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LSG Niedersachsen-Bremen: BGHM muss das Vorliegen einer BK 2108 anerkennen, da die vom IMB Kassel aufgrund eines unbrauchbaren Gutachtens negierte Begleitspondylose durch den vom LSG eingesetzten radiologischen Gutachter eindeutig nachgewiesen wurde.

Unser Mandant begehrte die Anerkennung und Entschädigung seiner Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit (BK) nach der Ziffer 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).Am 16. April 2003 verdrehte er sich während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit den Rücken. Eine Computertomographie (CT) der Lendenwirbelsäule (LWS) ergab einen nach cranial luxierten Bandscheibenvorfall in Höhe L4/L5. Ein MRT der LWS zeigte zusätzlich einen nach unten umgeschlagenen Bandscheibenvorfall im Segment L5/S1 mit Nervenwurzelirritation; er war bis Februar 2004 arbeitsunfähig.

Am 27. Juli 2005 beantragte unser Mandant die Anerkennung dieser Bandscheibenvorfälle als BK. In dem daraufhin von der Holz-Berufsgenossenschaft eingeleiteten Feststellungsverfahren gelangte deren Technische Aufsichtsdienst (TAD) zu dem Ergebnis, dass die beruflichen Tätigkeiten des Klägers den Grenzwert der Beurteilungsrichtwerte der Tagesbelastungsdosis von 5500 Nh /Tag für Männer nach dem Mainz-Dortmunder- Dosismodell (MDD) unterschritten hätten. Der TAD ermittelte Tagesdosen von 3239 bis 4618 Nh. Der TAD verneinte daher das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzun­gen (Stellungnahme vom 7. Dezember 2005).

Daraufhin lehnte die BGHM mit Bescheid vom 20. Dezember 2005 das Bestehen einer BK nach den Ziffern 2108 und 2110 der Anlage zur BKV ab. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien nicht gegeben, da keine die Wirbelsäule belastende Tätigkeit in dem vom Verordnungsgeber geforderten Umfang ausgeübt worden sei. Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen einer BK könnten daher nicht gewährt werden.

Im Widerspruchsverfahren führte Dr. L. (Facharzt für Arbeitsmedizin) in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 26. Januar 2006 aus, dass an der LWS ein radiologischer Befund vorläge, der prinzipiell mit der BK nach der Ziffer 2108 der Anlage zur BKV zu vereinbaren sei. Da die berufliche Belastung des Klägers jedoch deutlich unterhalb der Hälfte der erforderlichen Richtdosis läge, sei das Vorliegen einer BK zu verneinen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2006 wies die Beklagte sodann den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit der am 26. April 2006 vor dem Sozialgericht Osnabrück erhobenen Klage verfolgte unser Mandant - zunächst vertreten durch eine andere Kanzlei - sein Begehren weiter.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts Osnabrück musste die BGHM eine Neuberechnung der Gesamtbelas­tungsdosis unter Beachtung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.10.2007 (Az.: B 2 U 4/06 R) vornehmen, wonach die arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK nicht mehr auszuschließen waren, so dass das Gericht letztlich weiter zu ermitteln hatte.

Die Kammer hat sodann im vorbereitenden Verfahren zunächst von Amts wegen den Sachverständigen Dr. Frank Schröter (Arzt für Orthopädie - Sozialmedizin im Institut für Medizinische Begutachtung in Kassel) gutachterlich gehört. Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist sodann Prof. Dr. Winkelmann (Orthopädisches Forschungsinstitut Münster) gehört worden.

