.
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10-GM-2015 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81. Danach gelten folgende Grundsätze: Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, zum Beispiel zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung über.
Nach DSM-IV-TR 309.81 gelten demgegenüber folgende Kriterien: Das Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsstörung ist die Entwicklung charakteristischer Symptome nach der Konfrontation mit einem extrem traumatischen Ereignis. Das traumatische Ereignis beinhaltet unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (Kriterium A1). Die Reaktion der Person auf das Ereignis muss intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen umfassen (Kriterium A2). Charakteristische Symptome, die aus der Konfrontation mit der extrem traumatischen Situation resultieren, sind das anhaltende Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von wiederholten und aufdringlichen Erinnerungen an das Ereignis (Kriterium B1), von wiederkehrenden, quälenden Träumen, in denen das Erlebnis nachgespielt wird oder in anderer Form auftritt (Kriterium B2), von Erleben von oft als „flashbacks“ bezeichneten dissoziativen Zuständen, während derer einzelne Bestandteile des Ereignisses wieder erlebt werden (Kriterium B3) oder, wenn die Person mit Ereignissen konfrontiert wird, die sie an Aspekte des traumatischen Ereignisses erinnern oder die diese symbolisieren, in Form von intensiver psychischer Belastung (Kriterium B4) oder physiologischer Reaktionen (Kriterium B5). Charakteristische Symptome sind auch die andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, und eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität in der Form, dass die Person im Allgemeinen versucht, Gedanken, Gefühle oder Gespräche über das traumatische Ereignis (Kriterium C1) und Aktivitäten, Situationen oder Personen, die die Erinnerung an das Ereignis wachrufen (Kriterium C2) absichtlich zu vermeiden, wobei die Vermeidung des Erinnerns die Unfähigkeit mit einschließen kann, sich an einen wichtigen Aspekt des traumatischen Ereignisses zu erinnern (Kriterium C3), oder in Form von verminderter Reaktionsbereitschaft auf die Umwelt, welche üblicherweise sehr bald nach dem traumatischen Erlebnis eintritt (Kriterium C4), eines Gefühls der Isolierung und Entfremdung von Anderen (Kriterium C5) oder einer deutlich reduzierten Fähigkeit, Gefühle zu empfinden (Kriterium C6) oder in der Form, dass betroffene Personen das Gefühl einer eingeschränkten Zukunft haben (Kriterium C7). Charakteristische Symptome sind auch anhaltende Symptome erhöhten Arousals in Form von Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten, die durch wiederholte Albträume, in denen das traumatische Erlebnis wieder erlebt wird, hervorgerufen werden können (Kriterium D1), Hypervigilanz (Kriterium D4) und übertriebener Schreckreaktion (Kriterium D5), wobei manche Personen über Reizbarkeit oder Wutausbrüche (Kriterium D2) oder Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder Aufgaben zu vollenden (Kriterium D3), berichten. Das vollständige Symptombild muss länger als einen Monat anhalten (Kriterium E) und die Störung muss in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (Kriterium F). Traumatische Erfahrungen, die direkt erlebt wurden, umfassen insbesondere kriegerische Auseinandersetzungen, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Folterung, Kriegsgefangenschaft, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, schwere Autounfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Hinsichtlich Beginn und Dauer der Symptome wird unterschieden zwischen der akuten posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Dauer der Symptome weniger als drei Monate beträgt), der chronischen posttraumatischen Belastungsstörung (wenn die Symptome drei Monate oder länger andauern) und der posttraumatischen Belastungsstörung mit verzögertem Beginn (wenn mindestens sechs Monate zwischen dem traumatischen Ereignis und dem Beginn der Symptome vergangen sind). Die Symptome, wie beispielsweise verminderte affektive Schwingungsfähigkeit, dissoziative Symptome, somatische Beschwerden, Gefühle der Insuffizienz in Form von Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl des Bedrohtseins oder beeinträchtigte Beziehung zu anderen oder Veränderung der Persönlichkeit im Vergleich zu früher beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar Jahre verzögern kann. Die Schwere, Dauer und Nähe der Person bei Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis sind die wichtigsten Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit bestimmen, mit der die Störung sich entwickelt. Es gibt Hinweise, dass soziale Unterstützung, Familienanamnese, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeitsvariablen und vorbestehende psychische Störungen die Ausbildung einer posttraumatischen Belastungsstörung beeinflussen können. Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Auffälligkeit vorhanden war, besonders dann, wenn es sich um eine besonders extreme Belastung handelt.
Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass das seit Mitte 2013 in den USA geltende neue Diagnose-System DSM-V vorliegend nicht zu einer anderen Bewertung führt. Dieses Diagnosemanual liegt bisher nur in englischer Sprache vor und wird in den Leitlinien und einschlägigen deutschen Standardwerken noch nicht diskutiert, so dass sich die Frage stellt, ob dieses System in Deutschland überhaupt schon dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 25.03.2014 - L 3 U 207/11 - juris). DSM-V verzichtet auf das nach DSM-IV bedeutsame A2-Kriterium und die dort genannte Qualität der Reaktion auf das Ereignis. Dies bedeutet aber nicht, dass nunmehr alle später auftretenden Symptome, bei denen Intrusionen, Vermeidungsverhalten und Hyperarousal geltend gemacht werden, zwingend zur Diagnose einer PTBS führen (vgl. Widder, MED SACH 5/2013, S. 109) oder dass auf eine zeitnah zum Ereignis vorliegende psychische Reaktion juristisch verzichtet werden kann.
Zwar stellt der Unfall – im Gegensatz zu der nicht nachvollziehbaren Einschätzung der Sachverständigen Dr. S., Prof. Dr. A. und Dr. S. – durchaus ein solches lebensbedrohliches Ereignis dar, was insbesondere der Sachverständige Dr. P. für den Senat überzeugend herausgearbeitet hat. Denn der Kläger wurde unter fast einer Tonne wiegenden Metallteilen „begraben“, musste dann von seinen Arbeitskollegen befreit werden und hat in Anbetracht der offenen Fraktur und dem schwierigen Heilungsverlauf zeitenweise mit einem Verlust der Gliedmaße gerechnet. Deswegen handelt es sich auch nicht nur um eine Verletzung, die wie Dr. S. meint, lediglich nicht unerhebliche psychische Belastungen nach sich zieht, sondern ist in Übereinstimmung mit den Sachverständigen Prof. Dr. K., Dr. S./Dr. S. sowie dem behandelnden Arzt Dr. W. als geeignetes Ereignis für die Auslösung einer PTBS und nicht als bloßes Bagatelltrauma anzusehen.
Jedoch ist jedenfalls das erforderliche Vermeidungsverhalten nicht festzustellen, so dass das C-Kriterium nicht erfüllt ist. Denn er hat bereits ab dem 02.08.2006 eine stufenweise Arbeits- und Belastungserprobung bei dem Arbeitgeber, bei dem er den Arbeitsunfall erlitten hat, begonnen und bis zu einer täglichen Arbeitszeit von 4 Stunden über Monate hinweg durchgeführt. Er hat sich somit der Belastung aussetzen können, wieder am alten Arbeitsplatz, an dem der Unfall sich ereignet hat bzw. in unmittelbarer Nähe hierzu, tätig zu sein, was eindrucksvoll unterstreicht, dass es an einem für eine PTBS typischem Vermeidungsverhalten fehlt. Es sind auch nicht Schilderungen psychischer Belastungen im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme der Arbeit dokumentiert, obwohl viele ärztliche Untersuchungstermine zur Verlaufskontrolle stattgefunden haben. So werden in den vielen Arztberichten ab Dezember 2005 bis Anfang des Jahres 2007 keinerlei Beschwerden im psychischen Bereich erwähnt. Insbesondere finden sich auch in dem Befund- und Entlassbericht über die komplex-stationäre Rehabilitation (KRS) vom 15.11. bis 06.12.2006 keine Angaben zu Auffälligkeiten des psychischen Befundes. Die Wiedereingliederung scheiterte denn auch allein aufgrund der körperlichen Einschränkungen.
