Newsdetail

KG Berlin: Rücktritt und Anfechtung durch Volkswohl Bund sind auch dann rechtswidrig, wenn eine über ein Jahr dauernde Gesprächstherapie und eine Behandlung mit Schlafmitteln bei den Gesundheitsfragen nicht angegeben wurden.

KG, Beschluss vom 8.4.2005 (6 U 5/05)

Das Kammergericht hatte über ein durch unsere Kanzlei erstrittenes Urteil des Landgerichts Berlin vom 07.12.2004 zu entscheiden, in dem die Volkswohlbund Versicherung AG zur Zahlung der beantragten Berufsunfähigkeitsrente verurteilt worden ist. Gegen diese Entscheidung hatte  die Volkswohlbund Versicherung in Berufung eingelegt.

Tatbestand:

Unser 1964 geborener Mandant begehrte von der Volkswohl Bund Versicherung, die Gewährung von Leistungen (Rente und Beitragsbefreiung) aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab November 2002 sowie die Feststellung des Fortbestands des Vertrags trotz Rücktritts bzw. Anfechtung.

Unser Mandant begab sich Ende August 1995 in die Behandlung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, weil er aufgrund "Mobbings" am Arbeitsplatz unter Schlafstörungen litt. Der Arzt verschrieb unserem Mandanten ein Schlafmittel und schrieb ihn für die Zeit vom 28. 8. bis zum 30. 11. 1995 arbeitsunfähig krank. Für die Zeiträume vom 19. 4. bis zum 17. 5. 1996 und vom 12. 8. bis zum 16. 9. 1996 folgten weitere Krankschreibungen durch Dr. V. Eine Diagnose gab der Arzt unserem Mandanten dabei nicht bekannt.

Von 1996 bis September 2001 war unser Mandant. arbeitslos gemeldet und bezog Arbeitslosenunterstützung. Seit dem späten Frühjahr 1997 erwirtschaftete unser Mandant darüber hinaus einen Nebenverdienst als freier Mitarbeiter einer Versicherungsagentur, der sich für das gesamte Jahr 2001 auf 13 837,89 DM belief.

Am 14. 6. 2001 stellte unser Mandant bei der Volkswohl Bund Versicherung. einen Antrag auf Abschluss einer Kapitallebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und planmäßiger Erhöhung von Beiträgen und Leistungen. Als "derzeitige Tätigkeit" gab er darin an: "Versicherungsfachmann (selbstständig)". Die Höhe der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente beantragte er mit 2500 DM. Die im Antragsformular für das Nettojahreseinkommen vorgesehenen Antwortkästchen ließ der Mandant dagegen unausgefüllt. Die Gesundheitsfrage 2 des Antragsformulars: "Waren Sie in den letzten zehn Jahren in ärztlicher Behandlung wegen Herz-/Kreislauferkrankungen (z. B. Herzinfarkt, Angina Pectoris), Beschwerden der Wirbelsäule und Gelenke (z. B. Bandscheibenvorfall, Rheuma, Gicht) Erkrankungen der Atmungsorgane (z. B. Asthma), der Verdauungsorgane (z. B. Morbus Crohn), der Nieren (z. B. Zystenniere), Tumorerkrankungen, psychischer Leiden/Nerven- oder Geisteskrankheiten (z. B. Depressionen, Selbstmordversuch) oder Suchterkrankungen?" verneinte der Mandant. Die Gesundheitsfrage 3 des Formulars: "Haben in den letzten fünf Jahren ärztliche oder andere Behandlungen, Krankenhaus-, Heil- oder Kuraufenthalte stattgefunden, oder wurde die regelmäßige Einnahme von Medikamenten verordnet?" bejahte er dagegen. Zur Erläuterung der Bejahung der Frage 3 führte er folgende Punkte auf:

op. Verkleinerung der Nasenmuschel 09/96 ..., Mandelentzündung 07/99 ..., Mandelentzündung 04/01 ...,

wobei er ergänzend die jeweils behandelnden Ärzte angab sowie, dass hieraus keine Folgen zurückgeblieben seien.

Der Volkswohlbund nahm diesen Antrag aufgrund einer Regelung ihrer Annahmerichtlinien, wonach bei allen Selbstständigen auch ohne die Angabe eines Einkommens eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von höchstens 2500 DM zu versichern ist, mit Versicherungsschein vom 22. 6. 2001 unter Einbeziehung u. a. der Allgemeinen Bedingungen für Berufsunfähigkeitsleistungen an. Ausweislich des Dynamiknachtrags vom 23. 4. 2002 zum Versicherungsschein war ab dem 1. 6. 2002 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 1310,19 Euro vereinbart.

Am 22. 10. 2002 wurde bei unserem Mandanten eine Aidserkrankung diagnostiziert, die in keinerlei ursächlichem Zusammenhang mit den Behandlungen durch den besagten Arzt zugrunde liegenden Beschwerden steht. Seither war er durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben und ab November 2002 unstreitig bedingungsgemäß berufsunfähig. Am 16. 5. 2003 beantragte er bei der Volkswohlbund Versicherung die Gewährung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung rückwirkend zum November 2002. Im Rahmen der Leistungsprüfung ging beim Volkswohlbund Anfang Oktober 2003 die schriftliche Auskunft Arztes vom 29. 9. 2003 zu, in der es wörtlich heißt:

Herr K. ist vom 29. 8. 1995 bis 2. 9. 1996 in meiner ambulanten Behandlung gewesen. Arbeitsunfähigkeitszeiten: 28. 8.-30. 11. 1995 mit Diagnose: Depressives Syndrom; 19. 4.-17. 5. 1996 Diagnose: Depressive Neurose; 12. 8.-16. 9. 1996 Diagnose: Depressive Neurose. Der Patient ist von anderen Ärzten nicht untersucht worden. Von dem heutigen Punkt sehe ich die richtige Diagnose als reaktiv depressives Syndrom.