Das Sozialgericht Osnabrück hatte die Klage durch Gerichtsbescheid vom 18.01.2011 – Az. S 19 U 110/06 - nach § 105 SGG als unbegründet zurückgewiesen, da sich nach Auffassung der Kammer nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen ließ, dass die versicherte Tätigkeit wesentlich ursächlich für die Entstehung der beim Kläger nachgewiesenen Schädigung der LWS geworden ist. Denn auch im Falle des Vorliegens der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen ist die Beurteilung nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises vorzunehmen, sondern es muss positiv festgestellt werden, dass das medizinische Schadensbild wahrscheinlich auf die belastende Tätigkeit zurückzuführen ist. Da Bandscheibenschädigungen eine multifaktorielle Ätiologie haben, weit verbreitet sind und in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen Vorkommen, ist eine Abgrenzung danach vorzunehmen, ob der Gesundheitszustand rechtlich wesentlich mit den Arbeitsbelastungen zusammenhängt.

Bei dem Kläger liegt zwar eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule mit einem Schaden im Segment L4/L5 vor. Ein altersvorauseilender Verschleiß im Bereich der Lendenwirbelsäule allein kann das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen einer BK 2108 jedoch nicht begründen. Vielmehr bedarf es der Diskussion seiner berufsbedingten oder außerberuflichen Entstehung. Die Entscheidung, ob ein beruflich bedingtes Bandscheibenleiden der LWS vorliegt, ist in jedem Einzelfall unter Würdigung der medizinischen Äußerungen zu treffen, die dem Tatsachengericht obliegt (BSG, Beschluss vom 31. Mai 1996, Az. 2 BU 237/95, zitiert nach juris). Die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs, die der Maßstab bei der Beurteilung der Kausalität ist, liegt dann vor, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Meinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und sonstige Verursachungsmöglichkeiten außer Betracht zu bleiben haben. Der ursächliche Zusammenhang ist weder dann schon wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist, noch genügt der Umstand des Vorliegens der arbeitstechnischen Voraussetzungen.

Im vorliegenden Fall fehlten nach Auffassung des SG Osnabrück hinreichend medizinisch-wissenschaftliche Gesichtspunkte, die für eine berufliche Entstehung der Erkrankung sprechen. Um den Einfluss beruflicher Schwerarbeit als wesentliche Mitursache einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS wahrscheinlich zu machen, bedarf es eines trennscharfen positiven Kriteriums (vgl. Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 4. September 2008, Az.: L 6 U 111/04). Da epidemiologische Untersuchungen den Schluss zulassen, dass mechanische Einwirkungen das Verteilungsmuster degenerativer Veränderungen gehäuft zu Ungunsten der belasteten Wirbelsäulenabschnitte verändern, erlauben bestimmte radiologische Verände­rungen als positives Indiz einen Rückschluss auf eine berufliche Mitverursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung. Die berufliche Exposition führt zu einer erheblichen Vorverlagerung der Bandscheibendegeneration in jüngere Altersgruppen (sog. Linksverschiebung). Eine beruflich bedingte Mehrbelastung belastet nicht nur ein Bewegungssegment, sondern gleichmäßig auch die übrigen Bewegungssegmente der LWS in abgestufter Form. Bei belastungsbedingten Veränderungen treten deutlich dem Lebensalter vorauseilende Veränderungen an der Wirbelsäule in Form von spondylotischen Verände­rungen, die sog. Begleitspondylose, auf (zur Definition der Begleitspondylose: vgl. die Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des HVBG eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe, Veröffentlichung von Bolm-Audorff u. a. in: Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff., (216) - im Folgenden: Konsensempfeh­lungen). Der Begleitspondylose kommt bei Erkrankungsbildern der unteren LWS eine überragende Bedeutung zu. Sie führt regelmäßig zum Konsens über die Annahme eines wahrscheinlichen Zusammenhangs (Konsensempfehlungen - dortige Konstellation B 1), während anderenfalls für einen Konsens über die Annahme eines wahrscheinlichen Zu­sammenhangs weitere Bedingungen erfüllt sein müssen (dortige Konstellation B 2). Die Bedeutung bzw. der hohe Stellenwert der Begleitspondylose wird zwar kritisiert, dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass ohne wissenschaftlichen Konsens ernste Zweifel an der Kausalität verbleiben (vgl. zum Erfordernis des Vorliegens einer Begleitspondylose: Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26. August 2008, Az.: L 9 U 61/06, vom 22. April 2010 - Az: L 14 U 206/08).

