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BSG: Verletztengeldanspruch besteht ggf. gleichzeitig neben dem Rentenanspruch

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 13.8.2002, B 2 U 30/01

Das Verletztengeld endet mit dem Beginn der Vollrente wegen Alters nur dann, wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist und die Rente mit dem Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht im Zusammenhang steht.

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom  20. Januar 1998 für die Zeit vom 1. März 1998 bis 15. April 1998  Verletztengeld neben dem Bezug einer Altersrente aus der gesetzlichen  Rentenversicherung zusteht.

Der im Jahre 1935 geborene Kläger war bis zum 28. Februar 1998 als Leiter der  Buchstelle einer Bäckerinnung in einer Vollzeittätigkeit abhängig  beschäftigt. Seit den Jahren 1970 und 1973 übte er daneben in zwei Betrieben  eine Nebentätigkeit aus. Er bezieht seit dem 1. März 1998 von der  Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Altersrente für langjährig  Versicherte. Seinen Nebentätigkeiten geht er weiterhin nach. Am 20. Januar  1998 erlitt der Kläger in Ausübung seiner Vollzeitbeschäftigung einen  Arbeitsunfall und war wegen dessen Folgen bis zum 15. April 1998  arbeitsunfähig erkrankt. Vom 16. April 1998 bis 30. April 1999 gewährte ihm  die Beklagte Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der  Erwerbsfähigkeit um 20 vH.

Mit Bescheid vom 20. Oktober 1998 und Widerspruchsbescheid vom 18. März 1999  lehnte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Gewährung von Verletztengeld für  die Zeit vom 1. März bis 15. April 1998 wegen des gleichzeitigen Bezuges der  Altersvollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab, weil das  Verletztengeld ruhe. Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide abgeändert und  die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztengeld für den Zeitraum vom 1.  März 1998 bis 15. April 1998 zu gewähren (Urteil vom 29. November 2000). Das  Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten dieses Urteil  aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. Oktober 2001). Mit  In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) richte sich die  Beendigung der Zahlung von Verletztengeld nach § 46 Abs 3 dieses Gesetzes.  Nach § 46 Abs 3 Nr 2 SGB VII ende das Verletztengeld, wenn mit dem  Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei und berufsfördernde  Leistungen nicht zu erbringen seien, mit Beginn der in § 50 Abs 1 Satz 1 des  Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) genannten Leistungen, es sei denn,  dass diese Leistungen mit dem Versicherungsfall in Zusammenhang stünden. Zwar  enthalte das SGB VII keine direkte Regelung für die Beendigung des Bezuges  von Verletztengeld für den Fall einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit und  der Gewährung einer Altersrente. § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V sei aber auf  einen derartigen Fall entsprechend anzuwenden. Das endgültige Ausscheiden des  Klägers aus seinem Hauptberuf sei der dauernden Arbeitsunfähigkeit im  Hauptberuf gleichzustellen. Es sei kein sachlicher Grund dafür zu erkennen,  den Verletzten besser zu stellen, der seine Arbeitsfähigkeit (fiktiv)  wiedererlange, als den Verletzten, bei dem mit dem Wiedereintritt der  Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei. Die vom Kläger weiter ausgeübte  Nebentätigkeit führe nicht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage, weil  er durch seine Arbeitsunfähigkeit einen Lohnausfall für seine  Nebenbeschäftigung nicht erlitten habe. Es bestehe auch kein sachlicher  Grund, den Empfänger von Verletztengeld bei Zuerkennung einer Vollrente wegen  Alters besser zu stellen als den Empfänger von Krankengeld. Normzweck von § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V sei der Ausschluss von Doppelleistungen gleichen  Ziels. Das Verletztengeld habe Lohnersatzfunktion und solle konkrete  Entgelteinbußen ausgleichen. Die Vollrente wegen Alters ersetze aber  ebenfalls das aus der Erwerbstätigkeit erzielte Entgelt. Der Besonderheit des  Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung werde insofern Rechnung getragen,  als der Bezug von Verletztengeld wegen des Empfangs von Vollrente wegen  Alters nur dann ausgeschlossen sei, wenn der Verletzte seine Erwerbstätigkeit  mit dem Zeitpunkt des Rentenbezuges tatsächlich aufgeben wolle und aufgegeben  habe. Würde die vorliegende Regelungslücke nicht geschlossen, käme es zu  einer nicht zu rechtfertigenden Überversorgung des betroffenen  Personenkreises.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung  materiellen Rechts. Das SGB VII enthalte keine Regelung für die Beendigung  des Bezuges von Verletztengeld für den Fall einer vorübergehenden  Arbeitsunfähigkeit und Gewährung einer Altersrente. Der Beendigungstatbestand  des § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2 SGB VII setze nämlich voraus, dass mit dem  Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen sei. Der Auffassung des  LSG, in diesem Fall § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V entsprechend anzuwenden, sei  nicht zu folgen. Die vom LSG gebildete Analogie sei unzulässig, da sie dem  Willen des Gesetzgebers widerspreche. Zur Zeit des Inkrafttretens des SGB VII  sei die Problematik des gleichzeitigen Bezuges von Verletztengeld und  Altersrente bekannt gewesen. Der Gesetzgeber hätte daher eine entsprechende  Regelung getroffen, wenn ein gleichzeitiger Bezug von Verletztengeld und  Altersrente habe ausgeschlossen werden sollen. Es gäbe auch keinen  allgemeinen Rechtssatz, nach dem beim Zusammentreffen von Sozialleistungen,  denen mehr oder weniger Lohnersatzfunktion zukomme, stets nur ein Anspruch  auf eine dieser Leistungen bestehen würde. Zudem habe der Bezug von  Verletztengeld andere Voraussetzungen und andere Beendigungsgründe als der  Bezug von Krankengeld. Beide Leistungen seien in unterschiedlichen Büchern  des SGB geregelt. Die Tatsache, dass zwischen den verschiedenen  Versicherungszweigen der Sozialversicherung Ungleichheiten bestünden, müsse  hingenommen werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2001  aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts  Würzburg vom 29. November 2000 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung  durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -  SGG -).

