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Bayer. LSG: Anerkennung einer Leukämie als Wehrdienstbeschädigung

Bayerisches LSG - L 15 VS 12/98 - Urteil vom 27.06.2006

Wenn vor der Manifestation einer Hämoblastose innerhalb von zwei Jahren als Schädigungstatbestand Infektionskrankheiten vorangegangen sind, die insbesondere auf das lymphathische System eingewirkt haben, ist Kannversorgung zu leisten. Der konkrete Nachweis der Infektion bzw. deren genaue Bezeichnung ist nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn der Nachweis einer Infektionskrankheit, die insbesondere auf das lymphathische System eingewirkt hat, im Gesundheitsdienst - hier als Laborarzt bei der Bundeswehr - erbracht werden kann. Tritt diese Erkrankung innerhalb des im Rahmen der Kann-Versorgung maßgeblichen Zweijahreszeitraums auf, so ist die - im Streit stehende - Leukämieerkrankung als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer "myelo-monozytären Leukämie" (akute Leukämie, ausgeheilt) als Folge einer Wehrdienstschädigung (WDBF) und die Gewährung eines Ausgleichs nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG)/Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1954 geborene Kläger war vom 01.08.1982 bis 31.07.1993 Berufssoldat der Bundeswehr, zuletzt Oberstabsarzt. In dieser Funktion fertigte er auch Ausstriche für Differenzialblutbilder per Hand; als Ergebnisse dieser Laboruntersuchungen ergaben sich zum einen Mononukleose-Virusträger und solche, die eine andere nicht näher zu identifizierende Viruserkrankung hatten.

In der Zeit vom 17.07. bis 10.08.1987 und vom 18.08. bis zum 14.09.1987 war er arbeitsunfähig krank. Im August 1987 waren die CMV- und EBV-IgM positiv, dies wurde als Hinweis auf eine akute CMV- und EBV-Infektion angesehen. Im August 1991 wurde bei ihm eine akute myelo-monozytäre Leukämie (AML) vom FAB-Typ M4/5 diagnostiziert. Vom August 1991 bis Mai 1992 unterzog er sich einer chemotherapeutischen Behandlung im Krankenhaus M. Seither besteht eine Vollremission der Leukämie. Der Kläger steht bis heute in keiner ärztlichen Behandlung, es erfolgt ausschließlich eine ärztliche Selbstüberwachung.

Am 09.08.1991 wurde ein WDB-Blatt wegen des Auftretens einer Herpes-Infektion (CMV/EBV) im Juli/August 1987 angelegt, die der Kläger sich im HNO-Operationssaal zugezogen habe. Der Kläger schilderte einen protrahierenden Verlauf mit langwierigem Persistieren von IgM-AK (CMV) über ein Jahr und den Ausbruch der AML im August 1991. Als zusätzliche Verursachung gab er die Stressbelastung der letzten drei Jahre als Staffelchef, Standortarzt, Truppenarzt, Vertrauensarzt, Kommandoarztvertreter und Pflegearzt an.

Mit Bescheid vom 20.07.1993 lehnte der Beklagte die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 Abs.1 SVG ab, weil es nicht wahrscheinlich sei, dass die "Erkrankung des hämatopoetischen Systems (AML)" wahrscheinlich auf Einflüssen des Wehrdienstes beruhe, weil in der medizinischen Wissenschaft über die Ursache dieser Gesundheitsstörung Ungewissheit bestehe. Die Voraussetzungen für eine Kann-Versorgung nach § 85 Abs. 3 SVG lägen ebenfalls nicht vor, weil die CMV- und EBV-Infektion keinen zeitlichen Bezug zu der 1991 aufgetretenen AML hätten und keine schädigungsbedingten Erkrankungen darstellten.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.1996 nach Einholung eines internistisch-hämatologischen Gutachtens von Prof. Dr. F. vom 14.09.1995 zurück. Es sei nicht wahrscheinlich, dass die Belastungen des Wehrdienstes Ursache im Sinne einer wesentlichen Bedingung für diese Gesundheitsstörung sei. Eine Kann-Versorgung scheide ebenfalls aus, weil der zeitliche Abstand zwischen Virusinfektion und Ausbruch der Leukämie vier Jahre betragen habe und nicht, wie für die Kann-Versorgung erforderlich, zwei Jahre.

