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OVG Lüneburg: Entwöhnungsbehandlung ist keine Voraussetzung für Berufsunfähigkeitsrente

 

Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts v. 10.11.2005

Nach der bis zum Jahresende 2004 geltenden Fassung der Alterssicherungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen (ASO) war ein berufsunfähiges Mitglied nicht verpflichtet, sich Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Berufsfähigkeit zu unterziehen. Die 1954 geborene Klägerin wendet sich dagegen, dass ihr eine Berufsunfähigkeitsrente nur mit der "Auflage" bewilligt worden ist, sich Maßnahmen zu unterziehen, die nach Ansicht der Beklagten zur Wiedererlangung der Berufsfähigkeit geeignet sind.

Nach Einholung von zwei ärztlichen Gutachten bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4. Dezember 2001 rückwirkend ab dem 1. Juli 2001 eine Berufsunfähigkeitsrente. In den ärztlichen Gutachten wurde eine Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung und eine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Deshalb fügte die Beklagte dem Bescheid eine als "Auflage" bezeichnete Nebenbestimmung bei, gegen die die Klägerin sich wendet. Diese "Auflage" lautet wie folgt:

"Ihnen wird zur Auflage gemacht, sich einer Entziehungs- bzw. Entwöhnungsbehandlung zu unterziehen. Die Entgiftung muss unter stationären Bedingungen erfolgen. Die Entwöhnungsbehandlung kann auch unter ambulanten Bedingungen erfolgen. Nach Durchführung einer solchen Entgiftungs- bzw. anschließenden Entwöhnungsbehandlung müssen Sie sich weiterhin ambulant psychiatrisch-psychotherapeutisch behandeln lassen und zudem an einer Selbsthilfegruppe teilnehmen. Diese Auflage haben Sie bis spätestens 31.12.2002 zu erfüllen. ... Sollten Sie in dem genannten Zeitraum weder die Entziehungs- bzw. Entwöhnungsmaßnahme noch die ambulant-psychiatrisch/psychotherapeutische Maßnahme durchführen, müsste auf jeden Fall mit Ablauf des Dezember 2002 die Berufsunfähigkeitsrente eingestellt werden. Bei Absolvierung der Maßnahme entscheidet über die Fortgewährung oder Einstellung der Rente allein Ihr Gesundheitszustand."

Die Klägerin legte am 7. Dezember 2001 gegen die "Auflage" Widerspruch ein und berief sich zur Begründung auf Zweifel an der Eignung der ihr auferlegten Maßnahmen. Ihre Berufsunfähigkeit beruhe nämlich nicht allein auf ihrer Medikamentenabhängigkeit, die durch die ihr aufgegebenen Maßnahmen behoben werden solle. Vielmehr sei die Medikamentenabhängigkeit Folge der erheblichen Schädigungen ihrer Wirbelsäule. Selbst wenn es ihr also mit Hilfe der angeordneten Maßnahmen gelänge, ihre Medikamentenabhängigkeit und eine darauf beruhende Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit zu beheben, so würde sie gleichwohl aufgrund ihrer unverändert bestehenden Rückenbeschwerden berufsunfähig bleiben. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2002, zugestellt am 18. Juni 2002, zurück.

Die Klägerin hat am 18. Juli 2002 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und zur Begründung ihrer Klage ihr Vorbringen wiederholt und vertieft, dass die ihr auferlegten Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Berufsfähigkeit schon nicht hinreichend geeignet seien. Im Übrigen sei die Finanzierung der Maßnahmen nicht gesichert. Sowohl von der Beklagten als auch von der Krankenkasse der Klägerin sei eine Kostenübernahme abgelehnt worden. Die Klägerin hat sich deshalb der ihr aufgegebenen Behandlung bislang nicht unterzogen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2001/29. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2002 hinsichtlich der darin enthaltenen Auflage aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und zur Begründung vorgetragen, dass ihre Mitglieder auch ohne ausdrückliche Regelung in der Alterssicherungsordnung (ASO) verpflichtet seien, geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Berufsfähigkeit zu ergreifen. Die Eignung und Erforderlichkeit der von ihr zur Wiederherstellung der Berufsfähigkeit der Klägerin angeordneten Maßnahmen ergebe sich aus den eingeholten Gutachten. Sie (die Beklagte) habe der Klägerin daher diese Maßnahmen durch die streitige Nebenbestimmung zur Bewilligung der Berufsunfähigkeit aufgeben dürfen. Da die Klägerin gegen diese Auflage Widerspruch eingelegt habe, dem aufschiebende Wirkung zukomme, werde die bewilligte Berufsunfähigkeitsrente weitergewährt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Februar 2004 abgewiesen. Bei der streitigen Nebenbestimmung handele es sich um eine rechtmäßige Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG . Rechtsgrundlage für die der Klägerin auferlegte Mitwirkungspflicht sei der allgemeine, auch im öffentlichen Recht geltende Grundsatz von Treu und Glauben ( § 242 BGB ). Die Solidargemeinschaft der Versicherten habe einen Anspruch darauf, dass nur notwendige Ausgaben getätigt werden. Notwendig seien Leistungen wegen Berufsunfähigkeit nur, wenn ein Mitglied aus gesundheitlichen Gründen seinen Unterhalt mit ärztlicher Tätigkeit nicht mehr sichern könne. Daraus folge der Grundsatz, dass das von Berufsunfähigkeit betroffene Mitglied seinerseits gehalten sei, den finanziellen "Schaden" der Solidargemeinschaft möglichst gering zu halten und deshalb das seinerseits Mögliche zum Erhalt oder zur Wiederherstellung seiner Berufsfähigkeit zu tun habe.

