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LG Berlin: ARAG Unfallversicherung dringt mit Unterstellungen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung nicht durch. Gutachten von Michael Meyer-Clement nicht haltbar.

Das Landgericht Berlin hat in einem Klageverfahren gegen die ARAG Allgemeine Versicherung AG mit Beschluss v. 09.04.2013 darauf hingewiesen (Az: 7 O 447/12), dass keine, jedenfalls keine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung anzunehmen ist, wenn ein Versicherungsnehmer bei einer geltend gemachten Verletzung des rechten Sprunggelenks auf die Frage nach früheren Verletzungen, Gebrechen und usw. Depression, Migräne und Schwerhörigkeit nicht angibt. (Beschluss vom 09.04.2013).

Am 24.05.2008 erlitt unsere Mandantin einen Fahrradsturz. Dabei kam es zu einem Verdrehtrauma im Sprunggelenksbereich. Sie wurde umgehend durch den Rettungswagen in ein Unfallschwerpunktkrankenhaus verbracht. Dort wurde sie sogleich stationär bis zum 05.06.2008 aufgenommen.

Es wurde dort ein bimalleolärer Verrenkungsbruch des Sprunggelenks festgestellt. Röntgenologisch zeigte sich eine Außenknöchelfraktur mit großer Trümmerzone sowie den Abbruch des Innenknöchels.

Die ARAG Allgemeine Versicherung AG, bei der unsere Mandantin eine private Unfallversicherung unterhielt, beauftragte für die Schlussbemessung der unfallbedingten Invalidität 3 Jahre nach dem Unfall den bekannten Gutachter Herrn Michael Meyer-Clementvom „Institut für medizinische Begutachtung Hamburg-Rostock-Berlin“, Panoramastraße 1, 10178 Berlin.

Ausdrücklich hielt dieser fest, dass der bei seiner Untersuchung erhobene Befund „funktionell einer Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks entspricht“.

Gleichwohl nahm Herr Meyer-Clement eine Invaliditätsbemessung von lediglich 6/10 Fuß an, anders als noch der Vorgutachter nahm er außerdem eine unfallfremde Mitwirkung i.H.v. 25% an.

Obwohl das Schlussgutachten von Herrn Meyer-Clement eine deutliche Verschlechterung, sogar funktionell eine Vollversteifung des Fußes im Fußgelenk belegt hatte, rechnete die ARAG nunmehr gemäß seiner Bemessungsempfehlung gar nur einen Fußwert von 6/10 mit Abzug von 25 % angeblicher unfallfremder Mitwirkung ab, d.h. einen Invaliditätsgrad von 18 % und versuchte die Klägerin mit dem Vorbehalt einer Rückforderung einzuschüchtern und von der Infragestellung ihrer Abrechnung abzuhalten.

Wir meldeten uns beim Versicherer und wiesen darauf hin, dass in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) in der Gliedertaxe noch die Formulierung „Fuß im Fußgelenk“ enthalten war. Bereits 2001 hatte der Bundesgerichtshof festgestellt, dass aus rechtlichen Gründen in diesem Fall eine vollständige Funktionsunfähigkeit und damit Entschädigung des Fußes bereits dann anzunehmen sei, wenn das „Fußgelenk“ (Sprunggelenke) bei funktioneller Betrachtung vollständig funktionsunfähig sei.

Wir boten der ARAG einen Vergleich dahingehend an, die 25% Abzug wegen angeblicher Mitwirkung zu akzeptieren und ansonsten nach einem vollen Fußwert abzurechnen.

Nachdem der Versicherer dies abgelehnt hatte, erhoben wir Klage zum Landgericht Berlin.

Die wilden Vorwürfe einer angeblichen Obliegenheitsverletzung gegen die Mandantin wurden daraufhin im Prozess von der die ARAG vertretenden Kanzlei BLD (Bach Langheid Dallmayr) vehement wiederholt.

Entrüstet führte sie aus, die Mandantin hätte der ARAG in der Unfallschadenanzeige „vorsätzlich verschwiegen“, bereits vor dem Unfall an Depression, Migräne, Schwerhörigkeit und Harninkontinenz gelitten zu haben.

Welche Nachteile der Versicherer dadurch bei der Invaliditätsbemessung erlitten haben solle, legte BLD nicht dar. Sie behauptete aber, durch das „vorsätzliche Verschweigen“ habe die ARAG Krankenhaustagegeld erbracht ohne hierbei nachzuvollziehen, dass die Krankenhausaufenthalte „ursächlich auf die verschwiegenen Vorerkrankungen zurückzuführen waren“.

Diese falsche Behauptung erfolgte wider besseren Wissens, denn der ARAG und ihren Prozessbevollmächtigten war durch entsprechende Krankenhausberichte und die von der ARG selbst in Auftrag gegebenen Privatgutachten bekannt, dass der Krankenhausaufenthalt „offensichtlich und eindeutig nur auf der Sprunggelenksverletzung beruhte“, wie das Landgericht in seinem Hinweisbeschluss feststellte.

