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LSG Berlin: Unfall auf dem Weg zum Arzt ist ein Wegeunfall

Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 08.06.2004, Az.: L 2 U 69/02

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls vom 13. Februar 2000 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen kann.

Die 1967 geborene Klägerin war in der T.-straße in Berlin-P. wohnhaft. Sie war als Krankenschwester bei der Senioren-Betreuungsgesellschaft M Privatklinik GmbH & Co. KG in der S(BR) beschäftigt. Am Sonntag, dem 13. Februar 2000, geriet sie um ca. 6.45 Uhr auf überfrorener Fahrbahn mit ihrem Pkw ins Schleudern und prallte gegen einen Baum. Sie erlitt ein Polytrauma mit Schädelhirntrauma, stumpfem Thoraxtrauma mit Rippenserienfraktur 7. bis 9. Rippe links, eine offene Oberschenkelschaftquerfraktur links, eine Kniegelenksverletzung links mit Ruptur des hinteren Kreuzbandes links sowie eine offene Kniegelenksverletzung rechts mit Ruptur des Retinaculum mediales und kleinerem Abriss am oberen medialen Rand der Patella, Kniegelenkserguss, offene eingeblutete Bursa praepatellaris rechts sowie eine Innenknöchelfraktur rechts. Als vom Unfall unabhängige Erkrankung ist im Durchgangsarztbericht des Klinikums B vom 13. Februar 2000 eine stationäre Behandlung wegen Depression von Februar bis März 1999 aufgeführt.

Im Wegeunfallfragebogen gab die Klägerin am 13. März 2000 an, sie habe vor der Arbeit wegen Herzbeschwerden (Herzrasen) einen Arzt in der Rettungsstelle Berlin-B aufsuchen wollen. Anschließend habe sie unbedingt zur Arbeit fahren wollen. In der Mitteilung des Durchgangsarztes Dr. K des Klinikums B vom 20. März 2000 zur Weiterbehandlung in der B Klinik heißt es unter Therapievorschlag "Mitbetreuung von Psychiater bzw. Neurologen (Patient ist zur Zeit medikamentös eingestellt)".

Mit Bescheid vom 12. Dezember 2000 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Von der Wohnung der Klägerin aus gesehen liege die Arbeitsstelle westlich, die Rettungsstelle des Krankenhauses Berlin-B nordöstlich. Die Klägerin sei auf dem Weg zwischen der Wohnung und dem Krankenhaus Berlin-B auf glatter Fahrbahn verunglückt. Der Weg, auf dem sich der Unfall ereignet habe, habe in die entgegengesetzte Richtung zu dem kürzesten bzw. verkehrsgünstigsten Weg zur Arbeit geführt. An diesem Tag habe das Interesse der Klägerin der Erhaltung der Gesundheit gedient, wobei sie auf einem nicht versicherten Weg aus privaten Gründen verunfallt sei.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe sich vor Ort in der Rettungsstelle wegen starker Beschwerden Medikamente verabreichen lassen wollen. Die Notwendigkeit dazu habe sich ergeben, weil am Sonntag keine Apotheke geöffnet gewesen sei und auch kein Arzt habe aufgesucht werden können. Da sie in P wohne, habe sie eine Rettungsstelle in Berlin-P aufgesucht, zumal ihr nicht bekannt gewesen sei, wo sich in R eine Rettungsstelle befinde. Hätte sie nicht zur Arbeit gemusst und gewollt, wäre eine Notwendigkeit, die Rettungsstelle aufzusuchen, nicht gegeben gewesen. Das Krankenhaus Berlin-B sei gewählt worden, weil sie dort schon öfter in Behandlung gewesen sei.

