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OLG Karlsruhe: Mamax kann sich auch dann nicht auf Leistungsfreiheit berufen, wenn die Ursache der Berufsunfähigkeit auf eine Traumatisierung infolge selbst verschuldeter Hausdurchsuchung mit anschließender Untersuchungshaft zurückzuführen ist.

Urteil OLG Karlsruhe v. 03. März 2016, Az. 12 U 5/15

1. Eine Verursachung der Berufsunfähigkeit durch vorsätzliche oder versuchte Ausführung einer Straftat liegt nicht vor, wenn der Versicherte durch Maßnahmen der Strafverfolgung (Hausdurchsuchung, Untersuchungshaft) seelische Schäden davon trägt, die ihm die Ausübung seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit unmöglich machen.

2. Einer Leistungspflicht des Versicherers wegen Berufsunfähigkeit steht nicht entgegen, dass der Versicherte zum Zeitpunkt des Eintritts oder des Fortbestehens der Berufsunfähigkeit sich in Untersuchungs- oder Strafhaft befindet.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend.

Er unterhielt gemäß Versicherungsschein bei der Beklagten eine Risiko-Lebensversicherung nebst Rentenversicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit und Versicherung zur Beitragsbefreiung für den Fall der Berufsunfähigkeit.

§ 5 Einschränkung der Leistungspflicht

Anspruch auf Leistungen besteht nicht, wenn die Berufsunfähigkeit verursacht ist:

a) dadurch, dass die versicherte Person eine Straftat vorsätzlich ausführt oder verursacht
(…)

Als Versicherungsleistung war eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 1.500,00 € garantiert, die infolge einer jährlichen Beitragsanpassung von 3% jeweils neu festgesetzt werden sollte. ... Als Ablauf der Leistungsdauer war der 31.03.2029 vereinbart. Aufgrund Kündigungserklärung des Klägers vom 02.08.2008 endete das Versicherungsverhältnis mit Ablauf des 31.03.2009.

Bei Abschluss des Vertrages war der geborene Kläger als Geschäftsstellenleiter und Vermittler für die C AG in der Rechtsform eines selbständigen Handelsvertreters tätig.

Am 16./17.10.2008 erfolgte bei dem Kläger eine Hausdurchsuchung; er wurde für einen Tag in Haft genommen. Der Kläger suchte am 07.11.2008 seine Hausärztin Dr. S auf und klagte unter anderem über Schlafstörungen und Angstzustände. Am 13.11.2008 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen. Nach einer Verurteilung wegen Computerbetrugs zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren ... verbüßte er diese bis zum 09.03.2012. Während der Haft suchte der Kläger mehrfach Ärzte wegen somatischer und psychischer Beschwerden auf. Nach der Haftentlassung ging der Kläger keiner beruflichen Tätigkeit nach.

Der Kläger hat behauptet,
er leide seit dem traumatischen Geschehen vom 16./17.10.2008 unter einer Depression mit somatischen Beschwerden, welche ihn hindere, den zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. In diesem habe er die Organisation und Überwachung der Geschäftsstelle, die Betreuung, Kontrolle und Schulung der ihm zugeordneten Handelsvertreter übernommen und sei zugleich als Vermittler aufgetreten. Bereits mit dem für ihn traumatischen Geschehen der Hausdurchsuchung und der eintägigen Inhaftierung sei eine fortdauernde Berufsunfähigkeit im Sinne des § 2 der Versicherungsbedingungen eingetreten.

Der Ablauf der Versicherung zum 01.04.2009 sei für die Leistungspflicht der Beklagten ohne Belang, da der Versicherungsfall bereits in ungekündigter Zeit eingetreten sei und damit die Leistungspflicht fortbestehe. Die Beklagte sei somit verpflichtet, die vereinbarte monatliche Berufsunfähigkeitsrente ... sowie den aufgelaufenen Rückstand von 47.093,06 € zu zahlen und ihn von der Beitragspflicht freizustellen.

