ArbG Berlin: Gerichtssachverständiger widerlegt die BVV Privatgutachter Dr. Winterer und Dr. Göhringer vom IMB Frankfurt / München. Beschwerdevalidierungstests sind zur Feststellung der Berufsunfähigkeit nicht erforderlich!
Arbeitsgericht Berlin, Entscheidung v. 21.09.2016, Az. 28 Ca 18157/14
Unser Mandant leidet an einer langanhaltenden Depression nebst sog. CFS-Syndrom und bezieht bereits seit 2012 eine private Berufsunfähigkeitsrente sowie seit 2013 eine – unterdessen unbefristet gewährte – Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung.
Der gleichzeitig beim BVV – Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G. - gestellte Rentenantrag wurde hingegen abschlägig beschieden, da die Pensionskasse der Auffassung war, sich den medizinischen Einschätzungen der anderen Versicherungsträger, nicht anschließen zu müssen. Vielmehr beauftragte der BVV seinerseits zwei Privatgutachten beim IMB München, welche durch den Psychiater Dr. med. Winterer und den Psychologen Dr. phil. Göhringer erstellt wurden. Beide Privatgutachter kamen zu dem Ergebnis, dass beim Kläger lediglich geringgradige und damit unerhebliche Leistungseinschränkungen vorlägen, so dass der BVV den Rentenantrag ablehnte.
Unser Mandant verfolgte seinen Anspruch am Arbeitsgericht Berlin weiter, welches Beweis erhob durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens durch den leitenden Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik an der Universität Köln, Herrn Dr. med. S.; welcher den Vortrag des Klägers bestätigte, nämlich dass dieser an einer rezidivierenden depressiven Störung leide. Ergänzende testpsychologische Untersuchungen – über seine eigenen Erhebungen hinaus - wurden seitens des gerichtlichen Gutachters nicht für erforderlich gehalten.
Die im Prozessverlauf geäußerte Kritik des Privatgutachters Dr. Winterer am gerichtlichen Sachverständigengutachten des Oberarztes Dr. S. hielt das Gericht für nicht stichhaltig. Weder die Behauptung von Dr. Winterer, der Gerichtsgutachter verstoße gegen allgemeine Standards bei der Erstellung wissenschaftlicher Gutachten noch dessen Vorwurf einer angeblichen Urheberrechtsverletzung ließ das Gericht am Überzeugungswert des eigenen Gutachters zweifeln. Insbesondere aber den Einwand von Dr. Winterer, das Gutachten von Dr. S. sei wegen nicht erhobener Beschwerdevalidierung nicht brauchbar, ließ das Gericht nicht gelten. Vielmehr führte es aus, dass die „multiple Befassung einer Vielzahl sachkundiger Vorbeobachtungen mit jeweils tendenziell gleichgelagerten Befunden zur Absicherung der eigenen Eindrücke“ ausreichen.
Schließlich blieb auch der Einwand der BVV ungehört, der Kläger übe weiterhin eine Geschäftsführertätigkeit für ein privates Unternehmen aus und könne bereits deswegen nicht berufsunfähig sein. Nach den Feststellungen der Kammer sind die Anforderungen des Klägers an den noch ausgeübten „Minijob“ quantitativ und qualitativ ungleich geringer als seine frühere Tätigkeit als Bankmanager, so dass es völlig unschädlich für den Rentenbezug ist, wenn der Kläger sein Restleistungsvermögen unter Schonarbeitsbedingungen weiter ausschöpft.
Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner:
Es entspricht unseren Erfahrungen seit einigen Jahren, dass sich der BVV nicht mehr an die Entscheidungen der gesetzlichen Rentenversicherungsträger bindet, sondern stattdessen eine eigene Leistungsprüfung vornimmt, welche im Bereich der psychischen Erkrankung regelmäßig in der Ablehnung der BVV-Rente mündet. Um die notwendige medizinische Grundlage für ihre Leistungsentscheidung zu generieren, lässt man u.a. regelmäßig beim sog. Institut IMB"Interdisziplinäre Medizinische Begutachtungen" (Dr. Lorenz Schweyer/ Dr. Ralf Wagner) arbeiten. So auch einmal mehr im vorliegenden Fall.
Das Arbeitsgericht Berlin hat sich in seiner Entscheidung sehr sorgfältig mit den Argumenten der BVV-Privatgutachter Dr. Winterer und Dr. Göhringer auseinandergesetzt und diese in keinem Punkt für überzeugend gehalten. Unter anderem wurde vom Gericht kritisiert, dass Dr. Winterer von angeblichen wissenschaftlichen Standards ausgeht, die überhaupt nicht existieren und sich in Nebenschauplätzen verliert. Festzuhalten bleibt jedoch ein Kernpunkt der Entscheidung, nämlich dass das Gericht – seinem Sachverständigen folgend – die von Dr. Winterer vehement eingeforderten sog. Beschwerdevalidierungstests für die Feststellung einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit für entbehrlich hält.
Hier tut sich einmal mehr der völlig unterschiedliche Ansatz bei der Verwendung von psychologischen Leistungstests auf. Während Gutachter, welche selbst eigene private Gutachteninstitute unterhalten und überwiegend für die private Versicherungswirtschaft arbeiten, diese für die Feststellung einer psychischen Erkrankung als zwingend erforderlich ansehen, werden die Methoden der Testpsychologie von klinischen und Schulmedizinern nur in Ausnahmefällen und bei begründetem Ansatz für erforderlich gehalten. Dies entspricht auch der Mehrheitsmeinung in der universitären Medizin und wird unterdessen von verschiedenen Gerichten bestätigt.
Wir empfehlen unseren Mandanten insofern bereits in dem Moment anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen, wo klar ist, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung einen psychiatrischen Privatgutachter zur Prüfung seiner Leistungspflicht beauftragt. Bereits an dieser Stelle gilt es, genau abzuklären, auf welchen Gebieten der Gutachter Feststellungen treffen will und ob dieses Vorgehen im Ergebnis zulässig ist.
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