Auf den Zulassungsantrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 13. Oktober 2004 die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zugelassen. Dieser Beschluss ist der Klägerin am 20. Oktober 2004 zugestellt worden. In Ihrer am 22. November 2004, einem Montag, vorgelegten Berufungsbegründung beruft sich die Klägerin über ihr bisheriges Vorbringen hinaus ergänzend darauf, dass es bis zum Jahresende 2004 an der erforderlichen Rechtsgrundlage für die ihr auferlegten Maßnahmen gemangelt habe. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen habe zwar am 26. November 2004 beschlossen, in § 16 Abs. 1 ASO einen neuen Unterabsatz 5, bestehend aus fünf Sätzen, einzufügen, in dem nunmehr ausdrücklich geregelt sei, unter welchen Voraussetzungen u.a. ein Berufsunfähigkeitsrentner sich Heilbehandlungsmaßnahmen zu unterziehen und welche Folgen eine fehlende Mitwirkung habe. Auch nach dieser - gemäß dem Kammerversammlungsbeschluss mit Wirkung zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen, allerdings erst in Heft 2/2005 des Niedersächsischen Ärzteblattes veröffentlichten - neuen Bestimmung sei es jedoch unzulässig, ihr die Berufsunfähigkeitsrente zu entziehen. Dazu bedürfe es des - hier fehlenden - Nachweises, dass sich ihr Gesundheitszustand durch ihre fehlende Mitwirkung nicht verbessert habe. Im Übrigen könne von ihr ohnehin nur verlangt werden, sich zumutbaren Heilmaßnahmen zu unterziehen. Für sie sei es aber unzumutbar, keine Medikamente mehr einzunehmen, was letztlich Ziel der ihr auferlegten Maßnahmen sei. Ohne Medikamente würde sie nämlich wegen der Rückenbeschwerden an unerträglichen Schmerzen leiden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 7. Kammer - vom 12. Februar 2004 zu ändern und die Auflage in dem Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2001 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2002 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertieft noch einmal ihre Auffassung, dass sie auch ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage in der ASO berechtigt gewesen sei, die Klägerin aufzufordern, sich der von beiden Gutachtern für zwingend erachteten Entziehungs- und Entwöhnungsbehandlung sowie einer anschließenden psychiatrisch-psychotherapeutischen Folgebehandlung zu unterziehen. Nach dem Verständnis der Beklagten handelt es sich dabei allerdings nicht um von ihr selbständig durchsetzbare Mitwirkungspflichten, sondern um Obliegenheiten der Klägerin.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte A) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht begründete Berufung der Klägerin hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Diese Entscheidung trifft der Senat nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ( § 130 a Satz 1 VwGO ), weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend von der Zulässigkeit der Klage als Anfechtungsklage gegen die dem Rentenbescheid vom 4. Dezember 2001 beigefügte, als Auflage bezeichnete Nebenbestimmung ausgegangen.

Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei dieser Nebenbestimmung tatsächlich um eine Auflage i. S. d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG oder um eine auflösende Bedingung bzw. eine sonstige Nebenbestimmung handelt(vgl. dazu, dass die in § 36 Abs. 2 VwVfG enthaltene Aufzählung von Nebenbestimmungstypen nicht abschließend ist, Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, § 36 Rn. 13, m. w. N.). Bedenken gegen die Annahme, es handele sich bei der hier streitigen Nebenbestimmung um eine Auflage i. S. d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG , ergeben sich schon deshalb, weil eine solche Auflage dadurch gekennzeichnet ist, dass sie über den Inhalt des Verwaltungsaktes hinaus eine zusätzliche, selbständig erzwingbare hoheitliche Anordnung enthält (Kopp/Ramsauer, a. a. O., Rn. 29, 34, m. w. N.), die Klägerin zu der ihr auferlegten, als Obliegenheit verstandenen Mitwirkung aber nicht im Wege der Verwaltungsvollstreckung gezwungen werden soll. Zusätzlich spricht gegen die Qualifikation der umstrittenen Nebenbestimmung als Auflage, dass die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente bei unterbliebener Mitwirkung der Klägerin bis zum Jahresende 2002 “auf jeden Fall“ enden sollte.

