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OLG Hamm: Wenden auf der Hauptstraße als Augenblicksversagen rechtfertigt kein Fahrverbot bzw. die Erhöhung der Geldbuße.

Anmerkung von RA Wegner, Fachanwalt für Verkehrsrecht

Das Vorliegen eines groben Pflichtenverstoßes konnte im vorgestellten Urteil einmal mehr nicht nachgewiesen werden, denn  der Kraftfahrer berief sich darauf, dass er das Verkehrszeichen schlicht übersehen habe. Diese Einlassung konnte ihm schließlich nicht widerlegt werden, so dass die Verhängung von Fahrverbot wegen der Ordnungswidrigkeit ausschied.

Der Ausspruch von Fahrverbot, welches nach der Bußgeldkatalogverordnung als Regelfall vorgesehen ist, setzt  gemäß § 25 Abs. 1 StVG stets weiter voraus, dass der Betroffene die Ordnungswidrigkeit unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat. Demgemäß reicht vorliegend die Verwirklichung des Tatbestandes aufgrund leichter oder auch einfacher Fahrlässigkeit für die Verhängung eines Fahrverbotes nicht aus. Das Vorliegen eines groben Pflichtenverstoßes konnte nicht nachgewiesen werden.

Für den Fall, dass im Bußgeldbescheid Fahrverbot verhängt wird, ist somit genau zu prüfen, ob die Anforderungen an den Vorwurf der sog. Groben Fahrlässigkeit wirklich erfüllt sind, dies ist Auslegungssache, so dass sich Vertretung durch einen Anwalt in diesem Fall durchaus lohnen kann!

 

OLG Hamm, Urteil vom 28.03.2006:

Durch das angefochtene Urteil ist der Betroffene wegen "fahrlässigen Wendens auf der durchgehenden Fahrbahn der Kraftfahrstraße" zu einer Geldbuße von 170,00 Euro verurteilt worden. Außerdem ist gegen ihn unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2 a StVG ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden.

Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 1. April 2005 gegen 22.40 Uhr mit einem Pkw Audi, amtliches Kennzeichen xxxxxxxx die als Kraftfahrstraße ausgeschilderte B 475 in Fahrtrichtung Nord. Kurz hinter der damals von der Polizei abgesperrten Einfahrt zu einer ARAL-Tankstelle wendete der Betroffene sein Fahrzeug, um anschließend die B 475 in Gegenrichtung zu befahren.

Der Betroffene hat das Wendemanöver in der Hauptverhandlung eingeräumt und sich dahin eingelassen, er sei davon ausgegangen, sich auf einer Landstraße befunden zu haben. Das Amtsgericht hat diese Einlassung für unerheblich gehalten, da sich das Zeichen 331 "Kraftfahrstraße" nach Einbiegen des Betroffenen auf die B 475 einmalig rechtsseitig und sichtbar befunden habe und der Betroffene aufgrund der übrigen örtlichen Umstände - sehr gut ausgebaute Straße mit beidseitigem Seitenstreifen in unmittelbarer Nähe zu der Autobahnauf- bzw. -abfahrt Soest-Ost - habe damit rechnen müssen, sich auf einer Kraftfahrstraße zu befinden. Zur näheren Darlegung der Örtlichkeiten hat das Amtsgericht prozessordnungsgemäß auf zwei bei den Akten befindliche Fotos verwiesen, die die Örtlichkeiten zu einem kleinen Ausschnitt wiedergeben.

Unter Berücksichtigung von zwei straßenverkehrsrechtlichen Vorbelastungen, von denen die spätere am 29. Mai 2003 rechtskräftig geworden ist, hat das Amtsgericht die Regelgeldbuße von 150,00 Euro leicht erhöht und auf das Regelfahrverbot erkannt.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkt ist und mit der unter näherer Darlegung die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat hinsichtlich des allein angefochtenen Rechtsfolgenausspruchs vorläufig Erfolg. Dieser hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Die Verhängung auch eines nach der Bußgeldkatalogverordnung regelmäßig vorgesehenen Fahrverbotes setzt stets gemäß § 25 Abs. 1 StVG voraus, dass der Betroffene die Ordnungswidrigkeit unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat. Demgemäß reicht vorliegend die Verwirklichung des Tatbestandes aufgrund leichter oder auch einfacher Fahrlässigkeit für die Verhängung eines Fahrverbotes nicht aus.

Das Vorliegen eines groben Pflichtenverstoßes ist bisher nicht ausreichend dargelegt. Der Betroffene hatte sich, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, offenbar erst kurz auf der Kraftfahrstraße befunden und das einmalig aufgestellte Zeichen 331 übersehen.

