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LG Berlin: Hannoversche Lebensversicherung AG wegen treuwidriger Verweigerung eines Anerkenntnisses zur Zahlung von BU-Rentenleistungen verurteilt! Negatives Gutachten Dr. Hans-Joachim Clavien bleibt ohne Relevanz.

Landgericht Berlin, Urteil vom 30.06.2016 – 7 O 113/15 (nicht rechtskräftig)

Sachverhalt

Unsere als Wirtschaftsprüferin tätige Mandantin war bei der Hannoverschen Lebensversicherung AG gegen Berufsunfähigkeit versichert. Im Mai 2010 erlitt sie einen Bandscheibenvorfall, war fast ein Jahr lang krankgeschrieben und meldete Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung (Rente und Prämienbefreiung) an. Ab Mai 2011 nahm sie ihre Arbeit nach dem „Hamburger Modell“ in einem Umfang von zunächst drei, dann fünf und zuletzt sechs Stunden pro Arbeitstag wieder auf, brach diesen Arbeitsversuch jedoch ab und war ab dem 16.08.2011 erneut krankgeschrieben. Mit Schreiben vom 02.08.2011 unterbreitete die Hannoversche Lebensversicherung AG folgendes Angebot:

„Seit dem 07.05.2010 waren Sie arbeitsunfähig krankgeschrieben aufgrund eines Bandscheibenvorfalls .…

Im Rahmen einer Wiedereingliederung nach dem „Hamburger Modell“ haben Sie vom 02.05.2011 bis 22.05.2011 drei Stunden täglich gearbeitet, waren also rein rechnerisch noch unter 50% berufsfähig.

Spätestens ab dem 23.05.2011 waren Sie jedoch rein rechnerisch mehr als 50% berufsfähig, ausgehend von einer täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden. Da Sie gemäß Ihren Angaben jedoch 8 bis 10 Stunden täglich gearbeitet haben, gehen wir von einer mehr als 50%-igen Berufsfähigkeit ab dem 12.06.2011 aus.

Wir müssten daher unsere Leistungspflicht gem. § 2 Absatz 1 anerkennen, Leistungsbeginn wäre gem. § 1 Absatz 3 der 01.06.2010. Da eine mind. 50%-ige Berufsunfähigkeit aber nur bis zum 12.06.2011 vorgelegen hat, müssten wir gleichzeitig eine Nachprüfung einleiten, die eine Einstellung der Leistungen zum Ergebnis hätte.

Diesen verwaltungstechnischen Aufwand möchten wir uns und Ihnen gern ersparen und stattdessen folgende Vereinbarung mit Ihnen treffen:

Die Hannoversche Lebensversicherung AG erbringt befristet vom 01.06.2010 bis 30.06.2011

- jedoch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – die vertraglich vereinbarten Leistungen

- Beitragsfreiheit und Rente -.

Für Leistungen, die über den 30.06.2011 hinaus beansprucht werden, ist vom Versicherungsnehmer ein neuer Leistungsantrag zu stellen; mit der Folge, dass dann eine uneingeschränkt neue Leistungsprüfung erfolgt.“