Diese Bedenken können hier jedoch dahin stehen, da es sich jedenfalls um eine belastende Nebenbestimmung handelt, gegen die die Anfechtungsklage zulässig ist. Ob diese zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 - 11 C 2/00 -, BVerwGE 112, 221 ). Ein solcher Ausnahmefall, in dem die isolierte Aufhebbarkeit der Nebenbestimmung offenkundig von vornherein ausscheidet, ist vorliegend nicht gegeben. Ein Rentenbescheid über die Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente ergeht nach § 16 Abs. 1 der Alterssicherungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen (ASO) nämlich grundsätzlich uneingeschränkt, kann also auch ohne die angegriffene Nebenbestimmung Bestand haben.

Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zu folgen, dass sich die angegriffene Nebenbestimmung nicht durch Zeitablauf erledigt hat. Erledigt hat sich dadurch lediglich die Frist, die der Klägerin von der Beklagten zur Durchführung der streitigen Maßnahmen gesetzt worden war, nicht jedoch die Aufforderung dem Grunde nach, sich einer solchen Entziehungs-, Entwöhnungs- und Folgebehandlung zu unterziehen.

Die Klage ist auch begründet. Es mangelt schon an der erforderlichen Rechtsgrundlage für die in der streitigen Nebenbestimmung enthaltene Aufforderung an die Klägerin, sich der ihr aufgegebenen Behandlung zu unterziehen.

Die Alterssicherungsordnung (ASO) vom 5. Oktober 1963, die zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide in der Fassung des Kammerversammlungsbeschlusses vom 10. November 2001 - ASO a. F. - galt, enthält - im Gegensatz zu den Satzungen anderer niedersächsischer berufsständischer Versorgungswerke - keine Regelung, wonach die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente oder deren Weitergewährung von Bedingungen oder Auflagen (so § 30 Abs. 5 Satz 2 der Satzung des Versorgungswerks der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen) oder davon abhängig gemacht werden kann, ob das Mitglied geeignete Maßnahmen zur Wiedererlangung der Berufsfähigkeit ergriffen hat (so § 13 Abs. 7 Satz 5 der Alterssicherungsordnung der Zahnärztekammer Niedersachsen).

