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OLG München: Muskelriss bei Abschlag im Fußball ist ein Unfall

Urteil OLG München Urteil v. 10.01.2012 (Leitsatz)

Verletzt sich der Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung dadurch, dass er als Fußballtorwart beim Abschlag durch den Aufprall des Balles auf den Vorderfuß einen Muskelriss im gestreckten Bein erleidet, liegt ein von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis im Sinne der Unfallversicherungsbedingungen vor. In einem solchen Fall, in dem erst die “Kollision” des Versicherten mit der Außenwelt - hier mit dem Fußball - die Gesundheitsschädigung unmittelbar herbeiführt, ist nicht zu prüfen, ob auch eine Eigenbewegung des Versicherten im Zusammenspiel mit äußeren Einflüssen als Unfall angesehen werden kann.

Der Umstand, dass der Abschlag selbst gewollt war, betrifft nicht die “Einwirkung von außen”, sondern die von den Unfallversicherungsbedingungen weiter geforderten Merkmale “plötzlich” und “unfreiwillig”. Auch ein geplanter und nach Plan ablaufender Vorgang in einer kurzen Zeitspanne ist “plötzlich”; das Merkmal “unfreiwillig” bezieht sich auf die Gesundheitsschädigung, nicht auf das Unfallereignis, das die Verletzung herbeiführt.

Der Versicherte machte gegen seine private Unfallversicherung einen Anspruch Invaliditätsleistung nach einer Verletzung beim Fußballspielen geltend. Er hatte als Torwart beim Fußballspiel einen Abschlag ausgeführt und spürte beim Zusammentreffen des linken Fußes mit dem Ball einen stechenden Schmerz in der linken Leiste. In der Folge machte er Invaliditätsansprüche geltend; die Versicherung leistete zunächst eine Invaliditätsentschädigung von 7.210,00 € unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades des linken Beines von 1/20 Beinwert.

Mit seiner Klage verlangte der Kläger weitere 7.210,-- € zuzüglich Nebenforderungen von der Beklagten unter Berufung darauf, dass aufgrund der Verletzung am linken Bein ein Dauerschaden von 1/10 Beinwert aufgetreten sei. Zu der Verletzung sei es dadurch gekommen, dass er sich den Ball versehentlich zu weit vom Körper entfernt vorgelegt habe. Um den Ball noch mit dem Fuß erreichen zu können, habe er das linke Bein und den linken Fuß, mit dem er den Tritt ausführte, maximal gestreckt. Beim Auftreffen des Balles habe er eine Abrissfraktur des Muskels erlitten.

Die Unfallversicherung bestritt im Prozess nunmehr gänzlich das Vorliegen eines Unfalls im Sinne der Versicherungsbedingungen.

Das Landgericht hat nach Anhörung des Klägers und Einholung mehrerer Sachverständigengutachten der Klage stattgegeben. Es hat einen Unfall im Sinne der Ziffer 1.3 der AUB 2000 bejaht und hilfsweise die Verurteilung darauf gestützt, dass es sich jedenfalls um ein unfallähnliches Ereignis im Sinne der Ziffer 1.4 AUB 2000 wegen erhöhter Kraftanstrengung gehandelt habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung Unfallversicherung mit der sie eine Klageabweisung erreichen möchte. Sie rügt in erster Linie eine fehlerhafte Auslegung des Unfallbegriffs durch das Landgericht. Denn es habe sich bei dem Abschlag um eine vollständig beherrschte Eigenbewegung gehandelt. Der Kläger habe nach eigener Angabe sein linkes Bein vollständig gestreckt, um den Ball (zumindest) mit dem Vorderfuß zu treffen, was ihm auch geglückt sei. Dass bei dieser vollständig beherrschten Bewegung ein Muskelriss aufgetreten sei, rechtfertige nicht die Annahme eines Unfallereignisses, was auch späteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu entnehmen sei. Maßgeblich sei danach vielmehr eine planwidrige Bewegung. Entgegen der Urteilsgründe sei die Einwirkung des Balles auf den Fuß nicht "plötzlich" gewesen, habe vielmehr im Rahmen der willkürlichen Eigenbewegung gelegen. Es gehe nicht um die Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit des Muskelrisses. Im Ergebnis führe die Ansicht des Landgerichts fälschlich dazu, dass jede unfreiwillige Sportverletzung den Unfallbegriff erfüllen würde.

Das OLG München hat die Berufung der Unfallversicherung vollumfänglich zurückgewiesen und bestätigt, dass es sich bei dem Ereignis vom 19.11.2006 einen Unfall im Sinne von Ziffer 1.3 der Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 2000) gehandelt hat.

Der Bundesgerichtshof hat erst vor kurzem in seiner Entscheidung vom 06.07.2011, die eine Schulterverletzung infolge eines Sturzes beim Skifahren betraf, Abgrenzungen zum Unfallbegriff getroffen. Er hat darin insbesondere ausgeführt, in welchen Fällen unmittelbar eine Einwirkung "von außen" anzunehmen sei und in welchen Fällen demgegenüber zu prüfen sei, ob auch eine Eigenbewegung des Versicherten im Zusammenspiel mit äußeren Einflüssen den Unfallbegriff in diesem Sinne erfüllen könne.