Im Fall des Klägers liegt keine Begleitspondylose vor. Zwar finden sich in sämtlichen Etagen der LWS teils kräftige Vorderkantenspondylosen, die sich bereits vor dem Eintritt des Bandscheibenvorfalls im Segment L4/L5 entwickelt haben. Denn bereits die Röntgenaufnahmen von 1992, als der Bandscheibenraum L4/L5 noch unauffällig war, zeigte eine zarte, eben beginnende Vorderkantenspondylosen. Dennoch stellen diese Veränderungen keine Begleitspondylose mit positiver Indizwirkung für eine berufliche Verursa­chung dar. Denn die bei dem Kläger bestehenden Spondylosen können auf einen kon­kurrierenden Ursachenfaktor zurückgeführt werden (vgl. hierzu Konsensempfehlungen, a.a.O., S. 116-Nr. 1.4).

Die Kammer stützte sich auf die angeblich „schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. Schröter vom IMB Kassel“ - Interdisziplinäre Medizinische Begutachtungen (Gutachten vom 9. April 2009). Der Kläger leidet angeblich an einer sehr seltenen statischen Besonderheit, einer übermäßig aufrechten Beckenstellung - fast im Sinne eines senkrecht stehenden Kreuzbeines - wodurch sich eine Entlordosierung der LWS entwickelt hat. Dadurch hat die Wirbelsäule des Klägers die Möglichkeit zum schwingenden Abfedern stauchender Belastungen verloren, so dass das Abfedern nur noch über die elastischen Bandscheibenräume erfolgen konnte. Die bauchwärts gerichteten Gewebsverlagerungen der Bandscheiben unterhalb von L1 bis L4, die von kräftigen knöchernen spondylotischen Reaktionen eingefasst sind, sind daher dem Flachrücken zuzuordnen und nicht der beruflich bedingten mechanischen Belastung. Darüber hinaus bestehen bei dem Kläger keine spondylotischen Veränderungen in den unteren Etagen der Brustwirbelsäule (BWS), obwohl eine berufliche bedingte Begleitspondylose sich bis in diese Etagen der BWS hineinzieht. Das Fehlen einer Begleitspondylose in den unteren BWS-Segementen ist – nach Auffassung des IMB Kassel und des SG Osnabrück -  daher ebenfalls als Indiz gegen eine relevante berufliche Mitwirkung zu deuten.

Aufgrund des Fehlens einer Begleitspondylose mit positiver Indizwirkung ist die Konstellation B 1 (Konsenspapier, a. a. O., S. 217) nicht gegeben. Es liegt auch keine andere Fallgruppe vor, nach der von einem wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang der Er­krankung mit der beruflichen Belastung ausgegangen werden kann. Die Konstellation B 2 des Konsenspapiers setzt voraus, dass anstelle der Begleitspondylose mindestens in zwei weiter nicht bandscheibenerkrankten LWS-Segmenten ein sog. black disc vorliegt. Dieses Kriterium ist im vorliegenden Fall ebenfalls nicht erfüllt, da sämtliche LWS- Segmente von dem Krankheitsbild betroffen sind. Es haben angesichts der niedrigen Tagesbelastungsdosen auch weder eine besonders intensive Belastung noch besonders hohe Belastungsspitzen vorgelegen. Daher ist der Fall des Klägers - unter der Annahme, dass keine konkurrierende Ursachenfaktoren erkennbar wären (hierzu weiter unten) - in die Konstellation B 3 einzugruppieren, mit der Folge, dass die hinreichende Wahrschein­lichkeit eines Ursachenzusammenhanges nicht angenommen werden kann, weil insoweit kein Konsens in der Arbeitsgruppe bestanden hat.

