OLG Hamm: Bei neurologisch-psychiatrischer oder psychologischer Begutachtung ist dem Probanden die Anwesenheit einer Begleitperson zu gestatten!
OLG Hamm, Beschluss vom 03. Februar 2015 – II-14 UF 135/14, 14 UF 135/14
Das Gericht stellt zunächst fest, dass eine eindeutige Rechtslage im Sinne einer gefestigten oder gar höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein psychologisch oder auch medizinisch zu Begutachtender eine Begleitung durch einen Beistand oder eine Tonaufzeichnung beanspruchen könne, bisher nicht existiert und führt aus, dass bisher erst durch zwei obergerichtliche Entscheidungen, (OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 1441; LSG Rheinland-Pfalz NJW 2006, 1547), ein Anspruch auf Anwesenheit einer Begleitperson anerkannt worden.
Das OLG Hamm schließt sich im Ergebnis den von ihm zitierten Entscheidungen vollständig an. Ausschlaggebend ist dabei vor allem der Gesichtspunkt, dass ein medizinisch oder psychologisch zu begutachtender Beteiligter ansonsten keine Möglichkeit hätte, gegenüber abstrakt immer denkbaren Wahrnehmungsfehlern des Sachverständigen effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Behauptet er nach Vorliegen des Gutachtens, der dort wiedergegebene Hergang einer Untersuchung oder eines Explorationsgesprächs sei in tatsächlicher Hinsicht unzutreffend, so wird sich der Sachverständige in der Regel darauf berufen, den Hergang nach seiner Überzeugung und Erinnerung richtig aufgezeichnet zu haben. Wenn die Unrichtigkeit der Wiedergabe dann nicht ausnahmsweise durch objektive Anhaltspunkte gestützt wird, hat der Beteiligte keine Möglichkeit, sie zu belegen und sich damit erfolgreich gegen ein ihm nachteiliges Gutachtenergebnis zu wenden. Die Hinzuziehung einer Begleitperson hingegen erlaubt es ihm in diesem Fall, mit Aussicht auf Erfolg einen Zeugenbeweis anzutreten. Gegenüber diesem wesentlichen Verfahrensgesichtspunkt muss die Besorgnis einer etwaigen Beeinflussung des Untersuchungsganges - speziell im psychiatrischen und psychologischen Bereich - durch die bloße Anwesenheit der Begleitperson in einer angemessenen Hörweite hingenommen werden. Falls der Sachverständige nach der Untersuchung zu der begründbaren Auffassung gelangen sollte, dass eine Beeinflussung erfolgt sei und das Untersuchungsergebnis deshalb eine geringere Aussagekraft habe als wenn es ohne Begleitperson gewonnen worden wäre, kann er dies in seinem Gutachten darlegen, ebenso wie er es tun müsste, wenn die Aussagekraft durch eine gänzliche Weigerung, sich begutachten zu lassen, oder durch sonstige fehlende Tatsachengrundlagen herabgesetzt wäre. Die Würdigung hätte dann letztlich das Gericht vorzunehmen.
Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner:
Der Beschluss des OLG Hamm, an dem wir nicht beteiligt waren, ist in einer familienrechtlichen Angelegenheit ergangen, hat aber gleichwohl grundlegende Bedeutung, so dass wir hier darauf eingehen wollen.
Das Gericht betont zu Recht, dass es bisher noch keine feststehende Rechtsprechung zur Frage des Rechts der Untersuchungsperson auf Anwesenheit einer Vertrauensperson gab. Immer wieder berufen sich Gutachter und Versicherungen darauf, dass die Anwesenheit einer dritten Person bei einer psychiatrischen Begutachtung dazu führt, dass sich der Proband dem Gutachter angeblich nicht hinreichend „öffnet“. Alternativ wird nicht selten durch den Gutachter angeführt, dass er dann auch eine weitere Gewährsperson bräuchte, die gleichsam wieder „Waffengleichheit“ in der Begutachtungssituation herstellen müsse.
Im Nachgang einer psychiatrischen Begutachtung fühlen sich unsere Mandanten sehr häufig falsch wiedergegeben. Darüber hinaus wird nicht selten ein unangemessenes Verhalten des untersuchenden Arztes beklagt, welches von diesem im Zweifel natürlich bestritten wird.
Die Entscheidung des OLG Hamm stärkt nunmehr klar auch die Rechte von Versicherungsnehmern, welche z.B. durch ihre Berufsunfähigkeitsversicherung oder Rentenversicherung einer psychiatrischen oder test-psychologischen Begutachtung unterzogen werden.
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