Danach ist für die Frage, ob die Einwirkung "von außen" erfolgt, allein das Ereignis in den Blick zu nehmen, das die Gesundheitsbeschädigung unmittelbar herbeiführt. Nicht entscheidend seien demgegenüber die Ursachen, auf denen dieses Ereignis seinerseits beruht. Jedenfalls, wenn - wie im vom BGH entschiedenen Fall - eine Verletzung erst als unmittelbare Folge eines Aufpralls des Körpers auf einen anderen Gegenstand - dort die Skipiste - eintrete, liege darin der von den Bedingungen vorausgesetzte, schadensursächliche Kontakt des Körpers des Versicherten zur Außenwelt und deshalb ein von außen wirkendes Ereignis vor. Es mache insoweit keinen Unterschied, ob der Körper des Versicherten mit einer beweglichen oder unbeweglichen Sache kollidiere. Ob auch eine Eigenbewegung des Versicherten im Zusammenspiel mit äußeren Einflüssen als ein von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis im Sinne dieses Unfallbegriffs angesehen werden könne, sei hingegen nur zu prüfen, wenn schon diese Eigenbewegung - und nicht erst eine durch sie verursachte Kollision – zur Gesundheitsbeschädigung führe  Nach dieser Abgrenzung des Bundesgerichtshofs ist auch im streitgegenständlichen Fall von einer Einwirkung "von außen" auszugehen und sind Fragen der Eigenbewegung des Versicherten im Zusammenspiel mit äußeren Einflüssen nicht relevant. Denn der Verletzungsmechanismus ist vorliegend durch den Sachverständigen eindeutig geklärt. Die Gesundheitsbeschädigung - Einriss des Muskels - wurde unmittelbar und erst durch den aufprallenden Ball und die dabei auf den Muskel einwirkenden Kräfte herbeigeführt und nicht schon durch die Eigenbewegung des Klägers - volle Streckung des Beines und Fußes. Im Aufprall des Balles liegt die vom Bundesgerichtshof angesprochene, durch die Eigenbewegung verursachte "Kollision".

Der hier zu entscheidende Fall unterscheidet sich zwar insoweit von der Fallkonstellation des Bundesgerichtshofs, als die Krafteinwirkungen bei einem Sturz sicher größer sind als die hier im Raum stehenden Kräfte, und insoweit, als der Sturz beim Skifahren vom dortigen Kläger nicht gewollt war. Dies rechtfertigt aber keine andere Beurteilung.

Von den Krafteinwirkungen näher am Fall des Bundesgerichtshofs läge eine Konstellation beim Fußball, wenn der Torwart beispielsweise einen scharfen Torschuss noch mit den Händen zu erreichen versucht, ihm dies auch gelingt, der Aufprall aber ungewollt zu einer Finger- oder Handgelenksverletzung führt. Bei einem solchen Ablauf liegt nach allgemeinem Verständnis wohl klar nicht nur eine Sportverletzung, sondern auch ein „Sportunfall" im Sinne der Definition der Versicherungsbedingungen vor (vgl. zu einem ähnlichen Fall mit Bejahung eines Unfalls auch OLG Karlsruhe in NJW 2010, 1760) . Nach Auffassung des Gerichts stellt auch der Zusammenstoß mit der Außenwelt im streitgegenständlichen Fall (Aufprall des Balles auf den Fuß mit geringeren, aber relevanten und letztlich nicht beherrschbaren Krafteinwirkungen von außen) vom allgemeinen Sprachverständnis her eine "Kollision" im Sinne der BGH-Rechtsprechung dar, was bei anderen Sportverletzungen zweifelhaft sein mag. Die Abweichung von der Fallkonstellation des Bundesgerichtshofs, dass der Abschlag gewollt war, betrifft nicht die "Einwirkung von außen", sondern die von den Versicherungsbedingungen weiter geforderten Merkmale "plötzlich" und "unfreiwillig".

Anmerkung Rechtsanwalt Dr.  Büchner:

Das Urteil befasst sich mit einem in der Praxis von privaten Unfallversicherungen immer wieder bemühten Argument, mit dem Unfallgeschädigten die Invaliditätsentschädigung vorenthalten werden soll. Dem Versicherungsnehmer, der – wie bei einer Sportverletzung regelmäßig der Fall – das Unfallereignis aus einem vorher geplanten Bewegungsablauf heraus erlitten hat, unterstellt man, es liege kein versichertes Unfallereignis vor, da dieses nicht – wie die Definition es scheinbar erfordert – weder durch „Einwirkung von außen“ und auch nicht „plötzlich“ bzw. „unfreiwillig“ erfolgt sei.

Obwohl sich der Bundesgerichtshof bereits mehrfach mit diesem Thema zu befassen hatte und gegen diese Argumentation eine feststehende Rechtsprechung entwickelt hat, wird dies von private Unfallversicherungen – wie das vorliegende Urteil erkennen lässt - immer wieder aufs Neue ignoriert. Eine Erfahrung, die auch wir unserer anwaltlichen Praxis machen. Sollte also eine Unfallversicherung die Invaliditätsentschädigung mit dem Argument ablehnen, es läge kein Unfall im Sinne der AUB vor - sollten Sie sich dringend durch einen auf private Unfallversicherung spezialisierten Fachanwalt für Versicherungsrecht beraten lassen.


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