LG Heidelberg: Psychologische Testverfahren der Generali BU-Versicherung lassen keinerlei Schluss auf Verdeutlichungs- oder Aggravationstendenzen zu!
Urteil Langericht Heidelberg v. 22.01.2013, Az. 2 O 395/09
Unser Mandant war in gesunden Tagen parallel als Geschäftsführer mehrerer Logistik-Unternehmen tätig und arbeitete an fünf bis sechs Tagen der Woche je acht bis zehn Stunden. Im Juli 2008 stellte er einen Leistungsantrag aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung, den die Generali-Lebensversicherung nach Einholung eines privaten Gutachtens bei Herrn Prof. Peters in Köln mit Schreiben vom 11.02.2009 ablehnte, da der ärztliche Nachweis anspruchsbegründender Berufsunfähigkeit angeblich nicht geführt worden sei.
Das Landgericht Heidelberg hat auf unseren Antrag hin über die Frage der Berufsunfähigkeit des Klägers gemäß Beschluss vom 20.04.2010 Beweis erhoben durch Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens.
Die Berufsunfähigkeit des Klägers war nach Überzeugung der Kammer zurückzuführen auf eine chronische depressive Störung von mittelgradiger Ausprägung, die spätestens seit dem 25.07.2008 und seitdem ununterbrochen vorlag. Diese Feststellung gründete sich insbesondere auf die umfangreichen und nachvollziehbaren Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen, der sich das Gericht nach eigener Prüfung in vollem Umfang anschloss.
Die gerichtliche Gutachterin hatte sich nach Auffassung der Kammer kritisch mit der Problematik der Validität der Angaben des Klägers, einer möglichen Aggravation und der Abgrenzung des beim Kläger vorliegenden Krankheitsbildes zu einer Anpassungsstörung auseinandergesetzt, so dass man keine Zweifel hatte, dass die Diagnose auf einer sachlich und fachlich fundierten Grundlage erfolgte.
Die Sachverständige ging danach unter Berücksichtigung des Verhaltens des Klägers im Rahmen der klinischen und der neuropsychologischen Untersuchung nicht von einer bewussten Übertreibung des Klägers bei der Schilderung seiner Beschwerden aus. Vielmehr war davon auszugehen, dass die Übertreibungen der Beschwerden, wie sie die Ergebnisse des strukturierten Fragebogens Simulierter Symptome (SFSS) und des Green's Word Memory Test vermuten lassen, ihren Grund in der beim Kläger festgestellten narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung und damit in einer psychischen Störung haben. Aufgrund der starken narzisstischen Kränkbarkeit des Klägers gepaart mit Verbitterung aufgrund seiner negativen Erfahrung mit seinem Geschäftspartner sowie Misstrauen in der Interaktion mit anderen und Impulsivität gelinge es ihm gerade nicht, die gutachterliche Untersuchung zu seinen Gunsten zu gestalten und gezielt und bewusst in einem bestimmten von ihm gewünschten Eindruck bei seinem Gegenüber zu erzielen.
Dieser Beurteilung schloss sich das Gericht in vollem Umfang an. Darüber hinaus war nach Auffassung der Kammer zu berücksichtigen, dass die Aussagekraft entsprechender Testverfahren in medizinischen Fachkreisen nicht unumstritten ist. Diese lassen insbesondere keinerlei Schluss darauf zu, ob es sich bei den gefundenen Testergebnissen, selbst wenn diese in erheblichem Maße von den zu erwartenden Ergebnissen abweichen und deshalb eine Übertreibung der Beschwerde vermuten lassen, um Anzeichen einer unbewussten oder bewussten Verdeutlichungs- oder Aggravationstendenz ergeben. Darüber hinaus handelt es sich lediglich um ergänzende Tests, die für die Diagnosefindung keinesfalls alleinentscheidend sind. Im Rahmen der klinischen Untersuchung hat die Sachverständige unter Berücksichtigung insbesondere nonverbaler Aspekte wie der Mimik, emotionaler Berührung und Erzähltempo keine Aggravationstendenzen oder Diskrepanzen festgestellt. Dass es im medizinischen Bereich bei unterschiedlichen Untersuchungsmethoden zu unterschiedlichen, auch widersprüchlichen Ergebnissen kommen kann, ist im Übrigen nicht ungewöhnlich.
Bei einer psychischen Störung wie der vorliegenden steht ein rein objektives Testverfahren nicht zur Verfügung. Ferner räumt die Kammer mit der Sachverständigen den Symptomvalidierungstests nicht die ausschlaggebende Bedeutung ein.
Die auffälligen Testergebnisse lassen sich unter Berücksichtigung der Ausführungen der Sachverständigen in ihrer ergänzenden Stellungnahme und der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2012 durch die narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung erklären. Der Annahme einer bewussten Aggravation steht darüber hinaus auch der Umstand entgegen, dass sich der Kläger im Rahmen des Testverfahrens bewusst unkooperativ verhalten und seiner Verärgerung deutlichen Ausdruck verliehen hat. Bei einer bewussten Übertreibung wäre jedoch zu erwarten gewesen, dass der Kläger vordergründig Kooperationsbereitschaft vorgibt, um den Wahrheitsgehalt der Testergebnisse zu unterstreichen. Dass die Sachverständige ursprünglich eine abweichende Bewertung vorgenommen hat, steht einer Überzeugungsbildung der Kammer nicht entgegen. Insbesondere kann vor diesem Hintergrund entgegen der Ansicht der Beklagten nicht die Rede davon sein, dass die Sachverständige nunmehr willkürlich dem nunmehr gefundenen Ergebnis den Vorrang vor ihrer ursprünglichen Bewertung eingeräumt habe.
Anmerkung von Rechtsanwalt Dr. Büchner
Die Generali-Lebensversicherung hat gegen das Urteil des LG Heidelberg Berufung am OLG Karlsruhe eingelegt. Im Ergebnis wurde das Verfahren am 18.07.2013 gegen Zahlung eines Abfindungsbetrages i.H.v. € 50.000,00 an unseren Mandanten verglichen. Obwohl das Urteil des LG Heidelberg v. 22.01.2013 damit nicht rechtskräftig geworden ist, bietet es doch zwei grundlegende Feststellungen, die aus unserer Sicht bemerkenswert und somit festzuhalten sind:
- Die gerichtliche Sachverständige hatte herausgestellt, dass die – von Berufsunfähigkeitsversicherungen immer wieder bemühten – psychologischen Leistungstests bei bestimmten psychiatrischen Krankheitsbildern versagen; dieser Auffassung schloss sich das Landgericht Heidelberg vollumfänglich an.
- Darüber hinaus hat es das Gericht nicht nehmen lassen zu erwähnen, dass die von den Versicherern immer wieder geforderten psychologischen Testverfahren in der medizinischen Wissenschaft hoch umstritten sind.