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Auffassung des LSG  ist der Kläger durch den angefochtenen Bescheid iS des § 54 Abs 2 SGG  beschwert. Er hat Anspruch auf Verletztengeld für die Zeit vom 1. März 1998  (Beginn der Altersrente) bis 15. April 1998 (Beendigung der unfallbedingten  Arbeitsunfähigkeit).

Gemäß § 46 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB VII endet das Verletztengeld ua mit dem  letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Ist mit dem Wiedereintritt der  Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen und sind berufsfördernde Leistungen nicht  zu erbringen, endet das Verletztengeld nach § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2 SGB VII  idF bis zur Änderung des Abs 3 Satz 2 durch das Gesetz vom 19. Juni 2001  (BGBl I 1046) mit dem Beginn der in § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten  Leistungen, es sei denn, dass diese Leistungen mit dem Versicherungsfall in  Zusammenhang stehen. In § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V sind unter den Nr 1 bis 5  verschiedene Sozialleistungen ausdrücklich oder durch Bezugnahme genannt, ua  die Rente wegen Alters aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 50 Abs 1  Satz 1 Nr 1 SGB V).

Zwar bezieht der Kläger seit dem 1. März 1998 Altersrente aus der  gesetzlichen Rentenversicherung. Weder zu Beginn noch im Verlaufe des  Zeitraumes vom 1. März bis 15. April 1998 ist jedoch festgestellt worden,  dass bei dem Kläger "mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu  rechnen ist". Eine entsprechende Feststellung war wohl auch gar nicht  möglich, denn nach dem vom LSG bindend (§ 163 SGG) festgestellten Sachverhalt  war der Kläger wegen der Unfallfolgen (nur) bis zum 15. April 1998  arbeitsunfähig. Der nach seinem Wortlaut insoweit eindeutige Tatbestand des § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2 SGB VII war somit in der Zeit vom 1. März bis 15. April  1998 nicht erfüllt, so dass der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld in  diesem Zeitraum bestand.