Im Verlauf des sich anschließenden Klageverfahrens, in dem der Kläger die Anerkennung der AML als WDB und die Gewährung von Ausgleich begehrte, wurde mit Beschluss vom 20.09.1996 der Beigeladene beigeladen.

Der von Amts wegen gehörte Sachverständige Dr. C. stellte in seinem internistischen Gutachten nach persönlicher Untersuchung des Klägers vom 18.03.1997 fest, die EBV-/CMV-Infektion/Erkrankung sei als ausgeheilt anzusehen. Nach derzeitig geltender medizinisch-wissenschaftlicher Lehrmeinung sei ein Zusammenhang mit der Leukämie nicht wahrscheinlich. Aus der Aufstellung der Laborberichte ergebe sich, dass es sich um einen atypischen Verlauf der Herpes-Infektion gehandelt habe. Der vom Kläger vorgelegte Laborbefund vom 25.07.1990 eines positiven EBV-VCA-IgM-Titer spräche für eine Reaktivierung der EBV-Infektion zum damaligen Zeitpunkt. Bei Diagnosestellung der akuten AML im September 1991 habe sich wieder ein negativer EBV-VCA-IgM-Titer gefunden. Insgesamt verneinte er die Voraussetzungen für eine Anerkennung der AML als WDBF sowohl als Rechtsanspruch als auch im Rahmen der Kann-Versorgung.

Der Kläger bezog sich auf ein ärztliches Attest des Hämatologen Dr. L. vom 11.04.1997 und eine gutachterliche Stellungnahme des Privatdozenten Dr. U. vom 21.11.1997. Auch ohne Kenntnis weiterer, möglicherweise Krankheitsbild und -dauer beeinflussender Umstände und Faktoren, vertraten diese Ärzte die Auffassung, das gleichzeitige bzw. zeitlich versetzte Zusammentreffen einer CMV-Infektion mit einer EBV-Infektion oder -Reinfektion müsse als Ereignis von erheblicher klinischer Tragweite gewertet werden.

In seiner Stellungnahme vom 14.01.1998 beurteilte Dr. C. den kurzzeitigen Krankheitsverlauf 1987 als banale Erkältungskrankheit und schloss eine Primärinfektion im Juli 1990 aus, da diese bereits im Juli 1988 erfolgt sei. Der Kläger rügte danach, dass es unterblieben sei, darauf einzugehen, dass "innerhalb von zwei Jahren als Schädigungstatbestand Infektionskrankheiten vorausgegangen sind, die insbesondere auf das lymphathische Gebiet eingewirkt haben (zum Beispiel Pfeiffer sches Drüsenfieber)". Er regte an, Prof. Dr. O. ergänzend zu hören.

Mit Urteil vom 05.03.1998 wies das Sozialgericht die Klage ab. Für den Kläger komme allenfalls eine Kann-Versorgung in Frage. Letztlich gehe es darum, wie die Erkrankung im Jahre 1990 zu bewerten sei. Nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen habe es sich hierbei um eine banale Erkältungskrankheit gehandelt, die allenfalls zu einer Reaktivierung der EBV-Viren geführt habe. Voraussetzung für eine Kann-Versorgung sei jedoch, dass eine Infektionskrankheit, nicht jedoch eine Reaktivierung einer Krankheit, innerhalb des Zweijahreszeitraums vor Auftreten der Leukämie vorgelegen habe.

Zur Begründung seiner anschließenden Berufung vom 30.03.1998 vertrat der Kläger die Auffassung, es sei davon auszugehen, dass im Juli 1990 eine schwere EBV-Infektion vorgelegen habe.