Die Beklagte behauptet,
jedenfalls bis zum Ende der Versicherungsdauer am 31.03.2009 hätten bei dem Kläger nur geringfügige psychische Beschwerden vorgelegen, die ihn nicht gehindert hätten, wenigstens 50% des bisherigen Arbeitsumfangs zu bewältigen. Zumindest sei die Prognose für eine Wiederherstellung der Arbeitskraft vor Ablauf der 6-Monats-Frist gut gewesen, wobei der Kläger als Selbständiger gegebenenfalls auch seinen Betrieb habe umorganisieren müssen. Ein Anspruch scheide auch aus, soweit der Kläger infolge eines Berufsverbots oder infolge der Inhaftierung keiner Berufstätigkeit habe nachgehen können. Die Berufsunfähigkeit sei nicht „infolge“ Krankheit eingetreten.

Die Beklagte hat sich des Weiteren darauf berufen, dass nach den Versicherungsbedingungen ein Leistungsanspruch nicht bestehe, wenn die Berufsunfähigkeit durch eine vorsätzliche Straftat der versicherten Person verursacht worden sei.

Nach Beweiserhebung durch Einholung eines psychologischen sowie neuropsychologischen Gutachtens und eines fachpsychiatrischen Gutachtens hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen sei für die Zeit vor der Inhaftierung nicht nachgewiesen. Zwar habe sich die Hausdurchsuchung als ein traumatisches Erlebnis erwiesen. Dieses habe aber noch nicht die Prognose einer mindestens sechsmonatigen Berufsunfähigkeit gerechtfertigt. Zunächst sei von einer Anpassungsstörung auszugehen gewesen, die eine Besserung habe erwarten lassen. Erst während der Inhaftierung und im Zusammenhang mit dieser habe sich die Situation des Klägers verschlechtert, sodass aufgrund der nunmehr verfestigten Symptome eine depressive Störung vorgelegen habe, bei der mit einer Wiederherstellung der Berufsfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate nicht zu rechnen gewesen sei. Während der Dauer der Freiheitsentziehung sei die Berufsunfähigkeit nicht infolge der Krankheit eingetreten. Wenngleich im Schadensersatzrecht eine Doppelkausalität ausreiche, so entspreche es im Versicherungsrecht ersichtlich nicht dem Sinn der Berufsunfähigkeitsversicherung, wenn der Inhaftierte wegen einer parallel vorliegenden Krankheit eine Berufsunfähigkeitsrente verlangen könnte. Auf den Zeitraum nach der Entlassung komme es insoweit nicht mehr an, weil das Versicherungsverhältnis in diesem Zeitpunkt beendet gewesen sei.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter. Aus dem Sachverständigengutachten ergebe sich, dass der Kläger bereits vor dem 31.03.2009 berufsunfähig gewesen sei. Das Landgericht habe die für das Schadensrecht entwickelte Lehre von der Doppelkausalität auf das Versicherungsrecht zu Unrecht nicht angewandt; weder in dem Bedingungswerk noch in allgemeinen Rechtsgrundsätzen finde die Argumentation des Landgerichts eine Stütze. Die Kausalität entfalle nicht, vielmehr beruhe die Berufsunfähigkeit sowohl auf der Krankheit als auch auf der Inhaftierung. Konsequent zu Ende gedacht müsste dann der Versicherte nach Verbüßung der Haftstrafe einen erneuten Leistungsantrag stellen, obwohl die Voraussetzungen der vermuteten Berufsunfähigkeit aber schon seit langem erfüllt seien. Auch sei es für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus dem Bedingungswerk nicht zu entnehmen, dass der Kausalzusammenhang zwischen der Erkrankung und der Unfähigkeit zur Berufsausübung nicht mehr gegeben sein soll, wenn der Versicherte gleichzeitig aus einem anderen Grund an der Berufsausübung gehindert sei. Auch der Schutzzweck der Berufsunfähigkeitsversicherung gebiete nichts anderes. Dieser unterbreche den Kausalzusammenhang nicht. Außerdem handele es sich um eine Summenversicherung, die keinen konkreten, sondern einen abstrakten Bedarf decke. Ein Bereicherungsverbot sei der Summenversicherung fremd. Anfang 2011 habe der Kläger den Freigängerstatus erhalten und hätte trotz Verbüßung seiner Strafhaft einer geregelten Arbeitstätigkeit nachgehen können.

