Newsdetail

OLG Karlsruhe: Ein nach Arbeitsunfall behandelnder H-Arzt (Heilbehandlungsarzt) haftet, anders als der D-Arzt (Durchgangsarzt) immer selbst für Behandlungsfehler.

Urteil OLG Karlsruhe vom 14.11.2007, Az. 7 U 101/06

Der Kläger wandte sich nach einem Arbeitsunfall wegen einer Handverletzung an den Beklagten, der Facharzt für Chirurgie und als Heilbehandlungsarzt (sogenannter H-Arzt) der Berufsgenossenschaften zugelassen ist. Dieser fertigte Röntgenaufnahmen an, schloss eine Fraktur aus, diagnostizierte eine Zerrung des Handgelenks und legte einen Zink-Leim-Verband an. Das Röntgenbild zeigt eine perilunäre Luxation. Der Kläger konnte seinen Beruf als Getränkefahrer nicht mehr ausüben, war um 30 % in der Erwerbstätigkeit gemindert und ist zwischenzeitlich verrentet. Der Kläger begehrt vom Beklagten - teilweise im Wege der Feststellung - Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung.

Der Kläger behauptete, seine Hand sei bereits nach dem Unfall stark geschwollen gewesen und er habe bei der Wiedervorstellung am weiterhin über Beschwerden geklagt, weshalb der Arzt spätestens zu diesem Zeitpunkt seine zuvor grob falsch gestellte Diagnose hätte überprüfen und ihn in eine Klinik einweisen müssen. Durch die falsche Diagnose sei die sofort notwendige Reposition des Handgelenks unterblieben, was zu den Schäden geführt habe.

Das Landgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen, da der Beklagte als H-Arzt entsprechend der Rechtsprechung zum Durchgangsarzt angeblich nicht selbst für eine falsche Diagnose hafte, sondern allein die zuständige Berufsgenossenschaft, für die er in öffentlich-rechtlicher Funktion tätig geworden sei.

Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Berufung. Er vertat weiterhin die Auffassung, der H-Arzt werde im Gegensatz zum Durchgangsarzt nicht öffentlich-rechtlich für die Berufsgenossenschaft tätig und hafte daher selbst für jeden Behandlungsfehler. Im Übrigen seien zumindest die Fehler bei der Weiterbehandlung und damit die fehlende Überprüfung der Diagnose beim Wiedervorstellungstermin allein privatrechtlich zu beurteilen. Der Beklagte beantragte, die Berufung zurückzuweisen. Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und behauptet erstmals im zweiten Rechtszug, die auf dem Röntgenbild zu erkennende schwere Handgelenkszerrung und -verrenkung mit Bänderrissen und einer deutlichen Fehlstellung des Os lunatum und des Os capitalum sei nicht bei dem Arbeitsunfall am 12.07.2001, sondern bereits früher eingetreten, so dass schon deshalb eine Reposition nicht mehr möglich gewesen wäre.

Das Berufungsgericht verurteilte den Beklagten auf Schadensersatz wegen der Verletzung seiner Pflichten aus dem Behandlungsvertrag, da er den Kläger rechtswidrig und schuldhaft an der Gesundheit beschädigt, indem er die durch den Arbeitsunfall verursachte perilunäre Luxation die auf dem von ihm angefertigten Röntgenbild deutlich sichtbar war, nicht erkannt und daher die notwendige Behandlung nicht veranlasst hat, was zu einer erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigung und der Berufsunfähigkeit des Klägers geführt hat. Für den Schaden haftet der Beklagte persönlich.

Der Sachverständige hat anhand der Röntgenbilder nachvollziehen können, dass die auf dem vom Beklagten angefertigten Röntgenbild vom 16.07.2001 dargestellte Luxation jedenfalls nicht älter als 1 Jahr ist. Denn es sind dort nur altersgemäße arthrotische Veränderungen zu sehen, während sich nach einer so schwerwiegenden Handverletzung wie einer nicht reponierten Luxation frühestens nach einem Jahr, teilweise auch nach 2-3 Jahren erhebliche arthrotische Veränderungen bilden, wie sie auch das Röntgenbild vom 15.08.2002 zeigt. Andererseits konnte der Sachverständige es anhand des Röntgenbildes nicht ausschließen, dass die Luxation nicht ganz frisch, sondern auch etwa 6 Monate alt war.

Für die Folgen dieses Behandlungsfehlers haftet der Beklagte, der als H-Arzt tätig wurde, nach Auffassung des Berufungsgerichtspersönlich und nicht etwa die Berufungsgenossenschaft. Das Landgericht hat zu Unrecht eine Haftung des Beklagten bereits deshalb abgelehnt, weil er in seiner Funktion als H-Arzt als Beauftragter der Berufsgenossenschaft in Ausübung eines öffentlichen Amtes tätig geworden sei und deshalb allenfalls eine Haftung der Berufsgenossenschaft nach Art. 34 GG, § 839 BGB in Betracht komme.

Für das Vorgehen nach einem Arbeitsunfall sind drei Verfahrensarten vorgesehen, das Durchgangsarztverfahren, das H-Arzt-Verfahren und das Verletzungsartenverfahren. Dabei obliegt dem Durchgangsarzt gem. § 27 des Vertrages die Entscheidung, ob unter Berücksichtigung von Art oder Schwere der Verletzung eine allgemeine Heilbehandlung oder eine besondere Heilbehandlung erforderlich ist. Liegt eine Verletzung nach dem Verletzungsartenverzeichnis vor, so hat der Durchgangsarzt wie jeder andere Arzt dafür zu sorgen, dass der Unfallverletzte unverzüglich in ein von den Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften am Verletzungsartenverfahren beteiligtes Krankenhaus überwiesen wird.