Entgegen der Auffassung des LSG und der Beklagten kann § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2  SGB VII nicht dahin ausgelegt werden, dass der Anspruch auf Verletztengeld  stets mit dem Einsetzen der in § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V genannten  Altersrente ende. Mit einer Wortlautauslegung wäre dieses Ergebnis allein zu  erzielen, wenn man den Begriff der Arbeitsunfähigkeit bzw Arbeitsfähigkeit  anders als bisher verstehen würde. § 560 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung  (RVO), der bis zum 31. Dezember 1996 galt, enthält die Wendung  "arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung". Danach ist arbeitsunfähig  derjenige Versicherte, der wegen Krankheit überhaupt nicht oder nur auf die  Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher  ausgeübten Erwerbstätigkeit oder einer ähnlichen oder gleichartigen Tätigkeit  nachzugehen (vgl stellvertretend KassKomm-Höfler, § 44 SGB V RdNr 10 ff;  Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB V, § 44 RdNr 39 ff, jeweils mwN; Kater/Leube,  SGB VII, § 46 RdNr 13). Das Ende des Beschäftigungsverhältnisses, während  dessen die Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, beendet die Arbeitsunfähigkeit  nicht (Gerlach, aaO, RdNr 48). Hingegen endet die Arbeitsunfähigkeit, wenn  der Versicherte aus freien Stücken eine körperlich und geistig weniger  belastende Tätigkeit aufnimmt (vgl Kummer in Schulin HS-KV § 20 RdNr 77, mwN;  Gerlach, aaO, RdNr 56). Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt allein  nach medizinischen und berufskundlichen bzw arbeitsmedizinischen  Gesichtspunkten (vgl Benz, BG 2000, 39, 44). Eine Anwendung des § 46 Abs 3  Satz 2 Nr 2 SGB VII in dem Sinne, dass der Bezug von Altersrente stets zum  Ende des Anspruchs auf Verletztengeld führte, wäre daher nur möglich, wenn  dem in § 46 Abs 3 SGB VII verwendeten Begriff der Arbeitsunfähigkeit bzw der  Arbeitsfähigkeit ein anderer Sinngehalt zukäme als bisher, etwa in dem Sinne,  dass Arbeitsfähigkeit nur dann wieder eintreten könne, wenn der Verletzte  nicht wegen etwa des Bezuges einer Altersrente nicht mehr erwerbstätig ist.

Für eine derartige Verwendung des Begriffs der Arbeitsunfähigkeit bzw  Arbeitsfähigkeit in § 46 Abs 3 SGB VII finden sich jedoch weder im sonstigen  Wortlaut der Norm noch in der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs  (BT-Drucks 13/2204, S 87) irgendwelche Hinweise. Allein der Umstand, dass § 560 Abs 1 RVO von Arbeitsunfähigkeit iS der Krankenversicherung sprach,  während in § 45 und § 46 SGB VII nur noch von Arbeitsunfähigkeit die Rede  ist, spricht nicht dafür, dass das Gesetz den Begriff nicht mehr als  Arbeitsunfähigkeit iS der Krankenversicherung verwenden und ihm uU den soeben  erörterten Sinn geben will. Dass dies nicht so ist, ist der amtlichen  Begründung zu § 45 Abs 1 SGB VII zu entnehmen, wonach "die Vorschrift die  Voraussetzungen für die Leistung von Verletztengeld entsprechend dem  geltenden Recht regelt"(BT-Drucks 13/2204, S 87). Eine ähnliche Formulierung  enthält die amtliche Begründung zu § 46 Abs 1 SGB VII (BT-Drucks, aaO). Es  ist daher anzunehmen, dass der Begriff der Arbeitsunfähigkeit in seinem  bisherigen Sinngehalt nicht verändert werden sollte. Hierfür spricht  letztlich auch, dass der Gesetzgeber durch das Weglassen der Worte "wenn mit  dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist" hätte  klarstellen können, dass das Verletztengeld immer und unabhängig von der  Prognose über den Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit mit dem Beginn der  Altersrente ende.

Auch aus der historischen Entwicklung der Norm, ihrer Entstehungsgeschichte  und schließlich aus systematischen Gründen ergeben sich keine Anhaltspunkte  für die von der Beklagten getroffene Auslegung der Norm, dass mit Beginn der  Altersrente das Verletztengeld in jedem Falle ende.

Bis zum Inkrafttreten des § 46 Abs 2 Nr 2 SGB VII am 1. Januar 1997 galt § 560 Abs 1 RVO, wonach der Verletzte Verletztengeld erhält, solange er infolge  des Arbeitsunfalles arbeitsunfähig ist. Für den Fall des Bezuges eines  Altersruhegeldes war ein Ausschluss oder Ruhen des Anspruchs auf  Verletztengeld oder Verletztengeld bei Wiedererkrankung nicht gesetzlich  geregelt (vgl Bundessozialgericht - BSG - Urteil vom 18. März 1999 - B 8 KN  2/98 U R - HVBG-Info 1999, 1682). Literatur und Verwaltungspraxis gingen  einhellig davon aus, dass nach dem Recht der RVO mit der Gewährung von  Altersruhegeld der Anspruch auf Verletztengeld nicht wegfalle, sondern im  Gegenteil - wenn zuvor Krankengeld gewährt worden war - mit der Gewährung von  Altersruhegeld gerade erst einzusetzen habe. Eine Parallelbestimmung zu § 183  Abs 3 RVO (Ende des Anspruchs auf Krankengeld ab dem Tage, von dem ab Rente  wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der  Rentenversicherung zugebilligt wird) enthielt das 3. Buch der RVO  (Unfallversicherung) gerade nicht (Urteil des BSG, aaO, mwN). Insofern hat § 46 Abs 3 Satz 2 SGB VII eine von § 560 Abs 1 RVO abweichende und für den  Versicherten ungünstigere Rechtslage dahin geschaffen, dass das  Verletztengeld bei Bezug der genannten Leistungen endet, wenn mit einem  Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist. Hingegen verbleibt  es bei der bisherigen Rechtslage für den Fall, dass mit einem Wiedereintritt  der Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist. In diesem Fall endet das Verletztengeld  "mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit" (§ 46 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB  VII).