Aus den Gründen:

Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet.

Der Kläger ist berufsunfähig im Sinne der einbezogenen Versicherungsbedingungen und hat ab dem 19.11.2008 Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente und Beitragsfreistellung bis einschließlich März 2009.

Entscheidend für die Überzeugungsbildung ist das Ergebnis des eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst schriftlichen und mündlichen Ergänzungen und Erläuterungen. Die Sachverständige G konnte überzeugend darlegen und begründen, weshalb sie davon ausgeht, dass der Kläger nicht mehr in der Lage ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Dabei hat sie in ihrem Ergänzungsgutachten vom 29.12.2013 zutreffend darauf hingewiesen, dass es bei der Beurteilung nicht allein auf die genaue Diagnose (hier: Schweregrad der depressiven Episode) ankomme, sondern dass entscheidend auf die Beeinträchtigungen der für den konkreten Beruf erforderlichen Fähigkeiten abzustellen sei. In ihrer Anhörung hat sie diese Einschränkungen nachvollziehbar erläutert. Mit den erstinstanzlich vorgebrachten Angriffen und den in diesem Zusammenhang vorgelegten Stellungnahmen hat sich die Sachverständige ausführlich auseinandergesetzt und das Festhalten an ihrer Einschätzung nachvollziehbar begründet. Dass die Sachverständige bereit und in der Lage ist, ihre Einschätzung bei begründetem Anlass zu überdenken und gegebenenfalls zu ändern, hat sie in ihrer Anhörung unter Beweis gestellt. Dort hat sie nach Vernehmung der behandelnden Ärzte ihre vorherige Einschätzung zum Zeitpunkt der Prognose einer für einen Zeitraum von mindestens sechs Monate nicht absehbaren Besserung des Gesundheitszustands des Klägers geändert (hierzu siehe unter 3.). Gegen die Ausführungen der Sachverständigen im Termin vom 17.12.2015 hat die Beklagte im Übrigen auch keine Angriffe mehr vorgebracht.

Unabhängig davon, dass gewisse Unsicherheiten hinsichtlich des Schweregrads der depressiven Episode verbleiben, ist daher davon auszugehen, dass der Kläger in den Bereichen Gesprächsführung (Verkaufen von Finanzprodukten). Mitarbeiterführung und Belastbarkeit krankheitsbedingt erheblich eingeschränkt ist. Dabei handelt es sich um grundlegende und unabdingbare Voraussetzungen seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit eines Geschäftsstellenleiters eines Unternehmens der Finanzbranche, sodass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt.

Der Anspruch ist auch nicht wegen § 5 a) AVB ausgeschlossen.

Die Voraussetzungen eines Ausschlusses liegen bei Anwendung dieser Grundsätze hier nicht vor. Zweck des Straftatbestandes des Computerbetruges nach § 263a StGB ist der Schutz des Vermögens des Geschädigten. Risiken, die von der Begehung von Betrugsstraftaten ausgehen, sind typischerweise lediglich im Bereich der Vermögensinteressen zu sehen. Gesundheitliche Schäden des Täters können dagegen nicht als auf einer durch die Verwirklichung des Betrugstatbestandes typischerweise beruhenden Gefahrerhöhung erachtet werden. Bei den Beschwerden des Klägers handelt es sich lediglich um solche, die in der Begehung von Straftaten und ihrer Ahndung sowie den damit verknüpften familiären und sozialen Folgen für den Täter begründet sind. Ein konkreter Bezug gerade zu Gefahrerhöhungen durch Betrugshandlungen ist indes nicht ersichtlich (vgl. OLG Celle, Urteil vom 31.08.2015, 8 O 60/95, Tz. 33; Leverenz in VVG, 9. Aufl., AUB Ziff 5.1.2 Rn. 39).

