Landgericht Potsdam: AachenMünchener BU-Versicherung verliert Prozess aufgrund der Feststellungen ihres eigenen Privatgutachters Prof. Dr. med. Andreas Stevens
Urteil vom 11.08.2015 – 12 O 265/14 (rechtskräftig)
1. Sachverhalt
Unsere Mandantin war bei der AachenMünchener Lebensversicherung AG gegen Berufsunfähigkeit versichert. Nachdem sie aufgrund einer Depression ihren Beruf als Polizeibeamtin im gehobenen Dienst nicht mehr ausüben konnte und wegen dauernder Dienstunfähigkeit im Jahr 2011 in den Ruhestand versetzt worden war, beantragte sie bei der AachenMünchener Lebensversicherung AG die Versicherungsleistungen (Rentenzahlung und Prämienbefreiung). Die Versicherung erkannte mit Schreiben vom 22.03.2012 den Leistungsanspruch unserer Mandantin an und erbrachte zunächst die Versicherungsleistungen. Im Jahr 2013 leitete die AachenMünchener Lebensversicherung AG sodann ein Nachprüfungsverfahren ein. Sie beauftragte den bei Versicherungsnehmern gefürchteten und bei Versicherern umso mehr geschätzten Herrn Prof. Dr. med. Andreas Stevens (Medizinisches Gutachteninstitut Tübingen) mit der Überprüfung der Berufsunfähigkeit unserer Mandantin. Dieser stellte in seinem schriftlichen Gutachten unter anderem fest:
„Bei rückschauender Betrachtung ist keine wesentliche Veränderung im Beschwerdebild aufgetreten. Ich weise darauf hin, dass die Berichte der Vorbehandler keine wesentlichen psychopathologischen Auffälligkeiten dokumentiert haben. Zeitweilig ist eine depressive Verstimmung / Verbitterung aufgefallen, aufgrund der damaligen Partnerschaftssituation und der beruflichen Kränkungserlebnisse war dies durchaus nachvollziehbar. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine psychische Krankheit, sondern um eine nachvollziehbare und menschliche Reaktion. Untersuchungen zum Leistungsvermögen liegen wie bereits beschrieben nicht vor, so dass diesbezüglich kein Vergleich erfolgen kann.“
Auf der Grundlage des Gutachtens von Prof. Dr. Stevens stellte die AachenMünchener Lebensversicherung AG daraufhin die Versicherungsleistungen an unsere Mandantin zum 28.02.2014 ein.
2. Entscheidung des Landgerichts Potsdam
Unserer Klage gegen diese Leistungseinstellung hat das Landgericht Potsdam stattgegeben. Die AachenMünchener Lebensversicherung AG wurde verurteilt, die Versicherungsleistungen auch über den 28.02.2014 hinaus an unsere Mandantin zu erbringen. Das Landgericht Potsdam hat sich dabei unserer Argumentation angeschlossen, dass aus dem Gutachten des von der AachenMünchener Lebensversicherung AG beauftragten Privatgutachters Prof. Dr. Stevens keine Besserung der gesundheitlichen Verhältnisse unserer Mandantin abgeleitet werden kann, die den Wegfall ihrer Berufsunfähigkeit rechtfertigt.
Das Landgericht Potsdam stellt insoweit fest, dass sich nach dem Gutachten Prof. Dr. med. Stevens die gesundheitliche Situation unserer Mandantin deshalb nicht verbessert habe, weil sie nach Ansicht des Privatgutachters der AachenMünchener Lebensversicherung AG von Anbeginn an nicht berufsunfähig gewesen ist. So gelange der Gutachter bei rückschauender Betrachtung zu der Einschätzung, es sei keine wesentliche Veränderung im Beschwerdebild unserer Mandantin aufgetreten. Die Berichte der Vorbehandler hätten keine wesentlichen psychopathologischen Auffälligkeiten dokumentiert. Zeitweilig sei zwar eine depressive Verstimmung / Verbitterung aufgefallen, aufgrund der damaligen Partnerschaftssituation und der beruflichen Kränkungserlebnisse sei dies jedoch durchaus nachvollziehbar. Es handele sich dabei allerdings nicht um eine psychische Krankheit, sondern um eine nachvollziehbare und menschliche Reaktion.
Vor diesem Hintergrund – so das Landgericht Potsdam – liegen keine nachvollziehbaren Änderungen in dem tatsächlichen Gesundheitszustand unserer Mandantin vor dem Leistungsanerkenntnis verglichen mit dem Zustand im Nachprüfungsverfahren vor.
3. Anmerkungen RA Stefan Zeitler, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht
Die Entscheidung des Landgerichts Potsdam ist konsequent und richtig, werden der AachenMünchener Lebensversicherung AG doch letztlich nur die Feststellungen des von ihr mit der Nachprüfung der Berufsunfähigkeit unserer Mandantin beauftragten Privatgutachters Prof. Dr. Stevens entgegengehalten.
Nach anerkannter Leistungspflicht ist der Versicherer je nach Ausgestaltung seiner Versicherungsbedingungen unter Umständen berechtigt, das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihres Grades nachzuprüfen und die Leistungen einzustellen, wenn die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit nicht mehr vorliegen.
Nur wenn die Nachprüfung ergibt, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten gegenüber dem früheren Zustand tatsächlich gebessert oder er neue berufliche Fähigkeiten erworben hat oder eine zumutbare Betriebsumorganisation möglich geworden ist, darf der Versicherer seine Leistungen einstellen. Nur dann, wenn sich die anerkannte Berufsunfähigkeit des Versicherten in einem nach den Versicherungsbedingungen leistungsrelevanten Umfang geändert hat, ist der Versicherer zur Leistungseinstellung berechtigt.
