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LG Berlin: HDI Gutachter Klaus Besig wird von 24,5 auf 45,5 Prozent Invaliditätsgrad – gemäß Gelenk-Rechtsprechung „Arm im Schultergelenk“ korrigiert. Sachverständigengutachten des Dr. Hans-Helge Schauwecker ist nicht verwertbar.

Unser Mandant unterhielt bei der HDI Versicherung AG eine private Unfallversicherung. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen 88 zugrunde, in denen die Gliedertaxe unter § 7 I. (2) a) auszugsweise wie folgt formuliert war: „Als feste Invaliditätsgrade gelten - unter Ausschluss des Nachweises einer höheren oder geringeren Invalidität - bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines Armes im Schultergelenk: 70 %.“

Bei einem Sturz mit seinem Fahrrad erlitt unser Mandant 2010 eine körperferne Oberarmkopfmehrfragmentfraktur und musste sich infolge dessen eine Schultergelenksprothese implantieren lassen. In seinem vom Parallelunfallversicherer veranlassten Gutachten von Juni 2013 stellte Herr Klaus Besig, Institut für medizinische Begutachtung, unter anderem eine Einschränkung der Beweglichkeit des geschädigten Arms im Schultergelenk für das aktive seitliche Abspreizen/Heranführen auf knapp 40/0/10° rechts gegenüber 170/0/30° links, für die aktive Rückwärts-/Vorwärtshebung auf 20/0/60° gegenüber 50/0/170° und für die Auswärts-/Einwärtsdrehung auf 0/0/15° rechts gegenüber 70/0/80° links fest. Die unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigungen bewertete Herr Besig mit nur 7/20 Armwert. Hierbei nahm der vom Unfallversicherer beauftragte Gutachter weder Bezug auf die Bemessungsempfehlungen für die private Unfallversicherung noch berücksichtigte er die seit 2001 bestehende höchstrichterliche Gelenk-Rechtsprechung.

 

In unserem Anspruchsschreiben legten wir dar, dass die Bewertung mit nur 7/20 Armwert sowohl nach den aktuellen Einschätzungsempfehlungen für die private Unfallversicherung als auch nach den Vorgaben der Gelenk-Rechtsprechung zu niedrig ist. Hierbei nahmen wir eine eigene Invaliditätsbemessung sowohl anhand einer konkreten Bezugnahme auf die aktuellen Einschätzungsempfehlungen als auch auf die entsprechenden BGH-Urteile vor. Da die Bewertung anhand der Vorgaben der Gelenk-Rechtsprechung zu einem höheren Armwert führte, wäre die Abrechnung entsprechend der BGH-Rechtsprechung vorzunehmen.

Eine Stellungnahme zu den von uns ausführlich dargelegten Kriterien der Gelenk-Rechtsprechung hielt die HDI Versicherung AG für nicht erforderlich und ging nicht ansatzweise darauf ein. Vielmehr korrigierte sie ihre Abrechnung lediglich dahingehend, dass sie den von Herrn Besig nicht berücksichtigten Prothesezuschlag mit – zu geringen – 3/20 Armwert einbezog und die Unfallfolgen nunmehr nach 10/20 Armwert abrechnete.

Im Klageverfahren beim Landgericht Berlin machten wir sodann weitergehende Invaliditätsleistungen und eine Unfallregulierung anhand des vom BGH vorgegebenen Vergleichsmaßstabes geltend. Hiernach kommt es bei der in den AUB 88 verwendeten Formulierung „bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines Armes im Schultergelenk“ unter Anwendung der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB bei der Bestimmung des Armwertes – sofern dies für den Versicherten besser ist – allein auf die Funktionsbeeinträchtigung des Schultergelenks an, mithin ohne Berücksichtigung der Restgliedmaße Arm.

Die HDI Versicherung AG legte im Klageverfahren unzutreffend immer wieder dar, dass wegen fehlender Vollversteifung vorliegend die Gelenk-Rechtsprechung nicht anwendbar sei. Auch der vom Landgericht Berlin mit der Gutachtenerstellung beauftragte Sachverständige, Dr. med. Hans Helge Schauwecker, nahm die Invaliditätsbewertung ohne Berücksichtigung der Gelenk-Rechtsprechung vor. Selbst im Rahmen seiner persönlichen Anhörung durch den Einzelrichter im Beweistermin beim Landgericht Berlin sah er sich nicht in der Lage, die Invalidität anhand der vom BGH vorgegebenen Bewertungskriterien festzustellen.

