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LG Düsseldorf: Gutachter Dr. Christoph Visé widerlegt; Baden-Badener Unfallversicherung muss wegen "Arm im Schultergelenk" 74.250,00 Invaliditätsentschädigung nachzahlen.

Landgericht Düsseldorf, Urteil v. 18.09.2017, Az. 9 O 186/14

Unsere Mandantin hielt bei der Baden-Badener (heute Zurich) eine private Unfallversicherung. Vereinbart war eine Versicherungsgrundsumme in Höhe von 50.000,00 € bei einer Progression von 500%, dem Versicherungsvertrag lag als zuletzt wirksam einbezogene Gliedertaxe die Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 94) mit Plus-Deckung der Beklagten (nachfolgend AUB 94) zugrunde. Die Versicherungsnehmerin stürzte am 18.09.2010 im Urlaub in der Lobby des Hotels. Als sie zur Ausgangstür gehen wollte, übersah sie die Podeststufe, da der Übergang des Podests zum Steinfußboden der Hotel-Lobby nicht sichtbar abgegrenzt war, trat ins Leere und schlug letztlich mit der rechten Körperhälfte auf dem Steinfußboden auf. Die Mandantin wurde sofort geröntgt und man stellte diverse Frakturen fest. Bei dem Sturz zog sie sich u.a. einen Oberschenkelhalsbruch mit Dislokation rechts und einen mehrfragmentären Oberarmkopfbruch rechts zu. Im Ergebnis wurde eine Totalendoprothese  im rechten Hüftgelenk eingesetzt und in der Schulter eine offene Reposition der Mehrfragment-Fraktur im Gelenkbereich langer Röhrenknochen mit Osteosynthese durch winkelstabile Platte Humerus proximal rechts vorgenommen.

Nachdem unsere Mandantin bei der Baden-Bader Unfallversicherung den Unfall gemeldet hatte, wurde sie durch deren Privatgutachter, Herrn Dr. Christoph Visé, Facharzt für Orthopädie, Poststraße 5, 40878 Ratingen begutachtet.

Herr Dr. Visé stellte folgende unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigungen fest:

  • Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks bei Zustand nach zementfrei fixierter Hüfttotalendoprothese
  • Beinllängendifferenz von 1 cm durch ebtsprechende Verkürzung der Beinlänge rechts
  • Verschmächtigung der hüftführenden Muskulatur rechts und Herabsetzung ihrer Kraft
  • Narbe am rechten Hüftgelenk
  • Zustand nach Implantation einer zementfrei fixierten Hüfttotalendoprothese mit leicht varischer Position der Prothesenschaftspitze mit entsprechenden Beschwerden
  • Schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Arms im Schultergelenk: Beweglichkeit nur bis unterhalb der Horizontalen nach vorne und seitlich, Rotation rechts gegenüber links eingeschränkt
  • Nackengriff eingeschränkt
  • Schürzengriff eingeschränkt
  • Zustand nach vollständiger Entfernung des Osteosynthesematerials mit eingestauchtem Oberarmkopf, inhomogener Knochenfeinzeichnung der Binnenstruktur und leichter Oberarmkopftiefstand
  • Herabsetzung der groben Kraft der das rechte Schultergelenk führenden Muskulatur
  • Verschmächtigung der das rechte Schultergelenk umgebenden Weichteile

Für die Beeinträchtigungen an Bein und Hüftgelenk sprach der Gutachter sich für einen Beinwert von 3/10 aus. Trotz der weitreichenden, Einschränkungen der Beweglichkeit des rechten Arms im Schultergelenk, die er mit über die Hälfte (Seit- und Vorhebung bis unterhalb der Horizontale) festgestellt hatte, schätzte er diesbezüglich jedoch trotzdem nur einen Armwert von 5/20 ein. Unter dem 10.12.2012 wurde die Mandantin erneut im Auftrag der Beklagten von Herrn Dr. Visé begutachtet.

Er stellte folgende unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigungen fest:

  • Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenkes bei Zustand nach Implantation einer zementfrei fixierten Hüfttotalendoprothese
  • Verschmächtigung der hüftführenden Muskulatur und Herabsetzung ihrer Kraft
  • Beinlängendifferenz von 1 cm und die an der Hüfte beschriebene Narbe
  • Die hierauf zurückzuführenden Beschwerden
  • Mehr als hälftige, die Beweglichkeit deutlich unterhalb der Horizontale begrenzende schmerzhafte Bewegungseinschränkungen rechter Arm im Schultergelenk: Seithebung 70° rechts gegenüber links 160°, Vorhebung rechts 80°, Auswärtsdrehung rechts 20° gegenüber links 40°
  • Nackengriff und Schürzengriff eingeschränkt
  • Verschmächtigung der schulterumgebenden Weichteile rechts gegenüber links
  • 9,5 cm lange Narbe an der der Schultervorderseite  mit Ausdünnung der darunterliegenden Weichteile
  • Röntgenmorphologisch erkennbare posttraumatisch arthrotische Veränderungen: Stufenbildung am Übergang vom Oberarmkopf zum großen Rollhöcker sowie an der äußeren harten Knochenschale; inhomogene Knochenfeinzeichnung des Oberarmkopfes, in Projektion auf den subacromialen Gelenkspalt kommt linsengroße kalkdichte Verschattung zur Darstellung
  • Schulterhochstand rechts