Durch Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Grundsätzlich bestehe auch Versicherungsschutz für Wege von einem so genannten dritten Ort, der Ausgangspunkt oder Ziel des Weges nach und von der Arbeitsstelle sei. Hierunter fielen Wege, die nach den Lebensgewohnheiten zweckmäßigerweise mit Wegen nach oder von der Arbeitsstelle verbunden würden, weil private Belange zwangsläufig auch mit der Arbeit abgestimmt werden müssten, z.B. Arztbesuche vor oder nach der Arbeit. Für den Versicherungsschutz unwesentlich sei auch eine Verlängerung des üblichen Weges von oder zur Arbeitsstätte, wenn z.B. aufgrund der Sprechzeiten des Arztes keine andere Möglichkeit als diese Wegeverbindung existiere. Bei der Fahrt zur Rettungsstelle des Krankenhauses B habe sich die Klägerin entweder auf einem Weg zu einem so genannten dritten Ort befunden bzw. auf einem Abweg, also einem Weg, der von der Arbeitsstätte wegführe. Für beide Alternativen bestehe kein Versicherungsschutz. Maßnahmen, die der Erhaltung der Gesundheit und daher auch zugleich der Erhaltung der Arbeitskraft dienten, seien grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen. Es bestehe auch kein Versicherungsschutz auf dem weiteren Wege zum Ort der Tätigkeit nach einer kurzen ärztlichen Untersuchung.

Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihre Handlungstendenz sei auf die Belange des Unternehmens gerichtet gewesen. Es sei ihr darum gegangen, ihren Arbeitsantritt am frühen Morgen eines Sonntags zu ermöglichen. Sie habe am frühen Morgen auf der Station des Pflegeheims angerufen, um sich krank zu melden, jedoch niemanden erreicht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Klägerin erklärt, in der Nacht vom 12. zum 13. Februar habe sie nicht schlafen können und um ca. 4.30 Uhr Beklemmungszustände und Symptome wie bei Herzrhythmusstörungen bemerkt. Sie habe schon zuvor ähnliche Erscheinungen gehabt, die jedoch schon länger zurückgelegen hätten und deretwegen sie sich nicht in ärztliche Behandlung begeben habe. Sie habe von 6.15 Uhr bis 6.25 Uhr versucht, ihre Kollegen im Altersheim anzurufen, um mitzuteilen, dass sie jetzt erst einmal zum Arzt fahre und später zur Arbeit komme. Sie habe sich in ärztliche Behandlung ins Klinikum B begeben, weil sie die Zustände beunruhigt hätten und sie dies geklärt haben wollte. Sie habe sich nicht erst nach der Arbeit zum Arzt begeben, weil sie nicht gewusst habe, wie sich die Beklemmungszustände auswirken könnten. Sie sei nicht ins Klinikum B gefahren, um sich krankschreiben zu lassen.

Durch Urteil vom 28. Juni 2002 hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, das Geschehen vom 13. Februar 2000 als Arbeitsunfall und ein Polytrauma mit im Tenor im Einzelnen genannten Folgen als Arbeitsunfallfolgen anzuerkennen. Der Unfall der Klägerin sei ein versicherter Arbeitsunfall in Form eines Wegeunfalls im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII. Danach sei auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit als versicherte Tätigkeit aufzufassen. Zwar sei die Klägerin nicht auf dem entfernungsmäßig kürzesten Weg zu ihrer Arbeitsstelle verunglückt, es sei jedoch in diesem Einzelfall ein unmittelbarer Weg im Sinne des § 8 SGB VII anzunehmen. Die Fahrt zum Klinikum B habe in einem inneren Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit gestanden, der es rechtfertige, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang sei gegeben, weil das Zurücklegen des Weges mit dem Ziel der Inanspruchnahme von ärztlicher Versorgung der Aufnahme der versicherten Tätigkeit wesentlich dienen sollte. Auch für grundsätzlich dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzurechnende Gesundheitsmaßnahmen werde im Einzelfall Versicherungsschutz bejaht, wenn die Gesamtumstände dafür sprächen, das unfallbedingte Verhalten dem geschützten Bereich zuzurechnen. Das Verhalten der Klägerin habe über das persönliche Interesse an der Wiedererlangung der eigenen Gesundheit wesentlich auf das konkrete betriebliche Interesse der Erhaltung der Arbeitskraft und Reduzierung von Arbeitsausfällen abgestellt. Die in wesentlicher Weise auf betriebliche Interessen ausgerichtete Handlungstendenz werde durch die objektiven Umstände des Falls bestätigt. So belege der Zeitpunkt der geplanten ärztlichen Behandlung um ca. 6.45 Uhr, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Aufnahme der Arbeitsschicht beabsichtigt gewesen sei. Hätte sich die Klägerin ohne konkreten Bezug zu ihrer versicherten Tätigkeit behandeln lassen und eventuell arbeitsunfähig schreiben lassen wollen, hätte insbesondere an einem Sonntag ein späterer Termin aus der Sicht der Kammer näher gelegen. Auch der der Arbeitsstelle entgegengesetzt liegende Ort der ärztlichen Behandlung widerspreche nicht den betrieblichen Motiven der Klägerin. Die Klägerin habe nachvollziehbar dargelegt, dass sie am frühen Sonntagmorgen nicht mit einer Behandlung durch einen niedergelassenen Arzt hätte rechnen können. In Fällen dieser Art bestehe Versicherungsschutz nur, wenn die gesundheitlichen Beschwerden plötzlich und unvorhergesehen vor der Arbeitsaufnahme aufträten. Dies sei der Fall. Die Beschwerden der Klägerin seien nach ihren Angaben ca. zwei Stunden vor dem Arbeitsbeginn aufgetreten. Stelle man in Rechnung, dass das Ausmaß der Beschwerden in Bezug auf die berufliche Tätigkeit nicht von Anfang an für die Klägerin festgestanden habe, sei von einem unvorhergesehenen Auftreten der Beschwerden auszugehen. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, eine vorbeugende ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen, mit der Folge, dass die Behandlung am Morgen des Unfalltages nicht mehr erforderlich gewesen wäre. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum so genannten dritten Ort sei für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Diese greife nur dann ein, wenn der Weg zwischen dem Wohnort und dem dritten Ort durch private Motive geprägt sei. Im vorliegenden Fall sei jedoch bereits der Weg vom Wohnort zum Klinikum B wesentlich durch betriebliche Motive mitbedingt gewesen. Auch der Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum so genannten Umweg oder Abweg sei nicht überzeugend, da in beiden Fällen private Motive für das Einschlagen des Um- bzw. Abwegs maßgeblich seien. Der Unfall habe die tenorierten Gesundheitsstörungen wesentlich verursacht, so dass die Klägerin Anspruch auf Anerkennung derselben als Unfallfolgen habe.