Unsere Mandantin nahm dieses Angebot nicht an, sondern teilte der Versicherung mit, dass sie auch über den 30.06.2011 hinaus zu mindestens 50% berufsunfähig ist. Die Hannoversche Lebensversicherung AG beauftragte daraufhin den Orthopäden und Unfallchirurgen Prof. Dr. Ekkernkamp (Unfallkrankenhaus Berlin) und bot unserer Mandantin in diesem Zusammenhang nunmehr an, die Versicherungsleistungen ab dem 1.6.2010 bis zum 30.11.2011 „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ zu erbringen, was von unserer Mandantin jetzt aus finanzieller Not heraus akzeptiert wurde. Der von der Hannoverschen Lebensversicherung AG beauftragte Gutachter kam im Oktober 2011 zu dem Ergebnis, dass nach zunächst gegebener Berufsunfähigkeit von 100%, später 80% und 60% dann seit Mai 2011 nur noch eine Minderung von 30% als gerechtfertigt angesehen werden könne. Unsere Mandantin wandte sich mit Arztberichten ihrer Behandler gegen diese Einschätzung des Versicherungsgutachters. Die Parteien trafen sodann im April 2012 eine Vereinbarung, wonach unter Einstellung zunächst weiterer Prüfungen die Versicherungsleistungen „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ für den Zeitraum 1.12.2011 bis 31.3.2013 weiter erbracht werden. Nachdem unsere Mandantin nach Ablauf dieses Leistungszeitraums die Fortzahlung der Versicherungsleistungen begehrte, beauftrage die Hannoversche Lebensversicherung AG den Orthopäden Dr. Hans-Joachim Clavien, der unserer Erfahrung nach häufig Gutachten für Versicherer erstellt. Dieser kam zu dem Ergebnis, eine mindestens 50%ige Berufsunfähigkeit unserer Mandantin bestehe nicht, woraufhin die Hannoversche Lebensversicherung AG Versicherungsleistungen über den 31.3.2013 hinaus ablehnte.

Entscheidung des Landgerichts Berlin

Das Landgericht Berlin hat unserer Klage stattgegeben und die Hannoversche Lebensversicherung AG zur Fortzahlung der Versicherungsleistungen über den 31.03.2013 hinaus verurteilt. In den Entscheidungsgründen des Urteils heißt es unter anderem:

„Die Beklagte ist so zu behandeln, als habe sie die Leistungspflicht und damit den Eintritt der Berufsunfähigkeit infolge des von der Klägerin im Mai 2010 erlittenen Bandscheibenvorfalls anerkannt. Sie hat ihr Anerkenntnis treuwidrig (§ 242 BGB) verweigert, obwohl sie zur Erklärung eines Anerkenntnisses nach § 5 Abs. 1 BB-BUZ verpflichtet war. Hierfür lagen die Voraussetzungen spätestens mit dem Vorliegen des Gutachtens von Prof. Dr. Ekkernkamp im Oktober 2011 vor, der der Klägerin für die Zeit bis April 2011 das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit von 100%, bzw. 80% bzw. 60% bescheinigt hat, ohne dass die Beklagte in der Folge das Gutachten oder die Anknüpfungstatsachen wie etwa insbesondere die beruflich an die Klägerin gestellten Anforderungen in Zweifel gezogen hätte. Die Beklagte hat im Übrigen vorprozessual auch zu keinem Zeitpunkt die Arbeitsunfähigkeit über die Dauer eines Jahres (bis zum Versuch der Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit nach dem Hamburger Modell) in Frage gestellt. Vielmehr hat die Beklagte in ihrem – einseitig gebliebenen – Angebot einer Vereinbarung vom August 2011 sogar selbst eingeräumt, dass sie die Leistungspflicht eigentlich ab Juni 2010 anerkennen müsste.

Damit muss sich die Beklagte so behandeln lassen, als habe sie ein – zeitlich unbefristetes – Anerkenntnis erklärt. Die Möglichkeit eines nur befristeten Anerkenntnisses besteht nach § 5 Abs. 1 S. 2 BB-BUZ ausdrücklich nicht. Etwas anderes ergibt sich, entgegen der Auffassung der Beklagten, auch nicht aus § 173 Abs. 2 VVG, der eine (einmalige) Befristung zulässt, denn diese Norm steht einer dem Versicherungsnehmer günstigeren vertraglichen Regelung nicht entgegen (siehe hierzu etwa LG Berlin, Urteil vom 19.3.2014 – 23 O 87/12 – Rn. 31 nach juris; Lücke in: Prölls/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, § 173 Rn. 7). Die Möglichkeit der Befristung würde hier den Bestandsschutz, der dem Versicherungsnehmer durch das vertraglich vorgesehene Nachprüfungsverfahren eingeräumt wird, unterlaufen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. November 2003 – IV ZR 173/02 –, Rn. 27, juris).