Im Falle des Klägers ist jedoch auch das Vorliegen der Konstellation B 10 in Betracht zu ziehen. Danach ist ein beruflicher Zusammenhang nicht wahrscheinlich, wenn eine Begleitspondylose fehlt und wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren erkennbar sind (vgl. hierzu auch Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 24. Februar 2010, Az.: L 3 U 19/07). Endogen schicksalhafte Ursachenfaktoren für die Entstehung einer band- scheiben(bedingten) Erkrankung sind eigenständige Wirbelsäulenerkrankungen, stoff­wechselbedingte Einflüsse, mechanische Auswirkungen infolge einer anatomischen Auf­baustörung oder Fehlstatik sowie genetische Faktoren. Bei dem Kläger kommt als kon­kurrierender Ursachenfaktor die oben beschriebene Fehlstatik in Form eines Flachrü­ckens in Betracht. Doch auch wenn der bei dem Kläger bestehende Flachrücken nicht als konkurriende Ursache im Sinne der B 10-Konsellation anzusehen wäre, würde dies nicht zu einer Bejahung des Kausalzusammenhanges führen. Denn dies wäre nur dann der Fall, wenn - wie bereits ausgeführt - die Konstellation B 2 bejaht werden könnte. Hierfür fehlen aber das Bestehen eines Hilfskriteriums (black disc, intensive Belastung und/oder Belastungsspitzen).

Auch der auf Antrag des Klägers gehörte Sachverständige Prof. Dr. Winkelmann verneinte das Bestehen einer BK 2108. Er verweist auf weitere bei dem Kläger bestehende dege­nerative Veränderungen, wie den Beckentiefstand auf der linken Seite sowie eine thorakle Skoliose mit Gegenschwung im thorakolumbalen Übergang, die aus seiner Sicht als anlagebedingte Faktoren im Vordergrund der Bandscheibenerkrankung stehen.

Im Ergebnis hat das SG Osnabrück daher einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den geltend gemachten schädigenden Hebe- und Tragebelastungen und der bandscheibenbedingten Erkrankung des Klägers zwar nicht ausgeschlossen, aber auch nicht überwiegend wahrscheinlich angesehen. Es fehlt nach alledem die positive Feststellung einer in den o.g. Empfehlungen im Konsens beurteilten Fallkonstellation für die Annahme eines wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs. Es überwiegen vielmehr diejenigen Gesichtspunkte, die der Annahme einer beruflichen Verursachung entgegenstehen.Bei dieser Sachlage kann die Anerkennung einer BK 2108 nicht erfolgen.

Unser Mandant war im erstinstanzlichen Verfahren anderweitig anwaltlich vertreten, der Anwaltswechsel erfolgt erst kurz vor der Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Die Auswahl des Gutachters nach § 109 SGG, hier Prof. Winkelmann vom „Orthopädisches Forschungsinstitut“ (OFI), welcher die Ergebnisse des IMB Kassel kritiklos und ohne Beachtung der sog. Konsensempfehlungen bestätigte, hatten wir nicht zu verantworten.

Gegen das Urteil des SG Osnabrück, wurde durch uns Berufung am Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen erhoben.

Das LSG forderte – unsere Berufungsbegründung aufgreifend -  zunächst Dr. Schröter vom IMB Kassel auf, ergänzend zu seinen Behauptungen Stellung zu nehmen, dass einer sog. B2-Konstellation nach den Konsensempfehlungen vorliegend das Fehlen einer sog. „black disc“ in zwei anderen – nicht von einer Bandscheibenerkrankung betroffenen – LWS Segmenten entgegensteht. In seiner Stellungnahme hat es Dr. Schröter nicht für nötig erachtet sich mit dem in unserer Berufungsbegründung dargelegten konträr entgegenstehenden medizinischen Bewertungen auseinanderzusetzen.