Der auf Antrag des Kläger nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gehörte Sachverständige Prof. Dr. O. verneinte in seinem Gutachten vom 30.04.1999 das Vorliegen einer Gesundheitsstörung, die mit Wahrscheinlichkeit auf diese Infektion oder auf Stress zurückzuführen wären. Hinsichtlich der Kann-Versorgung wies er darauf hin, 1987 sei der eindeutige Nachweis einer EBV-Infektion geführt worden, diese Infektion sei jedoch restlos abgeheilt gewesen. Eine erneute Infektion vom Juli 1989 und 1990 sei jedoch dokumentiert. Deshalb müsse davon ausgegangen werden, dass innerhalb von zwei Jahren der Primärdiagnose "akute Leukose" eine Infektionskrankheit (z.B. Pfeiffer sches Drüsenfieber) zweifelsfrei vorangegangen sei.

Der Beigeladene bezog sich auf die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. M. vom 14.06.1999, die die Auffassung vertrat, es könne offen gelassen werden, ob es sich 1987 tatsächlich um eine Primärinfektion gehandelt habe. Streitig sei nun, ob bereits die Tatsache der Antikörper im Juli 1989 und 1990 eine Reinfektion belegen würde. Dies sei nach einer ausführlichen überzeugenden Darlegung einer Spezialistin im M.-Institut sicherlich nicht der Fall.

Die Beklagte bezog sich auf die Stellungnahme der Dr. T. vom 19.11.1999, die dem Beigeladenen zustimmte, dass es sich 1990 nicht um eine Reinfektion, sondern um eine Reaktivierung gehandelt hätte.

In ihrem von Amts wegen eingeholten Gutachten vom 05.07.2000 wies die Sachverständige Dr. K. vom M.-Institut darauf hin, der Nachweis von EBV-VCA-IgM allein lasse keine gesicherte Interpretation zu, insbesondere da beim Kläger gleichzeitig ein positiver Zytomegalie-IgM-Titer vorhanden gewesen sei; eine Zytomegalie-Infektion könne zu einer Reaktivierung von Ebstein-Barr-Viren (EBV) führen, es könne sich auch um eine Kreuzreaktion der beiden verwandten Viren gehandelt haben. Die Akten enthielten keine Untersuchungen, welche einen Hinweis auf eine Doppelinfektion mit zwei verschiedenen EBV-Stämmen erlaubten. Der mehrfach positive EBV-VCA-IgM-Nachweis könne durch eine endogene Reaktivierung ausreichend erklärt werden.

Nachdem sich die Klageseite mehrfach auf die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AP) berufen hatte, legte der Beigeladene am 02.03.2001 die versorgungsärztliche Stellungnahme der Dr. M. vom 19.02.2000 vor. Diese Ärztin betonte, wichtig sei allein, dass innerhalb von zwei Jahren vor Auftreten der Leukämie eine Infektionserkrankung abgelaufen sei, die insbesondere auf das lymphathische System eingewirkt habe; dem sei formal bei dem derzeitigen Stand zuzustimmen, wobei darauf hinzuweisen sei, dass dies nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand keineswegs mehr als sachgerecht angesehen werden könne. Aber auch bei Zugrundelegen der derzeitigen AP müsse der Ablauf einer akuten Infektionskrankheit nachgewiesen sein, wobei allein die Möglichkeit (ja sogar auch die Wahrscheinlichkeit) noch nicht genügten. Sie bewertete die Erkrankung des Klägers vom 17.07.1990 als eitrige Rhinobronchitis mit Fieber und gelblich eitrigem Auswurf. Dies spreche am ehesten für einen grippalen Infekt und belege keineswegs eine schwere auf das lymphathische System erheblich einwirkende Viruserkrankung. Die Beklagte legte u.a. am 13.05.2002 eine weitere Stellungnahme des Dr. O. vom 21.04.2002 vor, in der nochmals hervorgehoben wurde, eine dienstlich bedingte Infektionskrankheit innerhalb von zwei Jahren vor Auftreten der AML sei nicht nachgewiesen. Dieser Auffassung stimmte auch die Versorgungsärztin Dr. I. in ihrer Stellungnahme vom 11.06.2002 zu.