Der Leistungsanspruch des Klägers besteht unabhängig davon, dass er (auch) aufgrund der Inhaftierung an der Ausübung des maßgeblichen Berufs gehindert war.

a) Der Versicherungsfall in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist die Berufsunfähigkeit infolge Krankheit, Körperverletzung oder körperlichen Verfalls. Auf den Umstand, dass der Kläger seinen Beruf rein faktisch gar nicht ausüben konnte, kommt es nicht an. In den Versicherungsbedingungen finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass neben der Berufsunfähigkeit auch maßgeblich sein soll, ob der Versicherte seinen Beruf auch aus anderen als gesundheitlichen Gründen nicht ausüben kann. Einschränkungen der Leistungspflicht sieht § 5 AVB nur für den Fall vor, dass die Berufsunfähigkeit auf besondere Weise verursacht wurde, z. B. durch eine Straftat oder eine sonst widerrechtliche Handlung. Einen Ansatzpunkt, dass die Leistungspflicht entfiele, wenn der Versicherte seinen Beruf ungeachtet der Berufsunfähigkeit aus anderen Gründen nicht mehr ausüben könne, enthält der Vertrag nicht. Von seiner Leistungspflicht nach Eintritt des Versicherungsfalls wird der Versicherer aber nur frei, wenn dies in den Versicherungsbedingungen bestimmt oder sonst besonders vereinbart war; wollte der Versicherer seine Leistungspflicht weiter einschränken, liegt es an ihm, dies vertraglich zu regeln (vgl. RGZ 157, 6, 9).

b) Nicht überzeugend ist der Hinweis darauf, dass der Kläger aber selbst dann nicht hätte tätig sein können, wenn er gesund geblieben wäre, weil die Berufsunfähigkeitsversicherung nur die Berufsunfähigkeit infolge gesundheitlicher Beeinträchtigungen abdecke und nicht etwa infolge eines durch ein Strafurteil erteilten Berufsverbotes (so aber OLG Celle, aaO, Tz. 50). Die Unfähigkeit zur Berufsausübung aus gesundheitlichen Gründen entfällt nicht deshalb, weil gleichzeitig aus anderen Gründen die weitere Berufsausübung faktisch unmöglich wird. Diese anderen Gründe müssen daher - jedenfalls auf der Grundlage der hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen - außer Betracht bleiben.

Anmerkung Rechtsanwalt Dr. Büchner, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Medizinrecht

Das Urteil des OLG Karlsruhe, welches hier stark verkürzt wiedergegeben ist, enthält eine ganze Reihe juristisch bemerkenswerter Feststellungen, auf die an dieser Stelle nicht abschließend eingegangen werden kann.

Zum einen kommt das Gericht im Rahmen der Auslegung der zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen dem Kläger sehr weit entgegen; begründet dies aber eingehend und vertretbar – so dass der Beginn der Berufsunfähigkeit letztlich in den versicherten Zeitraum fällt.

Genauso eingehend begründet die Kammer ihre Auffassung, dass die gesundheitlichen Schäden (Traumatisierung) die unstreitig zumindest mittelbar aus der begangenen Straftat des Computerbetruges und der daraus folgenden Hausdurchsuchung und Untersuchungshaft resultierten, letztlich nicht unter den vereinbarte Einschränkung der Leistungspflicht fallen. Das Gericht begründete seine Meinung damit, dass kein konkreter Bezug zu den Gefahrerhöhungen bestünde, mit denen eine Betrugshandlung typischerweise verbunden wäre. Auch diese Auffassung wird man auf der Beklagtenseite nicht unbedingt teilen, so dass es spannend bleibt, wie der BGH über die eingelegte Beschwerde bzgl. der Nichtzulassung der Revision entscheidet.

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