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SG Würzburg: Kostenübernahme für Brustverkleinerung bei ausgeprägter Hängebrust mit wiederkehrenden entzündlichen Hautveränderungen

SG Würzburg, Gerichtsbescheid vom 17. Januar 2023 – S 17 KR 364/21 

1. Versicherte haben nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB 5 Anspruch auf Krankenbehandlung, u. a. um Krankheitsbeschwerden zu lindern.


2. Leidet eine Versicherte unter einer ausgeprägten Hängebrust mit wiederkehrenden entzündlichen Hautveränderungen im Bereich der Auflageflächen und Hautumschlagfalten und sind konservative Behandlungsmöglichkeiten nicht ausreichend, so hat sie gegenüber der Krankenkasse einen Anspruch auf postbariatrische Wiederherstellungsoperation in Form einer Bruststraffung.
 

Tenor


I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 30.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2021 verurteilt, die Kosten für eine postbariatrische Wiederherstellungsoperation (Bruststraffung beidseits) unter vollstationären Bedingungen zu übernehmen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.


Tatbestand


Streitig ist, ob die Klägerin zu Lasten der Beklagten eine Bruststraffung beidseits beanspruchen kann.
Die 1985 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie hat nach einer Magenbypass-Operation im Jahr 2018 ihr Gewicht um etwa 90 kg reduzieren können.
Am 12.10.2020 beantragte sie bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Bauch-, Brust-, Oberarm- und Gesäßstraffung. Hierbei legte sie ein Attest der Plastischen in vom 24.09.2020, ein Attest des Hausarztes vom 02.09.2020, ein Attest der Gynäkologin vom 07.10.2020 sowie eine Fotodokumentation vor.
Die Plastische in führte u.a. aus, dass eine Ptose der Brustdrüse bestehe, die zu Einschneiden der BH-Träger führe und starke Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule und des Nackens verursache. Zudem komme es zu rezidivierenden Entzündungen im Bereich der Unterbrustfalte, die kaum therapierbar seien. Die Auflagefläche betrage über 13 cm. Aus gynäkologischer Sicht sei eine Reduktionsplastik der Brüste mit Straffung beidseits sinnvoll und notwendig.
Nachdem der Medizinische Dienst in seinem Gutachten vom 18.12.2020 zu dem Ergebnis kam, dass nur im Bereich der Bauchdecke die Kriterien für eine Korrekturoperation erfüllt seien, erklärte die Beklagte mit Bescheid vom 30.12.2020 die Kostenübernahme für die geplante Bauchdeckenstraffung, lehnte aber den Antrag auf Kostenübernahme für die Straffungsoperationen der Brust, der Oberarme und des Gesäßes ab.
Am 11.01.2021 legte die Klägerin Widerspruch gegen die Ablehnung der Bruststraffung ein und übersandte eine weitere Fotodokumentation. Auf den beigefügten Fotos seien die Hautreizungen zu erkennen. Es sei ihr nicht möglich gewesen, kurzfristig einen Termin bei einem Facharzt zu bekommen. Aus den Gutachten ihrer Gynäkologin und in gehe hervor, dass die Brust massiv hänge und auch mit sehr guten Büstenhaltern immer noch sehr weit aufliegen würde.
Nach Einholung einer weiteren MD-Stellungnahme vom 16.02.2021 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.06.2021 zurück. Hinsichtlich der Brust seien keine therapieresistenten submammären Ekzeme fachärztliche dermatologisch belegt. Auch sei ein Zusammenhang zwischen großen Brüsten und orthopädischen Beschwerden wissenschaftlich nicht erwiesen. Eine Entstellung liege ebenfalls nicht vor.
Hiergegen erhob die Klägerin am 21.06.2021 Klage.
Das Gericht hat Befundberichte von den behandelnden Ärztinnen Frau E. und Dr. med. F. eingeholt. Im Anschluss wurde der gerichtliche Sachverständige Dr. med. D. mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 106 SGG nach ambulanter Untersuchung der Klägerin beauftragt. In seinem Gutachten vom 12.05.2022 stellte der Sachverständigen fest, dass die Klägerin an einer ausgeprägten Hängebrust beidseits mit Dermatochalasis leide. Anlässlich der Untersuchung habe er Hautveränderungen mit leichter Rötung, vermehrter Schweißabsonderung und Intertrigo im Bereich der Hautumschlagsfalten unter beiden Brüsten und teilweise im Bereich der großen Auflagefläche feststellen können. Diese rezidivierenden chronischen entzündlichen Hautveränderungen seien auch bei sorgfältiger Hautpflege und Einhaltung der Hygienemaßnahmen nicht zu vermeiden. Er befürworte eine operative Bruststraffung. Alternativ komme nur eine lebenslange symptomatische dermatologische Behandlung in Betracht. Die eindeutig bessere Therapiemethode der Wahl wäre das operative Vorgehen, da dadurch eine kausale und wahrscheinlich dauerhafte Behebung der Störung erzielt werden könne.


Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2021 zu verurteilen, die Kosten für eine postbariatrische Wiederherstellungsoperation (Bruststraffung beidseits) unter vollstationären Bedingungen zu übernehmen.


Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.


Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


I.
Das Gericht konnte über den Rechtsstreit gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind mit gerichtlichem Schreiben vom 28.06.2022 diesbezüglich angehört worden und haben keine Einwände vorgebracht.


II.
Die form- und fristgerecht (§§ 90, 92, 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Würzburg (§§ 51 Abs. 1, 57 Abs. 1 Satz 1 SGG) erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 30.12.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine beidseitige Bruststraffung als vollstationäre Leistung in einer Vertragsklinik.
Eine operative Bruststraffung ist wegen einer Krankheit im Sinne des SGB V notwendig.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass Versicherte in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt sind oder dass sie an einer Abweichung vom Regelfall leiden, die entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteil v. 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R - juris).
Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen und den schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen, denen die Kammer folgt, ist die Klägerin in ihren Körperfunktionen beeinträchtigt. So bestehen wiederkehrende entzündliche Hautveränderungen im Bereich der Auflageflächen und Hautumschlagsfalten unter beiden Brüsten, die auch bei sorgfältiger Hautpflege nicht zu vermeiden sind.
Die operative Brustverkleinerung ist auch medizinisch notwendig. Hier schließt sich die Kammer ebenfalls der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen an. Denn durch die beantragte Operation können die entzündlichen Hautveränderungen durch die Reduzierung der Auflageflächen und Umschlagfalten gebessert werden, so dass insgesamt eine kausale und wahrscheinlich dauerhafte Behebung der Störung erzielt werden kann. Die begrenzten konservativen Behandlungsmöglichkeiten sind in diesem Fall nicht ausreichend.


III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
 


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