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OLG Hamm: Bis zum Beweis des Gegenteils ( z.B. widersprüchlicher Unfallschilderung oder Unvereinbarkeit mit den ärztlichen Befunden ) bleibt es bei der gesetzlichen Vermutung der Unfreiwilligkeit einer Gesundheitsbeschädigung bei Gliedmaßenabtrennung.

OLG Hamm, Urteil vom 02. Dezember 2011 – I-20 U 83/11

Zwar ist gemäß § 180a VVG  a.F. die Unfreiwilligkeit einer Gesundheitsbeschädigung (hier: Amputation eines Unterschenkels sowie von je zwei Fingern sowohl der rechten als auch der linken Hand mittels einer Kreissäge) bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten. Das Gegenteil ist jedoch bewiesen, wenn feststeht, dass die mehrfach geänderte Unfallschilderung des Versicherten nicht zutreffen kann, weil sie in wesentlichen Punkten nicht mit der Realität oder mit objektiven ärztlichen Befunden über das Verletzungsbild in Einklang zu bringen ist.

Der Kläger verlangte von seiner privaten Unfallversicherung Invaliditätsleistungen i.H.v. 200.000 € sowie eine monatliche Unfallrente i.H.v. 1.000 €. Er behauptete, sich die Verletzungen im Zusammenhang mit einem Sturz von einer Leiter zugezogen zu haben. Dabei sei er in eine Kreissäge geraten. Die Unfallversicherung hingegen unterstellte Selbstverstümmelung, der Kläger habe sich die in Rede stehenden Verletzungen freiwillig zugefügt, um in den Genuss der klageweise geltend gemachten Invaliditätsleistungen zu gelangen.

Ein unfreiwilliges Unfallereignis sei nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme allerdings zur Überzeugung des Landgerichts unmöglich. Die bei dem Kläger festgestellten Verletzungen habe dieser sich nicht durch einen Unfall entsprechend seiner ursprünglichen Unfalldarstellung, wie er sie gegenüber den Gutachtern des Beklagten abgegeben habe, zuziehen können. Denn bei der damals vorgegebenen Anordnung der Geräte und Leitern habe der Kläger nicht auf den Sägetisch stürzen können, sondern hätte zwingend in den Zwischenraum zwischen Sägetisch und Leitern fallen müssen. Aber auch unter Berücksichtigung der gegenüber den gerichtlich bestellten Sachverständigen vom Kläger abgegebenen Unfallschilderung sei ein unfreiwilliges Geschehen, das zu den in Rede stehenden Verletzungen geführt haben könnte, nicht nachvollziehbar. Zum einen sei diese mit den vorgefunden Blutspuren nicht vereinbar. Zum anderen hätte in diesem Fall ein Sturz nicht allein, d.h. nicht ohne Begleitverletzungen an andere Körperteilen, und nicht in dieser Form, d.h. glatt und exakt quer verlaufend, zu den vom Kläger erlittenen Amputationen führen können.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht

Die gesetzliche Vermutung der Unfreiwilligkeit eines Unfalls, die im alten VVG in § 180a Abs. 1 und nunmehr in § 178 Abs. 2 VVG geregelt ist, hielt das OLG Hamm im vorliegenden Fall offenbar für widerlegt. Nach den Entscheidungsgründen erscheint es zumindest nachvollziehbar, dass der Kläger sich die Verletzungen selbst beigebracht hat.

Aus der eigenen anwaltlichen Praxis ist uns jedoch bekannt, dass private Unfallversicherungen bei bestimmten Verletzungsbildern mit dem Vorwurf der Selbstverstümmelung schnell bei der Hand sind und sich dieser dann vor Gericht in Luft auflöst, wie das von uns erstrittene Urteil des Landgerichts Berlin vom 27.07.2006 plastisch zeigt. Das OLG Hamm hat in seiner Entscheidung noch einmal klar und deutlich auf die gesetzliche Vermutung der Unfreiwilligkeit des Unfalls bis zum Beweis des Gegenteils hingewiesen!

Insofern unser Rat: Lassen Sie sich kompetent anwaltlich beraten, wenn Sie sich seitens Ihrer Unfallversicherung dem unberechtigten Vorwurf der Selbstverstümmelung ausgesetzt sehen.


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