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OLG Karlsruhe: Fristenregelung für Invaliditätsfeststellung ist wirksam: Blasenentleerungsstörung und erektile Dysfunktion nicht als Unfallfolge anerkannt

OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.1.2009

Die ärztliche Feststellung eines ausschließlich das Bein betreffenden unfallbedingten Dauerschadens wahrt die Voraussetzungen auf eine Invaliditätsleistung nach Nr. 2.1.1.1 AUB 2000 in Bezug auf weiter gehende Dauerschäden (hier: Blasenentleerungsstörung und erektile Dysfunktion) auch dann nicht, wenn diese auf die Beinschädigung zurückgehen (i. A. an BGH VersR 2007, 1114). *

 Im vorliegenden Fall war das Unfallopfer bei Baumfällarbeiten mit dem rechten Oberschenkel auf ein Brückengeländer und anschließend auf einen Stapel Rundhölzer gefallen und hatte sich schwere Verletzungen zugezogen, die operativ versorgt werden mussten. Der Unfall wurde gegenüber der Versicherung ordnungsgemäß angezeigt und in der Folgezeit erhielt der Versicherungsnehmer mehrere ärztliche Bescheinigungen, aus denen jeweils hervorging, dass infolge des Unfalls Dauerschäden bleiben werden. Als "Art der Gesundheitsschäden" wurden "Oberschenkelschaftmehrfragmentfraktur" und "Oberschenkelfraktur; posttraumatische Quadrizepsparese " angeführt. Die Versicherung hatte darüber hinaus auch schriftlich mitgeteilt, dass dass eine Invalidität spätestens vor Ablauf von 18 Monaten vom Unfalltag aus gerechnet geltend gemacht werden müsse.

Neben den Unfallfolgen am Bein, welche von der Versicherung auch ordnungsgemäß entschädigt worden sind, beklagte der Unfallgeschädigte  zusätzlich eine Blasenentleerungsstörung sowie eine erektilen Dysfunktion als unmittelbare Unfallfolge. Die Versicherung verweigerte für diese Gesundheitsschäden jedoch weitere Invaliditätsleistungen, weil eine fristgerechte ärztliche Feststellung nicht vorgelegen habe.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner

Das Urteil bestätigt die ständige Rechtsprechung des BGH auch für die hier in Rede stehende Variante einer in den Unfallversicherungsbedingungen verwendeten Fristenregelung für die Invaliditätsfeststellung und gibt Anlass noch einmal auf eine Problematik hinzuweisen, die in der Praxis häufig unterschätzt bzw. vernachlässigt wird, mit teilweise dramatischen Folgen für den Versicherungsnehmer!

Wie gesehen, wurde es im Vorfeld versäumt, neben den rein orthopädischen Gesundheitsschäden die Erektionsstörung und die Harninkontinenz in die Invaliditätsbescheinigung aufzunehmen, was letztlich dazu führte, dass die Versicherung den Hauptteil der Invaliditätsentschädigung nicht auszahlen musste. Während die orthopädischen Unfallfolgen im Ergebnis eher moderat und letztlich mit (nur) 7% einzuschätzen waren hätte die Anerkennung der Störungen von Sexual- und Blasenfunktion weit höhere Invaliditätsentschädigungen nach sich gezogen.

Störungen der Blasenfunktion (Blasenentleerungsstörungen und Harninkontinenz) sind je nach Grad mit einer Invalidität i.H.v. bis zu 50% zu entschädigen, bei völliger Harninkontinenz – je nach Begleiterscheinung – sogar bis zu 100% Invalidität. Ähnliche Invaliditätswerte sind auch bei den seltener auftretenden Störungen der Mastdarmfunktion anzusetzen.

Störungen der Sexualfunktion (Erektionsstörung- bzw. Erektionsverlust, Libidostörung- oder Verlust) werden in der privaten Unfallversicherung je nach Grad , Alter und psychischer Beeinträchtigung mit bis zu 50% Invalidität bewertet.

Dem Unfallopfer hätte also bei fristgemäßer und korrekter Geltendmachung der Invalidität ein Vielfaches der Entschädigungssumme ausgezahlt werden müssen, welche die Versicherung nun gespart hatte. Die Gründe für eine derart ungünstige Situation liegen in der Regel in zwei typischen Konstellationen begründet.

Zum einen ist den Unfallopfern i.d.R. nicht bewusst, dass sie nach der Unfallmeldung überhaupt noch eine weitere ärztliche Invaliditätsfeststellung für die Unfallversicherung beibringen müssen. Dies gilt umso mehr, wenn der Versicherer darauf nicht noch einmal ausdrücklich hinweist und wartet, bis der Versicherungsnehmer in die „Fristenfalle“ geht.

Aber auch dann, wenn die Unfallversicherung ein Formular zur Invaliditätsfeststellung für den Arzt verschickt und auf die Fristen innerhalb diese Erklärung der Versicherung vorliegen muss, hinweist, kommt es nicht selten zu folgenreichen Fehlern, wie im vorliegenden Fall. Die behandelnden Unfallchirurgen bzw. Orthopäden hatten die Invaliditätsbescheinigung für ihren Patienten auf ihrem eigenen Fachgebiet ausgefüllt und die weiteren urologischen bzw. neurologischen Funktionsstörungen nicht testiert, weil sie ihnen u.U. h auch gar nicht bekannt waren. Das Unfallopfer hatte in dem Glauben, alles richtig gemacht zu haben, die Bescheinigung weitergeleitet und sich zunächst nicht weiter damit befasst. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass Unfallgeschädigte, die unter schweren Verletzungen leiden, mit derartigen Angelegenheiten häufig völlig überfordert sind und teilweise dankbar dafür sind, wenn die behandelnden Ärzte die Invaliditätsbescheinigungen direkt an die Versicherung schicken. In diesem Fall hat der Versicherungsnehmer nicht einmal mehr eine Kontrollmöglichkeit.

Unser dringender Rat in dieser Situation ist, die Invaliditätsfeststellung für den Versicherer sehr ernst zu nehmen. Wenn nur leiseste Zweifel bestehen, ob die Bescheinigung korrekt ausgefüllt ist, sollte ein auf private Unfallversicherung spezialisierter Rechtsanwalt befragt werden. Wir können Ihnen sagen, ob die Anforderungen erfüllt sind oder ob nachgebessert werden muss. Dies gilt auch für den Fall, dass der behandelnde Arzt sich mglw. weigert, bestimmte Gesundheitsschäden eindeutig zu bescheinigen bzw. sich darauf herausredet, dass könne aktuell noch nicht abschließend festgestellt werden. In diesem Fall sind wir unseren Mandanten bei der Auswahl von spezialisierten Ärzten oder Gutachtern behilflich mit deren Unterstützung dann eine exakte Invaliditätsfeststellung vorgenommen werden kann. Die Fristen für die Invaliditätsfeststellung- bzw. Geltendmachung  variieren ebenfalls und ergeben sich aus dem, dem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungswerk. Es sind Regelungen von 12, 15, 18, 21 oder 24 Monaten im Umlauf.


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