Der Patient wurde nach seinen Angaben von dem Arbeitgeber sehr schlecht behandelt, was man heute als "Mobbing" bezeichnet. Als primordiale Symptomatik für depressive Neurose (heute Dysthymia) fehlen Angstzustände in der Kindheit.

Der Patient ist mit Schlafmitteln behandelt worden und es werden keine Antidepressiva benötigt.

Mit Schreiben vom 13. 10. 2003 erklärte daraufhin die Volkswohl Bund Versicherung sowohl den Rücktritt vom Versicherungsvertrag als auch die Vertragsanfechtung wegen arglistiger Täuschung, und zwar zum einen mit der Begründung, der Kl. habe im Antragsformular die oben angegebenen Behandlungen und Krankschreibungen wegen depressiven Syndroms bzw. depressiver Neurose verschwiegen, zum anderen aber auch mit der zusätzlichen Begründung, dass unser Mandant vor und bei Antragstellung Arbeitslosenunterstützung bezogen und aus seiner selbstständigen Tätigkeit als Versicherungsvermittler einen deutlich geringen Verdienst erwirtschaftet habe, als dass eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 2500 DM in Betracht gekommen wäre.

Das LG hat unserer Klage mit Urteil vom 07.12.2004  stattgegeben.

Die Berufung der der Volkswohl Bund Versicherung AG  hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Entgegen der unter Berufung auf die Entscheidung BGH VersR 1994, 1457 von der Bekl. vertretenen Auffassung war der Kl. auf die Gesundheitsfrage 2 nicht verpflichtet, die in den Jahren 1995 und 1996 erfolgte Behandlung durch Dr. V. der Bekl. mitzuteilen. Zwar hat ein künftiger VN die in einem Antragsformular gestellten Fragen nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden grundsätzlich erschöpfend zu beantworten, sofern es sich nicht um Gesundheitsbeeinträchtigungen handelt, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen (vgl. auch BGH VersR 1994, 711 [712] und NJW-RR 2003, 1106 [1107]), doch ist für die Beantwortung der Frage, ob der VN seine Anzeigeobliegenheit verletzt hat, entscheidend, welche Kenntnisse er bei der Beantwortung der Antragsfragen über vom Versicherer erfragte Gesundheitsumstände hatte (BGH VersR 1994, 711 [712]).

Nach dem Wortsinn der nachgefragten Krankheitsbilder und dem Zusammenhang der Gesundheitsfragen, war die Frage- anders als in den vom BGH entschiedenen Fällen - so zu verstehen, dass nicht alle gesundheitlichen Störungen, sondern nur solche von erheblichem Gewicht anzugeben waren. Es kann für die Entscheidung dahinstehen, wie der Kl. die Beschwerden, die Grund für das Aufsuchen des Dr. V. waren, vor Beginn der Behandlung durch diesen bewertet hat, da angesichts des unstreitigen Fehlens einer dem Kl. mitgeteilten Diagnose und der Behandlung mit Schlafmitteln nicht in für die Bejahung einer arglistigen Täuschung i. S. v. § 123 Abs. 1 BGB ausreichender Weise erkennbar ist, dass dem Kl. bewusst war, wegen eines von der Bekl. erfragten psychischen Leidens oder einer Nerven- oder Geisteskrankheit behandelt worden zu sein. Die Dauer der Behandlung und die von Dr. V. hierfür verwendete Bezeichnung Gesprächstherapie lassen aus den im Schreiben vom 11. 3. 2005 ersichtlichen Gründen ebenfalls nicht den Schluss zu, dass dem Kl. am 14. 6. 2001 die Erkenntnis, an einem psychischen Leiden gelitten zu haben, nicht verschlossen geblieben sein konnte.

Da nach dem Vorbringen der Bekl. nicht ersichtlich ist, dass Dr. V. dem Kl. mitgeteilt hat, dass die Arztbesuche, deren Dauer und Häufigkeit nicht vorgetragen sind, aus ärztlicher Sicht als Gesprächstherapie anzusehen sind, lässt das Verschweigen einer - dem Kl. nicht erkennbar bekannten - Gesprächstherapie keine Rückschlüsse darauf zu, dass dem Kl. bekannt war, an einem psychischen Leiden gelitten zu haben.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner:

Das Urteil des Landgerichts Berlin und der diese Entscheidung bestätigende Beschluss des Kammergerichts Berlin zeigen einmal mehr, dass es richtig ist, auch vermeintlich schwerwiegende vorvertragliche Anzeigepflichtverletzungen im Zweifel von den Gerichten überprüfen zu lassen. Im vorliegenden Verfahren wurde der behandelnde Arzt unseres Mandanten vom Gericht als Zeuge gehört und es stellte sich heraus, dass die zunächst von der Berufsunfähigkeit als schwerwiegend bezeichnete angeblich verschwiegene psychische Erkrankung zur Überzeugung des Gerichts nicht zur Rechtfertigung eines Rücktritts vom Vertrag oder gar einer Anfechtung wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung herhalten konnte.


Seite drucken