Der Kläger seinerseits bezog sich auf mehrere Stellungnahmen des Dr. C. (Internist/Hämatologe), der darauf hinwies, der Kläger habe innerhalb der Zweijahresfrist zwei schwerwiegende Infektionen mit Einwirkung auf das lymphathische System erlitten.

Der Beigeladene übersandte am 24.02.2003 eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. T. vom 03.02.2003, wonach durch das Gutachten des Dr. K. vom 05.07.2000 eine akute EBV-Infektion in den Jahren 1989 und 1990 als sehr unwahrscheinlich anzusehen sei. Andererseits sei aus den Laborwerten vom Juli 1990 zweifelsfrei eine schwerwiegende virale Infektionskrankheit abzuleiten, die insbesondere auf das lymphathische System eingewirkt habe.

Nachdem in der von der Beklagten vorgelegten versorgungsmedizinischen Stellungnahme des Internisten Dr. V. vom 20.02.2003 aktuelle Aussagen des Prof. Dr. O. zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand als wünschenswert erachtet wurden, gab Prof. Dr. O. in seiner Stellungnahme vom 06.08.2003 an, der Nachweis, dass es sich beim Kläger eindeutig um einen Erstinfekt durch EBV gehandelt habe, könne nicht mit Wahrscheinlichkeit geführt werden. Die für die Kann-Versorgung innerhalb der geforderten Zweijahresfrist aufgetretenen Erkrankungen vom Juli 1989 und 1990 zeigten eine schwere Infektion mit Nachweis einer frischen EBV-Infektion. Dabei handle es sich jedoch eindeutig um Reaktivierungen bzw. Reinfektionen und nicht um Primärinfektionen. Überdies könne nicht der Beweis erbracht werden, dass sich der Kläger nur im Rahmen seiner Tätigkeit als Truppenarzt und nicht anderweitig infiziert habe.

Mit Schreiben vom 25.05.2005 teilte die Beklagte mit, wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles bestehe keine Bereitschaft zur vergleichsweisen Erledigung. Man habe ein Interesse daran, dass die AP unter der Nummer 122 ausschließlich die Primärinfektionskrankheiten erfasse. Mit einem argumentum e contrario könne man aus dem Merkblatt zur Nummer 3101 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO) sehr wohl schließen, dass nur bei den Heliobacter-Infektionen eine Re-Infektion möglich sei.

In weiteren Schriftsätzen wandte die Beklagte darüber hinaus mehrfach ein, letztlich sei es nicht zu ermitteln, wo sich der Kläger die Infekte zugezogen habe, bei der Durchseuchung der Bevölkerung mit Herpes-Viren habe er sich auch außerhalb der Bundeswehr anstecken können.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 05.03.1998 und des Bescheids vom 20.07.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 02.04.1996 die Beklagte zu verurteilen, beim Kläger als WDB-Folge eine myelo-monozytäre Leukämie (akute Leukämie, ausgeheilt) anzuerkennen und ihm ab August 1991 bis Mai 1992 Ausgleich nach einer MdE um 100 v.H. und anschließend bis 31.07.1993 nach einer MdE um 60 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Zum Verfahren beigezogen wurden die WDB- und Widerspruchsakten sowie die Akten des Sozialgerichts München S 29 Vs 52/96.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren der Beklagten wird gemäß § 202 SGG und § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die dort angeführten Beweismittel, hinsichtlich des Sachverhalts im Berufungsverfahren auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Berufungsakten nach § 136 Abs.2 SGG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die ohne Zulassung statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 142 ff., 151 SGG) und sachlich auch begründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts München vom 05.03.1998 und der Bescheid vom 20.07.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.1996 können keinen Bestand haben und sind aufzuheben. Die Beklagte ist verpflichtet, beim Kläger als WDBF eine "akute myelo-monozytäre Leukämie" (ausgeheilt) anzuerkennen und ihm ab August 1991 bis Mai 1992 Ausgleich nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. und danach bis 31.07.1993 nach einer MdE von 60 v.H. zu gewähren (§ 85 SVG). Diese Leukämie ist nach den Grundsätzen der Kann-Versorgung eine WDBF (§§ 80, Satz 1, 81 Abs.6 Sätze 1 und 2, SVG). Abgesehen davon, dass die derzeitige MdE des Klägers 0 v.H. ist, braucht der Senat mangels eines entsprechenden Antrages über eine Versorgung nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SVG i.V.m. § 9 BVG nicht zu entscheiden.