Infolgedessen sah sich das Landgericht Berlin - wie im Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 16.02.2016 festgehalten – dazu genötigt, darauf hinzuweisen, 

„dass das Gutachten des Sachverständigen Dr. Schauwecker vom 19.04.2015 nicht verwertbar sein dürfte. Der Sachverständige hat in seiner Anhörung klargestellt, dass er nicht lediglich - wie hier maßgebend - die Beeinträchtigung des Armes „im Schultergelenk", sondern der gesamten Armfunktionalität bewertet hat. Da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Restfunktionalität des Unterarmes nicht zu berücksichtigen ist, dürfte der Sachverständige damit einen zu geringen Invaliditätsgrad ausgewiesen haben. Des weiteren hat der Sachverständige fehlerhaft seine eigenen Messergebnisse vom 17.02.2015 hinsichtlich der Beweglichkeit des Schultergelenks und nicht – wie richtig - die unstreitigen Ergebnisse des Gutachtens Besig vom 24.06.2013 (K 12) zugrunde gelegt. Denn in zeitlicher Hinsicht kommt es auf die absehbare Dauerbeeinträchtigung drei Jahre nach dem Unfallereignis an. Entscheidend dürfte vorliegend sein, welche Gewichtung den einzelnen noch möglichen Beweglichkeiten des beschädigten Schultergelenkes beizumessen ist und welche Gesamtbeeinträchtigung sich daraus im Verhältnis zum gesunden Arm des Klägers ergibt. Dazu hat sich der Sachverständige in seiner Anhörung nicht abschließend positioniert. Nach seinen Ausführungen erscheint vielmehr zweifelhaft, ob sich der Sachverständige selbst zu einer solchen Bewertung in der Lage sieht.“

Um die Beauftragung eines neuen Sachverständigengutachtens und die Veranlassung weiterer Kosten zu vermeiden, schlug das Landgericht Berlin sodann einen gerichtlichen Vergleich vor, nach dem die HDI Versicherung AG zur Beendigung der Angelegenheit die Unfallfolgen nach einem Armwert von insgesamt 13/10 reguliert. Hierzu erklärte die HDI Versicherung AG ihre Zustimmung, womit am 10.03.2016 das Zustandekommen des Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss festgestellt wurde.

Anmerkung von Rechtsanwalt Klaus Junghans

Traurig aber wahr: Obwohl die Gelenk-Rechtsprechung seit dem ersten Urteil des BGH vom 17.01.2001 - IV ZR 32/00, VersR 2001, 360 unerschütterlich feststeht, weigern sich bis heute immer wieder Unfallversicherer, diese anzuerkennen und entsprechend zu regulieren. Nach unseren Erfahrungen wird die Gelenk-Rechtsprechung, die bei Verletzungen des Schulter-, Hand- oder Fußgelenks regelmäßig zu einer wesentlich höheren als vom Versicherer tatsächlich abgerechneten Invaliditätsleistung führt, bei außergerichtlichen Regulierungen ohne Beteiligung eines auf dem Gebiet des Personenversicherungsrechtes kundigen Rechtsanwalts grundsätzlich nicht berücksichtigt.

Viele Versicherer sind bei Überprüfung der von ihnen vorgenommen Invaliditätsabrechnung durch unsere Kanzlei zu einer Korrektur ihrer Unfallregulierung bereit. Allerdings gibt es immer noch verschiedene Versicherer, die erst aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder eines dringenden richterlichen Hinweises zu einer Berücksichtigung der Gelenk-Rechtsprechung und entsprechenden Berichtigung ihrer Abrechnung bereit sind.

Genauso wie die Versicherer müssen auch die Gutachter immer wieder auf den von der Rechtsprechung vorgegebenen Vergleichsmaßstab bei der Invaliditätsbewertung hingewiesen werden. Dies gilt regelmäßig sogar auch für die vom Gericht beauftragten Sachverständigen.

Kontaktieren Sie uns und nehmen Sie unser  Angebot einer kostenlosen Ersteinschätzung  wahr!


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