Dass der Versicherte seine Berufsfähigkeit wiedererlangt genügt für die Einstellung der Leistungen aus der anerkannten Berufsunfähigkeit allein nicht. Der Versicherer muss dem Versicherten vielmehr auch förmlich mitteilen, dass er die Leistungen einstellen wird. In dieser Mitteilung muss eine nachvollziehbare Begründung dafür gegeben werden, dass die Leistungspflicht enden soll. Diese Einstellungsmitteilung soll dem Versicherten die Informationen geben, die er benötigt, um sein Prozessrisiko abschätzen zu können. Die Nachvollziehbarkeit der Einstellungsmitteilung des Versicherers ist für den Versicherten deshalb so bedeutsam, weil er es ist, der sich mit einer Klage gegen die Einstellung der Versicherungsleistungen zur Wehr setzen muss. Der Versicherer muss seine Einstellungsmitteilung deshalb nachvollziehbar begründen. Dies setzt regelmäßig voraus, dass der Gesundheitszustand, den der Versicherer seinem Anerkenntnis zugrunde gelegt hat, mit dem späteren Gesundheitszustand des Versicherten im Nachprüfungsverfahren verglichen und eine Verbesserung aufgezeigt wird. Ferner muss dargelegt werden, dass gerade der verbesserte Gesundheitszustand dazu geführt hat, dass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ganz oder teilweise entfallen ist, weil die Verbesserung des Gesundheitszustandes wieder eine Berufsausübung in bedingungsgemäßer Art und Umfang ermöglicht.
An der Nachvollziehbarkeit der Einstellungsmitteilung fehlte es im vorliegenden Fall, weil das Gutachten des Herrn Prof. Dr. Stevens gerade nicht aufgezeigt hat, dass sich der Gesundheitszustand unserer Mandantin, den die AachenMünchener Lebensversicherung AG ihrem Leistungsanerkenntnis zugrunde gelegt hatte derart verbessert hat, dass keine mindestens 50%ige Berufsunfähigkeit im Zeitpunkt der Nachprüfung mehr vorlag. Herr Prof. Dr. Stevens hatte vielmehr darauf abgestellt, dass der Gesundheitszustand unserer Mandantin stets gut war und bei ihr zu keinem Zeitpunkt (auch nicht bei der ursprünglichen Anerkennung des Anspruchs durch die AachenMünchener) eine mindestens 50%ige Berufsunfähigkeit vorlag.
Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass die Feststellungen des Versicherungsgutachters Prof. Dr. Stevens, die in jedem Erstprüfungsverfahren, in dem noch kein Leistungsanerkenntnis abgegeben wurde, dem Versicherer sehr geholfen hätte, der AachenMünchener Lebensversicherung AG nun zum Verhängnis geworden sind. Die rechtliche Situation wurde der Sachbearbeiterin der AachenMünchener auch erklärt, gleichwohl wollte man es dort auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen lassen.
Ein Nachprüfungsverfahren darf nicht dazu führen, etwaige Fehleinschätzungen der BU-Versicherung im Rahmen des Leistungsanerkenntnis zu korrigieren. Ist der gesundheitliche oder berufliche Sachverhalt unverändert geblieben, so kann seine abweichende Bewertung durch den Versicherer nicht zu dessen Befugnis führen, dem Anspruchsberechtigten von nun an die Rentenzahlung oder die Prämienbefreiung zu entziehen. Im Hinblick auf die Bindungswirkungen eines Anerkenntnisses verlangt ein Abrücken des Versicherers von dem Anerkenntnis, dass sich in den Voraussetzungen des Anerkenntnisses nachträgliche Veränderungen ergeben haben. Solche können sich auf die gesundheitlichen und auf die beruflichen Verhältnisse des Versicherten beziehen. Hat sich in tatsächlicher Hinsicht nichts geändert, bleibt der Versicherer an das Anerkenntnis gebunden. Das gilt selbst dann, wenn eine Berufsunfähigkeit des Versicherten tatsächlich nie vorlag
Für einen Versicherer dürfte es als "Höchststrafe" anzusehen sein, aufgrund der Feststellungen eines Gutachters zur Leistung verurteilt zu werden, den man selbst beauftragt hat und mit dessen Hilfe man in vielen anderen Fällen seine Leistungspflicht sonst erfolgreich abzuwehren versucht. Was zu diesem „Missgeschick“ auf Seiten der AachenMünchener Lebensversicherung AG geführt hat ist spekulativ. Man kann sich allerdings bei genauer Lektüre des Gutachtens von Herrn Prof. Dr. Stevens des Eindrucks nicht erwehren, dass der Versicherungsgutachter möglicherweise aufgrund der Vielzahl der für Versicherer zu erstellenden Gutachten einfach die Besonderheiten des vorliegenden Falles übersehen hat, in dem es gerade nicht um eine Erstprüfung der Berufsunfähigkeit des Versicherten, sondern vielmehr um eine Nachprüfung im Anschluss an ein vom Versicherer abgegebenes Leistungsanerkenntnis ging. Bei einer solchen Nachprüfung reicht es im Gegensatz zu einer Erstprüfung gerade nicht aus, dass der Versicherungsgutachter die Berufsunfähigkeit einfach verneint. Vielmehr muss auch durch das Gutachten ganz konkret aufgezeigt werden, dass eine Gesundheitsverbesserung und dadurch bedingt der Wegfall der Berufsunfähigkeit des Versicherten eingetreten ist.
Dieser Fall zeigt anschaulich, dass Versicherungsgutachten, mit denen Versicherer Leistungsablehnungen begründen trotz ihres meist großen Umfangs und ihrer scheinbar eindeutigen und für den Versicherten ernüchternden Feststellungen durchaus Schwächen aufweisen können, die das Gutachten für den Versicherer am Ende komplett unbrauchbar machen.
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