Hieraus ergibt sich, dass beim Kläger das Vorliegen einer PTBS insgesamt nicht festgestellt werden kann.
Der Senat bewertet in Übereinstimmung mit dem Gutachter Dr. S. die depressive Erkrankung vor dem Hintergrund einer Anpassungsstörung, als leichtgradige depressive Störung, nachdem sich im Längsschnitt kein stark ausgeprägtes Störungsbild ergibt, für die eine MdE von 20 v. H. zu berücksichtigen ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, 2010, S. 156 f.).
Dies ergibt sich daraus, dass die Stimmungslage bei den Untersuchungen durch Dr. S. über die Dauer von über acht Stunden hinaus nur gering herabgemindert war, wobei der Kläger im Affekt ernst, bei eingeengter, jedoch nicht aufgehobener emotionaler Schwingungsfähigkeit war. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. A. war er im Antrieb nicht herabgesetzt, sondern nur von der Stimmung etwas niedergedrückt, wobei die affektive Resonanz erhalten war, auch zum positiven Pol hin. In dem Gutachten der Kliniken Schmieder wurde angegeben, es imponiere ein leichtes depressives Herabgestimmtsein mit existenzieller Verzweiflung. Die diagnostizierte Anpassungsstörung aufgrund Krankheitsfehlverarbeitung wurde diesem Befund entsprechend mit einem GdB von 20 bewertet. Nur weil darüber hinaus noch zusätzlich von dem Vorliegen einer PTBS ausgegangen worden war, wurde insgesamt der GdB für die Psyche mit 30 bewertet. Die kognitiven Funktionen waren selbst bei der sehr langen Untersuchung durch Dr. S. altersentsprechend, insbesondere lagen keine verstärkt ausgeprägten kognitiven Ermüdungszeichen vor, ebenso wie bei den Begutachtungen durch Prof. Dr. K. und Prof. Dr. A.. Diese Befunde stimmen mit dem Eindruck überein, den der Senat sich in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gemacht hat. Gestützt wird die Einschätzung einer leichteren depressiven Beschwerdeproblematik durch die fehlende Behandlung und Medikation bereits seit einigen Jahren. Der Kläger lebt zwar zurückgezogener als vor dem Unfall, allerdings nicht sozial isoliert. Er lebt im Haushalt der Schwiegereltern und besucht vier- bis fünfmal jährlich seine in der Türkei lebende Frau mit den gemeinsamen Kindern. Dabei ist er in der Lage, die Reisen alleine zu planen und durchzuführen. Zwar hat er bei den verschiedenen Begutachtungen angegeben, sich von Bekannten zurückgezogen zu haben, allerdings hat er hierzu jeweils angegeben, er möchte Gespräche vermeiden, um nicht über seine soziale Situation zu sprechen. Der Kläger beschreibt eine erhöhte Reizbarkeit, Antriebsarmut und spezifische Ängste, die ihn jedoch nur in bestimmten Situationen in der Alltagsgestaltung einschränken (Vermeidung von Passieren von Brücken, Tunnels, Situationen, in denen Metall über ihm sei, z. B. Gerüste). Hieraus ergibt sich noch nicht das Bild einer stärkeren Störung. Gegen eine stärkere depressive Störung spricht ebenfalls, dass bei den durch Dr. S. durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen die strukturierte Fremdbeurteilung mit der Hamilton Depression Scale (HAMD) für das Vorliegen einer eher geringgradig ausgeprägten depressiven Symptomatik sprach.