Die Pflicht zur Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente ist nicht durch eine Wiedererlangung der Fähigkeit, den Beruf zu mehr als 50% wiederauszuüben, entfallen. Ob eine derartige Besserung inzwischen eingetreten ist, ist zwischen den Parteien im Streit, braucht die Kammer aber nicht zu entscheiden. Steht fest, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Berufsunfähigkeit eingetreten war, kann der Versicherer spätere Änderungen des Gesundheitszustandes nur auf dem vertraglich vorgesehenen Weg des Nachprüfungsverfahrens (§ 7 BB-BUZ) geltend machen (vgl. hierzu und zum Folgenden: OLG Saarbrücken, Urteil vom 14. November 2012 – 5 U 343/10, 5 U 343/10 - 55 –, Rn. 80 m.w.N. auch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Dies gilt nach der Rechtsüberzeugung der Kammer auch bei treuwidriger Nichterklärung des Anerkenntnisses zumindest dann, wenn der Versicherer, wie hier, gerade nicht auf die Klärung des Eintritts der Berufsunfähigkeit (gänzlich) verzichtet hatte (so etwa im Fall des BGH, Urteil vom 28.2.2007 – IV ZR 46/06-), sondern ein von ihm in Auftrag gegebenes und vorgerichtlich von ihm zu keinem Zeitpunkt in Frage gestelltes Gutachten (hier: das Sachverständigengutachten Dr. Ekkernkamp) den Eintritt des Versicherungsfalles bestätigt hat und der Versicherer im Übrigen selbst ausdrücklich vom Vorliegen der Voraussetzungen eines Leistungsanerkenntnisses ausgegangen ist.

Unerlässlicher Bestandteil des Nachprüfungsverfahrens ist, dass dem Versicherten eine bestimmte, inhaltlichen Anforderungen genügende Mitteilung über die Beendigung einer zuvor bestehenden Leistungspflicht gemacht wurde. Inhaltlich verlangt sie eine Vergleichsbetrachtung des Gesundheitszustandes, wie er dem Anerkenntnis hätte zugrunde liegen müssen, mit dem Gesundheitszustand zu einem späteren Zeitpunkt (OLG Saarbrücken, Urteil vom 14. November 2012 – 5 U 343/10, 5 U 304/10 – 55 –, Rn. 80, zitiert nach juris).

An einer derartigen Mitteilung der Beklagten fehlt es im vorliegenden Fall. …“

Anmerkungen RA Stefan Zeitler, Fachanwalt für Versicherungs- und Medizinrecht

Die Hannoversche Lebensversicherung AG hatte im Prozess durch ihren Anwalt in der Klageerwiderung auf immerhin 23 Seiten so gut wie alles bestritten, was wir in unserer Klage zu Art und Umfang der beruflichen Tätigkeit unserer Mandantin, zu ihrer Erkrankung und zu ihrer Berufsunfähigkeit aufgrund ihrer Erkrankung vorgebracht hatten. Natürlich hat es sich der Anwalt der Versicherung auch nicht nehmen lassen zu behaupten, unsere Klage sei „unschlüssig“, die von uns vorgetragenen Tatsachen würden selbst wenn man sie als richtig unterstellt, nicht zum Klageerfolg führen, die Klage sei daher von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg und abzuweisen. Dieses Dominanzgebaren ist unserer Erfahrung nach typisch für Versicherer und die für sie arbeitenden Anwälte. Es soll offenbar dazu dienen, die Versicherten einzuschüchtern und ihnen Steine bei der Durchsetzung ihres Anspruchs auf BU-Leistungen in den Weg zu legen. In einem normalen BU-Prozess, in dem der Versicherte die Darlegungs- und Beweislast für seine berufliche Tätigkeit zuletzt in gesunden Tagen, für seine Erkrankung und schließlich auch für seine Berufsunfähigkeit aufgrund der Erkrankung hat, führt unter anderem auch diese Taktik der Versicherer dazu, dass BU-Prozesse sich allein in der ersten Instanz über Jahre hinziehen und so die Versicherten zermürben.