Gegen das ihr am 23. August 2002 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 20. September 2002. Sie macht geltend, dass dann, wenn der Aufenthalt der Klägerin in der Rettungsstelle des Klinikums B voraussichtlich mindestens zwei Stunden gedauert hätte, die Rettungsstelle als so genannter dritter Ort anzusehen sei, von dem dann die Klägerin ihren unmittelbaren Weg zum Ort der verrichteten Tätigkeit genommen hätte. In diesem Fall teile der dritte Ort den gesamten Weg von der Wohnung über das Klinikum bis zur Arbeitsstelle in zwei Teile, nämlich den Weg von der Wohnung bis zu dem dritten Ort und den Weg vom dritten Ort bis zum Ort der verrichteten Tätigkeit selbst. Anerkanntermaßen könnte dann der Weg vom dritten Ort bis zum Ort der verrichteten Tätigkeit, nicht aber der Weg zum dritten Ort eine versicherte Tätigkeit darstellen. Vielmehr stelle sich der Weg von der Wohnung zu dem dritten Ort als Abweg dar, der nicht mehr im inneren Zusammenhang mit der verrichteten Tätigkeit stehe. Unterstelle man, dass sich die Klägerin beim in Aussicht genommenen Erreichen des Klinikums B dort weniger als zwei Stunden aufgehalten hätte, so stelle sich der Weg vom Wohnort über das Krankenhaus B bis zum Ort der verrichteten Tätigkeit insgesamt als ein einziger Weg dar. Dann habe die Klägerin aber nicht den direkten Weg zwischen dem Wohnort und dem Ort der verrichteten Tätigkeit gewählt, sondern sich auf einen Abweg begeben. Bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes komme es darauf an, dass der Weg unmittelbar sei und mit der versicherten Tätigkeit zusammenhänge. Ein innerer Zusammenhang zwischen der verrichteten Tätigkeit und dem zurückgelegten Weg sei nicht gegeben. Grundsätzlich stelle das Besorgen von Medikamenten eine so genannte vorbereitende Verrichtung dar, die nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei. Aufgrund der widersprüchlichen Bekundungen der Klägerin sei davon auszugehen, dass es ihr nicht primär darauf angekommen sei, am Morgen des 13. Februar 2000 ihren Arbeitsantritt sicherzustellen. Ausweislich der Unfallanzeige des Arbeitgebers hätte die Klägerin am Unfalltag ihre Arbeit um 6.30 Uhr beginnen müssen. Wenn sie um 4.30 Uhr Beklemmungszustände bemerkt hätte, hätte sie auch unter Berücksichtigung einer gewissen Zeitverzögerung etwa aufgrund der Überlegung, was nun zu tun sei, ihre Beschwerden im Klinikum B ohne weiteres abklären lassen können, um dann pünktlich um 6.30 Uhr oder nur wenig später zur Arbeit erscheinen zu können. Aufgrund ihres Verhaltens, bis 6.25 Uhr versucht zu haben, einen Kollegen anzurufen, habe sie keinesfalls mehr pünktlich den Arbeitsort erreichen können. Nehme man an, die Klägerin habe das Klinikum B erreicht, so sei es nach realistischer, aber sehr günstiger Schätzung anzunehmen, dass der Aufenthalt im Klinikum mindestens eine Stunde gedauert hätte. Es sei mit einer Wartezeit von einer Stunde und mehr nach allgemeiner Lebenserfahrung bei Meldung in der Notaufnahme eines Krankenhauses zu rechnen. Auch seien die Herzbeschwerden der Klägerin nicht plötzlich und unerwartet aufgetreten, sondern die Klägerin habe