Auch eine analoge Anwendung des § 13 Abs. 7 Satz 5 der Alterssicherungsordnung der Zahnärztekammer Niedersachsen oder des § 66 Abs. 2 SGB I über die Folgen fehlender Mitwirkung an der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit kommt nicht Betracht. Voraussetzung für eine analoge Anwendung ist das Vorliegen einer ungewollten Regelungslücke. Eine solche Lücke kann zudem nur dann von der Behörde und vom Richter ausgefüllt werden, wenn aufgrund der gesamten Umstände festgestellt werden kann, welche Regelung der Normgeber getroffen haben würde, wenn er den zu regelnden Sachverhalt bedacht hätte (vgl. Senatsurt. v. 29.9.2004 - 8 LB 73/03 - unter Bezugnahme u.a. auf das Urt. des BVerwG v. 13.12.1978 - 6 C 46/78 -, BVerwGE 57, 183 , 186, m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Zwar fehlt in der ASO a. F. eine Regelung über Mitwirkungsobliegenheiten der berufsunfähigen Mitglieder und die Folgen bei einer Obliegenheitsverletzung. Es kann aber schon nicht festgestellt werden, dass die ASO a. F. insoweit versehentlich lückenhaft ist. § 16a Abs. 1 ASO bestimmt nämlich, dass einem Mitglied der Beklagten, das Berufsunfähigkeitsrente bezieht, auf Antrag ein Zuschuss zu Rehabilitationsmaßnahmen gewährt werden kann, wenn seine Berufsfähigkeit ausgeschlossen ist und durch diese Rehabilitationsmaßnahmen voraussichtlich wiederhergestellt werden kann. Der Satzungsgeber hat also durchaus das Problem erkannt, dass ein berufsunfähiges Mitglied seine Gesundheit gegebenenfalls durch Rehabilitationsmaßnahmen wiederherstellen kann. Ungeachtet dessen ist in die ASO a. F. keine Bestimmung aufgenommen worden, wonach das Unterlassen entsprechender Rehabilitations- oder Heilmaßnahmen zum Wegfall einer bewilligten Berufsunfähigkeitsrente führt bzw. führen kann. Als Ausschlussgründe sind lediglich nach § 16 Abs. 3 Satz 1 d ASO die Verweigerung einer angeordneten Nachuntersuchung sowie in § 43 ASO das - hier nicht gegebene - vorsätzliche "sich berufsunfähig machen" angeführt. Bei dieser Rechtslage kann nicht verlässlich angenommen werden, der Satzungsgeber habe es schlicht vergessen, als weiteren (fakultativen) Beendigungsgrund für die Berufsunfähigkeitsrente auch das Unterlassen entsprechender Rehabilitations- oder Heilmaßnahmen anzuordnen. Vielmehr kann ihm auch vor Augen gestanden haben, dass sich ein berufsunfähiges Mitglied schon aus eigenem Interesse um die Wiederherstellung seiner Arbeitskraft bemüht und hierzu allenfalls eines Zuschusses bedarf. Im Übrigen lassen sich im Wege der Analogie auch nicht hinreichend genau die Voraussetzungen und die Folgen einer solchen Mitwirkungsobliegenheit bestimmen. Dass dem Satzungsgeber hier ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum verbleibt, zeigt schon der Vergleich mit den umfangreichen Regelungen, die dazu in §§ 63 und66 SGB I und nunmehr auch in dem neu eingefügten Unterabsatz 5 des § 16 Abs. 1 ASO enthalten sind. So kann der Satzungsgeber etwa regeln, welche Behandlungen und sonstigen Maßnahmen dem Betroffenen zuzumuten sind, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad die in Betracht kommenden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Berufsfähigkeit geeignet sein müssen, damit das Mitglied sich ihrer unterziehen muss, und wer die dafür notwendigen Kosten trägt. Schließlich versteht es sich nicht von selbst, dass als Folge der fehlenden Mitwirkung die Berufungsunfähigkeitsrente bis zur Nachholung der Mitwirkung zwingend ganz zu versagen oder zu entziehen ist. Die in Betracht kommende Regelung ist also viel zu komplex, als dass sie von der Beklagten oder dem Gericht ohne Übergriffe in die Rechtssetzungskompetenz des Satzungsgebers entwickelt werden könnte.

Aus den vorgenannten Gründen kann auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben der in der ASO a. F. fehlende Rechtssatz entwickelt werden, dass ein Mitglied der Beklagten auf seine Kosten bzw. auf Kosten der Beklagten geeignete (und zumutbare) Maßnahmen zur Wiedererlangung seiner Berufsfähigkeit zu ergreifen habe; anderenfalls könne/müsse die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente eingestellt werden. Über die Aufstellung und Ausgestaltung eines solchen Rechtssatzes hat vielmehr nach die nach § 5 Abs. 1 a) ASO zuständige Kammerversammlung zu entscheiden.

Zwar hat die Kammerversammlung eben dies nunmehr mit Beschluss vom 26. November 2004 getan. Nach § 16 Abs. 1 Unterabsatz 5 Satz 1 ASO soll sich ein Mitglied, das Berufsunfähigkeitsrente erhält, auf Verlangen des Verwaltungsausschusses einer Heilbehandlung unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass sie eine Besserung seines Gesundheitszustandes herbeiführen kann. Bei fehlender Mitwirkung kann die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente nach § 16 Abs. 1 Unterabsatz 5 Satz 4 ASO unter dort im Einzelnen angeführten weiteren Voraussetzungen eingestellt worden.