Nach § 85 Abs.1 SVG erhalten Soldaten wegen der WDBF während ihrer Dienstzeit einen Ausgleich. Voraussetzung hierfür ist demnach, dass der Soldat eine WDB erlitten hat (§ 80 SVG). Nach § 81 Abs.1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung (1.), durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall (2.) oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse (3.) herbeigeführt worden ist. Hinsichtlich der Beweislage ist dabei davon auszugehen, dass die dienstlichen Einflüsse, die im Wesentlichen die Schädigung herbeigeführt haben, nachzuweisen sind (BSG vom 24.09.1992, Az.: 9a RV 31/90 in SozR 3-3200 § 81 Nr.6). Nach ständiger Rechtsprechung in allen Zweigen der sozialen Entschädigung müssen die Schädigung und die Schädigungsfolgen nachgewiesen werden. Nur für die Kausalität zwischen diesen beiden Tatbestandsmerkmalen genügt die Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen wesentlich mehr Gründe dafür als dagegen sprechen. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Dienstverrichtung oder der Unfall oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse für den Eintritt der gesundheitlichen Schädigung neben anderen Umständen versorgungsfremden Ursprungs von zumindest annähernd gleichwertiger Bedeutung - also wesentliche Bedingungen - gewesen ist/sind.

Unstreitig wird das Auftreten der Leukämie bzw. der vorausgegangenen Infektionskrankheiten während des Wehrdienstes vom Kläger nicht auf ein zeitlich begrenztes traumatisches Ereignis (Unfall) während seiner Tätigkeit als Bundeswehrarzt zurückgeführt. Nachdem sich auch aus den Akten keine Hinweise auf einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall ergeben, erübrigen sich weitere Ausführungen zu der oben genannten Alternative (2.).

Für unfallunabhängige Krankheiten/Gesundheitsstörungen (Alternativen 1. und 3.) bestimmt sich der versorgungsrechtlich geschützte Bereich nach dem SVG nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. hierzu z.B. BSG vom 05.05.1993 in SozR 3-3200 § 81 Nr.8, vom 10.11.1993 in SozR 3-3200 § 81 Nr.9, vom 24.09.1992 in SozR 3-3200 § 81 Nr.6 sowie Beschlüsse vom 11.10.1994, Az.: 9 BV 55/94 und 19.06.1996, Az.: 9 BV 105/95) nach dem Vorbild des Berufskrankheitenrechtes der gesetzlichen Unfallversicherung, es sei denn, es handelt sich um besondere außerordentliche Belastungen, die typischerweise nur unter den Bedingungen des Krieges auftreten.

Die Fälle, in denen als Schädigungsfolge eine durch allmähliche Einwirkungen des Wehrdienstes/wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse verursachte Erkrankung geltend gemacht wird, teilt das BSG in drei Gruppen ein: a) Die angebliche Schädigungsfolge ist in der BKVO als Berufskrankheit anerkannt (§ 551 Abs.1 Reichsversicherungsordnung - RVO - jetzt § 9 Abs.1 Satz 2 SGB VII); b) die angebliche Schädigungsfolge müsste in der gesetzlichen Unfallversicherung als Berufskrankheit anerkannt werden können (§ 551 Abs.2 RVO jetzt § 9 Abs.2 SGB VII); c) die angebliche Schädigungsfolge fällt weder unter a) noch unter b), die angeschuldigten wehrdiensttypischen Belastungen gehen aber auf kriegsähnliche Anforderungen zurück, wie sie in Zivilberufen typischerweise nicht vorkommen.