Unzutreffend ist auch die Auffassung des Dr. Schröter, einer Spondylose in einem bandscheibenerkrankten Segment bereits mit einem Chondrose-Grad I käme keine Indizwirkung entsprechend den Voraussetzungen der Befundkonstellation B2 zu.
Wie aus den Konsensempfehlungen hervorgeht, wird als Begleitspondylose definiert eine Spondylose im nicht von Chondrose im Sinne der Berufskrankheit, mithin mindestens mit einem Grad II oder höher, betroffenen Segment. Da beim Kläger im Jahr 2004 in den Segmenten der LWS oberhalb L 4/5 unstreitig nur Chondrosen vom Grad I bestanden, sind die hier ebenfalls unstreitig vorliegenden Spondylosen als Begleitspondylosen im Sinne der Befundkonstellation B2 zu bewerten.

Der Vortrag in der Berufungsbegründung, dass bei einem Chondrose-Grad II in den zwei Segmenten L 4/5 und L 5/S 1 zur Anerkennung des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen der BK 2108 entsprechend der Befundkonstellation B2 eine sog. black disc nicht vorliegen muss, ist keinesfalls irrig, sondern geht konform mit dem Wortlaut der auf den Seiten 2 f. diesseitigen Schriftsatzes vom 20.05.2010 wiedergegeben Voraussetzungen dieser Konstellation. Entgegen der Behauptung des Sachverständigen ist Voraussetzung für die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung eine Chondrose II. Grades oder mehr nicht in drei, sondern nur in zwei Segmenten erforderlich. Die vom Sachverständigen formulierten Voraussetzungen lassen sich den Konsensempfehlungen nicht entnehmen.

Bei einem bisegmentalen Bandscheibenschaden mit Chondrose-Grad II oder mehr, ist ausweislich der  wiedergegeben Kriterien der Konstellation B2 eine sog. black disk nicht Voraussetzung. In keinster Weise nachvollziehbar sind die Ausführungen des Sachverständigen, diesseitiger Vortrag auf Seite 5 der Berufungsbegründung, dass bei bestehenden extremen Druckbelastungen Bandscheibenschäden der LWS auftreten können, ohne dass eine Begleitspondylose besteht, decke sich nicht mit dem, was die medizinische Wissenschaft hervorgebracht habe. Wir hatten auf Seite 5 der Berufungsbegründung lediglich das dritte Hilfskriterium der Befundkonstellation B2 aus den Konsensempfehlungen, bei dessen Vorliegen eine Begleitkonstellation für die Anerkennung der des Bestehens der medizinischen Voraussetzungen nicht vorliegen muss, wiedergegeben.

Sofern der Sachverständige Dr. Schröter nunmehr die Konsensempfehlungen als sich nicht mit dem, was die medizinische Wissenschaft hervorgebracht habe, vereinbar hält, wendet er erklärterweise nicht die maßgeblichen Bewertungskriterien an und offenbart nochmals, wie von ihm bereits in seinem ergänzenden Stellungnahme vom 27.08.2010 expressis verbis dargelegt, dass er die Berufskrankheit 2108 als Fehler und lediglich sozialpolitisch gefärbte, auf die Vorgaben der DDR-BKV gestützte, nicht beweisbare und sogar widerlegte Hypothese hält.
Die Ausführungen des Sachverständigen vermögen somit in keinster Weise zu überzeugen. Aufgrund der dargelegten groben Mängel der sachverständigen Ausführungen des Herrn Dr. Schröter vermögen diese keine tragfähige Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung zu sein und wird die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens nach § 106 SGG durch einen neuen, vom Gericht zu benennenden Sachverständigen für erforderlich gehalten.