Nicht jedoch im vorliegenden Fall, in dem die Hannoversche Lebensversicherung AG im Prozess – obwohl wir darauf hingewiesen hatten – nicht wahrhaben wollte, dass nicht unsere Mandantin darlegungs- und beweispflichtig für ihre mindestens 50%ige Berufsunfähigkeit ist, sondern vielmehr die Hannoversche Lebensversicherung AG darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass unsere Mandantin nicht mehr zu mindestens 50% berufsunfähig ist. Das Landgericht Berlin ist unserer Auffassung gefolgt und hat der Versicherung deutlich ins Stammbuch geschrieben, dass und warum sie zur Rentenzahlung verpflichtet ist. Die Hannoversche Lebensversicherung AG war nach ihren eigenen vorgerichtlichen Äußerungen gegenüber unserer Mandantin aufgrund des Verlaufs der Erkrankung im ersten Jahr nach dem Bandscheibenvorfall nämlich selbst davon ausgegangen, dass sie ein Leistungsanerkenntnis hätte abgeben müssen. Auch nach dem von der Versicherung eingeholten Gutachten des Herrn Prof. Dr. Ekkernkamp lag eine Berufsunfähigkeit unserer Mandantin klar auf der Hand. Die Hannoversche Lebensversicherung AG war daher so zu behandeln, als hätte sie ein Leistungsanerkenntnis abgegeben. Von diesem hätte sie sich nur dadurch wieder lösen können, dass sie ihrerseits vorträgt und beweist, dass keine mindestens 50%ige Berufsunfähigkeit unserer Mandantin mehr vorliegt. Nach Ansicht des Landgerichts Berlin fehlte insoweit jedoch ausreichender Vortrag der Hannoverschen Lebensversicherung AG. Mithin war nicht unser Klagevorbringen unschlüssig, wie großspurig von der Versicherung behauptet, vielmehr war das Verteidigungsvorbringen der Hannoverschen Lebensversicherung AG unschlüssig bzw. unerheblich und irrelevant. Folglich konnte das Landgericht Berlin den BU-Versicherer zur Zahlung verurteilen, ohne eine Beweisaufnahme zur beruflichen Tätigkeit, zur Erkrankung und zur Berufsunfähigkeit unserer Mandantin durchführen zu müssen.

Die Fälle des treuwidrig verweigerten Anerkenntnisses kommen häufiger vor als man zunächst glauben könnte. Bei den Versicherten sollten immer dann die Alarmglocken läuten, wenn der BU-Versicherer aus „Kulanz“ bzw. „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ leistet oder aber dem Versicherten eine Leistungsvereinbarung für einen bestimmten Zeitraum unterbreitet bzw. die Versicherungsleistungen nur befristet anerkennt. Die Fälle, in denen es sich um reine Wohltaten des Versicherers handelt sind selten, häufig findet sich ein versteckter Haken. Nach unserer Erfahrung ergibt sich bei einer Prüfung immer wieder, dass der Versicherer nach dem Krankheitsverlauf des Versicherten, nach den vorgelegten Befundberichten bzw. nach den eingeholten ärztlichen Stellungnahmen verpflichtet gewesen wäre, ein unbefristetes Leistungsanerkenntnis abzugeben, was jedoch nicht geschehen ist. Nur ein unbefristetes Leistungsanerkenntnis führt zu einer für den Versicherten komfortablen Rechtsposition, denn nicht er muss im weiteren Verlauf darlegen und beweisen, dass er (weiterhin) zu mindestens 50% berufsunfähig ist, vielmehr muss der Versicherer darlegen und beweisen, dass der Versicherte nicht mehr zu mindestens 50% berufsunfähig ist. Das kann in einem Prozess ein erheblicher Vorteil für den Versicherten sein, wie der hier besprochene Fall anschaulich zeigt.

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