Diese Regelung erklärt sich daraus, dass Krankheiten regelmäßig nicht auf ein äußeres Ereignis zurückgeführt werden können, sondern sich auf Grund vielfältiger Einflüsse entwickeln. Als Mitursachen kommen persönliche Lebensweise, Erbanlagen, Störungen während der Entwicklungsphase, private Unfälle, Umwelteinflüsse und anderes in Frage. Ob eine Krankheit auf bestimmte Einwirkungen zurückzuführen ist, denen ein Wehrpflichtiger oder Wehrdienstleistender ausgesetzt war, ist daher in der Regel nicht mit Hilfe medizinischer Sachverständigengutachten im Einzelfall feststellbar. Wegen der Vielfalt möglicher Ursachen und der nicht uneingeschränkten Leistungsfähigkeit auch der medizinischen Wissenschaft kann dies nur allgemein entschieden werden. Eine solche allgemeine Antwort hat der Gesetzgeber für das Gebiet des Berufskrankheitenrechtes mit der BKVO gegeben. Darin sind die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen im Bereich der Unfallforschung und des Berufskrankheitenrechtes eingeflossen, wonach bestimmte Tätigkeiten im Arbeitsleben in auffallender Weise mit Erkrankungen verbunden sind.

Diese Grundsätze, angewandt auf die vom Kläger als WDBF vorgetragene Leukämie, führen lediglich zu dem Ergebnis, dass in der BKVO hierüber nichts geregelt ist. Greift man insoweit auf die AP zurück, so ist u.a. lediglich bei akuten Leukämien - wie im Falle des Klägers - die ursächliche Bedeutung von ionisierenden Strahlen in einer Knochenmarkdosis von mindestens 0,2 Sv, von Strahlen radioaktiver Substanzen in vergleichbarer Stärke sowie von Zytostatika und Benzol hinreichend geklärt. Dabei beträgt die Latenzzeit bis zur Erkrankung mindestens zwei Jahre nach Strahlenexposition sowie mindestens ein Jahr nach zytostatischer Behandlung oder Benzolkontamination. Unbestritten ist bei malignen Lymphomen auch die ursächliche Bedeutung von vorangegangenen Autoimmunerkrankungen. Ungewissheit besteht im Übrigen darüber, wie groß die Bedeutung genetischer Faktoren ist, ob Infektionen (durch Viren) bei der Entstehung dieser Leiden mitwirken, welchen Einfluss andere toxische Substanzen haben und ob zu den genannten speziellen Neoplasien der Hämatopoese auch Strahlen geringerer Intensität führen können (AP Nr.122 Abs.6).

In Übereinstimmung mit den AP haben demzufolge sämtliche Gutachter/Sachverständigen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges der Leukämie mit den vorausgegangenen Infektionskrankheiten verneint, so dass eine Anerkennung als Rechtsanspruch ausscheidet.

Wenn jedoch die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung die Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden (§ 81 Abs.6 Satz 2 SVG). Hierzu bestimmen die AP 1983 unter Nr. 121 Abs.6, dass wegen dieser Ungewissheit die Voraussetzungen für eine "Kann-Versorgung" als gegeben anzusehen sind, "wenn vor der Manifestation einer Hämoblastose ... c) innerhalb von zwei Jahren als Schädigungstatbestand Infektionskrankheiten vorangegangen sind, die insbesondere auf das lymphathische System eingewirkt haben (z. B. Pfeiffer sches Drüsenfieber)". In den AP 1996 wird als beispielhafte Infektionskrankheit eine Epstein-Barr-Virus-Infektion genannt.