Das LSG Niedersachen-Bremen beabsichtigte zunächst weder, weiter von Amts wegen nach § 106 SGG zu ermitteln, noch folgte es unserem gestellten Antrag, weiter nach § 109 SGG zu ermitteln und teilte mit Hinweisschreiben v. 09.12.2012 mit, dass das Antragsrecht bereits durch die Einholung des Gutachtens nach § 109 SGG in der ersten Instanz „verbraucht“ sei.
Diese Auffassung ist zwar falsch, da wir in der Berufungsbegründung die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Gutachtens nach § 109 durch das „Orthopädische Forschungsinstitut“ ausdrücklich beschrieben hatten, insofern also durchaus einem erneuten Antrag nach § 109 SGG hätte entsprochen werden müssen. Im Ergebnis ordnete das Gericht dann aber ein radiologisches Gutachten nach § 106 SGG an. Bei diesem radiologischen Gutachten nach Aktenlage trat erstaunliches zu Tage:

Der radiologische Sachverständige stellte bei unserem Mandanten auch in Kenntnis und in Auseinandersetzung mit der ergänzenden Stellungnahme Dr. Schröter vom 29.11.2013 das Vorliegen der Konstellation B1 und damit der medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit 2108 fest.

Ausdrücklich stellt der radiologische Sachverständige Dr. Rodenwaldt in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.01.2014 fest, dass die Behauptung des Orthopäden Dr. Schröter, beim Kläger haben sich auf den Röntgenaufnahmen der LWS vom 09.04.2009 „monströse Knochenanbauten“ und damit eine „dramatisch anmutende radiologische Befundentwicklung eingestellt“, nicht nachzuvollziehen ist, die Aufnahmen der LWS vom 09.04.2009 vielmehr „keine relevante Befundänderung“ zeigen.

Zudem stellte der radiologische Sachverständige beim Kläger unter Auswertung sämtlicher radiologischer Befunde das zweifelsfreie Vorliegen einer Begleitspondylose sowie das gänzliche Fehlen einer in den Konsensempfehlungen aufgeführten konkurrierende Ursachen fest.

Darüber hinaus stellte der gerichtliche Sachverständige groben Mängel bei der röntgenologischen Untersuchung unseres Mandanten durch Dr. Schröter. So hatte dieser den erforderlichen Strahlenschutz nicht korrekt verwendet, überdies wurden sämtliche Aufnahmen nachträglich beschriftet, keine der Aufnahmen wiesen originale Röntgenzeichen auf. Darüber hinaus waren Röntgeneinblendungen in den Bildern nicht sichtbar und die Wirbelkörper nur waren nur teilweise erfasst worden.

Nachdem das radiologische Zusatzgutachten vorlag, erkannte die BGHM die Berufskrankheit BK 2108 umgehend an, so dass das Landessozialgericht Niedersachen-Bremen nicht mehr entscheiden brauchte.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner:

Das Verfahren weist einige Typiken auf, die bemerkenswert sind und die sich der geneigte Leser auf der Zunge zergehen lassen sollte.

Zunächst lehnte die BGHM den Antrag unseres Mandanten wegen fehlender arbeitstechnischer Voraussetzungen ab, was der einfachste Weg ist, da eine medizinische Prüfung der beantragten Berufskrankheit dann nicht mehr erfolgen muss. Nachdem das BSG das sog. MDD „Mainz-Dortmunder-Dosismodell“ gekippt hatte, musste die BGHM die arbeitstechnischen Voraussetzungen neu berechnen und das SG Osnabrück sah sich gezwungen, von Amts wegen zu ermitteln.

Wohlgemerkt hat unsere Kanzlei den Mandanten in dieser Phase des Verfahrens noch nicht vertreten, sonst wäre unsererseits zwingend ein Befangenheitsantrag gegen Dr. Schröter ergangen.