Im Verfahren der Schaffung des SGB VII hat sich die Bundesregierung zu dem  mit der späteren Gesetzesfassung wortlautgleichen § 46 Abs 3 Satz 2 Nr 2  dahin geäußert, dass "Nr 2 der Regelung über den Wegfall des Krankengeldes (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB V) entspricht" (BT-Drucks 13/2204, S 87 zu § 46 Abs 3).  Diese Aussage entspricht der Gesetzeslage, denn die Nr 2 des § 46 Abs 3 Satz  2 SGB VII nimmt ausdrücklich Bezug auf die in § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V  genannten Leistungen, so dass insoweit Parallelität besteht. Die zitierte  Aussage bezieht sich jedoch ausdrücklich nur auf die "Nr 2", nicht aber auf  die in § 46 Abs 3 Satz 2 SGB VII vor dem Beginn der Nummerierung enthaltene  und für alle drei der folgenden Nummern geltende Beendigungsvoraussetzung  "wenn mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen ist".

Selbst wenn man aber die zitierte amtliche Begründung dahin verstünde, dass  für die Beendigung des Anspruchs auf Verletztengeld die gleiche Rechtslage  geschaffen werden solle, wie für die Beendigung des Krankengeldes in § 50 Abs  1 Satz 1 SGB V, kann dies nicht zu einer entsprechenden Auslegung des § 46  Abs 3 Satz 2 SGB VII führen, denn der dann erklärte Wille des Gesetzgebers  widerspräche dem Wortlaut des Gesetzes. Die danach vorzunehmende Auslegung  und Anwendung der Norm gegen ihren Wortlaut ist jedoch nicht möglich. Der aus  dem allgemeinen Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn bildet den  Ausgangspunkt und bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung, da das, was  jenseits des möglichen Wortsinns liegt, mit ihm auch bei "weitester"  Auslegung nicht mehr vereinbar ist, nicht als Inhalt des Gesetzes gelten kann  (vgl Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl, S 163,  164). Auch Analogien zu oder teleologische Reduktionen von gesetzlichen  Vorschriften dürfen nicht zu einem mit dem Wortlaut nicht zu vereinbarenden  Inhalt der auszulegenden Norm führen. Die vom LSG gebildete Analogie zu § 50  Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V scheitert hier schon daran, dass eine dem Plan und  dem mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers des SGB VII nicht entsprechende  Gesetzeslücke nicht besteht. Vielmehr handelt es sich bei § 46 Abs 3 Satz 2  SGB VII um eine in sich stimmige gesetzliche Vorschrift über das Ende des  Anspruchs auf Verletztengeld. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das  Verletztengeld auf unabsehbare Dauer zu zahlen wäre, wenn mit dem  Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist. In diesem Fall endet das  Verletztengeld gem § 46 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB VII mit dem letzten Tag der  Arbeitsunfähigkeit.

Die hier zu beurteilende Rechtslage nach dem SGB VII ist auch nicht  vergleichbar der, die der Entscheidung des BSG vom 18. März 1999 (- B 8 KN  2/98 U R - HVBG-Info 1999, 1682) zugrunde gelegen hat. Dort hat das BSG zu  der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Rechtslage nach der RVO (§§ 562 Abs  2; 561 Abs 1; 183 Abs 3 bzw § 50 Abs 1 Nr 1 SGB V) entschieden. Es galt § 560  Abs 1 RVO, wonach der Verletzte das Verletztengeld erhält, solange er infolge  des Arbeitsunfalles arbeitsunfähig iS der Krankenversicherung ist und keinen  Anspruch auf Übergangsgeld hat. Für den Fall des Bezuges eines  Altersruhegeldes war ein Ausschluss oder Ruhen des Anspruchs auf  Verletztengeld nicht gesetzlich geregelt. Ein besonderer Ausschlussgrund für  das Verletztengeld bei Wiedererkrankung galt für den Fall der  Erwerbsunfähigkeit. Die entsprechende Anwendung des Ausschlusstatbestandes  der Zubilligung von Altersruhegeld für das Krankengeld (§ 183 Abs 3 RVO) auf  das Verletztengeld sei ausgeschlossen (BSG, aaO). Dies stehe jedoch einer  Analogie nicht entgegen, die sich zum einen auf das Verletztengeld bei  Wiedererkrankung nach § 562 Abs 2 RVO beschränke und zum anderen auf den  Fall, dass der noch nicht erwerbsunfähige Unfallverletzte endgültig aus dem  Erwerbsleben ausgeschieden sei (BSG, aaO, mwN). Mit § 46 Abs 3 SGB VII wurde  indes eine differenzierte gesetzliche Regelung über das Ende des  Verletztengeldes für den Fall des Bezuges bestimmter Sozialleistungen  geschaffen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber dabei  unbewusst etwas nicht geregelt hat, was er hätte regeln wollen. Für eine  analoge Anwendung des § 183 Abs 3 RVO bzw des § 50 Abs 1 Satz 1 SGB V ist  nach In-Kraft-Treten des § 46 Abs 3 Satz 2 SBG VII kein Raum mehr.