selbst angegeben, schon in der Vergangenheit an ähnlichen Herzbeschwerden gelitten zu haben, die aber noch nicht zur Konsultation eines Arztes gezwungen hätten. Wenn die Klägerin aber angegeben habe, dass ihr auch das Aufsuchen einer Notdienstapotheke nichts genützt hätte, weil sie Medikamente benötigt hätte, die hätten verordnet werden müssen, sei es nur schwer nachzuvollziehen, woher die Klägerin gewusst haben wolle, dass ihr nur durch die Verabreichung verordnungspflichtiger Medikamente habe geholfen werden können. Wenn es aber zutreffe, dass die Beschwerden der Klägerin am 13. Februar 2000 erstmalig in diesem Maße aufgetreten seien, sei es umso mehr verwunderlich, dass die Klägerin fest mit der Aufnahme ihrer Arbeit gerechnet haben will. Es liege ein unversicherter Abweg aus eigenwirtschaftlichen Motiven vor, wie aus der Entfernungsberechnung des Routenplaners abzuleiten sei. Danach betrage die Entfernung vom Wohnort in der Tstraße bis zum Arbeitsort in der S 5,2 km, die Entfernung vom Wohnung bis zur Rettungsstelle 11,4 km. Hätte die Klägerin am Unfalltag die Rettungsstelle erreicht und wäre sie nach ärztlicher Konsultation zu ihrer Arbeitsstelle gefahren, so hätte die gesamte Entfernung 26,2 km, also etwa das Fünffache des normalen Arbeitsweges betragen. Derartig erhebliche Umwege stünden in der Regel nicht unter Versicherungsschutz, zumal gerade nicht anhand objektiver Umstände nachvollziehbar sei, dass die Klägerin das vorrangige Ziel verfolgt habe, ihre Arbeitstätigkeit aufzunehmen. Da sich die Handlungstendenz der Klägerin nicht durch objektive Umstände habe nachweisen lassen, hätte eine Verurteilung zur Anerkennung des Unfallereignisses nicht erfolgen dürfen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Juni 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat ein Vorerkrankungsverzeichnis der Barmer Ersatzkasse eingeholt, aus dem sich eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin vom 7. September 1998 bis 14. Oktober 1999 wegen akuter vorübergehender psychotischer Störungen ergibt. Des Weiteren hat er die Schwerbehindertenakte der Klägerin beigezogen. Auf Rückfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt, sie habe im Jahre 1998 oder 1999 schon einmal die Rettungsstelle wegen der damaligen akuten psychotischen Störung aufgesucht. Die Beklemmungszustände seien im Mai oder Juni 1995 aufgetreten, jedoch nicht vor Arbeitsbeginn, sondern abends. Sie sei nicht sofort nach Auftreten der Beschwerden um 4.30 Uhr zur ärztlichen Behandlung aufgebrochen, weil sie - trotz emotionaler Unruhe - versucht habe, wieder einzuschlafen, um nicht völlig unausgeschlafen zur Arbeit zu erscheinen. Einen verspäteten Arbeitsbeginn habe sie dabei in Kauf genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des SG - S 69 U 760/01 -), die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände zum Aktenzeichen ) und die Schwerbehindertenakten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat - wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat - einen Anspruch auf Entschädigung wegen der Folgen des am 13. Februar 2000 erlittenen Arbeitsunfalls.

Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Versicherte Tätigkeit ist gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, ein innerer Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Dieser innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, wobei nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII der Versicherungsschutz für die Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit nicht auf die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beschränkt ist. Vielmehr verlangt die Vorschrift nur, dass die Arbeitsstätte Ziel- oder Ausgangspunkt des Weges ist. Des Weiteren ist erforderlich, dass der Weg mit der Tätigkeit in dem Unternehmen - rechtlich - zusammenhängt, d.h. dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Weg und der Tätigkeit in dem Unternehmen besteht. Der Weg, den der Versicherte zurücklegt, muss also wesentlich dazu dienen, den Ort der Tätigkeit zu erreichen. Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Für die tatsächlichen Grundlagen des Vorliegens versicherter Tätigkeit muss der volle Beweis erbracht werden, das Vorhandensein versicherter Tätigkeit also sicher feststehen.

Unstreitig befand sich die Klägerin im Unfallzeitpunkt nicht auf dem direkten Weg von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte, sondern hatte einen Weg in nordöstlicher Richtung eingeschlagen, während ihre Arbeitsstätte in nordwestlicher Richtung zu erreichen war. Durch den Einschub dieses nicht in Zielrichtung zu einem Grenzpunkt führenden Weges wurde der Weg zum Ort der Tätigkeit unterbrochen. Hinsichtlich des Versicherungsschutzes während der Unterbrechung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (SozR 3-2200 § 550 RVO Nr. 16) zu unterscheiden, ob die Unterbrechung einer Verrichtung dient, die im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, oder ob sie wesentlich aus privaten Gründen erfolgt. Im ersteren Fall besteht Versicherungsschutz auch während der Unterbrechung. Dies ist dann der Fall, wenn aus betriebsbedingten Gründen vom üblichen direkten Weg zur Arbeitsstelle abgewichen wird. In diesem Fall ist ein mit der Tätigkeit zusammenhängender Weg deshalb gegeben, weil der Betriebstätigkeit entspringende Beweggründe die Wahl des Weges maßgeblich beeinflussen und so eine rechtlich wesentliche Verknüpfung mit der versicherten Tätigkeit besteht. Ob diese rechtliche Verknüpfung dann unterbrochen wird, wenn eine Unterbrechung dieses Weges durch eine betriebsdienliche Tätigkeit beabsichtigt ist, die bei objektiver Betrachtung mindestens zwei Stunden in Anspruch nehmen sollte ( vgl. zu dieser Zeitgrenze BSG-Urteil vom 3. Dezember 2002-B 2 U 19/02 R), kann dahingestellt bleiben. Für einen derartig langen Aufenthalt bestehen nach dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte, selbst wenn man von einer Wartezeit von ca. einer Stunde in der Unfallambulanz des Krankenhauses B an einem Sonntag Morgen ausgeht.

Das Sozialgericht hat bereits - wie die Beklagte - darauf hingewiesen, dass Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich des Versicherten und nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sind. Auch bei derartigen Verrichtungen ist aber von der Rechtsprechung ein Versicherungsschutz dann bejaht worden, wenn die Gesamtumstände dafür sprechen, das unfallbringende Verhalten dem nach den Regeln der gesetzlichen Unfallversicherung geschützten Bereich zuzurechnen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn das Holen von Medikamenten dazu dient, trotz einer während der Dienstzeit aufgetretenen Gesundheitsstörung weiterhin betriebliche Arbeiten verrichten zu können. Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (a.a.O.), wenn die gesundheitliche Störung unmittelbar vor Beginn der betrieblichen Tätigkeit auftritt und einen so starken Grad erreicht, dass für die beabsichtigte Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit der Kauf von Medikamenten erforderlich wird.

Von dieser Rechtsprechung wird nach der Auffassung des Senats eine Situation mit erfasst, in der der Versicherte sich vor Arbeitsbeginn in die nach seiner Auffassung an einem Sonntag allein zugängliche Rettungsstelle des in seinem Wohnbezirk gelegenen Krankenhauses begibt, um mit dessen Hilfe eine der Arbeitsaufnahme entgegenstehende Erkrankung ausschließen zu lassen oder dort gegebenenfalls um medikamentöse Hilfe nachzusuchen.