Auf § 16 Abs. 1 Unterabsatz 5 Sätze 1 und 4 ASO kann die angefochtene Nebenbestimmung vom 4. Dezember 2001 jedoch ebenfalls nicht gestützt werden. Weder galten diese Bestimmungen zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Nebenbestimmung und des nachfolgenden Widerspruchsbescheides im Jahr 2002 noch lässt sich dem - maßgeblichen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.4.2004 - 4 B 25/04 -, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziffer 1 VwGO Nr. 28, m . w. N.) - materiellen Recht, d.h. der ASO, entnehmen, dass diese Vorschriften nach ihrem Inkrafttreten auch Grundlage für bereits vor ihrem Inkrafttreten verfügte Maßnahmen sein sollen. Dagegen spricht schon, dass die Änderung des § 16 Abs. 1 ASO wohl durch das vorliegende Verfahren veranlasst, ungeachtet dessen aber ohne Übergangsregelung erst zum 1. Januar 2005 in Kraft gesetzt worden ist. Außerdem setzt § 16 Abs. 1 Unterabsatz 5 ASO für die Einstellung einer Berufsunfähigkeitsrente mangels Mitwirkung des Mitglieds zwei verschiedene Ermessensentscheidungen voraus, die schwerlich bereits vor Erlass dieser Norm ordnungsgemäß nach den nunmehr geltenden Vorgaben getroffen werden konnten. So muss der Verwaltungsausschuss der Beklagten vor der Aufforderung an das Mitglied nicht nur die Eignung und Zumutbarkeit der vorgesehenen Heilbehandlung zur “Besserung des Gesundheitszustandes“ bejahen (Sätze 1 und 3). Ergänzend hat er zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass die dafür erforderlichen Kosten notfalls von der Beklagten zu tragen sind (Satz 2) und dass - jedenfalls nach dem Wortlaut des Satzes 4 - die Berufsunfähigkeitsrente nicht “ohne weitere Ermittlungen“ allein wegen der fehlenden Mitwirkung des Mitglieds eingestellt werden kann. Vielmehr muss dazu dem Wortlaut nach zusätzlich feststehen, dass durch die fehlende Mitwirkung “eine Besserung des Gesundheitszustandes verhindert oder eine Verschlechterung herbeigeführt worden ist.“ Auf diese Voraussetzungen ist das Mitglied gemäß Satz 5 vor der möglichen, aber nicht zwingenden Leistungseinstellung wegen mangelnder Mitwirkung schriftlich hinzuweisen.

Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass § 16 Abs. 1 Unterabsatz 5 ASO auch als Rechtsgrundlage für bereits vor dem 1. Januar 2005 erlassene Bescheide und Nebenbestimmungen in Betracht käme, wäre die hier streitige Nebenbestimmung rechtswidrig. Sie entspricht nämlich nicht den Vorgaben des § 16 Abs. 1 Unterabsatz 5 ASO. Dies gilt schon deshalb, weil der Klägerin bei nicht fristgerechter Mitwirkung bis zum Jahresende 2002 “auf jeden Fall““, d.h. ohne weitere Prüfung und Ermessensentscheidung, die Einstellung der Berufsunfähigkeitsrente angekündigt worden ist. Dieser Hinweis steht im Widerspruch zu § 16 Abs. 1 Unterabsatz 5 Satz 4 ASO. Außerdem erging diese Aufforderung, ohne dass die Kostenübernahme für die angeordneten Maßnahmen geklärt war. Auch dies ist mit § 16 Abs. 1 Unterabsatz 5 Satz 2 ASO nicht zu vereinbaren. Die weiter zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die der Klägerin auferlegte Entziehungs-, Entwöhnung- und Folgebehandlung überhaupt eine geeignete, zumutbare und hinreichend bestimmte Maßnahme zur Wiederherstellung ihrer Berufsfähigkeit darstellt, ist daher in diesem Verfahren nicht zu klären.

 

Anmerkung Dr. Büchner

Sowohl in den Bedingungen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung als auch in den Satzungen der Versorgungswerke von berufsständigen Organisationen (hier Ärzteversorgung), sind häufig Regelungen bzgl. sog. Mitwirkungsobliegenheiten getroffen. Diese können dazu führen, dass z.B. im Fall der Berufsunfähigkeit einem Arzt vor Anerkennung der Leistungspflicht durch das Versorgungswerk, vorab zugemutet wird, sich bestimmten Behandlungen zur Wiedererlangung seiner Leistungsfähigkeit zu unterziehen.

In unserer täglichen Praxis können wir feststellen, dass die von privaten Berufsunfähigkeitsversicherungen oder berufsständischen Versorgungswerken geforderten Mitwirkungsobliegenheiten in Bezug auf Behandlungsmaßnahmen in aller Regel überzogen sind und keine Stütze in den Satzungen oder auch Bedingungswerken finden. Die Anerkennung von Rentenleistungen wird somit von meist frei erfundenen Mitwirkungsverpflichtungen abhängig gemacht.

Wenn überhaupt vorhanden, sind derartige Klauseln daher genau auszulegen und zu hinterfragen, welche Mitwirkung durch die Versicherung  tatsächlich verlangt werden kann. Im vorliegenden Fall enthielt die Satzung aber überhaupt keine entsprechende Regelung, so dass das Gericht folgerichtig, die Forderung des Versorgungswerkes ( Niedersächsische Ärzteversorgung ) – hier zur Absolvierung einer Entwöhnungsbehandlung – zurückwies.

 


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