Auch systematische Gründe sprechen für die hier vorgenommene Auslegung. Zwar  haben sowohl das Verletztengeld als auch die Altersrente  Entgeltersatzfunktion. Einen Grundsatz dergestalt, dass  Entgeltersatzleistungen niemals nebeneinander bezogen werden dürften, gibt es  indes weder in der gesetzlichen Unfallversicherung noch in anderen Bereichen  der Sozialversicherung oder der Arbeitslosenversicherung (vgl Benz, aaO, 44).  Das folgt aus den zahlreichen Konkurrenz- und Kumulierungsvorschriften, zu  denen auch § 50 Abs 1 SGB V und insbesondere § 46 Abs 3 SGB VII gehören. Es  entspricht aber auch den Prinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung, dass  durchaus durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit begründete  Leistungsansprüche neben Entgeltersatzleistungen aus anderen Bereichen der  Sozialversicherung bestehen können (vgl Ricke, BG 1998, 108, 109). Im Übrigen  ist auch nicht ersichtlich, dass der Bezug von Verletztengeld den Anspruch  des Klägers auf Altersrente ganz oder teilweise ausschlösse. Eine  Kumulierungsvorschrift besteht mit § 93 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch  (SGB VI) nur für das Zusammentreffen einer eigenen Altersrente und einer  Verletztenrente oder einer Hinterbliebenenrente bzw einer Abfindung aus der  gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bezug von Verletztengeld ist in der  gesetzlichen Rentenversicherung nur bei Bezug einer Rente wegen verminderter  Erwerbsfähigkeit zu beachten (§ 96a SGB VI). Darüber hinaus kann der Bezieher  von Regelaltersrente sogar unbegrenzt hinzu verdienen. Dem Bezieher der  Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 36 SGB VI, die der Kläger im  Zeitraum vom 1. März bis 15. April 1998 erhielt, ist dies nach § 34 Abs 2 SGB  VI unterhalb der Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs 3 SGB VI möglich.

Nach alledem würde es allein dem Gesetzgeber obliegen, einen Rechtszustand  herzustellen, wonach der Bezug von Altersrente stets zum Ende des Anspruchs  auf Verletztengeld führt. Mit den Mitteln der Auslegung ist dieses Ergebnis  angesichts des klaren Wortlauts des § 46 Abs 3 Satz 2 SGB VII nicht zu  erzielen.

Auf die Revision des Klägers war daher das Urteil des LSG aufzuheben und die  Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anmerkung Rechtsanwalt Huscher:

Das Ende des Anspruchs auf Verletztengeld, welches die Berufsgenossenschaften nach einem Arbeitsunfall gewähren führt regelmäßig zu Fragestellungen, welche für den Laien nicht zu beantworten sind.

Häufig werden unsere Mandanten mit der Behauptung der BG konfrontiert, der aus der gesetzlichen Krankenversicherung bekannte 78-Wochenzeitraum ( sog. Aussteuerung)  stelle die „Obergrenze“ für die Verletztengeldzahlung dar. Auch die im vorgestellten Urteil vom Bundessozialgericht widerlegte Behauptung, eine Verletztengeld- und Rentenzahlungen würden einander ausschließen ist bis heute seitens der Berufsgenossenschaften nach wie vor zu hören.

Klar ist, die gesetzliche Regelung über die Verletztengeldzahlung ist sehr komplex und sieht eine Vielzahl von Ausnahmetatbeständen vor, die ggf. sehr genau zu prüfen sind.


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