Dem Kraftfahrzeugführer kann das für die Verhängung eines Fahrverbotes erforderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund für den von ihm begangenen Verkehrsverstoß darin liegt, dass er ein entsprechendes Verkehrszeichen nicht wahrgenommen hat, es sei denn, gerade diese Fehlleistung beruhe ihrerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit (vgl. BGHSt 43, 241 (249 f.). Beruft sich der Kraftfahrer darauf, dass er Verkehrszeichen schlicht übersehen habe, und kann ihm diese Einlassung nicht widerlegt werden, so scheidet die Verhängung eines Fahrverbots wegen der Ordnungswidrigkeit gleichwohl nicht notwendig aus. Ist beispielsweise das gleiche Zeichen im Verlaufe der befahrenen Strecke mehrfach wiederholt worden, so hat der betroffene Verkehrsteilnehmer - wenn der Tatrichter seine Einlassung nicht schon aufgrund dieser Umstände als widerlegt ansieht, was allerdings regelmäßig nahe liegt - die gebotene Aufmerksamkeit in grob pflichtwidriger Weise außer acht gelassen. Dasselbe gilt in Fällen, in denen sich die übersehene Anordnung aufgrund der ohne weiteres erkennbaren äußeren Situation jedermann aufdrängt (BGHSt 43, 241 (252)).

Vorliegend hat das Amtsgericht festgestellt, daß der nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe wohl ortsunkundige Betroffene - zudem zur Nachtzeit - das lediglich einmal rechtsseitig aufgestellte Zeichen 331 nicht wahrgenommen hat. Dieser Umstand rechtfertigt nach den bisherigen Feststellungen für sich genommen allenfalls den Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit. Daß sich für den Betroffenen nach den Örtlichkeiten hätte aufdrängen müssen, sich auf einer Kraftfahrstraße zu befinden, ist bisher nicht ausreichend dargelegt. Die vom Amtsgericht angeführten Erwägungen, es habe sich um eine sehr gut ausgebaute Straße mit beidseitigem Seitenstreifen in unmittelbarer Nähe einer Autobahnauffahrt gehandelt, tragen diesen Schluß nicht, da auch "normale" Bundesstraßen, insbesondere als Autobahnzubringer, häufig derartige Merkmale aufweisen. Auch aus den prozeßordnungsgemäß in Bezug genommenen Lichtbildern ergeben sich für den Senat keine weitergehenden Erkenntnisse. Zudem hat das Amtsgericht keine Ausführungen dazu gemacht, welche Strecke der Betroffene bis zu dem Wendemanöver überhaupt auf der Kraftfahrstraße zurückgelegt hatte und ob gegebenenfalls welche weiteren örtlichen Besonderheiten, soweit sie aufgrund der Dunkelheit überhaupt klar zu erkennen waren, vorhanden waren, so daß sich für den Betroffenen das Bild einer Kraftfahrstraße hätte aufdrängen müssen.

Damit unterliegt der Rechtsfolgenausspruch wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot insgesamt der Aufhebung. Die Sache ist im Umfang der Aufhebung durch das Amtsgericht neu zu verhandeln und entscheiden. Das Amtsgericht wird dabei auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu entscheiden haben, da deren Erfolg noch nicht feststeht.

III.

Vorsorglich weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin:

Falls das Amtsgericht in der neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen eines groben Verkehrsverstoßes nicht feststellen können sollte, kommt eine Erhöhung der Regelgeldbuße wegen des "Absehens vom Fahrverbot" nicht in Betracht. Eine Erhöhung der Geldbuße nach § 4 Abs. 4 BKatV darf nur dann erfolgen, wenn die Verhängung eines Fahrverbotes rechtlich zulässig wäre. Liegen die Voraussetzungen nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG jedoch nicht vor, ist die Verhängung eines Fahrverbotes von Gesetzes wegen ausgeschlossen.

Eine Erhöhung der Geldbuße wegen verkehrsrechtlicher Vorbelastungen kommt nach den bisher getroffenen Feststellungen auch unter Berücksichtigung der Neuregelung in § 29 StVG nicht in Betracht. In der in § 29 Abs. 7 StVG normierten Überliegefrist von einem Jahr kommt es zwar zu einer Hemmung der Tilgung von verkehrsrechtlichen Vorbelastungen mit der Folge, dass in dieser Zeit nachträglich bekannt gewordene neue Ordnungswidrigkeiten der Tilgung alter Voreintragungen entgegenstehen können, es verbleibt jedoch während der Überliegefrist bei einem Verwertungsverbot tilgungsreifer Voreintragungen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. Februar 2005 - 3 Ss OWi 228/05 - m.w.N.). Das hat das Amtsgericht im angefochtenen Urteil übersehen. Die beiden angeführten verkehrsrechtlichen Vorbelastungen waren im Zeitpunkt der Urteilsfällung bereits tilgungsreif und unterlagen damit einem gesetzlichen Verwertungsverbot.


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