Nachdem das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 30.04.1985 (2 RU 7/84) bereits entschieden hat, dass auch eine Infektionskrankheit eine Körperschädigung darstellen kann, welche die Merkmale eines Arbeitsunfalles erfüllt, hat es diesen Grundsatz in seinem Urteil vom 28.08.1990 bestätigt. Unter Hinweis auf BSGE 15, 112, 113 hat es jedoch gleichzeitig klargestellt, dass Voraussetzung hierfür ist, dass die zur Erkrankung führende Infektion innerhalb einer Arbeitsschicht an einem bestimmten, wenn auch nicht kalendermäßig genau bestimmbaren Tag eingetreten ist. Dies hätte zur Voraussetzung, dass der Kläger nachweisen müsste, dass er in dem der Leukämie vorausgehenden Zweijahreszeitraum an einer entsprechenden Infektionskrankheit erkrankte, die insbesondere auf das lymphathische System eingewirkt hat und an der auch andere von ihm behandelte Patienten erkrankten. Dieser Nachweis dürfte dem Kläger angesichts der Vielfalt der von ihm behandelten Patienten und Erkrankungen nicht möglich sein. Andererseits konnte der Kläger darlegen, dass er im Rahmen seiner Labortätigkeit sowohl Mononukleose-Virusträger und solche, die eine andere nicht mehr zu identifizierende Viruserkrankung darstellten, untersuchte. Nachdem sowohl der Sachverständige Prof. Dr. O. als auch letztlich Dr. K. sowie Dr. T. bei aller Restproblematik überzeugend darlegten, dass es beim Kläger im Juli 1989 bzw. 1990 zu zwei erheblichen Infektionen kam, die auf das lymphathische System eingewirkt haben und die Nr.3101 ganz allgemein "Infektionskrankheiten" dann als Berufskrankheiten anerkennt, "wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst ... tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war", sieht der Senat es als erwiesen an, dass der Kläger im Juli 1989 und 1990 diese schwerwiegenden und durch EBV-VCA-IgM-Titer nachgewiesene Infektionen als Folgen einer Wehrdienstbeschädigung erlitten hat. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob es sich hierbei um Reinfektionen oder Reaktivierungen handelte, sondern einzig und allein, ob eine entsprechende auf das lymphathische System einwirkende Krankheit vorgelegen hat. Dass diese Krankheit im Einzelnen nicht genau bezeichnet werden kann, liegt in der Natur der Sache. Sollte sich der Kläger beispielsweise bei seiner Tätigkeit als Laborarzt an einer mit den damaligen Laboruntersuchungsmethoden nicht näher bestimmbaren Infektionskrankheit infiziert haben, die auf das lymphathische System einwirkte, so erscheint es schlechterdings im Nachhinein unmöglich, sowohl den konkreten Nachweis der Infektion als auch die genaue Bezeichnung der Infektionskrankheit beweisen zu können. Insoweit hält es der Senat im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität für ausreichend, wenn der Nachweis einer Infektionskrankheit, die insbesondere auf das lymphathische System eingewirkt hat (zum Beispiel Pfeiffer sches Drüsenfieber, Ebstein-Barr-Virus), im Gesundheitsdienst erbracht werden kann. Tritt diese Erkrankung innerhalb des im Rahmen der Kann-Versorgung maßgeblichen Zweijahreszeitraums auf, so ist die Folge, dass die Leukämieerkrankung des Klägers als WDBF anzuerkennen ist und ihm deshalb auch ohne Antrag der Ausgleich nach § 85 SVG zusteht.

Nachdem die AP 1983 und 1996 für akute Leukämien (auch in der Remission) eine MdE von 80 bis 100 v.H. bzw. 100 bis zum Ende der (Intensiv-) Therapie (vgl. Rundschreiben vom 16.06.2004, Nr. 2744/II/04) vorsehen und danach für die Dauer von drei Jahren (Heilungsbewährung) noch eine MdE von 60 v.H. zubilligen (die Chemotherapie beim Kläger dauerte bis Mai 1992), steht ihm bis Mai 1992 Ausgleich nach einer MdE von 100 v.H. und danach bis zu seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr eine MdE von 60 v.H. zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Angesichts der in diesem Fall bei der haftungsbegründenden Kausalität vom Senat gewährten Beweiserleichterung hält es der Senat für angezeigt, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).


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