Der Kläger ist zwar von Prof. Dr. K. und Dr. P. nach ihren Begutachtungen als stärker depressiv eingeschätzt worden. Allerdings lag dies auch an seinen Angaben insbesondere zu Konzentrationsproblemen und kognitiven Dysfunktionen, die sich bei den Untersuchungen nicht objektiv erheben ließen. Soweit der Kläger ausuferndes Grübeln über das Unfallereignis geschildert hat, ist dies nicht völlig plausibel. So hat er dies bei Dr. S. erst auf konkrete Nachfrage, dann aber fast den ganzen Tag ausfüllend geschildert. Die Selbstbeschreibung des Klägers im Rahmen des Beck-Depressionsinventars II zeigte zwar ein schwer ausgeprägtes depressives Erleben, allerdings gab das Fragebogenverfahren zur Erfassung von Simulation in Bezug auf psychische Symptome (SFSS) Hinweise auf Verdeutlichungstendenzen in Bezug auf neurologische, affektive und amnestische Symptome und das testpsychologische Beschwerdevalidierungsverfahren TOMM Hinweise für eine instruktionswidrig defizitäre Anstrengungsleistung. Dies erklärt, dass aufgrund der anamnestischen Angaben und Schilderungen des Klägers von den Gutachtern teilweise ein stärker ausgeprägtes depressives Störungsbild gesehen wurde, das sich objektiv so nicht erheben lässt.
In der Zusammenschau ergibt sich daher zur Überzeugung des Senats, dass die depressive Erkrankung vor dem Hintergrund einer Anpassungsstörung mit einer MdE von 20 v. H. zu bewerten ist. Da es in Anbetracht der bereits berücksichtigten übrigen Störungen durchaus zu Überscheidungen kommt, ist eine Gesamt-MdE von 30 v. H. angemessen, aber auch ausreichend.
Damit sind weitere Erkrankungen mit Funktionseinschränkungen, die eine MdE von über 20 v. H. rechtfertigen, wesentlich auf den Arbeitsunfall vom 08.12.2005 zurückzuführen. Der Kläger hat daher Anspruch auf Gewährung einer höheren Verletztenrente. Daher hat die Beklagte dem Kläger ab dem 16.10.2007 bis zum 30.11.2008 eine vorläufige Rente nach einer MdE von 30 v. H. und ab dem 01.12.2008 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 30 v. H. zu gewähren.
Auf die Berufung des Klägers war daher das seine Klagen abweisende Urteil des SG aufzuheben und seinen Klagen teilweise stattzugeben, wobei die Kostenquotelung dem Umfang des Erfolges des klägerischen Begehrens entspricht und auf § 193 SGG beruht.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Medizinrecht:
Die Entscheidung beruht auf auf einer feststehenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welche unterschiedliche Anforderungen an das Beweismaß aufstellt. Während die versicherte Tätigkeit, die Art und das Ausmaß des Unfallereignisses, der Gesundheitserstschaden und die hierdurch verursachten länger andauernden Unfallfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden müssen, ist für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden.
Das Gericht macht deutlich dass die Theorie von der wesentlichen Bedingung für alle als Unfallfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen gilt. Die Anerkennung als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente ist bei psychischen ebenso wie bei allen andere Gesundheitsstörungen möglich. Denn auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis verursacht werden. Psychische Gesundheitsstörungen können nach einem Arbeitsunfall in vielfältiger Weise auftreten: Sie können unmittelbare Folge eines Schädel-Hirn-Traumas mit hirnorganischer Wesensänderung sein, sie können aber auch ohne physische Verletzungen, z. B. nach einem Banküberfall oder Raubüberfall (siehe auch SG Berlin v. 09.05.08), entstehen, sie können die Folge eines erlittenen Körperschadens, z. B. einer Amputation, sein, oder sie können sich in Folge der Behandlung des gesundheitlichen Erstschadens erst herausbilden (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - NZS 2012, 909).
Dies wird von Berufsgenossenschaften in der Regel anders gesehen. Aus unserer Erfahrung behaupten deren beauftragte Gutachter oft, dass eine psychische Erkrankung zwar vorliegen mag, diese aber nicht Unfallfolge sei, sondern bereits vor dem Unfall bestanden haben muss. Selbst wenn sich der Versicherte nie vorher in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung befunden hat, dient diese Behauptung in schöner Regelmäßigkeit als Begründung für die Ablehnung von Leistungsanträgen.