Herr Dr. Schröter hat in seinen Vorträgen und Veröffentlichungen bisher nie einen Zweifel daran gelassen, dass für ihn die BK 2108 als Relikt der DDR-Berufskrankheitenliste – welche nur durch den Einigungsvertrag – in den gesamtdeutschen Berufskrankheitenkatalog Eingang gefunden hat, keinerlei Existenzberechtigung besitzt. Entsprechendes ließ sich Dr. Schröter auch im hiesigen Verfahren nicht nehmen, zu verlautbaren. Wenn das Sozialgericht Osnabrück von Amts wegen einen Gutachter beauftragt, welcher der im Verfahren streitigen Berufskrankheit die Existenzberechtigung abspricht, dann wird damit der Bock zum Gärtner gemacht.

Darüber hinaus waren erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Gutachters Dr. Schröter angebracht, da er in seiner Stellungnahme vom 27.08.2010 ausführlich darlegt hat, dass nach seiner Auffassung hohe berufliche Belastungen gar nicht zu bandscheibenbedingten Erkrankungen der Wirbelsäule führen können - was grob falsch ist.

Die Diskrepanz zwischen den Behauptungen des orthopädischen Gutachters hinsichtlich des radiologischen Befundes vom 09.04.2009 und den Feststellungen des radiologischen Sachverständigen bestätigt die erheblichen Zweifel an der Unvoreingenommenheit von Herrn Dr. Schröter. Dies vor allem auch aufgrund der unsachlichen und übertriebenen Wortwahl von, wenn er die vom radiologischen Sachverständigen nicht feststellbaren Befunde ohne konkrete medizinische Beschreibung als „monströs“ und „dramatisch anmutend“ bezeichnet.

Überdies offenbarte das radiologische Zusatzgutachten die gravierenden technischen und medizinischen Mängel des Schröter-Gutachtens. Offenbar war man im IMB Kassel nicht in der Lage, bei der röntgenologischen Untersuchung den erforderlichen Strahlenschutz korrekt anzubringen, so dass die Aufnahmen bereits deshalb verfälscht waren. Man hatte es überdies versäumt, die Aufnahmen zu beschriften und hatte das – unzulässigerweise – im Nachhinein getan. Entscheidende Röntgeneinblendungen waren in den Bildern nicht sichtbar und die Wirbelkörper waren nur teilweise erfasst worden. Die röntgenologischen Untersuchungen entsprachen somit nicht ansatzweise den gültigen Qualitätsstandards und waren daher nicht verwertbar.

Noch einmal zur Erinnerung: um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung der Wirbelsäulenerkrankung festzustellen, bedarf es einer vorliegenden Begleitspondylose über das Altersmaß hinaus in mindestens 2 Segmenten. Diese Begleitspondylose lag nach Auffassung des radiologischen Gutachters eindeutig vor. Das IMB-Kassel hatte komplett unbrauchbare Röntgenbilder erstellt und Dr. Schröder hatte diese zur Grundlage seines Gutachtens genommen.

Noch eine Bemerkung zur Auswahl des Gutachtens nach § 109 SGG. Die Vertreter unseres Mandanten in der ersten Instanz hätten hier durchaus mehr Sensibilität an den Tag legen können. Statt einen neurochirurgischen Gutachter sorgfältig auszusuchen und zu gewinnen - was zugegebenermaßen einen erheblichen Aufwand darstellt, hat man sich das sog. „Orthopädischen Forschungsinstitut“ als Gutachteninstitut ausgesucht, welche aus unserer Erfahrungen zu einem großen Teil von Versicherungen und Berufsgenossenschaften beauftragt wird. Entsprechend kritiklos ist man dann auch mit den Erkenntnissen des IMB Kassel umgegangen, was letztlich unseren Mandanten fast um seine Ansprüche gebracht hätte.

Das Unglaubliche an dem Fall bleibt jedoch, dass das Sozialgericht Osnabrück Dr. Schröter überhaupt als gerichtlichen Gutachter nach § 106 SGG eingesetzt hat, obwohl bekannt ist, dass dieser die Existenz der Berufskrankheiten BK 2108 und BK 2110 als Relikte der DDR ablehnt.

 


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