Der Bundesgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der Durchgangsarzt bei seiner Entscheidung, ob und in welcher Weise ein Verletzter in die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung übernommen werden soll, eine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht erfüllt. Diese Entscheidung und die sie vorbereitenden Maßnahmen seien als Ausübung eines öffentlichen Amtes zu betrachten, für die die Berufsgenossenschaft nach einzustehen habe. Übernimmt dagegen der Durchgangsarzt im Rahmen der allgemeinen oder besonderen Heilbehandlung die Weiterbehandlung des Patienten und unterläuft ihm dabei ein Behandlungsfehler, so haftet er für diesen zivilrechtlich selbst wie jeder andere Arzt. Denn die unmittelbare Behandlung fällt nicht mehr in den Pflichtenkreis der Unfallversicherung. Vielmehr wird durch die Übernahme der Behandlung ähnlich wie beim Kassenarzt zwischen ihm und dem Patienten eine zivilrechtliches Behandlungsverhältnis begründet (BGHZ 63, 270 ff.; NJW 1994, 2418). Die Entscheidung über das "ob und wie" der zu gewährenden Heilbehandlung bildet also eine Zäsur in der Pflichtenstellung des Durchgangsarztes mit der Folge, dass ihm anschließend unterlaufende Fehler bei der Heilbehandlung nur noch das privatrechtliche Verhältnis zu dem Patienten betreffen. Das mag gerechtfertigt sein, weil der Durchgangsarzt nur zur Übernahme der besonderen Heilbehandlung berechtigt ist, sodann aber auch die Grundlage (die Diagnose) dieser Behandlung laufend zu überprüfen hat, während er bei den Voraussetzungen der allg. Heilbehandlung den Patient an den Vertragsarzt überweist, der selbständig die Behandlung zu verantworten hat.

Anmerkung RA Büchner:

Das Urteil stellt zunächst einmal klar, dass die Ärzte im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren (also D-Arzt und H-Arzt) grundsätzlich für Behandlungsfehler haften, wie alle anderen Ärzte auch. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall der Entscheidung durch den D-Arzt, ob und in welcher Weise ein Verletzter in die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung übernommen werden soll. In diesem Zusammenhang erfüllt nach ständiger Rechtsprechung allein der D-Arzt (und nicht der H-Arzt) eine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht, wofür dann allein die Berufsgenossenschaft haftet. Eine solche Haftungssituation stellt jedoch eher den Ausnahmefall dar.

Wesentlich wichtiger ist es zu wissen, dass D- und H-Ärzte, auch wenn Sie nach einem Arbeitsunfall das Behandlungsmonopol besitzen, gleich allen anderen Ärzten haften. Bekanntermaßen sind Versicherte nach einem Arbeitsunfall verpflichtet, sich ausschließlich durch D- oder H-Ärzte behandeln zu lassen. Das Recht der freien Arztwahl wird in diesem Zusammenhang bereits von Gesetzes wegen erheblich eingeschränkt. Obwohl jeder Arzt, egal ob D-Arzt, Kassen- oder Privatarzt, natürlich zunächst allein die Patienteninteressen an einem optimalen Heilungsverlauf verfolgen muss, drängt sich leider im Rahmen der Behandlung durch den D-Arzt immer wieder der Verdacht auf, dass dieser eher die Interessen der Berufsgenossenschaft als die des Patienten im Blick hat. Ein Manko, welches im gesetzlichen System bereits angelegt ist. Das ärztliche Honorar, welches der D-Arzt für die Behandlung von Unfallpatienten erhält, ist ähnlich der Vergütung, welche der Arzt für die Behandlung eines Privatpatienten nach der GOÄ verlangen kann. Im Gegenzug sind D-Ärzte vertraglich und tatsächlich wesentlich stärker den Weisungen der Berufsgenossenschaften unterworfen als z.B. niedergelassene Kassenärzte den gesetzlichen Krankenkassen. Die Sachbearbeiter der Berufsgenossenschaft können insofern auch versuchen, ihre Interessen mittels der behandelnden D-Ärzte durchzusetzen, wenn sich der D-Arzt darauf einlässt.

Patienten sollten sich klar machen, dass sie auch nach einem Arbeitsunfall gegenüber den behandelnden D-Ärzten und den Berufsgenossenschaften nicht rechtlos sind. Zum einen besteht in gewissem Maße gleichwohl das Recht auf freie Arztwahl. Zum anderen sollte durch den Patienten sehr kritisch verfolgt werden, ob der D- oder H-Arzt an erster Stelle das Interesse des Patienten an einem optimalen Heilungsverlauf oder vielleicht eher das (Kosten)interesse der Berufsgenossenschaft im Blick hat. Sollte letzteres der Fall sein, können sich häufig auch Haftungssituationen für den Arzt entwickeln, so wie es in dem vorgestellten Fall ebenfalls der Fall war. Ein vorsätzliches (strafbares) Handeln zum Nachteil des Patienten und zum Vorteil der Berufsgenossenschaft wird gleichwohl in den seltensten Fällen nachzuweisen sein.


Seite drucken