Zutreffend hat das Sozialgericht deshalb aus den Umständen dieses Einzelfalles abgeleitet, dass das Aufsuchen der Rettungsstelle die Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit sichern sollte. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe gemäß § 153 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen. Die Einwände der Beklagten, es sei weder das Auftreten der gesundheitlichen Störung unmittelbar vor Beginn der betrieblichen Tätigkeit noch das Erfordernis des Aufsuchens der Rettungsstelle nachgewiesen, sind durch die ergänzenden Ausführungen der Klägerin bzw. die zur Akte gelangten Unterlagen widerlegt worden.

Bei einem Auftreten der Beschwerden um 4.30 Uhr ist ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Beginn der betrieblichen Tätigkeit entgegen der Auffassung der Beklagten gegeben. Dass die Klägerin sich nicht unmittelbar nach Auftreten der Beschwerden in ärztliche Behandlung begeben wollte, sondern erst einmal abwarten wollte, ist vor dem Hintergrund, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergänzend angegeben hat, es habe sich um wechselnde Beschwerden gehandelt, nachvollziehbar. Die Klägerin ging nämlich nach ihren glaubhaften Angaben zunächst davon aus, ihre Tätigkeit normal aufnehmen zu können. Des Weiteren ist aus der Tatsache, dass die Klägerin - jedenfalls durch das Vorerkrankungsverzeichnis bestätigt - nicht zuvor an derartigen Erscheinungen gelitten hat, die eine ärztliche Behandlung erforderlich machten, nachvollziehbar, dass sie nicht über Medikamente verfügte, die der Linderung ihrer Beschwerden hätten dienen können bzw. sich diese nur schwer hätte besorgen können. Auch die Tatasche, dass die Klägerin das Aufsuchen einer Notfallapotheke für nicht ausreichend erachtete, erscheint bei einem nicht abgeklärten Krankheitsbild vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung der Klägerin, die mit einer ständigen Medikamenteneinnahme verbunden ist, nachvollziehbar.

Der innere Zusammenhang wird auch nicht durch eine Unverhältnismäßigkeit des Weges in Frage gestellt. Aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin sich ein Jahr zuvor, nämlich von Februar bis März 1999 in stationärer Behandlung im Klinikum B wegen einer psychiatrischen Erkrankung aufgehalten hatte, ist es unmittelbar einleuchtend, dass die Klägerin sich mit ihren Beschwerden an die Einrichtung wenden wollte, die über sie umfassend informiert war. Ergänzend war zu berücksichtigen, dass die Klägerin allein mit dem Auto unterwegs war, so dass es naheliegend erscheint, dass sie ihr bekannte Wege zurücklegen und nicht ihr unbekannte Örtlichkeiten aufsuchen wollte. Schließlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin mit allen Notfalleinrichtungen entlang ihres Weges zur Arbeitsstätte vertraut war, weil sie ihre Tätigkeit bei der Senioren-Betreuungsgesellschaft M Privatklinik GmbH & Co. KG in der S(BR ) erst 3 Monate zuvor aufgenommen hatte.

Dass die Klägerin bemüht war, ihre berufliche Tätigkeit aufzunehmen nicht aber eine Krankschreibung durch den Arztbesuch zu erreichen, wird schon daran deutlich, dass die gesamte Akte keinen Anhaltspunkt dafür bietet, dass die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, ihre Arbeitsunfähigkeit bereits am ersten Tag durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestätigen zu lassen. Nach alledem waren die Angaben der Klägerin, betriebsdienlich tätig geworden zu sein, von den objektiven Verhältnissen gestützt mit der Folge, dass der Unfall auf einem versicherten Weg erfolgte. Reichte das Verhalten über das persönliche Interesse an der Wiedererlangung der eigenen Gesundheit hinaus und stellte es wesentlich auf das konkrete betriebliche Interesse der Erhaltung der Arbeitskraft und der Reduzierung von Arbeitsausfällen ab, stellt der gesamte Weg einen versicherten Weg dar. Die Frage eines Umwegs oder Abwegs stellt sich danach, wie bereits das Sozialgericht dargelegt hat, nicht mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


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