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BGH: Arbeitsunfähigkeit durch Mobbing (Arbeitsplatzkonflikt) liegt auch dann vor, wenn VN theoretisch an einem anderen Arbeitslatz arbeiten könnte

BGH, Urteil v. 09.03.2011, Az. IV ZR 137/10

Arbeitsunfähigkeit i. S. v. der privaten Krankentagegeldversicherung liegt auch dann vor, wenn sich der Versicherte an seinem Arbeitsplatz einer tatsächlichen oder von ihm als solcher empfundenen Mobbingsituation ausgesetzt sieht, hierdurch psychisch oder physisch erkrankt und infolgedessen seinem bisher ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausprägung nicht nachgehen kann. *

Der Kläger hatte bei dem Beklagten eine Krankentagegeldversicherung mit einem versicherten Tagegeld in Höhe von 117,37 Euro pro Kalendertag. Dem Versicherungsverhältnis lagen die MBKT 94 zugrunde.

Der Kl. arbeitete seit 1995/1996 als Projektleiter für Brandschutzanlagen. Er befand sich längere Zeit in ärztlicher Behandlung. Die Ursache hierfür war in seinem - zum 31. 8. 2008 durch Auflösungsvertrag beendeten - Arbeitsverhältnis begründet. Der Kl. sah sich an seinem Arbeitsplatz einem sogenannten Mobbingverhalten ausgesetzt. Der Bekl. zahlte bis zum 22. 6. 2008 das vereinbarte Krankentagegeld und stellte danach seine Leistungen ein, nachdem ein von ihm außergerichtlich eingeholtes Gutachten zum Ergebnis einer 100%igen Arbeitsfähigkeit ab diesem Tag gekommen war.

Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, hat das OLG der Berufung stattgegeben. Diese Entscheidung wurde duch den BGH bestätigt.

Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit ist einzig der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung. Mit Blick darauf kann der Krankentagegeldversicherer von dem Versicherten, der durch besondere Umstände an seinem bisherigen Arbeitsplatz krank geworden ist, nicht einen Wechsel des Arbeitsplatzes, die Wahl eines anderen Arbeitsumfeldes oder arbeitsrechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber verlangen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Versicherte an seinem Arbeitsplatz einer tatsächlichen oder von ihm als solcher empfundenen Mobbingsituation ausgesetzt sieht, hierdurch psychisch und/oder physisch erkrankt ist und infolgedessen seine berufliche Tätigkeit nicht ausüben kann.

Die Arbeitsunfähigkeit entfällt nicht deshalb, weil der Versicherte bei Bereinigung der Konfliktsituation an seinem konkreten Arbeitsplatz oder durch einen Wechsel seines Arbeitsplatzes wieder arbeitsfähig wäre. Auf die Möglichkeiten des Arbeitgebers im Rahmen seines Direktionsrechts kommt es nicht an. Entscheidend ist, dass der Versicherte aufgrund seiner Erkrankung seiner bisher ausgeübten beruflichen Tätigkeit in der konkreten Ausgestaltung nicht nachgehen kann. Bei einem weiter gehenden Verständnis des Begriffs der beruflichen Tätigkeit wäre der Versicherte zu einem Arbeitsplatzwechsel gehalten, der ihm aber auch als Obliegenheit auf der Grundlage des § 9 Abs. 4 MBKT nicht abverlangt wird. Es handelt sich nicht, wie die Revision meint, um eine bloße "Arbeitsplatzunverträglichkeit", wenn die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung der versicherten Person durch Umstände an ihrem bisherigen Arbeitsplatz verursacht oder verstärkt worden ist. Vielmehr kann der Versicherte auch dann arbeitsunfähig i. S. v. § 1 Abs. 3 MBKT 94 sein, wenn die seine Erkrankung auslösenden Umstände mit seinem bisherigen Arbeitsplatz zusammenhängen.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner:

Psychische Erkrankungen infolge Mobbings oder auch Bossings am Arbeitsplatz stellen neben den sog. Burnout Erkrankungen einen wesentlichen Anteil an den psychischen Erkrankungen, welche zur Berufsunfähigkeit führen und nehmen von Jahr zu Jahr zu.

Es liegt in der Eigenart einer psychischen Erkrankung infolge eines Arbeitsplatzkonfliktes, dass diese meist ursächlich auf die konkrete Mobbingsituation in der Firma oder auch nur in einer Abteilung zurückzuführen ist. Wenn der Versicherungsnehmer dem Arbeitsplatzkonflikt (meist infolge Krankschreibung) nicht mehr ausgesetzt ist, geht es ihm in der Regel besser, jedoch allein der Gedanke, wieder an den alten Arbeitsplatz zurück zu müssen, löst in der Regel die Krankheitssymptome erneut aus.

Das hier vorgestellte Urteil des BGH ist im Bereich der privaten Krankentagegeldversicherung ergangen, lässt sich aber ebenso auf die Berufsunfähigkeitsversicherung übertragen.

Wenn Versicherungsnehmer in einer solchen Situation Leistungen aus ihrer Kranekntagegeldversicherung oder auch privaten Berufsunfähigkeitsversicherung beantragen, werden sie nicht selten mit dem Argument abgewiesen, die private Krankentagegeld- bzw. BU-Versicherung schütze nicht gegen „Arbeitsplatzunverträglichkeit“. Schließlich müsse sich der Versicherungsnehmer lediglich einen neuen Arbeitgeber suchen (oder den bestehenden um Versetzung in eine andere Abteilung bitten) und seine Probleme wären gelöst. Kommt es zu einer vom Versicherer beauftragten Begutachtung, so werden diese Argumente in der Regel auch vom Gutachter wiederholt – viele Versicherungsnehmer nehmen dann von ihrem Antrag Abstand; häufig sogar in dem Glauben die Berufsunfähigkeitsversicherung habe Recht.

Glücklicherweise hat der Bundesgerichtshof mit dem jetzt erlassenen Urteil dieser rechtswidrigen Praxis erstmals Einhalt geboten und klargestellt, dass es bei der Prüfung, ob Arbeitsunfähigkeit bzw.Berufsunfähigkeit vorliegt, allein auf die konkrete Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit zum Zeitpunkt des Auftretens der psychischen Erkrankung ankommt und das der Versicherungsnehmer nicht gehalten ist, sich um einen Arbeitsplatzwechsel zu bemühen.


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