Im Einzelnen führte das Landgericht aus:

„Bereits das Vorliegen einer objektiven Anzeigepflichtverletzung ist fraglich, da auch ein ver­ständiger, durchschnittlicher Versicherungsnehmer nicht davon ausgehen muss, dass er bei einer geltend gemachten Verletzung des rechten Sprunggelenks auf die Frage nach früheren Verletzungen, Gebrechen usw. auch Depression und Migräne sowie Schwerhörigkeit angeben muss. Vielmehr kann ein verständiger Versicherungsnehmer die Frage nach Verletzungen und Vorerkrankungen usw. nach Treu und Glauben dahin verstehen, dass nur nach körperlichen Beschwerden gefragt wird, da andere Beschwerden offensichtlich nicht im Zusammenhang mit der Sprunggelenkverletzung stehen können und den Versicherer daher auch nicht interessieren und auch nicht zu interessieren haben.“

Weiter erklärte das Landgericht, „dass die Klägerin vorsätzlich handelte, also bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkte (vgl. BGH, Urt. v. 04.05.2009 - NJW-RR 2009, 1036, zitiert nach juris: Rz. 9), liegt bei der Nichtangabe offensichtlich für die Bemessung der Versicherungsleistungen nicht einschlägiger Erkrankungen fern. Auch soweit die Migräne oder die Depression für die Beurteilung des versicherten Krankenhaustagegeldes erheblich sein kann, käme Vorsatz nur in Betracht, wenn die Klägerin mit Blick auf einen derartigen Krankenhausaufenthalt es zumindest für möglich hielt, dass dem Versicherer eine vollständige Leistungsprüfung unmöglich gemacht und dieser von weiteren Ermittlungen abhalten werde. Daran fehlt es indessen, da aus Sicht der Klägerin der Krankenhausaufenthalt nach dem Krankenhausbericht vom 5. Juni 2008 (Anlage K 3) offensichtlich und eindeutig nur auf der Sprunggelenksverletzung beruhte, wie auch das Gutachten v. 25.11.2009 (Anlage K 5) bestätigte.“

Auch den Versuch der Prozessbevollmächtigten der ARAG, die Anwendung der BGH-Rechtsprechung zum „Fuß im Fußgelenk“ mit der Behauptung zu umgehen, hier sei auch das Bein vom Unfall betroffen gewesen und daher bei der Bemessung überhaupt nicht auf den Fuß abzustellen, wies das Landgericht zurück:

„Maßgebend für den Grad der unfallbedingten Invalidität ist die Funktionsbeeinträchtigung des Fußes im Fußgelenk, da die Klägerin geltend macht, dass diesem ein höherer Invaliditätsgrad zukommt als der Funktionsbeeinträchtigung des Beines. Denn die Invaliditätsleistung für den rumpfferneren Körperteil stellte die Untergrenze für die Versicherungsleistung dar (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2011 - IV ZR 34/11 - VersR 2012, 351, zitiert nach juris: Rz. 20).“

Das Gericht griff den Vergleichsvorschlag auf, den wir der ARAG bereits vorgerichtlich gemacht hatten und legte dabei insbesondere zugrunde:

Durch Herrn Michael Meyer-Clement festgestellte funktionelle Versteifung des oberen und des unteren Fußgelenkes, so dass - anders als nach der. Berechnung dieses Gutachters - der volle Wert für den Fuß im Fußgelenk, also 40% Invalidität, zugrunde zu legen wäre, sowie die von ihm behauptete 25%ige unfallfremde Mitwirkung.

Die ARAG hatte dem nichts entgegenzusetzen, sodass der Vergleich schließlich zustande kam.

 

Anmerkung Rechtsanwalt Kohn, Fachanwalt für Versicherungs- und Sozialrecht:

In diesem Fall kamen gleich mehrere typische Problemkreise zusammen.

Zum einen versuchte der Versicherer hier von Anfang den Versicherungsnehmer mit dem Vorwurf der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung einzuschüchtern – obwohl die Mandantin selbst die in Rede stehenden, nicht einschlägigen „Vorerkrankungen“ schon keine zwei Monate nach der Schadenanzeige und vor Abschluss der Leistungsprüfung unaufgefordert und spontan der ARAG zur Kenntnis gebracht hatte. Schon vorgerichtlich betonte der Versicherer dennoch stets, seine Leistungsprüfung erfolge „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“.

Die seit vielen Jahren gut bekannte höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH zum „Fuß im Fußgelenk“ wurde vorgerichtlich von der ARAG hartnäckig ignoriert. Der von ihr beauftragte ärztliche Gutachter Michael Meyer-Clement berücksichtigte sie, wie bei ihm üblich, ebenfalls nicht. Da aus diesem Grund auf Grundlage seines Gutachtens die Invaliditätsbemessung von 6/10 Fußwert im Ergebnis sogar geringer ausfiel als in der Erstbemessung (hier war unrichtigerweise nach Beinwert bemessen worden), verstieg sich die ARAG sogar zu der dreisten Drohung, es bestünde eine „Überzahlung“, deren Rückforderung sie sich „für einen Streitfall ausdrücklich vorbehalten“ müsse.

Der Unterschied zwischen Nichtberücksichtigung und Berücksichtigung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung war dann, dass die ARAG statt einer Rückforderung aufgrund des gerichtlichen Vergleichs nun insgesamt das Doppelte von dem zahlte, was sie der Mandantin vorgerichtlich zugestanden hatte.

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