Der Gutachter verblieb jedoch nicht nur hinsichtlich des Beinwertes bei seiner Bemessung von 3/10, sondern trotz der massiven, mehr als hälftigen Einschränkungen im rechten Schultergelenk auch bei einem Armwert von nur 5/20.

Die Baden-Badener Versicherung zahlte zunächst einen Vorschuss in Höhe von 11.000,00 € an die Klägerin. Unter dem 02.04.2012 meldeten wir uns für die Mandantin bei der Baden-Badener und forderten eine weitergehende Vorschussleistung

worauf diese einen weiteren Vorschuss in Höhe von 17.750,00 € leistete.

Im Ergebnis rechnete sie auf der Grundlage des Gutachtens von Herrn Dr. Visé vom 03.01.2013 unter dem 01.03.2013 nach einem Beinwert von 1/3 und einem Armwert von 5/20 einen Invaliditätsgrad von 38,50 % ab und zahlte weitere 17.500,00 €, insgesamt also 46.250,00 € an unsere Mandantin.

Unsere Fristsetzungen an die Baden-Badener, ihre Abrechnung entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu korrigieren ignorierte die Unfallversicherung, so dass Klage geboten war.

In der Klage am Landgericht Düsseldorf war eine weiterer Zahlungsanspruch auf Invaliditätsentschädigung in Höhe von 74.250,00 € geltend zu machen.

Die Baden-Badener Versicherung bestritt zunächst, dass die Unfallversicherungsbedingungen AUB 94 zugrunde liegen würden, so dass das Gericht zunächst Beweis erheben musste. Nachdem die von der Beklagten benannten Zeugen nicht darstellen konnten, wie die Vertragsumstellung stattgefunden haben sollte, ging das Gericht weiter davon aus, dass nicht die AUB 2008, sondern die AUB 94 dem Vertrag zugrunde liegen.

Darüber hinaus holte das Landgericht Düsseldorf ein weiteres Sachverständigengutachten ein, welches zu dem Ergebnis kam, dass eine Beeinträchtigung „Arm im Schultergelenk“ von 6/10 und nicht wie von Dr. Vise festgestellt – in Höhe von 3/10 vorliegt, so dass unserem Klageantrag voll zugesprochen wurde.

Anmerkung Dr. Jörg Büchner, Fachanwalt für Versichrungs- und Medizinrecht:

Der Sachverhalt ist typisch für das Regulierungsgebaren sämtlicher Unfallversicherungen.

Zunächst betrifft das die Behauptung, der Vertrag sei wirksam auf neue AUB (hier AUB 2008) umgestellt worden. Diese erfolgt – wie auch hier – nicht selten ins Blaue hinein. Die Prozessvertreter der Baden-Badener gingen sogar soweit, die Versicherungsmaklerin unserer Mandantin in die mündliche Verhandlung zu laden, was dazu führte, dass diese das Gegenteil von dem aussagte, was die Baden-Bader hatte vortragen lassen!

Überdies ist die Instruktion des Gutachters in der Regel problematisch. Die Baden-Badener Versicherung nahm hier die Dienste von Herrn Dr. Christoph Vise in Anspruch, dessen Gutachteninstitut hier dafür bekannt ist, regelmäßig von Versicherungsunternehmen beauftragt zu werden.

Natürlich hatte es die Sachbearbeiterin der Baden-Badener Versicherung verabsäumt, ihren Gutachter vorab darauf hinzuweisen, dass hier nach „Arm im Schultergelenk“ zu bewerten ist, so dass die Invaliditätsbewertung von Dr. Vise zwangsläufig in die falsche Richtung lief. Auch als die Versicherung auf diesen Missstand hingewiesen wurde, weigerte sie sich hartnäckig, dem Gutachter die korrekten Frage zu stellen und ließ die Sache lieber in den Prozess laufen: mit bekanntem Ergebnis!

Interessant ist zudem, dass sich die Problematik bereits vor 11 Jahren in ganz ähnlicher Konstellation zugetragen hat (LG Hamburg, Urteil v. 29.06.2006) und der Gutachter der Unfallversicherung auch damals bereits Dr. Christoph Visé gewesen ist, welcher die Grundlage für eine fehlerhafte Abrechnung der Unfallversicherung geliefert hat.

 

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